Nio ET7: Der Tesla-Jäger im ADAC Test

Der Nio ET 7 fahrend von vorne
Premiumprodukt aus China: Die Elektrolimousine Nio ET7 ist in Deutschland angekommen© Nio

Spätestens wenn der Nio ET7 künftig mit Feststoffbatterie kommt, muss sich die Elektroauto-Konkurrenz warm anziehen. Wie sich der neue Tesla-Jäger aus China heute schon im ADAC Test schlägt, alle Daten, Bilder, Preise

  • Elektroantrieb mit 653 PS und 850 Nm Drehmoment

  • Aktuell bis 580, ab 2024 mit Feststoffbatterie 1000 km Reichweite

  • Fortgeschrittene Assistenzsysteme zum autonomen Fahren

Es wird nicht mehr arg lange dauern, dann werden wir uns an den Anblick auf deutschen Straßen gewöhnt haben: lautlos vorbeihuschende Elektroautos von chinesischen Herstellern. Aiways, Lynk und MG sind bereits etabliert, BYD und Great Wall Motors mit Ora starten gerade. Und Nio will sich sogar mit der Premium-Konkurrenz messen.

Sie haben von Nio noch nie gehört? Nio ist ein Automobil-Start-up, das im Heimatland China erstaunlich erfolgreich Elektroautos unters Volk bringt – mit hochwertiger Technik und innovativen Verkaufsstrategien, bei denen der Kunde mehr als bei anderen Herstellern im Mittelpunkt steht. So jedenfalls lautet der Anspruch des Chefs und Gründers William Li.

Als Testballon für Europa hatte Nio sich Norwegen ausgesucht, bot dort zunächst den Nio ES6 und den Nio ES8 an, zwei SUVs verschiedener Größen- und Preisklassen. Das erste Modell von Nio in Deutschland hört auf den Namen ET7 und ist kein SUV, sondern eine 5,10 Meter lange Elektrolimousine. Dass der Nio ET7 schon vor seinem Marktdebüt viel Aufsehen in den Medien erregt, liegt weniger an der Eleganz der Fließheckkarosserie als vielmehr an der (künftig) kaum fassbaren Reichweite.

Weltsensation: Der ET7 mit Feststoffbatterie

Die Eckdaten der Antriebstechnik sind wirklich beeindruckend: 653 PS Leistung (allerdings nur im Sport +-Modus), 850 Nm Drehmoment und über 1000 Kilometer Reichweite sobald die Version mit dem größten Akku (Feststoffbatterie) zur Verfügung steht. Aktuell gibt es zwei Akkus, von 75 und 100 kWh Kapazität, deren Reichweiten mit 445 und 580 Kilometern angegeben werden.

Im ADAC Test steht der Nio ET7 mit dem 100-kWh-Akkupaket zur Verfügung. Die Anzeige im tabletgroßen Zentraldisplay weist einen Batteriefüllstand von 85 Prozent aus. Prognostizierte Reichweite: 499 Kilometer. Dann kann's ja losgehen, gern gleich mal auf der Autobahn. Gelassen und ruhig, dank Luftfederung, gleiten wir raus aus der Stadt – allerdings nicht, ohne das eine und andere Mal von einer netten Stimme im Auto ermahnt zu werden, doch bitte das Tempolimit zu beachten.

Als sich das Asphaltband der Autobahn auftut, genügt ein kleiner Tritt aufs E-Pedal, und der Wagen schnurrt los, als gäbe es kein Morgen. Ohne Zweifel: Die Leistung des Nio ET7 ist der eines Tesla ebenbürtig. Das zeigen auch die Messwerte: Laut Prospekt soll der Nio ET7 in 3,8 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 rauschen. Und anders als bei anderen Herstellern ist die Höchstgeschwindigkeit erst bei 200 km/h abgeregelt. Zwischenspurts erledigt er auch im Komfort-Modus mit links: Um von 60 auf 100 km/h zu beschleunigen, vergehen damit 3,2 Sekunden. Und von 80 auf 120 km/h genehmigt sich der Nio 3,6 Sekunden.

Der Geradeauslauf ist in Ordnung, leidet allerdings etwas unter der um die Mittellage indifferenten Lenkung, was immer wieder leichte Korrekturen zur Folge hat. Ob das synthetische Lenkgefühl und die mangelnde Rückmeldung ihre Ursache in der fehlenden Erfahrung des jungen Unternehmens haben oder ob sie mit Blick auf die Zielgruppe in China und den USA bewusst gewählt wurden, ist unklar. Für den Geschmack europäischer Kunden ist die Lenkunterstützung jedenfalls zu groß. Den ADAC Ausweichtest besteht der ET7 sicher und bei Bedarf durchaus zügig. Das elektronische Stabilitätsprogramm arbeitet sensibel und effektiv.

Was den ET7 zum neuen Maßstab unter Elektroautos machen soll, ist die Batterietechnologie. Denn neben den aktuellen Lithium-Ionen-Paketen mit 70 kWh oder 100 kWh bauen die Chinesen bald eine Feststoffbatterie ein – und machen damit vor Tesla oder dem VW-Konzern, der ebenfalls daran arbeitet, den nächsten großen Entwicklungsschritt: 150 kWh groß und mit einem Drittel mehr Energiedichte – 360 Wattstunden pro Kilogramm soll sie eine Reichweite von 1000 Kilometern ermöglichen. Allerdings wird es wohl 2024, bis der Top-Akku erhältlich sein wird.

360-Grad-Blick in den Innenraum des Nio ET7

Dank Wechsel-Akku keine langen Ladezeiten

Der Nio Et7 vor einer Werkstatt stehend
Erste deutsche Akku-Wechselstation in Zusmarshausen bei Augsburg: In China hat Nio schon mehr als 1000 Stück davon errichtet© ADAC/Wolfgang Rudschies

Um die Zeit an der Ladesäule auf das Niveau von Verbrennern zu drücken, hat Nio in China schon heute ein Netz von über 1000 Akku-Wechselstationen installiert. Statt die Akkus an der Säule stehend zu laden, rollen die Nio-Autos in eine Box, die kaum größer ist als eine Waschstraße und ähnlich automatisiert funktioniert.
Nun sind auch in Deutschland die ersten Wechselstation eröffnet worden: in Zusmarshausen bei Augsburg, am Autobahnkreuz in Hilden sowie in Berlin-Spandau. Sieben weitere Stationen sind fix geplant. Dazu gehören unter anderem Standorte in Leipzig und Regensburg und an den Autobahnen A61 (Waldlaubersheim) und A7 (Großburgwedel). Insgesamt 100 der Wechselstationen – Nio sagt "Power Swap Stations" – sollen es in Deutschland einmal werden.

Wie der Akku-Wechsel abläuft in einer Swap Station, haben wir ausprobiert. In die Wechselstationen, die immer rund ein Dutzend Akku-Pakete vorhalten, fahren die Autos vollkommen selbstständig hinein. Der Fahrer bleibt im Auto sitzen und lauscht, wie eine Robotik unter dem Auto millimetergenau alle Schrauben löst, den Akku entfernt und einen neu mit Strom befüllten Akku mit der Präzision eines Herzchirurgen implantiert. Der gesamte Vorgang dauert nur knapp fünf Minuten.

Wohl dem eiligen Reisenden, wenn er eine solche Station auf der Route vorfindet. Denn das herkömmliche Laden ist nicht gerade die Paradedisziplin des ET7. Die Füllung von 10 auf 80 Prozent dauert an einer entsprechend leistungsfähigen Ladesäule unter idealen Bedingungen
rund 40 Minuten. Die maximale Ladeladeleistung beträgt dabei 126 kW und im Schnitt 97 kW. Damit liegt sie unter und die Ladedauer deutlich über dem Konkurrenzniveau.

Dafür ist der Nio ET7 sehr effizient und kommt im ADAC Ecotest auf einen Verbrauch von 20,4 kWh pro 100 Kilometer, Ladeverluste inklusive. Für ein E-Auto dieser Fahrzeugklasse ist das bemerkenswert wenig, in puncto Antriebseffizienz haben die Chinesen doffensichtlich den Dreh raus. Und so schafft der ET7 auch auf Anhieb vier von fünf möglichen Ecotest-Sternen. Eine volle Batterie erlaubt auf Basis des Ecotest-Verbrauchs eine Reichweite von etwa 485 Kilometern. Das ist ein für ein Elektroauto richtig guter Wert, allerdings wurde er unter optimalen Bedingungen (22° C) ermittelt.

Entwicklungsziel bei Nio: Vollautonomes Fahren

Der Nio Et7 von vorne stehend zu sehen
Der Nio ET7 ist für autonomes Fahren ausgerüstet, unter anderem mit einem Lidar, der auch bei Nacht gut "sehen" kann© ADAC/Wolfgang Rudschies

Als wären die Fahrleistungen, die innovativen Akkus und ihre Wechselstationen nicht schon Argumente genug, will sich Nio auch beim automatisierten Fahren an die Spitze setzen. Dazu dient ein Hochleistungsrechner, der acht GB Daten pro Sekunde erzeugen und in dieser Zeit 100 Billionen Rechenschritte ausführen kann. Zusammen mit 33 Sensoren inklusive elf hochauflösender Kameras, fünf Radarsystemen, einem Lidar-Auge sowie Vehicle-to-X-Informationen soll der Supercomputer auf Rädern beim Parken, beim Batteriewechsel, auf der Autobahn bis hin zum chaotischen Stadtverkehr schrittweise für Autonomie sorgen.

In der Realität funktionieren die Fahrerassistenzsysteme trotz der Vielzahl an Sensoren erstaunlich unzuverlässig. Vom angekündigten hochautomatisierten Fahren gemäß Level 3, bei dem der Fahrer sich vorübergehend vom Verkehrsgeschehen abwenden darf und das Fahrzeug selbstständig fährt, scheint der ET7 nach Ansicht der ADAC Ingenieure trotz der vollmundigen Ankündigungen noch weit entfernt.

So zeigte sich beispielsweise die Verkehrszeichenerkennung des Öfteren falsche Geschwindigkeitslimits an, die adaptive Geschwindigkeitsregelung bremst wiederholt ohne
ersichtlichen Grund ab und der Lenkassistent greift mitunter recht barsch ins Lenkrad ein.

Praktische und verspielte Features

Nio ES 8 Nomi
Hilft, wo sie kann: Die freundliche Sprachassistentin Nomi© ADAC

Ganz praktisch und fürs Hier und Jetzt bietet Nio eine Anhängerkupplung an. Die erlaubte Anhängelast beim ET7 beträgt gute 2000 Kilogramm. Als Stützlast für einen Fahrradträger sind 100 Kilo erlaubt. Weniger praktisch im Nio ET7 ist der Kofferraum mit dem kleinen Heckdeckel gestaltet: Das laut ADAC Messung 365 Liter fassende Gepäckabteil ist leider flach und tief und daher ein nicht gut zugängliches Verlies. Himmlisch dagegen fällt die Kniefreiheit im Fond aus. Wegen der Massagesitze im Fond lassen sich die Rücksitzlehnen aber leider nicht umklappen.

Für den Kopf bietet der Nio wegen der coupéhaften Dachlinie weniger Platz, spätestens ab 1,90 Meter nimmt man Kontakt zum Dach auf. Der Fahrersitz lässt sich für 1,95 Meter große Fahrer zurückschieben, die Kopffreiheit würde für noch größere Menschen reichen.

Was es nicht gibt im Nio ET7: die Möglichkeit der Smartphone-Integration per Apple Carplay und Android Auto. Verspielten Technik-Freaks bietet der Nio ET7 trotzdem eine ganze Menge – auch weil die Funktionseinstellungen wie beim Tesla weitestgehend digitalisiert wurden. Da selbst der Warnblinker per Fingertouch im Display zu aktivieren ist, geht Nio sogar noch ein bisschen weiter. Ideal ist diese radikale Art von Bedienbarkeit aber nicht, wie die Ingenieure des ADAC immer wieder kritisieren: Es besteht erhebliche Ablenkungsgefahr. Die Menüstruktur erschließt sich einem nicht auf Anhieb, selbst nach längerer Zeit benötigt man für die Suche nach selten verwendeten Funktionen zu lange.

Den Vogel – im positiven Sinn – schießt die Sprachassistentin namens Nomi ab, die oben auf dem Dashboard platziert ist, ihre Mitfahrenden mit wachen Augen beobachtet und gelegentlich sogar ein Blinzeln schenkt. Mit sympathischer Stimme reagiert Nomi überaus freundlich auf jedwede Anfrage oder Bitte. Und entschuldigt sich höflichst, wenn sie einmal etwas nicht versteht oder irgendeinen Wunsch nicht erfüllen kann. Die Sitzheizung oder die Massagefunktion zu aktivieren, gelingt Nomi perfekt. Auch über das aktuelle Wetter an einem x-beliebig gewählten Ort weiß sie genau zu berichten. Nur die Fußballergebnisse des letzten Wochenendes, die hatte Nomi dann doch nicht parat. Aber egal, was nicht funktioniert: Nomi verspricht in jedem Fall zu lernen und es beim nächsten Anliegen besser zu machen.

Der Nio ET7 Test im Video:

Der Nio ET7 Test im Video ∙ Bild/Video: © ADAC e.V.

Showrooms, Auslieferung, Preis

Der Nio Et7 beim Batteriewechsel
Nio-Swap-Station in Zusmarshausen: Ein Roboter wechselt den Akku vollautomatisch© ADAC/Wolfgang Rudschies

Die ersten Showrooms, in dem interessierte Kunden Kontakt aufnehmen können, stehen in Berlin und in Frankfurt. Showrooms in Hamburg, Düsseldorf und München sollen folgen. Wer das 5,10 Meter lange und gut 650 PS starke Nio-Flaggschiff kaufen möchte, wird mit 69.900 Euro zur Kasse gebeten – ohne Akku. Mit der 100-kWh-Batterie kommt das Fahrzeug auf einen Preis von 90.900 Euro, mit der 75-kWh-Batterie auf 81.900 Euro. Der Deutschlandchef von Nio, Ralph Kranz, geht jedoch davon aus, dass die meisten Interessenten die leistungsstarke Batterie für 289 Euro im Monat mieten. Der 75-Kilowatt-Akku soll 169 Euro Miete pro Monat kosten. 

Nio will die Kaufoption in Deutschland zwar anbieten, ist aber skeptisch, was den Erfolg angeht. Hintergrund: In Norwegen wird die Kaufoption von weit über 90 Prozent der Kunden verschmäht. Viel wahrscheinlicher sei, dass Gewerbetreibende einen Nio leasen und Privatkunden das Miet-Abo bevorzugen: Mit kleiner Batterie startet der ET7 im Flex-Abo bei monatlich 1550 Euro, wer sich auf einen Zeitraum festlegt, zahlt 1200 Euro aufwärts.

Das Werkstattnetz von Nio

Wer sich einen Nio zulegt, will natürlich wissen, wo er mit seinem Auto Service und Reparaturen durchführen lassen kann. Fürs Erste kooperiert Nio mit Global Automotive Service (G.A.S.) einer Werkstattkette für Flottenbetreiber in Deutschland. G.A.S. hat in Deutschland mehrere 100 Servicewerkstätten unter Vertrag.

Im Übrigen kann Nio darauf verweisen, dass für die Abo-Modelle ein Rundum-sorglos-Paket existiert, das sämtliche Services wie die Zulassung, die Umrüstung auf Winterräder sowie die Abholung zur Werkstatt und Rücklieferung zum Kunden beinhaltet. Ob und wie gut dieser Service funktioniert, muss sich im Lauf der Zeit zeigen. Nicht zuletzt daran wird sich der Erfolg von Nio in Deutschland messen lassen.

Nio ET7: Technische Daten, Preis

Technische Daten (Herstellerangaben)

NIO ET7 (100 kWh) (inkl. Batterie) (ab 10/22)

Motorart

Elektro

Leistung maximal in kW (Systemleistung)

480

Leistung maximal in PS (Systemleistung)

653

Drehmoment (Systemleistung)

850 Nm

Antriebsart

Allrad

Beschleunigung 0-100km/h

3,8 s

Höchstgeschwindigkeit

200 km/h

Reichweite WLTP (elektrisch)

580 km

CO2-Wert kombiniert (WLTP)

0 g/km

Verbrauch kombiniert (WLTP)

19,0 kWh/100 km

Batteriekapazität (Brutto) in kWh

100,0

Ladeleistung (kW)

DC:180,0

Kofferraumvolumen normal

363 l

Leergewicht (EU)

2.454 kg

Zuladung

446 kg

Anhängelast ungebremst

750 kg

Anhängelast gebremst 12%

2.000 kg

Garantie (Fahrzeug)

5 Jahre oder 150.000 km

Länge x Breite x Höhe

5.101 mm x 1.987 mm x 1.509 mm

Grundpreis

90.900 Euro

ADAC Messwerte

ADAC Messwerte (Auszug)

Nio ET7 (100 kWh)

Überholvorgang 60 – 100 km/h

3,2 s

Bremsweg aus 100 km/h

35,1 m

Wendekreis

12,9 m

Verbrauch/CO₂-Ausstoß ADAC Ecotest

20,4 kWh/100 km, 102 g CO₂/km (Well-to-Wheel)

Bewertung ADAC Ecotest (max. 5 Sterne)

****

Reichweite

485 km

Innengeräusch bei 130 km/h

65,6 dB(A)

Leergewicht / Zuladung

2452 / 448 kg

Kofferraumvolumen normal / geklappt / dachhoch

365/ -- / -- l

ADAC Testurteil

ADAC Testergebnis

NIO ET7 (100 kWh) (inkl. Batterie) (ab 10/22)

Karosserie/Kofferraum

2,9

Innenraum

2,7

Komfort

1,6

Motor/Antrieb

1,0

Fahreigenschaften

2,5

Sicherheit

1,6

Umwelt/EcoTest

1,6

Gesamtnote

1,9
Sicherheit und Umwelt werden doppelt gewertet

sehr gut

0,6 - 1,5

gut

1,6 - 2,5

befriedigend

2,6 - 3,5

ausreichend

3,6 - 4,5

mangelhaft

4,6 - 5,5

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Text: Thomas Geiger/Wolfgang Rudschies mit Material von SP-X