Test Nio EL6: Wird dieses Elektro-SUV Audi gefährlich?

Video: Motorjournalist Lars Hönkhaus war für den ADAC im Nio EL6 unterwegs ∙ Bild: © news to do GmbH + ADAC/David Klein, Video: © ADAC e.V.

Nio will es wissen: Mit dem EL6 zielt der chinesische Autohersteller direkt auf den Audi Q6 e-tron. Mit großer Reichweite, Premium-Anspruch und der einzigartigen Akku-Tausch-Technik hat der Nio einiges zu bieten. ADAC Test, Daten, Preis.

  • Mittelklasse-SUV Nio EL6 Long Range im ADAC Test

  • Zwei Akku-Größen, bis zu 529 Kilometer WLTP-Reichweite

  • Preis ab 53.500 Euro zuzüglich Akku(miete)

Nio EL6: Tesla und Audi im Visier

EL6 Nio
Schmales Tagfahrlicht, Scheinwerfer im Stoßfänger: Der EL6 hat das typische Nio-Gesicht © Nio

Einen Fehler sollten Mercedes, Audi und BMW nicht machen: Nio unterschätzen. Denn auch wenn der Newcomer aus China noch den wenigsten Autokäufern ein Begriff ist, hat das Unternehmen den etablierten Premiummarken längst gezeigt, was sie drauf haben. Top-Noten im ADAC Autotest für den BMW 7er-Konkurrenten ET7 (1,9), das Oberklasse-SUV EL7 (2,0) und das Mittelklasse-Auto ET5 (1,8) sprechen eine deutliche Sprache. Allesamt Elektroautos übrigens, Verbrenner hat Nio nicht im Angebot.

Zuletzt kam noch der EL6 dazu, der direkt auf das beliebte Mittelklasse-SUV-Segment zielt. Und damit auf das Tesla Model Y, den BMW iX3 und vor allem den Audi Q6 e-tron. Doch während Audi lange an seinem Modell herumlaborierte, war der Nio EL6 bereits im Herbst 2023 zu haben. Den ersten ADAC Test konnte der Neuzugang mit der guten Note 2,0 abschließen.

Nio EL6: Hochwertiger Innenraum

Optisch lehnt sich der EL6 an die anderen Nios an und fügt sich daher gut in die Modellpalette ein. Auch innen zieht sich der bekannte Nio-Stil durch mit edlem Ambiente, bester Verarbeitung und hochwertigen Materialien. Die Lüftungsdüsen sind versteckt und arbeiten zugfrei, hinter dem Lenkrad befindet sich ein kleiner Bildschirm für die wichtigsten Fahrdaten, und auf der Mittelkonsole dominiert ein Touchscreen – Tasten sind Mangelware. Wer schon einmal in anderen Nio-Modellen gesessen ist, wird bei der Gestaltung des Armaturenbretts kaum einen Unterschied zu den Schwester-Modellen bemerken.

Auch bei der Bedienung gleicht der EL6 den anderen Fahrzeugen: Für Nio-Neulinge ist sie herausfordernd, es sei denn, man steigt von einem Tesla um, der sehr ähnlich funktioniert. Heißt für die meisten: Erst mal klarkommen mit vielen Menüs, Untermenüs sowie zahllosen, nicht immer sinnigen Einstellmöglichkeiten. Die Menüstruktur des Bediensystems erschließt sich einem jedenfalls nicht auf Anhieb, und selbst nach längerer Zeit benötigt man für die Suche nach selten verwendeten Funktionen lange. Wer vermutet beispielsweise das Einklappen der Außenspiegel unter dem Menüpunkt "Fahren"?

Fraglos wären hier Knöpfe praktischer, doch die wird einem der Hersteller auch weiterhin verwehren, selbst wenn die "User", so nennt Nio seine Kunden, über die schlaue Kunstfigur Nomi auf dem Armaturenbrett direkt Verbesserungsvorschläge via Sprache an die Nio-Techniker schicken können.

Nio hört auf die Kunden

Seitenansicht des EL6 Nio
Mit 4,85 Meter Länge rangiert der EL6 am oberen Ende der Mittelklasse© Nio

Viele der Kundenvorschläge seien auch schon direkt umgesetzt worden, sagen die Nio-Leute nicht ohne Stolz auf ihre "Community" und ihre schnelle Reaktion auf Feedback. Via Update over the air lässt sich schließlich vieles rasch erledigen. Die zahlreichen Warntöne sind zum Beispiel nicht mehr so dominant, nerven aber teilweise immer noch, vor allem wenn es mal wieder piept und blingt, ohne dass der Fahrer oder die Fahrerin genau weiß, warum eigentlich.

Zwar maßregelt auch der Nio EL6 den Fahrer beim Überschreiten der aktuellen Geschwindigkeit (eine EU-Vorschrift) schon beim ersten km/h mit einem blinkenden Tempolimit-Symbol und einem weiteren "Bling". Doch wer davon schnell genervt ist, kann die lästige Bimmelei nun leichter und mit einem Touch auf dem Bildschirm abschalten.

Welches Tempolimit gilt, zeigt der EL6 aber dennoch weiterhin zuverlässig an – übrigens auch im serienmäßigen Head-up-Display. Mit dem aktuellen Softwarestand lässt sich im Kombiinstrument nicht mehr nur die Reichweite auf Basis des WLTP-Verbrauchs, sondern auch – und damit realistischer – basierend auf dem aktuellen Durchschnittverbrauch anzeigen. Wenn man weiß, wie das geht.

Platz und Komfort im Elektro-SUV

Platz gibt es in Hülle und Fülle. Der Fahrersitz lässt sich für 1,95 Meter große Fahrer zurückschieben, die Kopffreiheit würde für noch größere Menschen reichen. Besonders die Beinfreiheit im Fond für bis zu 2,20-Meter-Riesen ist bemerkenswert, auf 1,90 Meter regulierend wirkt allerdings die wegen des serienmäßigen Panoramadachs eingeschränkte Kopffreiheit. Die Rückenlehne für die hinteren Mitfahrer lässt sich übrigens elektrisch in der Neigung verstellen, es gibt auch ein eigenes Display für die Klimaanlage.

Beim Kofferraum spricht Nio von 579 Liter Volumen bei aufgestellten Sitzen, im ADAC Test wurden bei voller Bestuhlung 395 Liter gemessen. Unter Ausnutzung des kompletten Raums hinter den Vordersitzen sind bis zu 1525 Liter Volumen verfügbar. Die Heckklappe gibt eine große Karosserieöffnung frei und ermöglicht damit auch das Beladen mit sperrigen Gegenständen. Das Gepäckabteil selbst ist glattflächig gestaltet und damit gut nutzbar, bei umgeklappten Rücksitzlehnen steigt die Ladefläche allerdings etwas an. Einen Frunk gibt es übrigens nicht unter der Fronthaube – schade, so müssen die Ladekabel in den doppelten Boden im Kofferraum.

Der EL6 wartet lediglich mit einer maximalen Anhängelast von 1,2 Tonnen für gebremste Hänger auf. Für ungebremste Anhänger beträgt die Anhängelast die üblichen 750 Kilo. Immerhin liegt die Stützlast bei üppigen 100 Kilo und reicht damit auch für zwei Pedelecs samt Fahrradträger aus. Auf der serienmäßigen Dachreling dürfen ordentliche 75 Kilo transportiert werden.

So edel wie der EL6 aussieht, so komfortabel fährt er. Mit guter Geräuschdämmung versehen, drängen sich weder Wind- noch Fahrgeräusche in den Vordergrund, die Federung mit adaptiver Dämpferregelung arbeitet gut. Speziell im innerstädtischen Verkehr dürfte das Fahrwerk jedoch sensibler auf Unebenheiten reagieren.

EL6: Komfortabel und sportlich

Fahraufnahme des Nio EL6 schräg von hinten
Komfortabel unterwegs: Der EL6 fährt leise und federt gut© Nio

Wesentlich stärker fällt eine andere Einstellung ins Gewicht. Unter "Fahrprogramme" (auch per Knopf anwählbar) finden sich nicht nur vordefinierte Modi von Eco bis Sport+. Sie lassen sich teilweise auch nach den persönlichen Präferenzen anpassen: Im Hinblick auf die Federung, das regenerative Bremsen (drei Stufen), aber auch auf die Beschleunigung. Und da wird es interessant: Der Fahrer oder die Fahrerin kann tatsächlich wählen, ob das 360 kW/490 PS starke SUV in 4,5, in 5,9, in 7,9, 9,9 oder 12,9 Sekunden auf 100 km/h sprinten können soll.

In der langsamsten Stufe geriert sich der EL6 wie eine schwiegermuttertaugliche Familiensänfte, deren Leistung zwar ausreicht, aber natürlich kein Feuer der Begeisterung entfacht. Die beiden mittleren Stufen sind das Mittel der Wahl für den Alltag. Und in den schnellsten Beschleunigungsstufen wird der EL6 schließlich zum Tier. Beim Tritt auf das Fahrpedal reißt es das Allrad-SUV förmlich vom Fleck als wäre man auf der Flucht, die überbordende Kraft wird spontan und verzögerungsfrei in Vortrieb umgesetzt – und ehe man sich's versieht, macht es schon wieder "Bling" und das Landstraßentempo ist überschritten.

Um im standardmäßig aktivierten Komfort-Modus von 60 auf 100 km/h zu beschleunigen, vergehen 3,6 Sekunden, von 80 auf 120 km/h benötigt der Stromer 4,2 Sekunden. Die Höchstgeschwindigkeit wird bei 200 km/h elektronisch abgeregelt.

Das Fahrwerk kann mit der Kraft übrigens gut mithalten und macht auch eine anspruchsvollere Kurvenhatz klaglos mit. Den ADAC Ausweichtest besteht der EL6 problemlos. Das 2,4 Tonnen schwere Dickschiff verhält sich dabei zwar sicher, aber träge und wenig präzise. Das elektronische Stabilitätsprogramm arbeitet sensibel und effektiv. Dass dabei dennoch nicht allzu viel Fahrspaß aufkommt, liegt neben dem trägen Einlenkverhalten und der ausgeprägten Wankneigung auch an der gefühllosen und indirekt übersetzten Lenkung.

EL6: 460 km Reichweite im Test

Die Front des EL6 Nio
Leider befindet sich unter der großen Haube kein zusätzlicher Stauraum© Nio

Was die Reichweite angeht, gibt's auch beim EL6 nichts zu mäkeln, denn wie seine Brüder setzt auch er auf eine 75- und auf eine 100-kWh-Batterie (brutto), die Reichweiten von 406 bzw. 529 Kilometern am Stück nach WLTP ermöglichen soll. In der Praxis sollten davon geschätzt mit der kleinen Batterie rund 350 machbar sein und bei der großen kann man im Alltag mit 460 Kilometer rechnen. Diese Ecotest-Reichweite im ADAC Test ergibt sich aus dem Durchschnittsverbrauch (mit Ladeverlusten) von 22,1 kWh/100 km, wofür der 2,4-Tonner die Note 1,4 einheimsen kann.

An einer geeigneten Wallbox benötigt man mit Wechselstrom für die Vollladung neun Stunden (bei 11 kW dreiphasig). Schneller geht es mit Gleichstrom über CCS: Die Ladung von 10 auf 80 Prozent dauert an einer entsprechend leistungsfähigen Ladesäule unter idealen Bedingungen 26 Minuten. Die maximale Ladeladeleistung beträgt dabei 187 kW und im Schnitt 157 kW, ein sehr guter Wert.

Weil der EL6 auf standardisierte Batterien setzt, können auch mit ihm die Nio-eigenen Akku-Wechsel-Stationen genutzt werden. Circa 20 der "Power-Swap-Stations" will Nio bis Ende 2024 in Deutschland aufgestellen (in China waren es schon 2023 mehr als 1600). Auf lange Ladezeiten muss sich so keiner einstellen, auf dessen Route eine der garagenförmigen Boxen liegt. Dort ist eine leere Batterie vollautomatisch in 5 bis 10 Minuten ausgetauscht, und es geht mit voller Kraft weiter.

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Preis: Ab 53.500 Euro – plus Batterie

Das Heck des Nio EL6
Teuer: Mit Batterie ist der Nio EL6 ab 65.500 Euro zu haben© Nio

Bleibt noch der Preis. Nahezu voll ausgestattet, kommt der Nio EL6 auf einen Grundpreis mit 75-kWh-Batterie von 53.500 Euro. Klingt fair, doch der Preis versteht sich leider ohne Batterie, die im Falle der 75-kWh-Version 12.000 Euro und der 100-kWh-Variante 21.000 Euro extra kostet. Alternativ lassen sich die Akkus auch mieten (169 und 289 Euro je Monat), was den Vorteil hat, dass man auch die Akku-Wechsel-Stationen nutzen kann. Beim Kauf geht das nicht.

Swap-Stationen hat die Konkurrenz nicht zu bieten, sie bleiben ein Alleinstellungsmerkmal von Nio. Doch die braucht die deutsche Konkurrenz möglicherweise auch nicht. Denn Audi und Porsche setzen bei Q6 e-tron und Macan E auf 800-Volt-Technik mit bis zu 270 kW Ladeleistung für das superschnelle Nachladen. Zumindest diesen Vorteil dürften die Deutschen dann haben – viel mehr aber auch nicht. Es bleibt spannend.

Nio EL6: Technische Daten, Preise

Technische Daten (Herstellerangaben)

NIO EL6 Long Range (inkl. Batterie) (ab 10/23)

Motorart

Elektro

Leistung maximal in kW (Systemleistung)

360

Leistung maximal in PS (Systemleistung)

490

Drehmoment (Systemleistung)

700 Nm

Antriebsart

Allrad

Beschleunigung 0-100km/h

4,5 s

Höchstgeschwindigkeit

200 km/h

Reichweite WLTP (elektrisch)

529 km

CO2-Wert kombiniert (WLTP)

0 g/km

Verbrauch kombiniert (WLTP)

20,4 kWh/100 km

Batteriekapazität (Brutto) in kWh

100,0

Batteriekapazität (Netto) in kWh

90,0

Ladeleistung (kW)

DC:125,0

Kofferraumvolumen normal

597 l

Kofferraumvolumen dachhoch mit umgeklappter Rücksitzbank

1.430 l

Leergewicht (EU)

2.235 kg

Zuladung

455 kg

Anhängelast ungebremst

750 kg

Anhängelast gebremst 12%

1.200 kg

Garantie (Fahrzeug)

5 Jahre oder 150.000 km

Länge x Breite x Höhe

4.854 mm x 1.987 mm x 1.703 mm

Grundpreis

74.500 Euro

ADAC Messwerte

ADAC Messwerte (Auszug)

NIO EL6 Long Range (inkl. Batterie)

Überholvorgang 60 – 100 km/h

3,6 s

Bremsweg aus 100 km/h

37 m

Wendekreis

12,7 m

Verbrauch/CO₂-Ausstoß ADAC Ecotest

22,1 kWh/100 km, 111 g CO₂/km (well-to-Wheel)

Bewertung ADAC Ecotest (max. 5 Sterne)

****

Reichweite

460 km

Innengeräusch bei 130 km/h

66,4 dB(A)

Leergewicht / Zuladung

2376 / 467 kg

Kofferraumvolumen normal / geklappt / dachhoch

395/ 815 / 1525 l

ADAC Testergebnis

ADAC Testergebnis

NIO EL6 Long Range (inkl. Batterie) (ab 10/23)

Karosserie/Kofferraum

2,3

Innenraum

2,8

Komfort

1,8

Motor/Antrieb

1,1

Fahreigenschaften

2,9

Sicherheit

1,6

Umwelt/EcoTest

1,9

Gesamtnote

2,0
Sicherheit und Umwelt werden doppelt gewertet

sehr gut

0,6 - 1,5

gut

1,6 - 2,5

befriedigend

2,6 - 3,5

ausreichend

3,6 - 4,5

mangelhaft

4,6 - 5,5

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