Die alltägliche Poesie der schwebenden Mittelkonsole
Dichtung statt Datenblatt: Bei der nie enden wollenden Suche nach der perfekten Autobeschreibung greifen PR-Abteilungen häufig zu den Mitteln der Poesie. Und die kann mit wenigen Worten bekanntlich alles sagen. Oder sehr, sehr wenig.
Das Automobil macht es den Kommunikationsabteilungen nicht gerade leicht. Denn dank Radnabenmotor, Rekuperationsstufe und Reifendruckkontrollsystem klingt die Sprache der Fahrzeugwelt oft trocken und wenig anregend.
Doch PR ist schließlich die Kunst, aus Profanem ein Spektakel und aus der Randnotiz einen Mythos zu formen. Und so werden aus zwei Grad steiler zulaufenden Heckleuchten "Glanzlichter des Designs" und aus zwei zusätzlichen Wicklungen am E-Motor ein "Meilenstein der Elektromobilität".
Aus der Beobachterperspektive des ADAC Autotests wird man so des Öfteren Zeuge eines packenden Rennens zwischen kreativem Vokabular und schlichter Realität. Eine kleine Sammlung der wolkigsten Fundstücke aus Pressemitteilungen.
Gamechanger, so weit das Auge reicht
Aus dem Renault Rafale konnte gar nichts anderes werden als ein absolutes Unikat. Schließlich begannen die französischen Designerinnen und Designer "mit einem leeren Blatt Papier". Möglicherweise hatte sich auf das Papier jedoch unbeabsichtigt der Bauplan eines der zahlreichen SUV-Konkurrenten abgepaust. Denn gestalterisch gelungen mag der Neue durchaus sein, ist aber ohne jeden Zweifel ein ziemlich klassisches SUV.
Damit dieser profane Eindruck auf keinen Fall aufkommen kann, stellte Cupra mit ihrem Showcar Dark Rebel lieber gleich "die Art und Weise, wie Autos in Zukunft gebaut werden" infrage. Ohne falsche Bescheidenheit teilt der spanische Autobauer mit, "die Grenzen des bisher Denkbaren" überschritten zu haben. Vor dieser titanenhaften Tat hatte die VW-Tochter dann wohl selbst Bammel und ruderte schnell zum Machbaren zurück: Der dem Rebel entsprungene Cupra Tavascan ist technisch sehr eng mit dem ID.4 und ID.5 verwandt – setzt also auf ganz normale Großserientechnik.
Man mag da sogar ein Muster erkennen. Der "Gamechanger" Cupra Born folgt auf die "Neudefinition" EQS Maybach, dem wiederum eine "Neuinterpretation" eines ganzen Fahrzeugkonzepts, nämlich der BMW XM, voranging. Jede Ähnlichkeit der Modelle untereinander wäre folglich purer Zufall, schließlich jagt ein "unvergleichlicher Charakter" (Opel Frontera) die nächste "Neudefinition des elektrischen Fahrens" (Nissan Ariya).
Cupra denkt seine Gamechanger-Rolle sogar radikal auf die Gesellschaft weiter und verspricht, "die bestehenden Vorstellungen von Eigentum" neu zu definieren. Wer sich nun eine konzerngeführte sozialistische Revolte ausmalt, könnte sich hinters Licht geführt sehen: Den Born gibt es lediglich mit einem neuen Leasingmodell.
Die Botschaft hinter diesen Hymnen an die ständige Runderneuerung bringt Citroën für seinen Oli auf den Punkt: "Mehr als ein Auto". Die PR-Abteilungen sollten den beworbenen Autos eigentlich böse sein, dass sie doch und trotz aller kreativen Ankündigungen immer wieder nur Autos sind.
„Mehr als ein Auto – ein vielseitiger Begleiter für den Alltag, der genauso nützlich ist, wenn man ihn nicht fährt, wie wenn man ihn fährt.“
Citroën über ihr Konzeptauto Oli
Wohin schwebt eigentlich die Mittelkonsole?
Ob nun Neuinterpretation oder Gamechanger: Ein Auto braucht ein Lenkrad, ein Cockpit, Sitze und heutzutage wohl auch Bildschirme. Einen Innenraum eben. Und der wurde, man ahnt es, in den letzten Jahren grundlegend revolutioniert. So setzt Smart im #1 ganz auf "menschenzentrierte Technologie“, BMW hat sich im XM um ein "fahrerorientiertes Cockpit" bemüht, und auch beim Cupra Born steht selbstredend der "Fahrer im Mittelpunkt".
Für Mercedes ist "Fahrerorientierung" in der neuen C-Klasse ein Zeichen für Sportlichkeit, Audi hat im Q6 e-tron die "dreidimensionale Raumarchitektur auf die Insassen zugeschnitten". Kein Wunder, dass Nissan bei dieser humanistischen Designwende nicht zurückstehen kann: "Beim neuen Ariya steht der Mensch im Mittelpunkt". Nur leise fragt man sich: Wer denn eigentlich sonst?
Menschlich soll es also in den Innenräumen aus Screens und bio-kaffeebohnenschalengegerbten Ledersitzen (Škoda Octavia) zugehen. Dabei helfen soll ein neuer Liebling der PR-Poesie: die schwebende Mittelkonsole.
Welcher Hersteller zuerst auf die Idee des "schwebenden Designs der Mittelkonsole" (MG 4) kam, ist eine Aufgabe für Autobücher und hoffentlich auch bald fürs Automuseum. Smart war es schon mal nicht, obwohl hier von ihr als einzigartigem "Designmerkmal" im #1 gesprochen wird. Schließlich kam der X-Trail mit seiner "schwebenden Mittelkonsole" etwas früher in die Autohäuser.
Wie eine schwebende Mittelkonsole genau aussieht, variiert von Hersteller zu Hersteller. Sicher ist, dass ein großer oder kleiner Hohlraum in der Mitte entstehen muss. Und dass die Definition des Wortes "schweben" gehörig gedehnt wird. Denn wenn Dinge wie Gespenster schweben, kann dasselbe dann für eine doch sehr gut befestigte Mittelkonsolen gelten?
Beim Barte des blauen Neptun
In jedem Fall scheint die der Erdanziehungskraft spottende Präsenz der schwebenden Mittelkonsole ansteckend zu sein. Beim Cupra Born "schwebt" der Touchscreen, in der C-Klasse gar die ganze Bedieninsel, und im X-Trail sollte man sich bei Regen in Acht nehmen, denn er hat ein "scheinbar schwebendes Dach". Genauso wie die Luft scheint auch ein anderes dem Asphalt sehr unverwandtes Element das Marketing zu beflügeln. Nämlich das Wasser. Rolls Royce konnte daher nicht umhin, ihrem Spectre ein "nautisches Design" zu verpassen, der Bildschirm im Fisker Ocean soll "so wendig, wie der Ozean selbst" sein und die Polestar-4-Deisgner spornte das "Blau des Neptun" zu Höchstleistungen an.
Bei der Blau-Lackierung ihrer E-Limousine Air wurde Lucid, man ahnt es, natürlich vom Pazifischen Ozean inspiriert, Cupra von einem skandinavischen Fjord und Togg vom "kristallklaren Wasser" des Marmarameeres. Und wenn das Heck des X-Trail nicht gerade schwebt, erinnert es (angeblich) "an eine Delfinflosse".
Aschgrau, Mausgrau, Staubgrau, Steingrau
Ob nun durch "Licht als fühlbares Material" (Cupra Dark Rebel) oder wortreiche Aufhübschungen der Farbe Grau ("Vulkangrau", "Birke linear steingrau naturell", "Enceladus Grey Matt", "Graphene Grau", "Magnetic Tech Matt", "Manhattangrau Metallic"): Das bunte Wörterbuch der Auto-PR wird mit jedem neuen Modell oder Facelift einen Tick vielfältiger.
Doch manchmal geht es auch erstaunlich simpel zu. Mercedes lässt über die C-Klasse wissen: "Die Instrumententafel ist in einen oberen und unteren Bereich gegliedert." Dass die obere Anzeige über der unteren schweben würde, hat man sich offenbar verkniffen.