Kia EV9: Der zahme Elektro-Koloss im ADAC Test

Im Video: Motorjournalist Lars Hönkhaus war für den ADAC im Kia EV9 unterwegs ∙ Bild: © news to do GmbH + ADAC/David Klein, Video: © ADAC e.V.

Kia hat mit dem Riesen-SUV EV9 ein neues Flaggschiff. Als praktisch gestaltbarer Sechs- oder Siebensitzer ist er auch für vielköpfige Familien eine gute Alternative zum Van. Dabei ist das SUV erstaunlich effizient. ADAC Test, Bilder, Daten, Preis.

  • Der Kia EV9 knackt die Fünf-Meter-Marke

  • 99-kWh-Batterie für 500 km Test-Reichweite

  • Als Sechs- oder Siebensitzer erhältlich

Optisch ist der Kia EV9 ein Statement: Seine Größe will er erst gar nicht kaschieren. Die Zielgruppe dürften damit eher Land-Rover-Defender-Fans und Bewunderer der kultigen Mercedes G-Klasse sein. Doch durch die mobilen Sitzreihen will sich der Riesen-Stromer auch als Familienvan ins Spiel bringen. Und der ADAC Test beweist: Schwerfällig geht es beim EV9 auf jeden Fall nicht zu.

Kia EV9: Batterietechnik auf hohem Niveau

Nicht nur seine Größe macht den EV9 zum Spitzenmodell der Kia-Familie. Bei Batterie und Aufladen kann das SUV auf den aktuellen Stand der Technik zurückgreifen und spielt damit auch im Konkurrenzumfeld ganz oben mit. Herzstück ist die 800-Volt-Technologie, wie sie etwa auch der Kia EV6 und die Konzernbrüder Hyundai im Ioniq 5 und Ioniq 6 nutzen. Der üppig dimensionierte 99,8-kWh-Akku soll so in kurzer Zeit viel Reichweite laden können. Beachtliche 210 kW Ladeleistung stehen dafür im Datenblatt, etwas mehr als z.B. beim Mercedes EQS SUV.

In der Praxis lädt der große Kia im ADAC Ecotest sogar mit maximal 211,5 kW, im Schnitt fließen beim 24 Minuten dauernden Stopp am Schnelllader bei der Füllung von zehn auf 80 Prozent sehr gute 191,4 kW durch die Leitung. Nach 20 Minuten lädt der Kia 328 Kilometer an Reichweite nach - ein wirklich guter Wert!

Im Vergleich zum EV6 finden in dem über eine halbe Tonne schweren Hochvoltakku nicht nur mehr Zellen Platz. Auch die Energiedichte hat sich erhöht. Die E-GMP-Plattform, auf der auch die beiden Ioniqs unterwegs sind, zeigt sich hier sehr flexibel, stemmt sie doch die größere Batterie sowie die raumgreifenden Abmessungen des EV9 problemlos.

Bildergalerie: Kia EV9

Kia EV9: Rund 500 km Reichweite im Test

563 Kilometer weit soll das E-SUV mit Hinterradantrieb laut Werksangabe kommen. Der getestete Allradler soll laut Norm etwas 50 Kilometer weniger schaffen. Im ADAC Test erreichte er rund 500 Kilometer, zweifellos ein sehr guter Wert, der den EV9 auch interessant für das Thema Langstrecke macht. Hinter BMW iX und Volvo EX90 hinkt der EV9 damit allerdings leicht hinterher, den kultigen VW ID. Buzz sticht der Koreaner locker aus. Der Stromverbrauch des Testkandidaten liegt bei 22,2 kWh/100 km und damit überraschenderweise sogar knapp unter dem Wert nach WLTP.

Praktisch: Wer beim Ladeanbieter Ionity lädt, braucht dank "Plug&Charge"-Funktion (bekannt von Tesla) nur den Ladestutzen einzustecken, die Säule erkennt dann das Fahrzeug automatisch und rechnet über das hinterlegte Konto ab.

Vorbereitet für Bidirektionales Laden

Mit der 800-Volt-Technik will Kia auch in Richtung bidirektionales Laden einen weiteren Schritt machen. Der EV9 ist als "fahrende Powerbank" konzipiert und soll – wo das technisch schon möglich ist – den Strom aus der Batterie an das eigene Haus oder sogar ins öffentliche Netz abgeben können.

Viele dieser Anwendungsfälle liegen, gerade in Deutschland, noch in ferner Zukunft. Konkret nützlich kann es aber jetzt schon werden, etwa für Wohnwagenbesitzer: Mit den für ein E-Auto beachtlichen 2,5 Tonnen Anhängelast lässt sich nicht nur ein Caravan ziehen. Über die zur konventionellen Steckdose wandelbare Ladebuchse lassen sich dann auch Campinggeräte mit Strom versorgen.

Überraschend leichtfüßig auf der Straße

Heckansicht eines fahrenden Kia EV9
Für seine Schwere erfreulich leichtgängig. Nur schnelle Kurven sollte man etwas sachter angehen© Kia

Und wie fällt der Fahreindruck auf der Straße aus? Zwei Meter breit, 1,75 Meter hoch und knapp drei Tonnen schwer klingt nach behäbigem Boliden, tatsächlich fährt sich der EV9 überraschend agil. Allerdings ist er auch in der GT-line sicherlich kein Sportwunder – insgesamt setzt Kia beim Antrieb eher auf Alltagstauglichkeit und nicht wie Tesla Model X und BMW iX auf Spitzenleistungen.

Das EV9-Fahrwerk hat eine straffe Grundtendenz, bietet aber dennoch einen ordentlichen Federungskomfort. Das verbindliche Federn des Fahrwerks ist gerade für empfindliche Naturen auf der dritten Sitzreihe hilfreich, denn dadurch hält sich das Karosserieschwingen sowie damit verbunden die Belastung für die Passagiermägen in Grenzen.

Die Lenkung fühlt sich ziemlich entkoppelt an, sie vermittelt recht wenig Rückmeldung von der Straße. Letztlich passt das aber zum Charakter des Fahrzeugs. Die 283 kW/385 PS und das maximale Drehmoment von 700 Nm der GT-line-Variante machen sich positiv bemerkbar. Von 15 auf 30 km/h vergehen nur 0,6 Sekunden, das ist perfekt beim Abbiegen und Einfädeln in den fließenden Verkehr.

Auch Überholmanöver sind schnell erledigt, knapp 2,9 Sekunden dauert die Beschleunigung von 60 auf 100 km/h. Von 80 auf 120 km/h geht es in 3,4 Sekunden. Das sind zweifelsohne tolle Werte, die man dem EV9 so gar nicht zutraut. Gut abgestimmt wirkt auch der Wechsel zwischen Rekuperation (Energierückgewinnung) und Segeln (Dahingleiten ohne Antrieb). Mit den beiden Lenkradpaddels lassen sich die drei Rekuperations-Level schnell auswählen, man kann also auch flexibel auf wechselnde Umgebung reagieren.

Bei freier Strecke gerät dem EV9 sein hohes Gewicht zum Vorteil, dann segelt der Koloss sanft über die Straße. Nur in engen Kurven merkt man Höhe und Länge des Fahrzeugs, geruhsames Fahren ist sicherlich der bevorzugte Modus. Beim ADAC Ausweichtest verhält sich der EV9 sicher, zum ausgeprägten Dynamiker wird er schon aufgrund seiner schieren Masse nicht. Man ist jedoch souverän unterwegs, sehr sinnvoll für ein großes Familienauto. An das Fahrgefühl des sportlicheren Q8 e-tron kommt der Kia nicht heran.

EV9: Ein SUV als Familienvan?

Die drehbaren Sitze des Kia EV9
Einstieghilfe und Kinderbespaßung: Am EV9 ist ein VW Caddy verloren gegangen© Kia

Während die äußere Form die eines robusten SUVs ist, hat Kia sich bei den Sitzen eher am klassischen Familienvan orientiert. Standardmäßig kommt der EV9 als Siebensitzer, wobei die hintersten Sitze den vorderen Reihen bei der Beinfreiheit um wenig nachstehen. Platz ist im Innenraum, wenig überraschend, also eine ganze Menge. Beim getesteten Sechssitzer reicht das Platzangebot vorne für rund 1,95 Meter große Personen, wobei nur die Beinfreiheit limitierend ist, die Kopffreiheit würde auch für 2,20-Meter-Riesen genügen.

Der Innenraum ist sehr breit und für seine Klasse absolut angemessen. Auch im Fondbereich steht reichlich Platz zur Verfügung. In der zweiten Sitzreihe finden Insassen bis zu einer Körpergröße von rund zwei Metern dank der enormen Kopf- und Beinfreiheit bequem Platz, wenn die Vordersitze für 1,85 Meter große Personen eingestellt sind.

Selbst in der dritten Reihe wird es erst oberhalb von 1,90 Meter Körpergröße enger, es können also sogar sechs Erwachsene gemeinsam im EV9 reisen. Die Innenbreite ist wie vorn auch in Reihe zwei und drei absolut ausreichend und trägt zum angenehmen Raumempfinden bei.

Die maximale Zuladung des fast 2,7 Tonnen schweren Testwagens beträgt 550 Kilo, das ist für einen Sechssitzer überschaubar. Denn eigentlich muss man beim Stauraum des EV9 keine Kompromisse eingehen. Bleibt die dritte Sitzreihe eingeklappt, beträgt das Kofferraumvolumen bis zur Kofferraumabdeckung 760 und bis unter das Dach 1295 Liter. Alternativ lassen sich bis zu 22 Getränkekisten verstauen.

Stellt man die beiden Klappsitze ganz hinten auf, reduziert sich der Stauraum auf immer noch ansehnliche 430 Liter. Klappt man alle Rücksitze zusammen, erweitert sich der Stauraum bis zum Dachhimmel hoch auf 2250 Liter. Der Frunk unter der Fronthaube fällt mit einem Volumen von rund 35 Liter eher knapp aus.

Innenraum: 360-Grad-Blick

Im Cockpit hat sich Kia ganz der herrschenden Designlogik aktueller E-Autos angepasst. Zwei 12,3-Zoll-Bildschirme ergeben zusammen eine durchgängige Bildschirmfläche, dazwischen klemmt ein 5,3-Zoll-Touchscreen, auf dem nur die Klimatisierung gesteuert wird.

Physische Tasten und Knöpfe gibt es kaum mehr, die Steuerung funktioniert hauptsächlich auf dem Touchscreen, die Menüführung wirkt auf den ersten Blick leicht verständlich. "Minimalistisch" nennt Kia seinen spartanischen Innenraum, der fraglos aufgeräumt und geradlinig wirkt. Einen eigenen optischen Reiz erkennt man aber nicht.

Bestellt man die optionalen digitalen Seitenspiegel, kommen noch zwei Bildschirme über der Armlehne dazu. Muss man mögen und ist sehr ungewohnt. Ein sinnvolleres Zusatzfeature ist der digitale Innenspiegel, der den rückwärtigen Verkehr auch zeigt, wenn sich im Innenraum das Gepäck bis zum Dach auftürmt. Ein erneuter Wink in Richtung Hightech-Familienvan.

Bei den eingesetzten Materialen hat man sich der Nachhaltigkeit verschrieben. Statt tierischem Leder kommen Werkstoffe aus recycelten PET-Flaschen und Fischernetzen zum Einsatz, Bio-Lacke wurden aus Rapsöl und Bio-Kunststoff aus Maisextrakt gewonnen. Kia will damit den Wandel hin zu "nachhaltigen Mobilitätslösungen" einläuten – wie nachhaltig der Akku im EV9 produziert wird, sagt Kia aber nicht.

Kia EV9: Sichtbare Masse

Der Kia EV9 seitlich stehend fotografiert
Rund, aber mit straffem Schnitt über der C-Säule© Kia

Was dem EV9 innen an charakterlicher Note fehlt, macht er im Außendesign wett: Eine runde, stark gewölbte Haube trifft da auf scharfe Linien an der Unterseite, auch an der Seite schneidet eine scharfe Kante in die sonst glatte Fläche. Hinten fallen vor allem die für die Größe des Autos eher schlanken Rückleuchten auf, die wie ein Designelement aus einer Sternenkarte wirken sollen.

Im Straßenbild sticht der EV9 damit sofort heraus, die klare Abgrenzung zur inzwischen eingeübten SUV-Designsprache ist geglückt. Die Wuchtigkeit des koreanischen Kolosses wird aber gerade durch die massige Haube sogar noch einmal unterstrichen, der Blick auf die Front kann also auch etwas einschüchternd wirken.

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Der Riese hat seinen Preis

Kia will mit seinem neuen Flaggschiff zeigen, dass die Marke auch im Premiumsegment mitmischen kann. Und auf technischer Ebene gelingt das problemlos, 800-Volt-Technik und die entsprechend starke Ladeleistung machen den EV9 zum ernsthaften Konkurrenten für Audi Q8 e-tron, Mercedes EQS SUV und Co. Zudem ist er als vollelektrischer Sechs- und Siebensitzer noch eine echte Rarität am Markt. Der praktische Innenraum sowie die Camping-taugliche Anhängelast von bis zu 2,56 Tonnen sind zusätzliche Argumente für Käuferinnen und Käufer, die echten Nutzwert suchen.

Doch der Premiumanspruch hat auch seinen Preis: 72.490 Euro kostet die Basisversion (150 kW/204 PS) mit Heckantrieb, mit Allradantrieb sind 4000 Euro mehr zu zahlen. Für die stärkere und besser ausgestattete GT-Line werden 82.380 Euro fällig.

Kia hat angekündigt, dass das EV-Sortiment noch kräftig wachsen soll. Für Europa besonders interessant: Der Kia EV2, ein kleiner Stromer, der weniger als 30.000 Euro kosten soll. Und natürlich auch der kompakte EV3.

Kia EV9: Technische Daten und Preis

Technische Daten (Herstellerangaben)

Kia EV9 (99,8 kWh) GT-Line AWD (6-Sitzer) (ab 10/23)

Motorart

Elektro

Leistung maximal in kW (Systemleistung)

283

Leistung maximal in PS (Systemleistung)

385

Drehmoment (Systemleistung)

700 Nm

Antriebsart

Allrad

Beschleunigung 0-100km/h

5,3 s

Höchstgeschwindigkeit

200 km/h

Reichweite WLTP (elektrisch)

505 km

CO2-Wert kombiniert (WLTP)

0 g/km

Verbrauch kombiniert (WLTP)

22,8 kWh/100 km

Batteriekapazität (Netto) in kWh

99,8

Ladeleistung (kW)

AC:10,5 DC:50,0-210,0

Kofferraumvolumen normal

333 l

Kofferraumvolumen dachhoch mit umgeklappter Rücksitzbank

2.393 l

Leergewicht (EU)

2.648 kg

Zuladung

542 kg

Anhängelast ungebremst

750 kg

Anhängelast gebremst 12%

2.500 kg

Garantie (Fahrzeug)

7 Jahre oder 150.000 km

Länge x Breite x Höhe

5.015 mm x 1.980 mm x 1.780 mm

Grundpreis

83.370 Euro

ADAC Messwerte

ADAC Messwerte (Auszug)

Kia EV9 GT-Line AWD (6-Sitzer)

Überholvorgang 60 – 100 km/h

2,9 s

Bremsweg aus 100 km/h

33,6 m

Wendekreis

13,0 m

Verbrauch/CO₂-Ausstoß ADAC Ecotest

22,2 kWh/100 km, 111 g CO₂/km (well-to-Wheel)

Bewertung ADAC Ecotest (max. 5 Sterne)

****

Reichweite

500 km

Innengeräusch bei 130 km/h

65,7 dB(A)

Leergewicht / Zuladung

2640 / 550 kg

Kofferraumvolumen normal / geklappt / dachhoch

760 / 1225 / 2250 l

ADAC Testergebnis

ADAC Testergebnis

Kia EV9 (99,8 kWh) GT-Line AWD (6-Sitzer) (ab 10/23)

Karosserie/Kofferraum

2,1

Innenraum

1,9

Komfort

1,9

Motor/Antrieb

0,9

Fahreigenschaften

2,3

Sicherheit

1,3

Umwelt/EcoTest

1,9

Gesamtnote

1,7
Sicherheit und Umwelt werden doppelt gewertet

sehr gut

0,6 - 1,5

gut

1,6 - 2,5

befriedigend

2,6 - 3,5

ausreichend

3,6 - 4,5

mangelhaft

4,6 - 5,5

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