Tropenmedizinerin im Interview: "Eine Mücke macht noch keine Infektion"

Portrait von Fr. Dr. Camilla Rothe
Dr. Camilla Rothe ist Tropenmedizinerin und Mitglied im ADAC Ärztekollegium© LMU/Christoph Olesinski

Durch den Klimawandel kommen exotische Insektenarten nach Mitteleuropa. Warum Sie sich nicht nur vor Tigermücke und Riesenzecke schützen sollten, erklärt die Tropenmedizinerin Dr. Camilla Rothe im ADAC Interview.

ADAC Redaktion: Dengue, Zika, Chikungunya – diese Begriffe schwirren immer öfter durch die Medien. Müssen wir uns Sorgen vor einer neuen Pandemie machen, die mit Insekten nach Europa kommt?

Eine Mücke saugt Blut aus einem Menschen
Stich mit Risiko: Stechmücken können Krankheiten übertragen © Shutterstock/Gulf MG

Dr. Camilla Rothe: Wenn man global denkt, ist die Situation beinahe schon erreicht. Nehmen wir das Beispiel Dengue-Fieber: Die Hälfte der Weltbevölkerung lebt bereits in Dengue-Gebieten. Das Virus ist extrem weit verbreitet und kommt in fast allen subtropischen und tropischen Regionen vor. Und wir sehen einzelne lokal übertragene Fälle und kleinere Ausbrüche in Südeuropa. Also Infektionen, die keinen Reisebezug haben. Verbreitet wird die Krankheit durch die Tigermücke, die vermehrt in Europa vorkommt. Man muss aber auch klar sagen: Die Mücke allein macht noch keine Infektion.

Was müsste denn dafür passieren?

Bei Viruserkrankungen, die direkt von Blutsaugern wie Mücken oder Zecken auf den Menschen übertragen werden, ist es komplizierter als bei Atemwegserkrankungen wie Covid, die zwischen Menschen zirkulieren. Damit das Virus hier überhaupt ankommen kann, muss es jemand aus einem betroffenen Gebiet, also von einer Reise in die Tropen, mitbringen. Und dann muss diese Person auf eine passende Stechmücke wie etwa die Tigermücke treffen, die den Erreger weitergeben kann. Diese müsste nach dem Stich auch noch für eine gewisse Zeit überleben und ein neues Opfer finden. Also ein relativ konstruiertes Szenario.

Die Expertin: Dr. Camilla Rothe

PD Dr. Camilla Rothe ist Fachärztin für Innere Medizin, Tropenmedizin und Infektiologie sowie stellvertretende Leiterin des Instituts für Infektions- und Tropenmedizin am LMU Klinikum München. Im Januar 2020 diagnostizierte sie die erste Corona-Infektion in Deutschland. Für ihre entscheidenden Erkenntnissen zur Übertragung des Virus wurde sie unter anderem mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland geehrt. Seit 2025 ist sie Mitglied im ADAC Ärztekollegium.

Also Entwarnung?

Wenn wir beim Beispiel Dengue-Fieber bleiben, sehe ich für unsere Breiten noch keine große Bedrohung. Zumal diese sogenannten Arboviren – das sind eben die Erreger, die von Gliederfüßern wie Mücken und Zecken übertragen werden – bei infizierten Menschen nur kurz im Blut zirkulieren. Das Zeitfenster für die Infektion eines Vektors ist also klein. Einzelfälle an lokalen Übertragungen gibt es natürlich, vor allem in Südeuropa.

Geht denn von unseren heimischen Mücken ein Risiko aus?

Auch heimische Hausmücken können Erkrankungen wie etwa das West-Nil-Fieber übertragen, das wiederum eine Gehirnentzündung auslösen kann. West-Nil-Viren kommen über infizierte Zugvögel ins Land. Die Kombination aus einer Übertragbarkeit durch heimische Mückenarten und einem Reservoir in Vögeln, die überall vorkommen, macht es dem Erreger leicht, sich zu etablieren. Ein "infektiöser" Mückenstich bleibt dennoch hierzulande eine Seltenheit. Ein guter Mückenschutz ist trotzdem wichtig. Allein schon deshalb, weil ein Stich einfach unangenehm ist und sich entzünden kann.

Wie vermeidet man Mückenstiche?

Nahaufnahme einer lächelnden Frau, die sich in der Natur schützt und Insektenspray auf ihren Arm aufträgt.
Mit einem wirksamen Repellent gegen Mückenstiche© iStock.com/skynesher

Tragen Sie am besten lange Kleidung. Und zwar bevorzugt in hellen Farben. Mücken fliegen auf dunkle Stoffe, damit sie nicht entdeckt werden. Unbedeckte Haut sollten Sie mit einem Repellent schützen. Immer erst den Sonnenschutz auftragen, dann den Insektenschutz. Der Wirkstoff DEET ist der Goldstandard, idealerweise in einer Konzentration zwischen 30 und 50 Prozent. Alternativ eignet sich in unseren Breiten der Wirkstoff Icaridin. Ihre Kleidung können Sie zusätzlich imprägnieren, zum Beispiel mit Permethrin. Es gibt auch bereits imprägnierte Textilien.

Wirkt das auch gegen Tigermücken?

Ja, DEET ist sehr wirksam gegen heimische und tropische Mücken. Seien Sie beim Sprühen etwas behutsam, denn es greift Plastik an und kann zum Beispiel Nagellack stumpf machen. Nach der Anwendung sollten Sie sich die Hände waschen, da das Mittel nicht auf die Schleimhäute gelangen sollte.

Ist ein chemischer Mückenschutz auch für kleinere Kinder geeignet?

Sie sollten bei der Auswahl des Mückenschutzes immer auf die Alterszulassung achten. DEET ist in Deutschland für kleine Kinder nicht zugelassen. Ich rate dazu, jedes Produkt einzeln anzusehen und sich im Zweifel beraten zu lassen. Mittlerweile wird für fast alle Produkte eine Kids- oder Family-Formulierung angeboten.

Gibt es pflanzliche Alternativen zum Schutz vor Mücken?

Eine Substanz ist ganz vielversprechend, und zwar Zitroneneukalyptus-Öl. Das Problem bei pflanzlichen Substanzen ist aber generell, dass sie sehr flüchtig sind und auf der Haut schnell verfliegen. Produkte wie Armbänder und Kerzen wirken übrigens nicht.

Gegen Dengue-Fieber gibt es ja auch eine Impfung. Für wen kommt die denn in Frage?

Mit der Impfung sollen Zweitinfektionen verhindert werden, die zu einem schweren Krankheitsverlauf führen können. Geimpft werden deshalb Menschen, die bereits einmal an Dengue erkrankt waren. Für Menschen, die es noch nie hatten, wird die Impfung von der Ständigen Impfkommission aktuell nicht empfohlen. Bei der Urlaubsvorbereitung sollten Sie sich dazu reisemedizinisch beraten lassen.

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Stimmt es eigentlich, dass es Menschen gibt, die mit ihrem Blut Mücken stärker anziehen?

Man weiß, dass Menschen sehr unterschiedlich von Mücken präferiert werden. Das ist allerdings hochkomplex. Die Mär vom süßen Blut ist ein bisschen volkstümlich. Aber wir wissen zum Beispiel, dass schwangere Frauen bevorzugt gestochen werden. Und bei Paaren ist es oft so, dass der eine öfter gestochen wird als der andere.

Würde man es denn am Stich erkennen, dass eine Mücke mit einer Krankheit infiziert war?

Nein. Wenn ein Stich zum Beispiel groß wird oder stark juckt, bedeutet das nicht, dass die Mücke eine Krankheit übertragen hat. Wie und ob eine Person auf Stiche reagiert, ist sehr individuell. Eine Ausnahme gibt es, und das ist Borreliose, eine Erkrankung, die durch Zecken weitergegeben wird. Sie löst eine Wanderröte aus, die man einige Tage nach dem Stich auch sehen kann – ein roter Fleck, der sich ausbreitet.

Ich glaube, dass Zecken noch viele Überraschungen bereithalten. Da müssen wir uns vorbereiten.

Dr. Camilla Rothe

Und gegen Zecken schützt man sich genauso wie gegen Mücken?

Repellents wirken bei Zecken leider nicht so gut wie bei Mücken. Deshalb nützt vor allem eine physikalische Barriere. Zecken kommen ja von unten, nicht von oben. Deshalb sollten Sie vor allem die Beine schützen. Also feste Schuhe, Socken und lange Hosen anziehen. Am besten die Socken über die Hosenbeine stülpen, auch wenn das nicht so schick aussieht. Und nach dem Aufenthalt in der Natur sollten Sie sich unbedingt absuchen. Es ist wichtig, dass man Zecken zeitnah entfernt, um das Infektionsrisiko gering zu halten.

Neben Borreliose können Zecken ja auch FSME übertragen. Warum passiert das immer häufiger?

Die Überträgerzecken tauchen auch in Gebieten auf, wo sie vorher nicht waren. Inklusive der Erkrankung. Ein wesentlicher Faktor ist, dass unsere Winter wärmer werden und die Tiere oft überwintern können. Die ersten FSME-Fälle hatten wir dieses Jahr schon im Januar.

Und immer häufiger findet man auch exotische Zeckenarten.

Genau, zum Beispiel die Hyalomma-Zecke. Sie ist optisch recht prägnant, groß, auffällig gemustert – und eigentlich eine tropische Art. Nach Europa kommt sie mit Zugvögeln.

Überträgt diese Zecke auch Krankheiten?

Eine Wanderin geht über eine Blumenwiese
Feste Schuhe und Socken schützen vor Zecken© iStock.com/Li Zhongfei

Ja, unter anderem das Krim-Kongo-Fieber. Eine Erkrankung, die übrigens auch von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Seit einigen Jahren infizieren sich immer mal wieder Wanderer in Zentralspanien über einen Zeckenstich. Neben einem grippeähnlichen Verlauf können die Viren zu Blutungen und Organversagen führen, ähnlich wie bei Ebola. Das ist also durchaus kritisch. Ich glaube, dass Zecken noch viele Überraschungen bereithalten. Da müssen wir uns vorbereiten.