Polestar 4: Leistung satt – aber keine Heckscheibe

Motor-Journalist Lars Hönkhaus berichtet im Video von seiner ersten Fahrt im Polestar 4 ∙ Bild: © news to do GmbH + ADAC/David Klein, Video: © ADAC e.V.

Der Polestar 4 bietet Leistung im Überfluss, hat aber keine Heckscheibe. Ob das ungewöhnliche Konzept aufgeht? Der ADAC hat das Elektroauto auf einer ersten Ausfahrt unter die Lupe genommen. Fahrbericht und alle Infos zu Reichweite und Preisen.

  • Heckantrieb mit 200 kW oder Allrad mit 400 kW

  • 100-kWh-Akku für rund 600 km Reichweite

  • Preise starten bei 61.900 Euro

Speziell: Das Konzept des Polestar 4

Der neue Polstar 4 fährt auf einer Landstraße bei Bad Tölz
Mit Heckantrieb und 343 Nm Drehmoment in 6,8 Sekunden auf Tempo 100© Polestar

Mit Konsequenz und mit Begeisterung – so beschreibt Polestar-Chef Thomas Ingenlath, wie der ehemalige Volvo-Tuner an die Entwicklung seines neuesten Modells gegangen ist, das schlicht auf den Namen Polestar 4 hört. Im Herbst 2023 zeigten die chinesischen Schweden – Polestar gehört zu knapp 80 Prozent der Geely-Gruppe, 18 Prozent hält weiterhin Volvo – das vollelektrische SUV-Coupé der Öffentlichkeit.

Seit Sommer 2024 sind die ersten Autos zu Preisen ab 61.900 Euro auf deutschen Straßen zu sehen. Was die potenziellen Kunden erwartet, ist durchaus spektakulär: ein 4,80 Meter langes, 2,14 Meter breites, aber nur 1,5 Meter hohes Auto, das keine Heckscheibe hat. Dafür kann das SUV-Coupé mit einer Anhängelast zwischen 1500 und 2000 Kilogramm glänzen.

Was fehlt? Die Heckscheibe!

Beim Zeichnen eines SUV-Coupés werde die Heckscheibe immer in Frage gestellt, sagt Polestar. Um die Coupé-Linie halten zu können, muss die Scheibe extrem flach gestellt werden und büße so zwangsläufig ihre Funktion ein. So entschied Polestar sich dazu, ganz auf den Ausguck zu verzichten und den Blick per Kamera nach hinten zu richten.

Bildergalerie: Der Polestar 4

So fährt sich der Polestar 4

Redakteuer Andreas Huber am Lenkrad des Polestar 4
Sportliche Fahrleistungen treffen auf Alltagskomfort. Der Polestar 4 vereint zwei Welten, hat aber auch Schwächen© Polestar

Schon zu Beginn der ersten Ausfahrt mit dem Polestar 4 wird klar: Die Kamera als Heckscheibenersatz ist gewöhnungsbedürftig. Ein schneller Blick auf das Display sorgt für einen kurzzeitigen Knick in der Optik. Daran gewöhnt man sich zwar, allerdings muss man dieses Feature wirklich mögen. Die Auflösung der Kamera ist mit ihren 2,5 Megapixeln zudem zwar in Ordnung, aber nicht besonders scharf.

Je nach Konfiguration fährt sich der Polestar 4 sehr ambitioniert. Selbst die Basisversion mit 220 kW Leistung ist keineswegs untermotorisiert und schiebt den schwedischen Chinesen ordentlich vom Fleck. Auch der Zwischenspurt beim Überholen auf der Landstraße gelingt ohne große Anstrengungen. Wählt man aber die Top-Version mit 400 kW und Allradantrieb, sieht die Sache noch mal anders aus. Hier zoomt sich der Polestar förmlich über den Asphalt und fasziniert mit einer sehr starken Beschleunigung.

Basismodell mag keine schnellen Spurwechsel

Der neue Polstar 4 fährt auf einer Landstraße bei Bad Tölz
Mit Standardfahrwerk und Heckantrieb ausgestattet, schaukelt sich der Polestar 4 bei schnellen Ausweichmanövern auf© Polestar

Die Lenkung fühlt sich in allen Fahrmodi etwas synthetisch und leicht indirekt an. Dem Fahrspaß tut das aber keinen Abbruch. Auf kurvigen Passstraßen macht sich das Coupé gut. Die 255er-Pirelli-Pilot-Sport-Reifen bieten hervorragenden Grip und vermitteln Sicherheit.

Nur das serienmäßige Stahlfahrwerk beim Basismodell mit Heckantrieb trübt hier den positiven Gesamteindruck. Schnelle Spurwechsel mag der Polestar so konfiguriert überhaupt nicht. Hier schaukelt sich der Wagen gefährlich auf, was einen routinierten Eingriff ins Lenkrad erfordert. Beim 4er wird es also besonders spannend, wie er sich im noch ausstehenden ADAC Ausweichtest unter kontrollierten und vergleichbaren Bedingungen verhält.

Beim Thema Komfort kann aber selbst das Basisfahrwerk ohne adaptive Dämpfer für den Alltag überzeugen. Es ist eher entspannt ausgelegt und schluckt größere Unebenheiten auf der Landstraße souverän weg. Kleinere Unebenheiten in der Stadt machen sich zwar bemerkbar, werden aber nicht in den Innenraum weitergegeben.

Bei den Assistenten patzt der Polestar bei der ersten Ausfahrt. Der adaptive Tempomat mit Spurhaltefunktion quittierte auf der Probefahrt immer wieder den Dienst. Zudem erlaubte der Tempomat keine Geschwindigkeitseinstellung jenseits des registrierten Tempolimits – und das stimmt leider nicht immer. Zwischendurch erfand der Polestar sogar Geschwindigkeitsbegrenzung auf freier Strecke: Plötzlich war das Tempo auf der Autobahn auf 150 km/h begrenzt. Hier muss der Volvo- und Geely-Ableger noch nachbessern.

Enorme Leistung, hohe Reichweite

Der neue Polstar 4 fährt auf einer Landstraße
Im Angebot: Ein oder zwei Elektromotoren mit jeweils 200 kW© Polestar

Die Motorisierungen sind dem sportlichen Anspruch der Optik durchaus gewachsen. Polestar bietet das Auto mit einem oder mit zwei Elektromotoren an, die jeweils 200 kW/272 PS leisten. Die Version mit einem Motor an der Hinterachse liefert 343 Nm Drehmoment und beschleunigt den Wagen in 6,8 Sekunden auf 100 km/h.

Mit zwei Motoren addiert sich die Leistung auf 400 kW/544 PS, es werden beide Achsen angetrieben, und der Polestar 4 erreicht nach 3,8 Sekunden die Marke von 100 km/h. Versorgt werden die Motoren von einer Lithium-Ionen-Batterie mit einer Nominalkapazität von 100 kWh, die im Fahrzeugboden zwischen den Achsen liegt.

Die maximale Ladekapazität beträgt 200 kW, wird sie ausgenutzt, ist die Batterie in 30 Minuten von 10 auf 80 Prozent gefüllt. Der WLTP-Verbrauch liegt mit einem Motor zwischen 17,7 und 18,1 kW/h auf 100 Kilometern, bei zwei Motoren sind es 18,6 bis 21 kWh. Die maximale Reichweite gibt Polestar mit 610 beziehungsweise 580 Kilometern an.

Innenraum in skandinavischem Chic

Cockpit des Polestar 4
Typisch skandinavisch: Der nüchtern gehaltene Innenraum© Polestar

Der Innenausbau des Polestar 4 steht ganz im Zeichen der Nachhaltigkeit. Alle Materialien sind entweder recycelt oder lassen sich später gut recyceln, "nachhaltig" nennt Polestar diese Stoffe dann. Die optionalen Lederbezüge entstammen biozertifizierten Betrieben hauptsächlich aus dem Vereinigten Königreich. Das Innendesign wirkt klar und aufgeräumt, das Gestühl ist von ausgesuchter Qualität, und insbesondere die Fondspassagiere profitieren vom üppigen Platzangebot.

Die Rückbank verfügt serienmäßig über eine elektrisch verstellbare Lehne, was das Reisen im Fond besonders angenehm machen soll. Leider lässt sich die Bank nur im Verhältnis 60:40 umlegen, eine mittlere "Durchreiche" für längeres Ladegut gibt es nicht. Der Kofferraum ist mit 526 bis 1536 Litern nicht riesig, aber ausreichend.

Redakteuer Andreas Huber auf der Rückbank des neuen Polestar 4
Der Radstand von 2,99 Metern macht sich im Fond bemerkbar: Bei 1,80 Metern Körpergröße ist hier viel Platz© Polestar

Wie es bei einem modernen E-Auto üblich ist, spielt auch beim Polestar 4 die Musik auf einem großen tabletförmigen Zentraldisplay im Querformat. Dort lassen sich auch alle anderen Daten und Kommunikationseinrichtungen des Fahrzeugs verwalten und steuern. Auf ein kleineres Display über dem Lenkrad verzichtet Polestar dankenswerterweise nicht, ebenso wenig wie auf ein Head-up-Display. Sprachbedienung und Navigation werden wie bei Volvo über die bekannt gute Software von Google abgewickelt.

Gegen Aufpreis gibt es ein Harman-Kardon-Soundsystem mit vollem Klang aus zwölf Lautsprechern. Wer will, kann noch in die vorderen Kopfstützen integrierte Boxen dazu ordern. Kabelloses Apple CarPlay zur Smartphone-Anbindung ist selbstverständlich.

Preise starten bei 61.900 Euro

Preislich ist der Polestar 4 zwar oberhalb des Polestar 2 positioniert, aber unterhalb des Polestar 3. Der Grund dafür könnte sein, dass der Polestar 4 eine Konstruktion des chinesischen Mutterkonzerns Geely ist, während der Polestar 3 auf einer Plattform von Volvo basiert. Aufgrund höherer Stückzahlen bei Geely fallen die kostenreduzierenden Skaleneffekte vermutlich höher aus.

Der Polestar 4 ist trotzdem kein Schnäppchen: Mindestens 61.900 Euro kostet er mit einem Motor, mindestens 69.900 als Allrad. Dazu gibt es verschiedene Ausstattungspakete mit schönen Namen wie Pilot, Plus oder Performance, die den Preis leicht über die 80.000-Euro-Marke heben.

Erstes Fazit nach diesem Fahrtermin: Der Polestar 4 ist das Sportlichste, das Polestar gerade im Programm hat. Der Verzicht auf eine Heckscheibe ist unkonventionell und könnte die Marke Kundschaft kosten.

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Polestar 4: Technische Daten und Preise

Technische Daten (Herstellerangaben)

Polestar 4 Long Range Single Motor (ab 08/24)

Polestar 4 Long Range Dual Motor (ab 08/24)

Motorart

Elektro
Elektro

Leistung maximal in kW (Systemleistung)

200
400

Leistung maximal in PS (Systemleistung)

272
544

Drehmoment (Systemleistung)

343 Nm
686 Nm

Antriebsart

Hinterrad
Allrad

Beschleunigung 0-100km/h

7,1 s
3,8 s

Höchstgeschwindigkeit

200 km/h
200 km/h

Reichweite WLTP (elektrisch)

620 km
590 km

CO2-Wert kombiniert (WLTP)

0 g/km
0 g/km

Verbrauch kombiniert (WLTP)

17,8 kWh/100 km
18,7 kWh/100 km

Batteriekapazität (Brutto) in kWh

100,0
100,0

Batteriekapazität (Netto) in kWh

94,0
94,0

Ladeleistung (kW)

AC:11,0-22,0 DC:200,0
AC:11,0-22,0 DC:200,0

Kofferraumvolumen normal

526 l
526 l

Kofferraumvolumen dachhoch mit umgeklappter Rücksitzbank

1.536 l
1.536 l

Leergewicht (EU)

2.230 kg
2.355 kg

Zuladung

455 kg
455 kg

Anhängelast ungebremst

750 kg
750 kg

Anhängelast gebremst 12%

1.500 kg
2.000 kg

Garantie (Fahrzeug)

2 Jahre
2 Jahre

Länge x Breite x Höhe

4.840 mm x 2.008 mm x 1.534 mm
4.840 mm x 2.008 mm x 1.534 mm

Grundpreis

57.900 Euro
65.900 Euro

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Text mit Material von SP-X