Lucid Air: Ein Newcomer wird zum Tesla-Jäger

PS-Fans geraten vor lauter Vorfreude außer Puste, Börsianer wittern das große Geschäft: Der Lucid Air wird die etablierte Konkurrenz der Oberklasse-Elektroautos kräftig aufmischen. Testfahrt, Daten, Preise.
Mächtig: 480 bis 1111 PS
Ausdauernd: 653 bis 900 Kilometer Reichweite
Eröffnet: Showroom in München
Inhaltsverzeichnis
Mit dem Lucid Air macht ein potenter Ausdauersportler dem Model S von Tesla Konkurrenz – und mit ihm wird die Luft für Elon Musk noch dünner. Denn nachdem mittlerweile schon die vermeintlichen Dinosaurier aus der alten Autowelt mit elektrischen Neuheiten wie dem Mercedes EQS, dem BMW iX sowie dem Duo Porsche Taycan und Audi e-tron GT am Thron rütteln, schwingt sich jetzt der erste Newcomer zu einem ernsthaften Konkurrenten auf und bringt gegen das Model S den Lucid Air in Stellung. Unser Autor konnte ihn in seinem Geburtsland bereits fahren.
Lucid Air: Bis zu 900 Kilometer Reichweite

Der Lucid Air ist elegant und auf jeden Fall frischer gezeichnet als das Model S. Dank seines nahezu 120-kWh-Akkupakets, dem effizienten Antrieb und einem Cw-Wert von 0,21 soll er auf eine Reichweite von bis zu 900 Kilometern kommen und wird so mit weitem Abstand der beste Langstreckenläufer in dieser Liga.
Genau wie der Tesla S wurde der Lucid in den USA entwickelt und wird dort auch gebaut. Jenseits des Atlantiks ist er bereits seit dem Herbst 2021 auf dem Markt und steht seit dem zweiten Halbjahr 2022 vom ersten europäischen Showroom in München aus auch diesseits des Atlantiks am Start.
Edle Materialien im luftigen Innenraum

Die Chancen des Tesla-Herausforderers könnten kaum aussichtsreicher sein. Denn wohl keiner kennt das Model S so gut wie Lucid-Chef Peter Rawlinson. Schließlich hat der in seinem letzten Leben selbst bei Tesla gearbeitet und für Elon Musk die Entwicklung der ersten eigenen Baureihe geleitet. Kein Wunder also, dass der Air wie eine Kopie des Model S wirkt – nur ohne Kompromisse und stattdessen mit vielen kleinen wie großen Verbesserungen.
Zum Beispiel im Innenraum: Wo der Tesla fast nackt daher kommt mit seinem großen Touchscreen als einzigem Bedienelement, hat Lucid beim Air die bessere, vielleicht in dieser Klasse sogar die beste Balance aus alter und neuer Welt gefunden: Es gibt vornehme Oberflächen, edle Materialien und sogar noch ein paar klassische Schalter, etwa für Lautstärke und Lüftung – und trotzdem schwebt hinter dem Lenkrad eine schlanke Kinoleinwand, während vor der Mittelkonsole das unvermeidliche Tablet thront.
Dazu bietet der Lucid jede Menge Platz: Zum 400 Liter großen Kofferraum kommt noch mal halb so viel im Frunk. Und obwohl nur etwa so groß wie eine E-Klasse, sitzen Hinterbänkler im Lucid bei knapp drei Metern Radstand fast so gut wie in einer S-Klasse. Auch der EQS wirkt dagegen eher knapp – und für die Fondpassagiere bei Audi oder Porsche bleibt einem im Lucid nicht viel mehr als Mitleid. Verstärkt wird der luftige Raumeindruck im Air noch von der konkurrenzlosen Frontscheibe, die bis weit hinter den Fahrersitz ins Dach reicht und so ganz neue Ausblicke eröffnet.
Die Leistung des Lucid Air: 1111 PS und 1390 Nm

Fahrdynamisch liegt der Lucid Air am oberen Ende seiner Klasse: Kein Wunder bei irrwitzigen 1111 PS und 1390 Nm Drehmoment für die "Dream Edition", mit der die Amerikaner den Anfang machen. Aber seine Lorbeeren sammelt der Lucid nicht allein mit der brachialen Beschleunigung im Sprint-Modus, für den die Entwickler – wir sind schließlich in Amerika – eigens einen Warnhinweis programmiert haben.
Zwar bleibt einem bei weniger als 3,0 Sekunden von 0 auf 100 km/h schon mal kurz die Puste weg. Und die wegen der Reifen auf 270 km/h limitierte Höchstgeschwindigkeit ist auch nicht schlecht. Doch mehr noch beeindruckt der Punch, den der Lucid jenseits der Richtgeschwindigkeit entwickelt: Wo es bei anderen Stromern so langsam zäh wird, zieht der Air locker durch und kommt nie aus der Puste. So wird Überholen selbst auf der Autobahn zum Kinderspiel.
Nicht minder beeindruckend ist sein lockeres Handling. Obwohl sich der knapp 5 Meter lange und mehr als 2,5 Tonnen schwere Wagen dabei weder den Luxus einer Luftfederung noch eine Hinterachslenkung leistet, nimmt er die Byways in den Hügeln hinter Hollywood genauso vergnüglich wie die Highways unten an der Küste: Enge Kurven, verwinkelte Canyons oder steile Pässe machen mit der großen Limousine überraschend viel Laune – da merkt man, dass Peter Rawlinson auch mal ein paar Jahre beim britischen Sportwagenbauer Lotus gearbeitet hat.
Lucid Air: Bis zu 350 kW Ladeleistung

Anders als die deutschen Dinosaurier und genau wie Tesla lässt Lucid die Zulieferer weitgehend außen vor: Schlüsselkomponenten wie Akkus und Motoren werden deshalb nicht nur eigenständig entwickelt, sondern auch selbst produziert. Die Batterieblöcke, von denen es im Auto je nach Konfiguration 18 oder 22 gibt, haben die Amerikaner bereits seit Jahren an die Formel-E-Rennserie geliefert und so hinlänglich testen können.
Die Lader, die bidirektional ausgelegt sind und mit dem Auto so auch das Haus speisen können, laden mit bestenfalls 350 kW und machen den Air zum schnellsten Sauger an der Steckdose: Unter optimalen Umständen flösse binnen 20 Minuten der Strom für fast 500 Kilometer, so der Hersteller.
Showroom von Lucid in München

Inzwischen hat Lucid Motors den Marktstart in Deutschland eingeläutet und einen ersten Showroom in München eröffnet. Weitere sollen in Hamburg, Berlin und Düsseldorf folgen. Wie üblich in solchen innerstädtischen Lagen, kann sich der Kunde über die Details des Fahrzeugs informieren, Farben und Materialien des Auto-Innenraums sowie weitere Extras aussuchen. Auswahl und direkter Vergleich funktionieren auch virtuell per AR-Brille. Das hat schon eine andere Qualität als beim Vertragshändler um die Ecke.
Auch den technischen Details des Lucid Air kommen interessierte Kunden hier ein Stück näher. So werden ein Modul des besonders effizient gefertigten Akkus, die äußerst leistungsstarke Antriebseinheit sowie die Box mit der innovativen Ladetechnik als Exponate ausgestellt. Die unglaublich kompakte Antriebseinheit wiegt nur 74 Kilogramm und umschließt nicht nur den über 1000 PS starken Motor, sondern auch das Getriebe und den Stromwandler (Inverter).

Chefentwickler Eric Bach erklärte ADAC Redakteur Wolfgang Rudschies im Rahmen der Showroom-Eröffnung, warum der Lucid Air als künftiger Maßstab der Top-Elektroautos gelten wird: "Unser Auto ist das energieeffizienteste, das aerodynamischste und das raumökonomischste Elektrofahrzeug weltweit. Wir haben alle wesentlichen Teile selbst entwickelt, haben sie patentieren lassen, und wir fertigen sie sogar selbst."
Auch das Halbleiter-Problem habe man im Griff. Weil Lucid seine Halbleiter nicht aus Asien, sondern aus einer neuen Wafer-Fabrik im US-Staat New York beziehe. Der fortgeschrittensten Bauart mit Silizium-Carbid, natürlich. Diese seien deutlich schneller in den Schaltzeiten und damit wiederum effizienter.
Im Moment ist die Fabrik von Lucid Motors auf eine Produktion von 35.000 Fahrzeugen pro Jahr ausgelegt. Zurzeit werde die Produktion aber um das Drei- bis Vierfache erweitert. Und das ist auch nötig: Lucids erstes SUV Gravity soll noch 2023 vom Band laufen, ab Anfang des Jahres wird es zumindest in Kanada und den USA vorbestellbar sein.
Versionen: Air Pure, Air Touring, Air Sapphire

Das Erstlingswerk Lucid Air Dream Edition wurde inzwischen außerdem mit zwei etwas schwächeren Versionen ergänzt: Der Air Pure ist fortan die Basisversion und wird als Allradversion mit zwei Motoren oder mit Hinterradantrieb und einem Motor ausgeliefert. Im Vergleich zur zuerst veröffentlichten Air-Version kommt der Air Pure "nur" auf 353 kW/480 PS. Der Air Touring firmiert eine Stufe über dem Air Pure und bringt es auf 456 kW/620 PS und noch einmal 24 Kilometer mehr Reichweite als die Basisversion.
Während der Air Pure mit 100.000 Euro der günstigste Lucid sein wird und damit zumindest das Model S Plaid unterbieten kann, fischt der Air Sapphire in ganz anderen Gewässern: Mehr als 1200 PS sollen die dort verbauten drei Motoren liefern und den Sapphire auf maximal 330 km/h bringen. Beschleunigung und Preis sind gleichermaßen atemberaubend: In 1,89 Sekunden beschleunigt der Sapphire von 0 auf 60 mph (ca. 96 km/h), 249.000 Euro muss Kundinnen und Kunden dieses Fahrgefühl aber wert sein.
Aktuell befindet sich diese High-Performance-Limousine noch in der Testphase, der Air Pure soll in Nordamerika Ende dieses Jahres schon ausgeliefert werden. Für den europäischen Markt sind noch keine Termine bekannt.
Lucid Air: Technische Daten, Reichweiten, Preise
Technische Daten (Herstellerangaben) | Lucid Air Dual Motor Pure AWD (ab 03/23) | Lucid Air Dual Motor Touring AWD (ab 03/23) | Lucid Air Dual Motor Dream Edition Range AWD (ab 07/22) | Lucid Air Dual Motor Dream Edition Performance AWD (ab 07/22) |
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Motorart | Elektro | Elektro | Elektro | Elektro |
Leistung maximal in kW (Systemleistung) | 353 | 456 | 686 | 816 |
Leistung maximal in PS (Systemleistung) | 480 | 620 | 933 | 1.111 |
Drehmoment (Systemleistung) | n.b. | n.b. | 1.390 Nm | 1.390 Nm |
Antriebsart | Allrad | Allrad | Allrad | Allrad |
Beschleunigung 0-100km/h | 4,0 s | 3,5 s | 2,9 s | 2,7 s |
Höchstgeschwindigkeit | 200 km/h | 250 km/h | 270 km/h | 270 km/h |
Reichweite WLTP (elektrisch) | 653 km | 653 km | 883 km | 861 km |
CO2-Wert kombiniert (WLTP) | 0 g/km | 0 g/km | 0 g/km | 0 g/km |
Verbrauch kombiniert (WLTP) | - | - | 16,0 kWh/100 km | 15,3 kWh/100 km |
Batteriekapazität (Brutto) in kWh | 90,0 | 90,0 | 118,0 | 118,0 |
Kofferraumvolumen normal | 627 l | 627 l | 627 l | 627 l |
Leergewicht (EU) | n.b. | n.b. | n.b. | n.b. |
Zuladung | n.b. | n.b. | n.b. | n.b. |
Anhängelast ungebremst | n.b. | n.b. | n.b. | n.b. |
Anhängelast gebremst 12% | n.b. | n.b. | n.b. | n.b. |
Länge x Breite x Höhe | 4.975 mm x 1.939 mm x 1.410 mm | 4.975 mm x 1.939 mm x 1.410 mm | 4.975 mm x 1.939 mm x 1.410 mm | 4.975 mm x 1.939 mm x 1.410 mm |
Grundpreis | - Euro | - Euro | 218.000 Euro | 218.000 Euro |
Text: Thomas Geiger, Wolfgang Rudschies
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