Harley-Davidson Pan America 1250: Reiseenduro im Fahrbericht

Eine Harley-Davidson Pan America Specialin der Seitenansicht
Große Freiheit: Das Fahren abseits des Asphalts gehört zur Harley-DNA © Harley-Davidson

Die Harley-Davidson Pan America 1250 soll im Markt der großen Reiseenduros bestehen. Vor allem gegen die Konkurrenz von BMW. Funktioniert das? Fahrbericht, Daten, Preise.

  • Sehr ergonomisch und komfortabel

  • Durchzugsstarker Motor

  • Konkurrenten: BMW R 1250 GS, Honda Africa Twin

Reiseenduros haben ihr natürliches Habitat offenbar in Deutschland: Nirgendwo sonst werden mehr verkauft als hierzulande. Die BMW R 1250 GS gibt im Segment dieser hochpotenten Alleskönner nach wie vor den Ton an. Sie ist in zahlreichen Märkten der Welt der Topseller, in Deutschland gar seit über 20 Jahren das meistverkaufte Motorrad überhaupt.

Starke Mitbewerber sind zudem Ducati Multistrada V4, Honda Africa Twin, KTM 1290 Super Adventure und Triumph Tiger 1200. In diesem Feld will die Harley-Davidson Pan America 1250 bestehen, die in den zwei Versionen Standard und Special ab 19.395 Euro angeboten wird. Das ungewöhnliche, markante Design der Harley ist eigenständig und ausgesprochen funktional. Die Pan America 1250 hat definitiv das Zeug, wie die GS zur Marke zu werden.

Im Test: Drehfreudiger 152-PS-Motor

Seitenansicht der Harley Davidson Pan America
Herzstück der Pan America: Der Revolution-Max-V2© Harley-Davidson

Der quer eingebaute V2-Motor mit 60 Grad Zylinderwinkel ist ein Hochdrehzahl-Aggregat. Die Spitzenleistung von 112 kW/152 PS wird bei 8750 U/min realisiert, die Maximaldrehzahl liegt bei 9500 Touren. Zugleich ist der mit variabler Ventilsteuerung und Vierventil-Zylinderköpfen topaktuelle V2 ein braves Arbeitstier. Er beherrscht für Geländeausflüge auch den Tuckermodus mit niedrigen Drehzahlen und glänzt mit starker Leistungsentfaltung im Drehzahlbereich zwischen 3000 und 7000 Umdrehungen.

Zudem ist er drehfreudig und elastisch, die Übersetzungen der sechs Gänge passen nahtlos. Der Normverbrauch von 5,5 Litern pro 100 km deutet an, dass der V2 kein Sparwunder ist. Mit sechs bis 6,5 Litern könnte man auf längere Sicht vermutlich auskommen.

Das Fahrwerk leistet gute Arbeit

Ebenso gut wie der Motor samt Kupplung und Getriebe funktioniert das Fahrwerk. Hier liegt der wichtigste Unterschied zwischen Standard- und Special-Version: Die Basis-Pan Am muss sich mit gut abgestimmten und in allen Parametern einstellbaren Showa-Federelementen begnügen, während die Special eine elektronisch arbeitende, semiaktive Radführung aufweist. In der Praxis die überlegene Lösung.

Fünf vorkonfigurierte Fahrprogramme (Rain, Road, Sport, Off-Road, Offroad-Plus) sind üppig, besonders überzeugend auf Landstraßen ist der schärfste Modus Sport. Drei weitere Modi erlauben bei der Special (bei der Basisversion einer) individuelles Programmieren.

Fürs Geländefahren stand ausschließlich die Special zur Verfügung. Mit Geländebereifung beherrscht sie alles, was ein Fünfzentner-Bolide abseits des Asphalts können muss, ist aber nicht zuletzt wegen ihres doch recht hohen Schwerpunkts keine Gams. Auffällig ist, dass der serienmäßige, nicht einstellbare Lenkungsdämpfer bei Niedrigtempo ein etwas träges Einlenkverhalten zeigt. Nach einiger Gewöhnung verliert sich dieses Empfinden. Die Basisversion ohne Lenkungsdämpfer ist zugänglicher. Eine Fahrwerks-Instabilität ließ sich auch bei ihr nie feststellen, selbst bei Höchstgeschwindigkeit Tacho 227 – nicht.

Bilder: Harley-Davidson Pan America 1250

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Großes Display, gute Konnektivität

Die Komfort-Anforderungen an eine Reiseenduro erfüllt die Harley problemlos: Sitz, Fußrasten, Lenker, Windschutz – alles top. Auch das große TFT-Display samt allen Konnektivitäts-Finessen erfüllt europäische Vorstellungen. Die Bedienung des umfänglichen Bordcomputers ist verständlich, das Ertasten des Blinkerknöpfchens links am Lenker wegen des großen Computer-Bedienungsknubbels aber nicht ideal.

Zwar gibt es eine Restreichweitenanzeige, aber keine Angabe über den Verbrauch. Ein eng anliegendes Gepäcksystem findet sich, wie auch weitere Gepäckbehältnisse, im Zubehörangebot.

1250 Special: Semiaktives Fahrwerkssystem

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Die Harley-Davidson Pan America Special bietet noch mehr Elektronik© Harley-Davidson

Für die Special gibt es zwei Optionen: Kreuzspeichenräder, vorteilhaft im Offroad-Einsatz, sowie eine adaptive Fahrwerksabsenkung, die beim Anhalten wirksam wird. Dadurch sinkt die Sitzhöhe um bis zu fünf Zentimeter. Beim Losfahren fährt das Chassis in drei wählbaren Programmen wieder nach oben. Die Eigenentwicklung von Harley-Davidson funktioniert allerdings nur unterwegs, beim Auf- und Absteigen ist das System nicht verfügbar.

Assistenzsysteme nicht ganz up to date

Eine Harley-Davidson Pan America in der Seitenansicht
Trotz üppiger Ausstattung nicht ganz auf dem neuesten Stand der Technik © Harley-Davidson

Klar bleibt auch bei der funktional insgesamt attraktiven Pan America 1250 Potenzial zur Optimierung. So sollten Tankdeckel und Lenkschloss ins schlüssellose Startsystem integriert sein. Radarbasierte Assistenzsysteme wie bei BMW, Ducati und KTM sucht man ebenfalls vergeblich. In punkto Handhabung sind die etablierten Wettbewerber oftmals weiter, gut zu sehen an der hakeligen Windschild-Verstellung und daran, dass sich Haupt- und Seitenständer manchmal in die Quere kommen. Zudem sind die Wartungsintervalle von 8000 Kilometer für ein Reisemotorrad zu kurz, Wettbewerber bieten schon 16.000.

Quickshifter gegen Aufpreis

Der Quickshifter, für beide Versionen der Pan America lieferbar, kostet extra. Er kann nur als Zubehör geordert und muss vom Händler eingebaut und initialisiert werden. Unsere Probefahrt zeigte, dass die Techniker ihre Entwicklungsaufgabe befriedigend gelöst haben: Der Gangwechsel ist in beiden Richtungen ohne Zuhilfenahme der Kupplung möglich. Er fällt allerdings nicht immer gleich leicht: Liegt die Drehzahl nicht hoch genug oder ist der Gasdrehgriff nicht weit genug geöffnet, sperrt sich der Impulsgeber ein wenig und die Gangwechsel verlaufen etwas hakelig.

Während die Schalthilfe beim Fahren auf Asphalt in erster Linie als Komfortelement wahrgenommen wird, ändert sich das im Gelände. Denn beim Fahren im Stehen ist es ein Vorteil, beim Gangwechsel nicht kuppeln zu müssen; in kniffligen Situationen ist es schlicht einfacher und schneller, lediglich den Schalthebel betätigen zu müssen. Im Großen und Ganzen befindet sich der Quickshifter auf dem Niveau der Wettbewerber.

Harley-Davidson Pan America: Technische Daten, Preis

Herstellerangaben Modelle 1250 und (1250 Special)


Motor/Getriebe

Flüssigkeitsgekühlter 60°-V2 Motor, quer eingebaut, 1252 ccm Hubraum, vier Ventile pro Zylinder, 112 kW/152 PS bei 8750 U/min., 128 Nm bei 6750 U/min; Einspritzung, 6 Gänge, Kette

Fahrwerk

Dreiteiliger Leichtmetallrahmen mit Rohr-, Guss- und Formteilen, Motor mittragend; 47 mm Telegabel vorne, voll einstellbar, 191 mm Federweg; Aluminium-Zweiarmschwinge hinten, Zentralfederbein, voll einstellbar, (elektron. einstellbares, semiaktives Fahrwerk v. u .h.), 191 mm Federweg; Leichtmetallgussräder; Reifen vorne 120/70 R19, hinten 170/60 R 17; 320 mm Doppelscheibenbremse vorne, 280 mm Einscheibenbremse hinten

Maße und Gewichte

Radstand 1580 mm, Sitzhöhe 850/875 (830/850 mm), Gewicht fahrfertig 245 (258kg). Tankinhalt 21,2 l

Verbrauch

Normverbrauch 5,5 l/100 km, Testverbrauch ca. 6,5 l/100 km

Assistenzsysteme

Kurven-ABS, elektron. Bremskraftverteilung, Kurven-Traktionskontrolle, Fahrzeughalteassistent, Reifenluftdruck-Kontrollsystem, sechs (acht) Fahrmodi, davon einer (drei) frei definierbar, Wegfahrsperre, schlüsselloses Startsystem, Tempomat, Blinker-Rückstellautomatik, Smartphone-Einbindung

Preis

19.395 (20.895) Euro

Fazit: Das US-Bike kann überzeugen

Motor und Fahrwerk der US-Alleskönnerin überzeugen, die Ergonomie ist genauso gut wie der Fahrkomfort. Die Ausstattung inklusive der Fahrassistenzsysteme ist der Fahrzeugklasse adäquat, die der Special-Version sogar sehr gut. Bei alledem liegt das Fahrzeuggewicht im üblichen Rahmen. Dass auch der Preis von 20.895 Euro für die bei uns wohl besonders wichtige Special absolut konkurrenzfähig ist, zählt ebenfalls.

Erhält die Pan America 1250 eine gezielte Überarbeitung in den (wenigen) relevanten Details, könnte sie ihren Weg machen und die derzeit kränkelnde Motor Company aus Milwaukee in eine hellere Zukunft führen.

Motorrad und Roller: Neuheiten, Tests, Fahrberichte

Text: Ulf Böhringer/SP-X