Lucid Air: Ein Newcomer wird zum Tesla-Jäger

PS-Fans geraten vor lauter Freude außer Puste, Börsianer wittern das große Geschäft: Der Lucid Air soll die etablierte Konkurrenz der Oberklasse-Elektroautos kräftig aufmischen. Testfahrt, Daten, Preise
Mächtig: Motoren mit 480 bis 1111 PS
Ausdauernd: 653 bis 883 Kilometer Reichweite
Selbstbewusst: Preise von 109.000 bis 218.000 Euro
Mit dem Lucid Air macht ein potenter Ausdauersportler dem Model S von Tesla Konkurrenz – und mit ihm wird die Luft für Elon Musk noch dünner. Denn nachdem mittlerweile schon die vermeintlichen Dinosaurier aus der alten Autowelt mit elektrischen Boliden wie dem Mercedes EQS, dem BMW iX sowie dem Duo Porsche Taycan und Audi e-tron GT am Thron rütteln, schwingt sich auch ein Newcomer zu einem ernsthaften Konkurrenten auf und bringt gegen das Model S den Lucid Air in Stellung. Unser Autor konnte ihn in den USA fahren.
Lucid Air: Knapp 900 Kilometer Reichweite

Der Lucid Air ist elegant und auf jeden Fall frischer gezeichnet als das Model S. Dank seines 118-kWh-Akkupakets, dem effizienten Antrieb und einem Cw-Wert von 0,197 soll er auf eine Reichweite von bis zu 883 Kilometern kommen und sich so mit Abstand als der beste Langstreckenläufer in dieser Liga etablieren. Genau wie der Tesla S wurde der Lucid in den USA entwickelt und wird dort auch gebaut. Jenseits des Atlantiks ist er bereits seit dem Herbst 2021 auf dem Markt und steht seit dem zweiten Halbjahr 2022 vom ersten europäischen Showroom in München aus auch diesseits des Atlantiks am Start. Noch nicht mit zahlenmäßig durchschlagendem Erfolg. Laut Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wurden von Januar mit Mai 2023 exakt sieben Air neu zugelassen. Zum Vergleich: Für Tesla meldet das KBA im selben Zeitraum 28.340 Neuzulassungen.
Edle Materialien im luftigen Innenraum

Dabei könnten die Chancen des Tesla-Herausforderers kaum aussichtsreicher sein. Denn wohl keiner kennt das Model S so gut wie Lucid-Chef Peter Rawlinson. Schließlich hat der in seinem letzten Leben selbst bei Tesla gearbeitet und für Elon Musk die Entwicklung der ersten eigenen Baureihe geleitet. Kein Wunder also, dass der Air wie eine Kopie des Model S wirkt – nur ohne Kompromisse und stattdessen mit vielen kleinen wie großen Verbesserungen.
Zum Beispiel im Innenraum: Wo der Tesla fast nackt daher kommt mit seinem großen Touchscreen als einzigem Bedienelement, hat Lucid beim Air die bessere, vielleicht in dieser Klasse sogar die beste Balance aus alter und neuer Welt gefunden: Es gibt vornehme Oberflächen, edle Materialien und sogar noch ein paar klassische Schalter, etwa für Lautstärke und Lüftung – und trotzdem schwebt hinter dem Lenkrad eine schlanke Kinoleinwand, während vor der Mittelkonsole das unvermeidliche Tablet thront.
Dazu bietet der Lucid jede Menge Platz: Zum 627 Liter großen Kofferraum kommt noch mal knapp halb so viel im Frunk. Und obwohl nur etwa so groß wie eine E-Klasse, sitzen Hinterbänkler im Lucid bei knapp drei Metern Radstand fast so gut wie in einer S-Klasse. Auch der EQS wirkt dagegen eher knapp – und für die Fondpassagiere bei Audi oder Porsche bleibt einem im Lucid nicht viel mehr als Mitleid. Verstärkt wird der luftige Raumeindruck im Air noch von der konkurrenzlos großen Frontscheibe, die bis weit hinter den Fahrersitz ins Dach reicht und so ganz neue Ausblicke eröffnet.
Lucid Air mit 1111 PS und 1390 Nm

Fahrdynamisch liegt der Lucid Air am oberen Ende seiner Klasse: Kein Wunder bei irrwitzigen 1111 PS und 1390 Nm Drehmoment für die "Dream Edition Performance", mit der die Amerikaner den Anfang machten. Aber seine Lorbeeren sammelt der Lucid nicht allein mit der brachialen Beschleunigung im Sprint-Modus, für den die Entwickler – wir sind schließlich in einem amerikanischen Fahrzeug unterwegs – eigens einen Warnhinweis programmiert haben.
Zwar bleibt einem bei laut Lucid "etwa" 2,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h schon mal kurz die Puste weg. Und die wegen der Reifen auf 270 km/h limitierte Höchstgeschwindigkeit ist auch nicht schlecht. Doch mehr noch beeindruckt der Punch, den der Lucid jenseits der Richtgeschwindigkeit entwickelt: Wo es bei anderen Stromern so langsam zäh wird, zieht der Air locker durch und kommt nie aus der Puste. So wird Überholen selbst auf der Autobahn zum Kinderspiel.
Nicht minder beeindruckend ist sein lockeres Handling. Obwohl sich der knapp 5 Meter lange und mehr als 2,5 Tonnen schwere Wagen dabei weder den Luxus einer Luftfederung noch eine Hinterachslenkung leistet, nimmt er die Byways in den Hügeln hinter Hollywood genauso vergnüglich wie die Highways unten an der Küste: Enge Kurven, verwinkelte Canyons oder steile Pässe machen mit der großen Limousine überraschend viel Laune – da merkt man, dass Peter Rawlinson auch mal ein paar Jahre beim britischen Sportwagenbauer Lotus gearbeitet hat.
Lucid Air: Bis zu 300 kW Ladeleistung

Anders als die deutschen Dinosaurier und genau wie Tesla lässt Lucid die Zulieferer weitgehend außen vor: Schlüsselkomponenten wie Akkus und Motoren werden deshalb nicht nur eigenständig entwickelt, sondern auch selbst produziert. Die Batterieblöcke, von denen es im Auto je nach Konfiguration 18 oder 22 gibt, haben die Amerikaner bereits seit Jahren an die Formel-E-Rennserie geliefert und so hinlänglich testen können. Die Lader, die bidirektional ausgelegt sind und mit dem Auto so auch das Haus speisen können, laden mit bestenfalls 300 kW und machen den Air zu einem der schnellsten Sauger an der Steckdose: Unter optimalen Umständen fließe binnen 15 Minuten der Strom für fast 400 Kilometer, so der Hersteller.
Showroom von Lucid in München

2022 hat Lucid Motors den Marktstart in Deutschland eingeläutet und einen ersten Showroom in München eröffnet. Weitere sollen in Hamburg, Berlin und Düsseldorf folgen. Wie üblich in solchen innerstädtischen Lagen, kann sich der Kunde über die Details des Fahrzeugs informieren, Farben und Materialien des Auto-Innenraums sowie weitere Extras aussuchen. Auswahl und direkter Vergleich funktionieren auch virtuell per AR-Brille. Das hat schon eine andere Qualität als beim Vertragshändler um die Ecke.
Auch den technischen Details des Lucid Air kommen interessierte Kunden hier ein Stück näher. So werden ein Modul des besonders effizient gefertigten Akkus, die äußerst leistungsstarke Antriebseinheit sowie die Box mit der innovativen Ladetechnik als Exponate ausgestellt. Die unglaublich kompakte Antriebseinheit wiegt nur 74 Kilogramm und umschließt nicht nur den über 1000 PS starken Motor, sondern auch das Getriebe und den Stromwandler (Inverter).

Chefentwickler Eric Bach erklärte ADAC Redakteur Wolfgang Rudschies im Rahmen der Showroom-Eröffnung, warum der Lucid Air als künftiger Maßstab der Top-Elektroautos gelten wird: "Unser Auto ist das energieeffizienteste, das aerodynamischste und das raumökonomischste Elektrofahrzeug weltweit. Wir haben alle wesentlichen Teile selbst entwickelt, haben sie patentieren lassen, und wir fertigen sie sogar selbst."
Auch das Halbleiter-Problem habe man im Griff. Weil Lucid seine Halbleiter nicht aus Asien, sondern aus einer neuen Wafer-Fabrik im US-Staat New York beziehe. Der fortgeschrittensten Bauart mit Silizium-Carbid, natürlich. Diese seien deutlich schneller in den Schaltzeiten und damit wiederum effizienter.
Zum Start war die Fabrik von Lucid Motors auf eine Produktion von 35.000 Fahrzeugen pro Jahr ausgelegt. Zurzeit werde die Produktion aber um das Drei- bis Vierfache erweitert. Und das ist auch nötig: Lucids erstes SUV Gravity soll noch 2023 vom Band laufen, ab Anfang des Jahres wird es zumindest in Kanada und den USA vorbestellbar sein.
Air Pure, Air Touring, Air Grand Touring

Dem Erstlingswerk Lucid Air Dream Edition Performance wurde die Version Range zur Seite gestellt, die mit 686 kW/933 PS starkem Antrieb bis zu 883 Kilometer weit kommen soll. Mittlerweile bietet Lucid auch noch drei etwas schwächere Versionen an: Der Air Pure ist fortan die Basisversion und wird als Allradversion mit zwei Motoren oder mit Hinterradantrieb und einem Motor ausgeliefert. Er kommt auf "nur" auf 353 kW/480 PS. Der Air Touring firmiert eine Stufe darüber und bringt es auf 456 kW/620 PS und noch einmal 24 Kilometer mehr Reichweite als die Basisversion. Dazu kommt noch der Air Grand Touring mit 602 kW/819 PS und einer Normreichweite von bis zu 839 Kilometern.
Während der Air Pure mit 109.000 Euro der günstigste Lucid sein wird und damit zumindest das Model S Plaid unterbieten kann, fischt der Air Sapphire in ganz anderen Gewässern: 895 kW/1217 PS sollen dessen drei Motoren liefern und den Sapphire auf maximal 330 km/h bringen. Beschleunigung und Preis sind gleichermaßen atemberaubend: In 1,89 Sekunden beschleunigt der Sapphire von 0 auf 60 mph (ca. 96 km/h), rund 300.000 Euro muss Kundinnen und Kunden dieses Fahrgefühl aber wert sein. Ob und wann der Air Sapphire in Europa verfügbar ist, bleibt auch angesichts der zwischenzeitlich etwas angespannten Lage bei Lucid Motors abzuwarten.
Lucid Air: Technische Daten, Reichweiten, Preise
Technische Daten (Herstellerangaben) | Lucid Air Dual Motor Pure AWD (ab 10/23) | Lucid Air Dual Motor Touring AWD (ab 07/23) | Lucid Air Dual Motor Dream Edition Range AWD (ab 07/22) | Lucid Air Dual Motor Dream Edition Performance AWD (ab 07/22) |
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Motorart | Elektro | Elektro | Elektro | Elektro |
Leistung maximal in kW (Systemleistung) | 338 | 462 | 696 | 828 |
Leistung maximal in PS (Systemleistung) | 487 | 629 | 946 | 1.126 |
Drehmoment (Systemleistung) | 550 Nm | 1.200 Nm | 1.390 Nm | 1.390 Nm |
Antriebsart | Allrad | Allrad | Allrad | Allrad |
Beschleunigung 0-100km/h | 4,0 s | 3,6 s | 2,9 s | 2,7 s |
Höchstgeschwindigkeit | 200 km/h | 225 km/h | 270 km/h | 270 km/h |
Reichweite WLTP (elektrisch) | 725 km | 660 km | 883 km | 799 km |
CO2-Wert kombiniert (WLTP) | 0 g/km | 0 g/km | 0 g/km | 0 g/km |
Verbrauch kombiniert (WLTP) | 14,1 kWh/100 km | 15,7 kWh/100 km | 15,0 kWh/100 km | 16,6 kWh/100 km |
Batteriekapazität (Brutto) in kWh | 88,0 | 88,0 | 118,0 | 118,0 |
Ladeleistung (kW) | AC:22,0 DC:200,0 | AC:22,0 DC:200,0 | AC:22,0 DC:300,0 | AC:22,0 DC:300,0 |
Kofferraumvolumen normal | 627 l | 627 l | 627 l | 627 l |
Leergewicht (EU) | n.b. | n.b. | 2.435 kg | 2.435 kg |
Zuladung | n.b. | n.b. | 415 kg | 415 kg |
Länge x Breite x Höhe | 4.975 mm x 1.939 mm x 1.410 mm | 4.975 mm x 1.939 mm x 1.410 mm | 4.975 mm x 1.939 mm x 1.410 mm | 4.975 mm x 1.939 mm x 1.410 mm |
Grundpreis | 109.000 Euro | 129.000 Euro | 218.000 Euro | 218.000 Euro |
Text: Thomas Geiger, Wolfgang Rudschies
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