Rekuperation: So viel Bremsenergie holen Elektroautos wirklich zurück

Elektroautos können einen Teil der zum Fahren aufgewendeten Energie durch Rekuperation zurückgewinnen. Wie viel das unter welchen Bedingungen sein kann und welche Autos dabei besonders gut oder weniger gut sind, hat der ADAC ermittelt.
Bergfahrt: Drei Elektroautos im Vergleich
Stadt/Land/Autobahn: Wie hoch ist dort die Rekuperation?
Fahrzeuggewicht von E-Autos: Ein Problem?
Was ist Rekuperation?
Wer mit dem Elektroauto einen Pass erklimmt, dem wird beim Blick auf den rasant steigenden Energieverbrauch schon mal etwas mulmig. Das Gute ist: Es geht am Berg irgendwann auch wieder runter. Und genau in dieser Fahrsituation wird der Vorteil des rekuperativen Bremsens für den Fahrer oder die Fahrerin am sichtbarsten.
Aber die Rekuperation des Elektroautos beschränkt sich zum Glück nicht auf die Bergabfahrt. Sie funktioniert immer, wenn das Auto verzögert: vor einer Kreuzung, einer Ampel oder einem Tempolimit. Auch hier wird der E-Motor zum Generator, der von den drehenden Rädern angetrieben wird – so wie früher ein Dynamo beim Fahrrad den Strom fürs Licht erzeugte.
Wie viel Bremsenergie unter welchen Bedingungen rekuperiert wird, welche Autos dabei besonders gut oder schlecht sind und welche Rolle das Fahrzeuggewicht spielt, hat der ADAC in einer Studie ermittelt. Der wichtigste Part war eine Auswertung von WLTP-Messungen durch Green NCAP. Doch zusätzlich führten die ADAC Ingenieure eigene Messungen bei Bergfahrten durch – mit zum Teil überraschenden Ergebnissen.
Mit dem E-Auto in die Berge
Für die Messungen einer Bergfahrt hat sich der ADAC den bayrischen Kesselberg zwischen dem Kochel- und dem Walchensee ausgesucht. Dazu wurde dessen Strecken- und Steigungsprofil aufgezeichnet und im ADAC Prüfstand nachgestellt, da am Prüfstand alle störenden Einflüsse aus Witterung, Wetter und Verkehr ausgeschlossen werden können und so die Messgenauigkeit höher ist als bei einer Realfahrt. Die 5,5 Kilometer lange Strecke wurde bergauf und dann wieder bergab gefahren, mit Abschnitten von bis zu zehn Prozent Steigung beziehungsweise Gefälle.
Testfahrzeuge waren ein Dacia Spring Electric Extreme 65, ein Tesla Model Y sowie ein BMW i7 – bewusst sehr unterschiedlich motorisierte und unterschiedlich schwere Elektrofahrzeuge.
Dacia Spring Extreme 65: 33 kW | 1180 kg Testgewicht | Frontantrieb
Tesla Model Y Max Range: 387 kW | 2186 kg Testgewicht | Allradantrieb
BMW i7 xDrive 60: 400 kW | 2830 kg Testgewicht | Allradantrieb
Ergebnis der ADAC Messungen: Im Tal angekommen, hat der Dacia Spring 35 Prozent der bergauf eingesetzten Energie zurückgewonnen, der Tesla 40 und der BMW 50 Prozent.
Warum der Dacia am wenigsten rekuperiert, erklärt sich durch sein Gewicht sowie die Motor-Generator-Leistung: Der leichte Spring mit seinem kleinen Motor lädt die Batterie bei der Passfahrt bergab mit maximal 15,9 kW. Das viel schwerere Tesla Model Y mit seinen zwei Motoren (Allrad) schafft in der Spitze 52,7 kW, und beim ebenfalls allradangetriebenen BMW i7 sind es sogar 55,1 kW – ein Wert, den der Dacia nicht mal an der Ladesäule erreicht.

Besonders interessant an den Messungen sind die beiden Extreme: Der BMW i7 gewinnt als schwerstes und kräftigstes Fahrzeug am meisten Energie zurück, rekuperiert also am besten. Der ausgesprochen leichte und fast untermotorisierte Dacia Spring rekuperiert dagegen am schlechtesten. Umgekehrt gilt aber auch: Der schwere BMW benötigt bergauf am meisten Energie, der leichte Dacia mit Abstand am wenigsten.
Entscheidend ist also die Bilanz zwischen verbrauchter und zurückgewonnener Energie. Und die sieht so aus: Der Dacia verbraucht bei dieser Berg- und Talfahrt im Schnitt 9,65 kWh/100 km, der Tesla 15,57 kWh/100 km und der BMW lag bei 16,54 kWh/100 km. In Bezug auf den Stromverbrauch dreht sich also das Bild: Trotz der geringsten Rekuperation zeigt sich der Dacia während der Bergfahrt unter dem Strich insgesamt als das effizienteste Fahrzeug.
WLTP: Rekuperation im Flachland
Weg vom Spezialfall in den Bergen, hin zum Alltag im Flachland. Der ADAC hat Messungen von Green NCAP ausgewertet, wie viel Energie aktuelle Elektroautos rekuperieren. Dort wird in einem an den offiziellen WLTP angelehnten Fahrzyklus gemessen. Die 19 untersuchten Elektroautos verschiedener Hersteller sind ein guter Querschnitt des Marktes. Da alle Fahrzeuge auf dem Prüfstand unter identischen Bedingungen bei 23 Grad mit einer nicht voll geladenen Batterie getestet wurden, zeigt sich ein repräsentatives und vergleichbares Bild von Rekuperationsleistungen aktueller E-Autos.
Ergebnis: Aktuelle Elektroautos gewinnen im WLTP-Zyklus durchschnittlich zirka 22 Prozent der Energie zurück, die sie vorher zum Fahren investiert haben. Auffällig gut schneiden der Nio ET7 (31 Prozent) sowie der Hyundai Ioniq 6 (29 Prozent) ab. In den normalen Verkehrsbedingungen des WLTP rekuperiert mit Abstand am wenigsten Energie wiederum der Dacia Spring (9 Prozent). Der getestete Cupra Born rangiert mit einer Rate von 16 Prozent aber ebenfalls deutlich unter Durchschnitt.
Das können die anderen beiden E-Autos aus dem VW-Konzern deutlich besser. Der Audi Q4 e-tron schafft 23 Prozent, der VW ID.5 26 Prozent. Die beiden getesteten Tesla liegen mit 23 (Model 3) und 24 Prozent (Model S) auf Augenhöhe.
Aufteilung Stadt / Land / Autobahn
Ein Blick auf die verschiedenen Streckenprofile des WLTP zeigt, dass in der Stadt mit 33 Prozent im Durchschnitt am meisten Energie zurückgewonnen wird. Selbst das schlechteste Fahrzeug in der Studie holt innerorts immerhin noch 15 Prozent zurück. Außerorts liegt die Rekuperationsleistung bei 21 Prozent im Schnitt, auf der Autobahn (mit maximal 130 km/h) bei nur zwölf Prozent.
Wie erklären sich diese vom Streckenprofil abhängigen Unterschiede? Während im Stadtzyklus durch Ampeln, Kreuzungen und Hindernisse häufig Bremsvorgänge vorgenommen werden, haben wir es im Landstraßen- und Autobahnzyklus mit einem eher gleichmäßig fließenden Verkehr zu tun. Anhaltevorgänge werden in den Simulationen für Land- und Schnellstraßen kaum berücksichtigt (nur ein Stopp außerorts). Hier gibt es also viel weniger Situationen für das Auto, Energie zurück zu gewinnen.
Hinzu kommt, dass mit zunehmender Geschwindigkeit der Luftwiderstand und dessen eigene Bremswirkung an Bedeutung gewinnt.
So sparen Sie Strom in der Stadt und erhöhen die Reichweite Ihres E-Autos
Video: Rekuperation beim E-Auto
Rekuperieren auch Hybridautos?
Mit dem gleichen Prinzip, mit dem die Batterie von reinen Elektroautos aufgeladen wird, rekuperieren auch Hybridautos – egal, ob es Plug-in-Hybride sind, deren Batterie zusätzlich per Stecker aufgeladen wird, oder Mild- bzw. Vollhybride, die eine kleine Batterie zur Unterstützung des zusätzlichen E-Motors an Bord haben.
Fazit: Rekuperation und Gewicht

Was lässt sich aus den Messungen ableiten? Für die Rekuperation entscheidend sind Tempo und Gewicht des Fahrzeugs (bewegte Masse) sowie die Leistung des Elektroantriebs, der die Bremsenergie in Strom umwandelt und speichert. So hinderlich wie ein hohes Gewicht für den Energieverbrauch ist, um ein Auto in Fahrt zu versetzen, so förderlich ist es in den Situationen, wo Bremsenergie zurück gewonnen werden kann.
Einfach gesagt zeigen alle Messungen: Leichte E-Fahrzeuge verbrauchen weniger Energie, rekuperieren aber auch weniger, schwere E-Fahrzeuge verbrauchen mehr, rekuperieren dafür aber besser.
Daraus folgt: Das Problem des Gewichts von schweren Elektrofahrzeugen relativiert sich angesichts seines Potentials zur Energierückgewinnung ein wenig. Bei Autos mit Verbrennungsmotor, die keine Bremsenergie zurückgewinnen können, bleibt das Problem 1:1 bestehen. Für sie ist jegliche Form der Bremsenergie verloren.
Fazit: Unterm Strich haben schwere E-Fahrzeuge trotz besserer Rekuperation dennoch Nachteile bei der Energieeffizienz – ganz abgesehen vom erhöhten Ressourcenverbrauch. Mit Leichtbau könnten die Autohersteller in Sachen Effizienz dagegen steuern. Die extrem hohen Kosten, wie ihn BMW einst beim i3 mit Kohlefaser betrieb, hat sich für den Hersteller nicht gerechnet. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Kohlefaser-Leichtbau war weniger gut, als man zu Beginn der Entwicklung von modernen Elektroautos angenommen hatte. Diese Erkenntnis dürfte auch der Grund sein, warum sich BMW vom Konzept des i3 längst verabschiedet hat.
Weiter ist noch wichtig zu wissen, dass bei kalter Batterie die mögliche Rekuperation reduziert wird. Ebenfalls wird die Rekuperation spürbar geringer bis ganz unmöglich, wenn die Batterie vollgeladen ist. Wer also ein E-Auto oben auf dem Berg lädt, sollte diese nicht ganz vollladen und einen Puffer für die Bremsenergie während der Bergabfahrt übrig lassen.
Projektleitung und fachliche Beratung: Luis Kalb, Matthias Vogt, ADAC Technik Zentrum