Nio ET5 im ADAC Test: So mischt Nio die Elektro-Mittelklasse auf

Der neue Nio ET 5 fahrend von vorne zu sehen
Angriffslustig: Der Nio ET5 platziert sich als Elektro-Limousine im Markt© Nio

Die chinesischen Autobauer drängen in immer mehr Marktsegmente. So will der Nio ET5 in der Mittelklasse punkten – mit edlem Design, hoher Qualität und guter Reichweite. Bekommen Tesla Model 3 und BMW i4 starke Konkurrenz? ADAC Test

  • Zwei Batterie-Versionen: 75 kWh oder 100 kWh

  • Zeitersparnis durch Akkutausch statt Aufladen

  • Preis: ab 59.500 Euro; auch als Abo und mit Batteriemiete

  • Reichweite im ADAC Test mit großem Akku: 530 Kilometer

Ist das ein neuer Audi? Oder vielleicht der Nachfolger des Tesla Model 3? Man kann förmlich sehen, wie es in den Köpfen der anderen Autofahrer rattert, die das Testfahrzeug des ADAC sehr genau im Blick haben. Nichts von alledem. Wir sind unterwegs im Nio ET5, dem dritten Fahrzeug der noch jungen chinesischen Elektroautomarke Nio. Erst seit 2022 ist der Hersteller auf dem deutschen Markt – und das mit guten Produkten: Im ADAC Test hatte die Oberklasselimousine ET7 mit einer Top-Note von 1,9 überrascht.

Nun folgt der ET5, und der übertrifft den großen Bruder sogar noch knapp: Note 1,8. Der ET5 tritt in der Mittelklasse an, dem Stammrevier von BMW 3er und Mercedes C-Klasse. Aber rein elektrisch natürlich. Und hier zählen vor allem Tesla Model 3, BMW i4 und Polestar 2 zu den Platzhirschen. Aber auch Hyundai Ioniq 5 und Ioniq 6 tummeln sich in der Elektro-Mittelklasse.

Nio ET5 mit tollem Design

Der neue Nio ET 5 stehend von der Seite zu sehen
Der fast 4,80 Meter lange ET5 hat gute Proportionen© Olaf Itrich

Sind die Etablierten eine Nummer zu groß für den Newcomer? Mitnichten, wie die der ADAC Test zeigt. Der Nio ist auch optisch eine Wucht: Er gefällt auf Anhieb mit seinen sanften Rundungen, der ausdrucksstarken Front mit schmalen Scheinwerfern und dem schicken Heck, das ein bisschen wie eine Mischung aus Audi A7 und Porsche Taycan Sport Turismo aussieht. Die Designer (in München übrigens!) haben einen guten Job gemacht.

Auch innen. Sind die versenkten Türgriffe ausgefahren und öffnet man die Türen mit den rahmenlosen Scheiben via Chipkarte (gleichzeitig auch Ladekarte) oder über das Smartphone, blickt man in eine geschmackvolle Lounge mit hochwertigen Materialien, top verarbeitet und mit Wohlfühl-Flair. Alles wirkt clean und aufgeräumt, Tasten lassen sich an einer Hand abzählen.

Bildergalerie: Nio ET5

Und wo sind eigentlich die Lüftungsdüsen? Die sind so geschickt im Armaturenbrett verbaut, dass man sie nicht sieht, und leiten die Luft völlig zugfrei in den Innenraum. Der Luftstrom lässt sich elektronisch über das senkrecht stehende 12-Zoll-Touch-Display in der Mitte des Armaturenbretts verstellen.

Wie so ziemlich alles – was anfangs irritiert. Denn die Menüstruktur des Bediensystems erschließt sich einem nicht auf Anhieb, und selbst nach längerer Zeit benötigt man für die Suche nach selten verwendeten Funktionen lange. Hinzu kommt, dass einige Begriffe nur unzureichend ins Deutsche übersetzt sind. Dadurch weiß man mitunter nicht auf Anhieb, welche Funktion sich dahinter verbirgt.

Will man die Außenspiegel oder das Lenkrad justieren, heißt es erst am Bildschirm nach rechts zu wischen, danach die gewünschte Funktion auszuwählen. Und erst dann dienen die Tasten am Lenkrad als Universalknöpfe zum Verstellen. Daran kann man sich gewöhnen, fragt sich aber unweigerlich, was eigentlich so schlimm an den zwei kleinen Tasten für die Spiegelverstellung war, die alle Autofahrer bislang intuitiv bedienen konnten.

Der Bildschirm selbst gefällt grundsätzlich durch seine gute Auflösung und die schnelle Reaktion auf Eingaben, manche Touchfläche hätte aber ruhig größer ausfallen dürfen, etwa die für die Temperatureinstellung.

Zur Not kann man aber immer noch "Nomi" ansprechen und mit einer Temperaturänderung beauftragen ("Nomi, mir ist kalt", "Nomi, stelle die Temperatur auf 20 Grad"), oder mit Fragen aller Art quälen, die die auf dem Armaturenbrett thronende künstliche Intelligenz freudig blinzelnd mal besser und mal schlechter beantwortet. Wie das Wetter in Düsseldorf wird, beherrscht sie etwa aus dem Effeff, doch den Durchschnittsverbrauch kann oder will sie nicht ausspucken. Wie bei jeder Sprachsteuerung hat auch Nomi noch Luft nach oben.

Power-Antrieb: Elektromotoren mit 360 kW

Der neue Nio ET 5 fahrend von hinten zu sehen
Lässig dahingleiten oder sportlich ambitioniert: Der ET5 kann beides© Nio

Zum Fahren braucht es keinen Startknopf mehr. Einfach reinsetzen und den kleinen Automatikwählhebel nach vorn drücken, Gas geben und los geht's! Der ET5 setzt sich sanft und lautlos in Bewegung, das Fahrpedal lässt sich sehr schön dosieren. Perfekt zum knappen Einparken oder gelassenen Dahingleiten. Die gute Geräuschdämmung passt gut zum luxuriösen Anspruch, die laute Welt bleibt einfach draußen.

Doch der ET5 zeigt beim beherzten Druck auf das rechte Pedal auch ein zweites Gesicht: Wenn gewünscht, schießt er los als wäre man auf der Flucht! Kein Wunder, zwei Elektromotoren mit insgesamt 360 kW/490 PS sorgen für so viel Schub, dass der 2,2 Tonnen schwere Elektrowagen in Windeseile an Tempo zulegt und nach 4,0 Sekunden die 100er-Marke reißt. Die Spitze liegt bei 200 km/h – das ist selten flott für ein Elektroauto.

In der Limousine steckt also auch ein veritabler Sportwagen. Zumindest dann, wenn der Fahrer oder die Fahrerin als Fahrprogramm "Sport Plus" gewählt hat. Im "Sport"-Modus nimmt sich der Nio mit 5,9 Sekunden etwas mehr Zeit, in "Comfort" wird's schon gemütlicher (7,9 Sekunden) und ist der Eco-Modus für effizientes Fahren aktiviert, unterscheidet den Nio ET5 bei der Beschleunigung (9,9 Sekunden) nichts mehr von einer konventionellen Familienkutsche mit Durchschnittsmotorisierung.

Im Kapitel Fahrstabilität kann der ET5 überzeugen. Der Geradeauslauf ist tadellos, nach einem Lenkimpuls zentriert das Lenkrad schnell und hält den Wagen sicher in der Spur. Den ADAC Ausweichtest besteht der ET5 sicher und bei Bedarf durchaus zügig. Im Vergleich zum ET7 ist Nio die Abstimmung der Lenkung beim ET5 etwas besser gelungen. Besonders die Mittenlage ist klarer definiert, was nicht nur für einen entspannten Geradeauslauf sorgt, sondern auch für die Lenkpräzision förderlich ist. Allerdings fühlt sich die Lenkung besonders in der standardmäßig aktiven Comfort-Einstellung entkoppelt und synthetisch an. Die Lenkkraftunterstützung ist zu hoch und der Lenkkraftanstieg bei zunehmendem Lenkwinkel kaum zu spüren.

360-Grad-Blick in den Innenraum des Nio ET5

Nio ET5 mit 530 km Test-Reichweite

Der neue Nio ET 5 stehend von vorne zu sehen
In der "Swap Station" wird die leere Antriebsbatterie gegen eine volle getauscht© Olaf Itrich

Seine Kraft holt sich der Motor wahlweise aus einer 75- oder einer üppigen 100-kWh-Batterie. Schon mit dem "kleinen" Akku sollte man im Alltag gut leben können (Reichweite nach WLTP 456 km, in der Praxis ca. 350 bis 380), doch bei der größeren Version, die im ADAC Test zum Einsatz kam, dürften selbst E-Auto-Neulingen bei längeren Strecken keine Schweißperlen mehr auf der Stirn stehen. Nio gibt bis zu 590 Kilometer Aktionsradius an, bis eine Ladesäule angesteuert werden muss.

Im ADAC Ecotest kam der ET5 bei einem Durchschnittsverbrauchs von 19,7 kWh je 100 Kilometer inklusive Ladeverluste 530 Kilometer weit. Die Testingenieure bewerten ihn als "sehr effizient", deshalb kann sich die E-Limousine auch mit der Maximalausbeute von fünf Ecotest-Sternen schmücken.

Nicht so ganz überzeugend ist sind die Daten für das Laden an einer Schnellladesäule. Die Füllung von 10 auf 80 Prozent dauert angesichts der maximalen Ladeleistung im Test von eher bescheidenen 128 kW rund 40 Minuten. Damit liegt die Ladeleistung unter und die Ladedauer deutlich über dem Konkurrenzniveau. Sind die Temperaturen winterlich und die Batterie nicht durchgewärmt, wird die volle Ladeleistung ebenfalls reduziert, die Ladedauer verlängert sich entsprechend.

Alternativ kann aber auch eine Batteriewechselstation angefahren werden – und das ist die Besonderheit bei Nio. Ist der Akku leer, kann er innerhalb von fünf bis zehn Minuten gegen einen voll geladenen getauscht werden. Einfach eine garagengroße "Power Swap Station" ansteuern, den ET5 automatisch einparken lassen und ein Roboter schraubt am Unterboden den alten Akku raus, setzt einen neuen ein und weiter geht's. Das funktioniert gut. In Zukunft zumindest. Denn momentan (Stand Oktober 2023) gibt es deutschlandweit erst sieben dieser Stationen. 100 sollen es hierzulande einmal werden, vornehmlich an der Autobahn. Im europäischen Ausland sind aktuell 20 Standorte in Betrieb.

Der Preis des ET5 ist selbstbewusst

Der neue Nio ET 5 fahrend von vorne zu sehen
Nio ET5: Gute Geräuschdämmung, ausbaufähige Federung© Nio

Die Wechselstationen kann übrigens nur nutzen, wer die Batterie mietet. Klingt logisch, denn man bekommt ja immer wieder einen neue verschraubt. Zum Kaufpreis von 47.500 Euro kommt noch eine monatliche Batteriemiete von 169 (75-kWh-Akku) bzw. 289 Euro (100 kWh) dazu.
Wer das nicht möchte, oder lieber an CCS-Schnellladesäulen mit einer maximalen Ladeleistung von knapp 130 (großer Akku) und 140 kW (kleiner Akku) auflädt, kann die Batterie auch kaufen. Macht dann 12.000 (75 kWh) oder 21.000 Euro (100 kWh) extra, so dass sich der Kaufpreis des Autos mit Batterie auf 59.500 und 68.500 Euro summiert. Das ist nicht wenig – ein Tesla Model 3 gibt es derzeit ab rund 43.000 Euro. Doch angesichts der großen Batterie und der guten Serienausstattung relativiert sich der Preis.

Ein Abo-Modell bietet Nio selbstredend auch an, mit Laufzeiten ab einem Monat. Für sein Geld bekommt der "User" – Nio-Neudeutsch für Kunde – allerdings eine sehr gute Ausstattung mitgeliefert, vom perfekt klingenden Soundsystem mit 23 Lautsprechern über ein riesiges Panoramaglasdach bis hin zu veganem Leder und einer Phalanx an Assistenzsystemen, die Input von 33 Sensoren und acht Kameras bekommen und mit einer Rechenpower von 100 Playstations 5 die Umgebung scannen können, als Vorbereitung zum autonomen Fahren. Technisch setzt der ET5 also die Messlatte hoch für die Konkurrenz.

Ein Sehschlitz als Heckscheibe

Nachholbedarf gibt es aber an anderer Stelle. Ein Handschuhfach gibt es nicht und auch auf einen zusätzlichen Kofferraum unter der Fronthaube ("Frunk") hat Nio verzichtet. Das Ladekabel macht sich stattdessen im laut ADAC Messmethode 420 Liter großen Kofferraum breit, der sich nicht – wie man annehmen könnte – über eine große Heckklappe erschließt, sondern durch eine Ladeluke wie bei einem Stufenheckmodell. Beim Tesla Model 3 ist das allerdings nicht anders.

Große Insassen sitzen irgendwie immer etwas zu hoch im ET5, die Sitze lassen sich nicht weit genug herunterfahren. Das Platzangebot an sich geht in Ordnung, vorne sitzen bis zu 1,95 Meter große Personen gut. Die Fondinsassen kommen nicht so gut weg, sie bekommen ihre Füße nicht unter den Vordersitz, ihre Köpfe befinden sich direkt neben der C-Säule und spätestens ab 1,85 Meter Körpergröße nehmen sie Kontakt zum Dach auf. Das Panorama- Glasdach reicht weit nach hinten und sorgt dadurch für einen lichtdurchfluteten Innenraum. Allerdings auch, wenn man das gar nicht möchte. Eine Jalousie gibt es leider nicht.

Und wer von den Entwicklern auf die Idee gekommen ist, die Heckscheibe zu einem kleinen Sehschlitz zu schrumpfen, hat wohl in der Fahrschule nie rückwärts einparken müssen. Klar, dafür gibt es eine Kamera, die auch sehr gut funktioniert. Doch nicht nur beim Parken, sondern auch auf der Strecke würde man beim Blick in den Rückspiegel gern mehr vom Verkehrsgeschehen sehen wollen.

Gut: Der ET5 kommt mit einer Anhängelast von 1400 Kilogramm und kann mit einer elektrisch ausfahrbaren Anhängerkupplung bestellt werden. Kein Rekordwert, aber für einen kleinen Wohnwagen reicht's. Eine Stützlast von 100 Kilogramm erlaubt zudem den Transport von Fahrrädern auf der Anhängerkupplung.

Fazit

Heck und Seitenansicht eines stehenden Nio ET5 Touring
Der ET5 Touring ist einer der Vorreiter elektrischer Kombis© ADAC/Wolfgang Rudschies

Was bleibt? Trotz einiger Defizite ein insgesamt positiver Eindruck. Besonders der Elektroantrieb begeistert, das gelungene Design und die hohe Güte der verarbeiteten Materialien ebenso. Dass man den Nio ET5 nun öfter sehen wird und der ein oder andere von der Qualität enttäuschte Tesla-Fahrer umsteigt, könnte gut möglich sein.

Jüngst hat Nio zusätzlich eine Kombiversion des ET5 Nio vorgestellt – und gehört damit zu den Vorreitern. Elektrisch angetriebene Kombis sind bisher eine Rarität auf dem Automobilmarkt. Möglicherweise hilft das der Marke, noch schneller bekannt zu werden in Deutschland. Hier ist der Video-Fahrbericht zum Nio ET5 Touring:

Video: Der Kombi Nio ET5 Touring im Fahrbericht

Motorjournalist Lars Hönkhaus war für den ADAC im Nio ET5 Touring unterwegs ∙ Bild/Video: © ADAC e.V.

Nio ET5: Technische Daten, Preis

Technische Daten (Herstellerangaben)

NIO ET5 (100 kWh) (inkl. Batterie) (ab 04/23)

Motorart

Elektro

Leistung maximal in kW (Systemleistung)

360

Leistung maximal in PS (Systemleistung)

490

Drehmoment (Systemleistung)

700 Nm

Antriebsart

Allrad

Beschleunigung 0-100km/h

4,0 s

Höchstgeschwindigkeit

200 km/h

Reichweite WLTP (elektrisch)

590 km

CO2-Wert kombiniert (WLTP)

0 g/km

Verbrauch kombiniert (WLTP)

18,6 kWh/100 km

Batteriekapazität (Brutto) in kWh

100,0

Ladeleistung (kW)

DC:130,0

Kofferraumvolumen normal

386 l

Kofferraumvolumen dachhoch mit umgeklappter Rücksitzbank

n.b.

Leergewicht (EU)

2.235 kg

Zuladung

455 kg

Anhängelast ungebremst

750 kg

Anhängelast gebremst 12%

1.400 kg

Garantie (Fahrzeug)

3 Jahre oder 90.000 km

Länge x Breite x Höhe

4.790 mm x 1.960 mm x 1.499 mm

Grundpreis

68.500 Euro

ADAC Messwerte

ADAC Messwerte (Auszug)

NIO ET5 (100 kWh) (inkl. Batterie)

Überholvorgang 60 – 100 km/h

3,6 s

Bremsweg aus 100 km/h

35,5 m

Wendekreis

12,1 m

Verbrauch/CO₂-Ausstoß ADAC Ecotest

19,7 kWh/100 km, 98 g CO₂/km (Well-to-Wheel)

Bewertung ADAC Ecotest (max. 5 Sterne)

*****

Reichweite

530 km

Innengeräusch bei 130 km/h

67,5 dB(A)

Leergewicht / Zuladung

2222 / 468 kg

Kofferraumvolumen normal / geklappt / dachhoch

420 / 870 / - l

ADAC Testurteil

ADAC Testergebnis

NIO ET5 (100 kWh) (inkl. Batterie) (ab 04/23)

Karosserie/Kofferraum

2,6

Innenraum

2,9

Komfort

1,9

Motor/Antrieb

1,0

Fahreigenschaften

2,4

Sicherheit

1,4

Umwelt/EcoTest

1,4

Gesamtnote

1,8
Sicherheit und Umwelt werden doppelt gewertet

sehr gut

0,6 - 1,5

gut

1,6 - 2,5

befriedigend

2,6 - 3,5

ausreichend

3,6 - 4,5

mangelhaft

4,6 - 5,5

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