Car2X: Wie Kommunikationstechnik Unfälle komplett verhindert

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Es klingt sperrig, ist aber enorm wichtig: Car2X-Kommunikationssysteme können Unfälle komplett verhindern. Doch funktioniert die Technik schon? Und wer bietet sie an? Der ADAC hat das System im VW Golf 8 getestet.

  • In diesen Situationen warnen Car2X-Systeme

  • ADAC Test: Car2X im VW Golf 8

  • Herstellerstreit: Welches System setzt sich durch?

Unfälle gar nicht erst passieren lassen: Das verspricht die neue Technik Car2X (sprich Car-to-X) bzw. C2C (Car-to-Car), die der VW Golf 8 als erstes Massenauto serienmäßig an Bord hatte. Insgesamt sind in der EU schon 750.000 Fahrzeuge damit auf der Straße, darunter die Modelle VW ID.3, VW ID.4, VW ID.5, VW ID. Buzz, der klassische VW Bus T7 sowie der vollelektrische Cupra Born (die beiden Letzteren gegen Aufpreis). Das Prinzip: Die Autos erkennen dank ihrer vielen Sensoren Gefahren – und warnen andere Verkehrsteilnehmer in der Nähe automatisch per Funk.

Die Technik ist für Verkehrssituationen entwickelt worden, in denen der Fahrer ohne einen solchen Warnhinweis nur sehr spät oder überhaupt nicht mehr reagieren kann. Und solche Gefahrensituationen gibt es eine ganze Reihe: Wenn zum Beispiel durch Regen oder Nebel schlechte Sicht herrscht und plötzlich ein am Fahrbahnrand stehendes Auto auftaucht. Oder das Stauende auf der Autobahn hinter einer Kuppe liegt.

Auch Einsatzfahrzeuge von Feuerwehr und Rettungsdiensten, Warnanhänger oder Ampeln können die Technologie nutzen. Denn Car2X umfasst sowohl die Kommunikation zwischen Fahrzeugen (C2Car-to-Car) wie den Informationsaustausch mit der Infrastruktur (Car-to-Infrastructure).

In diesen Verkehrssituationen warnt Car2X

In Gefahrensituationen wird durch eine spezielle Datenübertragungstechnik (pWLAN-Funk) eine Warnung direkt an andere Autos in bis zu 800 Metern Entfernung gesendet – quasi verzögerungsfrei. Natürlich müssen diese Fahrzeuge auch ein Steuer- und Empfangsgerät für Car2X an Bord haben, damit sie eine Warnung bekommen. Das elektronische Steuergerät des VW Golf 8 hat in etwa die Größe einer Tafel Schokolade, lässt sich prinzipiell in alle neuen Modelle integrieren und sendet keine Daten an den Hersteller. Leider fehlt aktuell ein einheitlicher Kommunikationsstandard für alle Hersteller, der dann länderübergreifend und modellübergreifend funktioniert.

Car2X im Einsatz bei den Gelben Engeln

Auch die ADAC Straßenwacht testet bereits Car2X. Dazu wurden in der Landsberger Elektronikwerkstatt vier Prototypen damit ausgerüstet. Diese kamen anschließend in ihre Einsatzgebiete nach Hamburg, Stuttgart und Niedersachsen. Die Car2X-Technik ist im Dachbalken untergebracht. Projektleiter Jürgen Mayr: "Es werden zwei unterschiedliche Systeme getestet, um herauszufinden, welches am besten funktioniert." Dr. Alexander Kempf, Leiter Flotten- und Technologiemanagement, ergänzt: "Sie können nicht nur Gefahrenmeldungen aussenden, sondern auch die von anderen Car2X-Autos empfangen, um selbst vor Stau, Unfall, Baustelle, Panne oder schlechtem Wetter gewarnt zu werden."

Car2X im VW Golf 8: ADAC Test

In einem ersten Systemtest hat der ADAC anhand von simulierten Verkehrsszenarien untersucht, wie gut die Technik im VW Golf 8 tatsächlich funktioniert.

C2C: Warnung vor stehendem Fahrzeug

Das Auto mit einer Panne warnt den nachfolgenden Verkehr © ADAC e.V.

Die Versuche mit einem Golf 8, der am Straßenrand steht, wurden auf gerader, ebener Fahrbahn sowohl ohne als auch mit Verdeckung gefahren. Das Ergebnis der Messungen: Jeweils elf Sekunden vor der potenziellen Kollision warnte der Golf mittels eines akustischen Signals und einer Einblendung im Display den Fahrer des zweiten Golf 8 vor der Gefahrenstelle. Eine Verdeckung durch ein vorausfahrendes Fahrzeug (im Versuch ein ADAC Pannenhilfe-Fahrzeug) änderte nichts an der Auslösezeit.

Bei 100 km/h Annäherungsgeschwindigkeit bedeuten die elf Sekunden Vorwarnzeit, dass die Warnung den Nachfolgenden etwa 300 Meter vor der Unfall- oder Pannenstelle, bei 120 km/h schon 370 Meter vor dieser Stelle erreicht. Das gibt dem Fahrer genug Entscheidungsspielraum, umsichtig zu verzögern oder – falls nötig – rechtzeitig vor der Gefahrenstelle anzuhalten.

Allerdings stellte der ADAC bei den Versuchen fest, dass die Warnung dem Fahrer erst bei Geschwindigkeiten über 90 km/h angezeigt wird. Als Grund hierfür nennt VW, dass die Gefahr vor allem bei höheren Geschwindigkeiten größer wäre, weil es dann für (automatische) Notbremssysteme schwieriger wird, einen Unfall zu vermeiden.

Car2X: Warnung vor einer Baustelle

Für dieses Szenario wurde ein Baustellen-Warnanhänger mit Car2X ausgestattet, der damit Warnungen an den heranrollenden Verkehr aussenden kann. Und tatsächlich: Der Anhänger warnt den sich annähernden Golf mehr als zehn Sekunden vor dem eigentlichen Aufprall – der Fahrer kann also noch rechtzeitig bremsen oder ausweichen.

C2C: Warnung bei Notbremsung

Auf Autobahnen kommt es häufig durch starke Bremsmanöver des Vordermanns zu kritischen Situationen für die folgenden Autos. Bei zu geringem Sicherheitsabstand kann zwar ein automatisches Notbremssystem einen Unfall verhindern oder zumindest die Aufprallenergie minimieren. Doch bei größeren Abständen zum Vordermann ist es sinnvoll, eine Warnung schon weiter im Vorfeld zu senden, die zu einer Entschärfung der Situation führt. Der vom ADAC getestete Golf 8 sendet deshalb direkt eine Warnung an den nachfolgenden Verkehr aus, sobald eine Vollverzögerung eingeleitet wird.

Warnung vor Einsatzfahrzeugen

Das nicht sichtbare Einsatzfahrzeug setzt eine Warnung vor der Kreuzung ab © ADAC.e.V.

Hier wurden Situationen mit Rettungs- und Einsatzfahrzeugen untersucht, die eine freie Fahrspur benötigen, um möglichst schnell zum Einsatzort zu gelangen. Voraussetzung ist dann natürlich, dass sich im Einsatzfahrzeug ein entsprechendes Car2X-Steuergerät befindet. Problem: Der Fahrer, der im Stau steht, erkennt das sich nähernde Rettungs- oder Einsatzfahrzeug erst spät – trotz Martinshorn meist etwa vier Autolängen vorher.

Eine frühzeitige Information soll ermöglichen, die Rettungsgasse frei zu halten. Oder: Bei Unfällen, die sich im Bereich von Kreuzungen und Einmündungen ereignen, wird die Vorfahrt oder Ampelschaltung oft außer Kraft gesetzt. Hier könnte eine rechtzeitige Warnung ausgegeben werden, um vorfahrtberechtigte Fahrzeuge zu warnen.

Im Test gab sich das verdeckt herannahende Rettungsfahrzeug schon im Vorfeld als solches zu erkennen und teilte diese Information dem Verkehrsumfeld mit. Diese Information wird nach allen Seiten ausgesendet und kann somit vom kreuzenden, nachfolgenden und entgegenkommenden Verkehr aufgenommen werden. Je nach Art der baulichen Umgebung sind hier Distanzen von über 300 Metern Übertragungsweite möglich.

Warnung vor Unfallfahrzeug hinter Kurve

Das Unfallfahrzeug steht nicht sichtbar hinter einer Kurve © ADAC e.V.

Eine kurvenreiche, schmale Landstraße führt durch ein Waldstück und verdeckt somit den Blick hinter die nächste Kurve, wo ein Unfallfahrzeug steht. Dieses Szenario wurde außerhalb des Testgeländes auf einer öffentlichen Straße durchgeführt. Auch in dieser Situation kam die Warnung an den nachfolgenden Verkehr rechtzeitig. Eine mögliche Sendeeinschränkung durch den Wald konnte nicht festgestellt werden.

Car2X: Testfazit VW Golf

Es ist gut, dass der VW Golf 8 serienmäßig mit Car2X ausgestattet ist. Und dass auch bei der Nutzung von Car2X keine Folgekosten entstehen. Denn das garantiert eine schnellstmögliche Verbreitung. Die Funksignale sollten herstellerübergreifend vereinheitlicht sein, sodass alle damit ausgerüsteten Verkehrsteilnehmer davon profitieren können. Am gleichen Übertragungssystem arbeiten unter anderem auch Renault und Toyota, während BMW zum Beispiel an einer Lösung arbeitet, die auf 5G-Mobilfunk setzt.

Aktuell ist die Autobahn GmbH des Bundes damit beschäftigt, den Konnektivitätsdienst aufzubauen – zunächst auf ausgewählten Korridoren, bis 2023 soll das System dann deutschlandweit funktionieren. Aufgabenstellung: Nähert sich ein Fahrzeug einer Tagesbaustelle, soll der Fahrer darüber informiert werden, noch bevor er die Baustelle sieht. Weitere Funktionen sind in Planung.

Es wäre zukünftig auch denkbar, dass Fußgänger und Radfahrer mit einem Car2X-Modul geschützt werden und Ampeln dem Fahrer Hinweise für die grüne Welle in Echtzeit übermitteln.

Zum Systemstreit unter den Herstellern

Car2X-Systeme gibt es auch für einige Modelle von Audi, Ford, Mercedes und Porsche – aber immer nur gegen Aufpreis und nie allein, sondern nur im Paket mit anderen Connect-Diensten. Darüber hinaus ist Car2X bei den anderen Herstellern nach einem bis drei Jahren mit einem kostenpflichtigen "Abo" verbunden. Unter den Importfahrzeugen ist bisher keines, das mit C2X ausgestattet werden kann.

Des Weiteren verhindert ein Streit der Hersteller über die richtige Übertragungstechnologie – pWLAN oder Mobilfunk –, dass sich alle Car2X-Autos im Verkehr miteinander verständigen können. Am gleichen Übertragungssystem wie VW arbeiten unter anderem auch Renault und Toyota, während BMW zum Beispiel an einer Lösung arbeitet, die auf 5G-Mobilfunk setzt. Die Funksignale sollten herstellerübergreifend vereinheitlicht sein, sodass alle damit ausgerüsteten Verkehrsteilnehmer davon profitieren können.

Der ADAC würde es daher sehr begrüßen, wenn sich die Hersteller auf einen gemeinsamen Standard einigten. Um die Verkehrssicherheit rasch weiter zu verbessern, wäre es außerdem sinnvoll, alle Neufahrzeuge serienmäßig mit C2X auszurüsten.

Car2X und der Datenschutz

Bei der Car2X-Kommunikation werden zwangsläufig große Datenmengen erfasst, ausgetauscht und verarbeitet. Und zwar nicht nur in den Fahrzeugen, sondern auch in der Verkehrstechnik sowie in den Backends der Hersteller und bei den Mobilfunkanbietern, wenn keine Direktkommunikation zwischen Auto und Auto verwendet wird. Ohne weitreichende Datenverarbeitung kann eine Vernetzung nicht wirksam werden.

Um andererseits potenziellem Datenmissbrauch einen Riegel vorzuschieben, ist die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) einzuhalten. Außerdem muss der Fahrer wissen, wann welche Daten zu welchem Zweck erhoben werden. Darüber hinaus muss er selbst entscheiden können, welche vom Hersteller angebotenen Dienste er nutzen möchte und welche Daten dieser verwenden darf. Nicht zuletzt muss die eingesetzte IT stets auf dem aktuellen Stand der Sicherheitstechnik sein, um Manipulationen zu verhindern und mögliche Sicherheitslücken aufzudecken.

Das läuft bei Car2X noch nicht perfekt

  • Die Zeit, bis eine Warnung ein anderes Auto erreicht, unterscheidet sich bei den Herstellern stark und reicht von 0,1 Sekunden bis 2 Minuten – wobei letzterer Wert für viele Situationen (wie Stauende hinter einer Kurve) viel zu langsam ist.

  • Verschiedene Übertragungstechnologien verhindern derzeit, dass sich Autos aller Hersteller untereinander warnen können.

  • Bei vielen Herstellern können keine Warnungen weitergegeben werden, wenn sich das Auto in einem Mobilfunkloch befindet.

  • Die Zahl der Gefahrensituationen, vor denen gewarnt wird, unterscheidet sich von Hersteller zu Hersteller.

Forderungen des ADAC an die Hersteller

  • Die Hersteller sollten sich rasch auf eine Übertragungstechnik einigen.

  • Car2X sollte bald zur Serienausstattung gehören.

  • Sicherheitsrelevante C2X-Funktionen sollten keine Folgekosten hervorrufen.

  • Die Funktion darf nicht durch Funklöcher im Mobilfunknetz eingeschränkt werden.

Im folgenden PDF erfahren Sie, welche Modelle der Hersteller mit Car2X ausgerüstet sind.

Car2X: Was die Autohersteller in welchen Modellen anbieten. Stand: 11/2022
PDF, 173 KB
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Fachliche Beratung: Arnulf Thiemel, ADAC Technik Zentrum