Car2X: Wie die Technik Unfälle verhindert

Im Video: So funktioniert Car2X im VW Golf 8 ∙ Bild: © ADAC/Ralph Wagner, Video: © ADAC e.V.

Klingt sperrig, ist aber enorm wichtig: Car2X-Kommunikation kann Unfälle verhindern. Die Technik funktioniert – bisher aber nicht bei allen Herstellern. Denn sie nutzen unterschiedliche Übertragungstechniken. Der aktuelle Stand.

  • In diesen Situationen warnen Car2X-Systeme

  • ADAC Test: Car2X im VW Golf 8

  • Herstellerstreit: WLANp oder Mobilfunk

Unfälle gar nicht erst passieren lassen: Das verspricht die neue Technik Car2X (sprich Car-to-X) bzw. C2C (Car-to-Car), die der VW Golf 8 als erstes Massenauto auf die Straße gebracht hat. Ein Meilenstein wie ABS und Airbag. Das Prinzip: Die Autos erkennen dank ihrer vielen Sensoren Gefahren – und warnen andere Verkehrsteilnehmer in der Nähe automatisch. Das funktioniert sehr gut, wie ein groß angelegter ADAC Test mit dem Golf 8 bereits 2020 gezeigt hat.

Inzwischen ist Car2X in allen neueren Modellen von Volvo serienmäßig verbaut, ebenso in Golf 8 und Tiguan 3 bis einschließlich Modelljahr 2024 sowie im VW ID.7. Optional ist Car2X bei Audi, BMW, Mercedes und Cupra erhältlich, außerdem in vielen Volkswagen-Modellen: In Fahrzeugen der sogenannten MQB-Evo-Plattform (Golf 8, Tiguan 3, Tayron und Passat B9) ist Car2X beim Park Assist Pro dabei. Dieser gehört je nach Ausstattungslinie entweder zur Serienausstattung oder ist über das optionale Komfortpaket bestellbar.

Im VW ID.7 ist Car2X Serie. Bei ID.3, ID.4, ID.5 und ID. Buzz ab Kalenderwoche 6/25 ist die Technik nur noch optional im Paket mit Park Assist Pro zu haben. Im Multivan T7 kann Car2X als optionales Angebot im Paket mit ACC und Side Assist bestellt werden.

Weitere Hersteller werden voraussichtlich nachziehen. Das Euro-NCAP-Konsortium, das die Sicherheit von Autos bewertet, hat die Gefahrenwarnung im VW Golf 8 mit dem "Advanced Award" ausgezeichnet. Und vergibt künftig dafür Punkte in der begehrten Sternewertung.

Warnhinweise hersteller- und modellübergreifend unter allen Neufahrzeugen auszutauschen wäre ein enormer Gewinn für die Sicherheit im Straßenverkehr. Doch leider steht dieser Hoffnung noch etwas im Weg: Die Hersteller nutzen bislang zwei unterschiedliche Übertragungstechnologien.

Die Car2X-Technik ist für Verkehrssituationen entwickelt worden, in denen der Fahrer oder die Fahrerin ohne einen solchen Warnhinweis nur sehr spät oder überhaupt nicht mehr reagieren kann. Und solche Gefahrensituationen gibt es eine ganze Reihe: wenn zum Beispiel durch Regen oder Nebel schlechte Sicht herrscht und plötzlich ein am Fahrbahnrand stehendes (Pannen-)Auto auftaucht. Oder das Stauende auf der Autobahn hinter einer Kuppe liegt.

Auch Einsatzfahrzeuge von Feuerwehr, Polizei und Rettungsdiensten, Baustellen-Warnschilder oder Ampeln können die Technologie nutzen. Denn Car2X umfasst sowohl die Kommunikation zwischen Fahrzeugen (Car-to-Car) als auch den Informationsaustausch mit der Infrastruktur (Car-to-Infrastructure).

Vor diesen Gefahren warnt Car2X

Beispiele für Warnungen im Display des VW Golf 8 zum Thema Car2X
Zwei Beispiele für zahlreiche weitere Hinweise, die auf dem Display hinter dem Lenkrad des VW ID.7 zu sehen sein können© Volkswagen

Welche Warnhinweise sind derzeit möglich? Eine ganze Menge, wie sich am Beispiel der aktuellen VW-Modelle Golf 8, ID.3, ID.4, ID.5, ID.7, Tiguan III, Passat B9, ID. Buzz, T7 Multivan und Cupra Born zeigt.

Vor diesen Situationen bzw. Gefahren können die Fahrzeuge warnen:

Warnung vor




stehendem Fahrzeug

Pannenfahrzeug

Unfall

kritischer Fahrsituation

gefährlichem Stauende

Baustelle

Einsatzfahrzeug


VW ID.7 und alle anderen neueren ID-Modelle ab Softwarestand 4.0 haben ein noch größeres Portfolio:

Zusätzliche Warnung vor




Hindernis auf der Straße

Tier auf der Straße

Mensch auf der Straße

starkem Wind

rutschiger Fahrbahn

Sichteinschränkung

Stau

Falschfahrer

langsamem Fahrzeug




Car2X im VW Golf 8: ADAC Test

Der ADAC hat Car2X Anfang 2020 am Beispiel des VW Golf 8 getestet. In Gefahrensituationen wird per WLANp-Funk eine Warnung direkt an andere Autos in bis zu 800 Metern Entfernung gesendet – quasi verzögerungsfrei. Natürlich müssen diese Fahrzeuge auch ein Steuer- und Empfangsgerät für Car2X an Bord haben, damit sie eine Warnung bekommen. Das elektronische Steuergerät des VW Golf 8 hat in etwa die Größe einer Tafel Schokolade, lässt sich prinzipiell in alle neuen Modelle integrieren und sendet keine Fahrdaten an den Hersteller.

Car2X im Einsatz bei den Gelben Engeln

Auch die ADAC Straßenwacht verwendet bereits Car2X: Zehn Gelbe-Engel-Fahrzeuge wurden mit der Technik ausgerüstet. Die Car2X-Technik ist im Dachbalken untergebracht.

Dr. Alexander Kempf, Leiter Flotten- und Technologiemanagement, sagt über die umgerüsteten Fahrzeuge: "Sie können nicht nur Gefahrenmeldungen aussenden, sondern auch die von anderen Car2X-Autos empfangen, um selbst vor Stau, Unfall, Baustelle, Panne oder schlechtem Wetter gewarnt zu werden."

C2C: Warnung vor stehendem Fahrzeug

Das Auto mit einer Panne warnt den nachfolgenden Verkehr© ADAC e.V.

Die Versuche mit einem Golf 8, der am Straßenrand steht, wurden auf gerader, ebener Fahrbahn sowohl ohne als auch mit Verdeckung gefahren. Das Ergebnis der Messungen: Jeweils elf Sekunden vor der potenziellen Kollision warnte der Golf mittels eines akustischen Signals und einer Einblendung im Display den Fahrer des zweiten Golf 8 vor der Gefahrenstelle. Eine Verdeckung durch ein vorausfahrendes Fahrzeug (im Versuch ein ADAC Pannenhilfe-Fahrzeug) änderte nichts an der Auslösezeit.

Bei 100 km/h Annäherungsgeschwindigkeit bedeuten die elf Sekunden Vorwarnzeit, dass die Warnung das nachfolgende Fahrzeug etwa 300 Meter vor der Unfall- oder Pannenstelle, bei 120 km/h schon 370 Meter vor dieser Stelle erreicht. Das gibt dem Fahrer bzw. der Fahrerin genug Entscheidungsspielraum, umsichtig zu verzögern oder – falls nötig – rechtzeitig vor der Gefahrenstelle anzuhalten.

Allerdings stellte der ADAC bei den Versuchen fest, dass die Warnung dem Fahrer bzw. der Fahrerin erst bei Geschwindigkeiten über 90 km/h angezeigt wird. Als Grund hierfür nennt VW, dass die Gefahr vor allem bei höheren Geschwindigkeiten größer wäre, weil es dann für (automatische) Notbremssysteme schwieriger wird, einen Unfall zu vermeiden. Künftig sollen neue Fahrzeuggenerationen von VW jedoch in der Lage sein, bereits ab 50 km/h außerorts und zusätzlich innerorts den Fahrer oder die Fahrerin vor Gefahrenstellen zu warnen.

Car2X: Warnung vor einer Baustelle

Für dieses Szenario wurde ein Baustellen-Warnanhänger mit Car2X ausgestattet, der damit Warnungen an den heranrollenden Verkehr aussenden kann. Und tatsächlich: Der Anhänger warnte den sich annähernden Golf mehr als zehn Sekunden vor dem potenziellen Aufprall – der Fahrer konnte also noch rechtzeitig bremsen oder ausweichen.

C2C: Warnung bei Notbremsung

Auf Autobahnen kommt es häufig durch starke Bremsmanöver des Vordermanns zu kritischen Situationen für die nachfolgenden Autos. Bei zu geringem Sicherheitsabstand kann zwar ein automatisches Notbremssystem einen Unfall verhindern oder zumindest die Aufprallenergie minimieren. Doch bei größeren Abständen zum Vordermann ist es sinnvoll, eine Warnung schon weiter im Vorfeld zu senden, die zu einer Entschärfung der Situation führt.

Der vom ADAC getestete Golf 8 sendet deshalb direkt eine Warnung an den nachfolgenden Verkehr aus, sobald eine Vollverzögerung eingeleitet wird.

Warnung vor Einsatzfahrzeugen

Einsatzfahrzeug voraus
Das nicht sichtbare Einsatzfahrzeug setzt eine Warnung vor der Kreuzung ab © ADAC.e.V.

Hier wurden Situationen mit Rettungs- und Einsatzfahrzeugen untersucht, die eine freie Fahrspur benötigen, um möglichst schnell zum Einsatzort zu gelangen. Voraussetzung ist dann natürlich, dass sich im Einsatzfahrzeug ein entsprechendes Car2X-Steuergerät befindet. Bislang das Problem: Fahrer und Fahrerinnen, die im Stau stehen, erkennen das sich nähernde Rettungs- oder Einsatzfahrzeug erst spät – trotz Martinshorn meist etwa vier Autolängen vorher.

Eine frühzeitige Information soll ermöglichen, die Rettungsgasse frei zu halten. Oder: Bei Unfällen, die sich im Bereich von Kreuzungen und Einmündungen ereignen, wird die Vorfahrt oder Ampelschaltung oft außer Kraft gesetzt. Hier kann eine rechtzeitige Warnung ausgegeben werden, um vorfahrtberechtigte Fahrzeuge zu warnen.

Im Test gab sich das verdeckt herannahende Rettungsfahrzeug schon im Vorfeld als solches zu erkennen und teilte diese Information dem Verkehrsumfeld mit. Die Warnung wird nach allen Seiten ausgesendet und kann somit vom kreuzenden, nachfolgenden und entgegenkommenden Verkehr aufgenommen werden. Je nach Art der baulichen Umgebung sind hier Distanzen von über 300 Metern Übertragungsweite möglich.

Warnung vor Unfallfahrzeug hinter Kurve

Pannenfahrzeug hinter der Kurve
Das Unfallfahrzeug steht nicht sichtbar hinter einer Kurve© ADAC e.V.

Eine kurvenreiche, schmale Landstraße führt durch ein Waldstück und verdeckt somit den Blick hinter die nächste Kurve, wo ein Unfallfahrzeug steht. Dieses Szenario wurde außerhalb des Testgeländes auf einer öffentlichen Straße durchgeführt. Auch in dieser Situation kam die Warnung an den nachfolgenden Verkehr rechtzeitig. Eine mögliche Sendeeinschränkung durch den Wald konnte nicht festgestellt werden.

ADAC und Autobahn GmbH arbeiten zusammen

Der ADAC und die Autobahn GmbH wollen die Verkehrssicherheit weiter erhöhen und haben beschlossen, die bereits bestehende Zusammenarbeit weiter ausbauen.

Neben der verstärkten Nutzung von Warnmeldungen sieht eine 2024 unterzeichnete Absichtserklärung auch die Nutzung des ADAC Testgeländes Penzing für die Erprobung neuer Car2X-Funktionen und automatisierter Fahrfunktionen vor. Zudem sollen die vom ADAC gemeldeten Pannenstellen zukünftig auch an die Verkehrszentralen der Autobahn GmbH übermittelt werden, um das Management von Verkehrsereignissen weiter zu optimieren.

Das könnte Car2X leisten

Car2X in einem Mercedes
Car2X bei Mercedes: Warnung vor einem Polizeifahrzeug von rechts© Mercedes

Durch die Ausstattung neuer Modelle mit Car2X hat VW einen Meilenstein für die Verkehrssicherheit gesetzt. Die meisten Importmarken sind jedoch nicht dabei. Und für eine flächendeckende Durchdringung müssten mehr oder weniger sämtliche Hersteller mitmachen.

Zukünftig wäre auch denkbar, dass Fußgänger und Fußgängerinnen sowie Radfahrer mit einem Car2X-Modul geschützt werden und dass Ampeln den Fahrern und Fahrerinnen Hinweise für die grüne Welle in Echtzeit übermitteln.

Systemstreit unter den Herstellern

Ein Streit der Autohersteller über die richtige Übertragungstechnologie – WLANp oder Mobilfunk – verhindert, dass sich alle Car2X-Autos im Verkehr miteinander verständigen können. Nur WLANp ist bisher von der EU standardisiert, ratifiziert und zertifiziert. Damit ausgestattete Autos können sich untereinander warnen – wie etwa ADAC Fahrzeuge und neuere Modelle von Volkswagen. Diese empfangen auch Warnungen von damit ausgerüsteten Baustellenschildern der deutschen Autobahn GmbH und der österreichischen Asfinag.

Der ADAC fordert daher, dass die Funksignale herstellerübergreifend vereinheitlicht werden, sodass alle damit ausgerüsteten Verkehrsteilnehmer davon profitieren können.

Car2X und der Datenschutz

Bei der Car2X-Kommunikation werden zwangsläufig große Datenmengen erfasst, ausgetauscht und verarbeitet. Und zwar nicht nur in den Fahrzeugen, sondern auch in der Verkehrstechnik sowie teilweise in den Backends der Hersteller und bei den Mobilfunkanbietern, wenn nicht die Direktkommunikation WLANp zwischen Auto und Auto verwendet wird. Ohne weitreichende Datenverarbeitung kann eine Vernetzung nicht wirksam werden.

Um andererseits potenziellem Datenmissbrauch einen Riegel vorzuschieben, ist die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) einzuhalten. Außerdem muss der Fahrer bzw. die Fahrerin wissen, wann welche Daten zu welchem Zweck erhoben werden. Darüber hinaus muss er bzw. sie selbst entscheiden können, welche vom Hersteller angebotenen Dienste er bzw. sie nutzen möchte und welche Daten dieser verwenden darf.

Nicht zuletzt muss die eingesetzte IT stets auf dem aktuellen Stand der Sicherheitstechnik sein, um Manipulationen zu verhindern und mögliche Sicherheitslücken aufzudecken.

Das läuft bei Car2X noch nicht perfekt

  • Die Zeit, bis eine Warnung ein anderes Auto erreicht, unterscheidet sich bei den Herstellern stark und reicht von 0,1 Sekunden bis zwei Minuten – wobei letzterer Wert für viele Situationen (wie Stauende hinter einer Kurve) viel zu langsam ist.

  • Verschiedene Übertragungstechnologien verhindern derzeit, dass sich Autos aller Hersteller untereinander warnen können.

  • Die Zahl der Gefahrensituationen, vor denen gewarnt wird, variiert je nach Hersteller zwischen zwei und 16.

  • Bei manchen Fahrzeugen werden nur Gefahren in Fahrtrichtung voraus angezeigt, in anderen alle Gefahren im Umkreis von fünf Kilometern (Mercedes). Letzteres führt möglicherweise zu einer Reizüberflutung und wäre damit kontraproduktiv.

Tipps und Infos rund ums Fahrzeug. Kostenlos vom ADAC

Forderungen des ADAC an die Hersteller

  • Alle Hersteller sollten möglichst rasch die gleiche, von der EU standardisierte, zertifizierte und ratifizierte Übertragungstechnik verwenden, sodass alle Autos sämtliche Warnungen aller anderen Fahrzeuge in der Nähe anzeigen können.

  • Warnungen müssen ohne zeitliche Verzögerung übermittelt werden.

  • Warnungen müssen auch in Funklöchern des Mobilfunknetzes andere Autos in der Nähe erreichen.

  • Einsatzfahrzeuge von Rettung, Feuerwehr und Polizei sollten ebenso mit Car2X ausgestattet werden wie Baustellen-Warnschilder.

  • Car2X sollte in Pkw und Lkw zur Serienausstattung gehören.

  • Sicherheitsrelevante Car2X-Funktionen dürfen keine Folgekosten hervorrufen.

ADAC Tipps für Autokäufer

  • Fragen Sie beim Fahrzeugkauf direkt nach Car2X – das fördert die Verbreitung dieser wichtigen Technik zur Verhinderung von Unfällen.

  • Schalten Sie Car2X ein, falls es beim Neuwagen aus Datenschutzgründen noch nicht aktiviert sein sollte.

Wie weit sind die Hersteller mit Car2X? Was ist der aktuelle Standpunkt des ADAC zu Car2X? Das können Sie in folgenden PDFs zum kostenlosen Download nachlesen:

Herstellerabfrage von Mai 2023
PDF, 185 KB
PDF ansehen
Ergänzende Herstellerabfrage von Juli 2024
PDF, 257 KB
PDF ansehen
ADAC Standpunkt Car2X
PDF, 98,9 KB
PDF ansehen

Fachliche Beratung: Arnulf Thiemel, ADAC Technikzentrum