BMW G 310 GS: Testfahrt, Daten, Preis
Die BMW G 310 GS ist als Reiseenduro für den Weltmarkt konzipiert und soll eine breite Zielgruppe bedienen. Fahrbericht aus der Zeitschrift Motorrad Heft 21/2017, aktualisiert mit den Daten des technischen Updates von 2021.
Gute Preis-Leistung
Stimmiges Gesamtkonzept
Gutes Fahrverhalten
Ein Antiheld überzeugt nicht durch heroische Fähigkeiten, sondern durch seine feinen Charakterzüge. Ja, dieser Protagonist hat Stärken. Und er hat Schwächen. Gerade das macht ihn sympathisch – und die Reiseenduro BMW G 310 GS zum großen Wurf.
Der Kollege zuckt mit den Schultern. Einen ganzen Tag lang hat er auf der BMW G 310 GS alles gegeben. Er wühlte sich auf holprigen Schotterpisten durch katalanische Hügellandschaften, adaptierte mutig die Imperative der inoffiziellen Verkehrsregeln Barcelonas, stach hierfür stets in die sich auftuenden Lücken zwischen den Autokarawanen, hupte fleißig, bremste abrupt und beschleunigte, was der kleine Einzylinder mit maximal 34 PS und 28 Newtonmetern halt so hergab.
Vielseitige Enduro
Und nun? Nun steht derselbe Kollege mit einer Bierflasche in der Hand am Ufer der pulsierenden Metropole, schaut aufs Meer, schnaubt wie ein müder Hund durch Mund und Nase und flüstert halb zu sich selbst: "Ein erfreulich vielseitiges und gutes Motorrad, diese kleine GS. Aber keine für Heldentaten." Wie er das wohl meint? Vielleicht hat der Kollege ja recht, und die G 310 GS taugt nicht für heroische Heldentaten. Zumindest nicht hierzulande, wo F 750er und 850er sowie R 1200er GS dem deutschen Durchschnittsfahrer mehr Qualm, Ausstattung und Prestige bieten.
Doch das kommt wenig überraschend: Denn wie die Roadster Variante G 310 R, von der sie abstammt, zielt sie vor allem auf die wirtschaftlichen Potenziale der Schwellenländer. Soll heißen: Als Welt-Modell in München geplant und in Indien vom Kooperationspartner TVS gebaut, will BMW verschiedenste Klientel mit einer einzigen Motorrad-Rezeptur rundum zum Grinsen bringen.
Preis der 310 GS: 6600 Euro
One size fits all – würde man neudeutsch dazu sagen. So etwas bleibt nicht ohne Risiko. Einerseits wollen die Münchner den eigenen Premium-Anspruch beibehalten. Andererseits müssen sie preislich attraktiv sein, um den knallharten Wettbewerb um Käufer nicht schon mit der Verkündung des Listenpreises ad acta zu legen.
Kommen wir somit zum ersten schlagenden Argument der G 310 GS, ihrem Preis: In Deutschland ist sie ab 6600 Euro (Modelljahr 2023) bei den Händlern zu haben. Sie ist damit günstiger als der bisherige Einstieg in die GS-Welt (F 750 GS), aber leicht teurer als die kleine Roadster. Bleibt die Frage: Steht bei der Neuen die Abkürzung GS zu Recht für Gelände und Straße?
Gelungenes Design und gutes Fahrwerk
Rein äußerlich hat man groß aufgetischt: Die GS schaut mächtig erwachsen aus. Der Entenschnabel und die Außenhülle des Tanks symbolisieren klar: Hier fährt eine richtige BMW durch die Welt, nicht nur eine kleinskalierte Schrumpfversion! Da muss man den Designern Respekt zollen. Denn die Sorge, die 310er könnte am Ende so eingelaufen ausschauen wie ein bei 95 Grad gewaschenes Funktionsshirt, war ja nicht unbegründet. Technisch gesehen hat sich im Vergleich zur Roadster wenig, aber dafür Nennenswertes getan: Vorne wie hinten wurde der Federweg auf stattliche 180 Millimeter erhöht.
Die Schwinge steht nun in einem steileren Winkel, die Abgasanlage musste neu gestaltet werden. Bis auf die Befestigungspunkte für die Verkleidung und einen höheren Steuerkopf für die nicht einstellbare Upside-down-Gabel blieb der Gitterrohrrahmen gegenüber der Roadster unverändert. Der Lenkkopfwinkel beträgt nun 63,3 Grad, der Nachlauf 98 Millimeter (G 310 R: 64,9 Grad und 102,3 Millimeter). Auch der Radstand wurde länger. Auffällig: Die Gabel hat eine vorverlegte Achsaufnahme.
Bilder: Die BMW G 310 GS im Detail
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Lenker und Bedienung
Die eher sportlich-kompakt gepolsterte, schmale Standard-Sitzbank begrüßt den Fahrer in 835 Millimetern Höhe (niedrige und hohe Versionen verfügbar). Die Position der gezackten Fußrasten lässt die Knie entspannt, aber nicht übertrieben herrschaftlich winkeln. Der dünne, in Richtung Fahrer gekröpfte, von einer liebevoll gestalteten und mit BMW-Emblem versehenen Lenkerklemmung gehaltene Rohrlenker baut breiter als der der Nackten, liegt aber prima in den Händen.
Ein Plus ist die Bedienung des kleinen Roadsters: Sowohl Brems- als auch Kupplungshebel sind in der Griffweite vierfach einstellbar. Seit dem Update 2021 werden neben einem LED-Scheinwerfer auch LED-Blinker montiert, so dass rundum LED-Technik geboten ist.
34-PS-Motor im Test
Also dann: Schlüssel umdrehen, Zündung an, und das aus der R bekannt auskunftsfreudige LCD-Display signalisiert Startbereitschaft. Der Single springt motiviert an, dreht im kalten Zustand um die 2000 Touren. Kupplung ziehen, Gang reingesteppt und: nicht abgewürgt! Dafür sorgt seit 2021 ein so genannter "elektronischer Gasgriff"; die Drosselklappe wird nicht mehr mechanisch, sondern elektrisch verstellt. Außerdem wird das Triebwerk mit einer automatischen Leerlaufanhebung ausgestattet; so wird beim Anfahren ein mögliches schlagartiges Absterben des Motors verhindert.
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Der Motor läuft rund, schiebt auch recht ordentlich, aber Schmackes gibt es erst weiter oben. Das Schöne daran: Er dreht sehr gerne, schnalzt wie auf Speed die Drehzahlleiter rauf, entwickelt dank Ausgleichswelle erst im oberen Drehzahldrittel nennenswerte Vibrationen und hat echt Charakter. Klar, 34 PS bleiben am Ende 34 PS. Und vor einem auskeilenden Heck muss man bei maximal 28 Newtonmetern auch keine große Furcht haben. Es macht daher Sinn, dass das Sechsganggetriebe dem der Roadster entspricht und knackig-kurz abgestuft wurde. Ärgerlich aber, dass es sich mitunter ebenso knochig und hart bedienen lässt.
Und auch die Vier-Kolben-Radialbremssättel von Brembo-Tochter Bybre sorgen zwar für eine gute Bremsleistung. Doch einerseits lassen sich die Stopper schlecht dosieren, andererseits benötigen sie für radikale Verzögerungen hohe Handkräfte. Erfreulich: Das ABS funktioniert gut, ist für Ausflüge ins Gelände abschaltbar.
BMW G 310 GS: Technische Daten
Herstellerangaben | BMW G 310 GS |
---|---|
Motor | 1 Zylinder, 1-Zylinder, 313 ccm Hubraum, 25,0 kW bei 9250/min, max.Drehmoment 28,0 bei 7250 U/min, 4 Ventile/Zylinder, Einspritzanlage, Flüssigkeitskühlung |
Assistenzsysteme | k.A. |
Fahrwerk | Gitterrohrrahmen/Stahl; 41 mm Up-Side-Down-Telegabel, 180 mm Federweg; Zweiarmschwinge hinten, 180 mm Federweg; |
Maße | Leergewicht ca. 175 kg, zul. Gesamtgewicht 345 kg; Länge/Breite/Höhe 2075 / 880 / 1315 mm, Sitzhöhe 820/835/850 mm; Tankinhalt 11,5 l |
Bremsen | einzeln betätigt, vorne Scheibe, 300 mm, hinten Scheibe, 240 mm |
Fahrleistungen / Verbrauch | Höchstgeschwindigkeit ca. 145 km/h, 3,3 l/100 km |
Preis | 6600 Euro |
Fazit: Gut, aber nicht perfekt
Wohlfühl-Ambiente schafft zudem das gute Fahrverhalten. Zwar biegt die GS wegen der veränderten Geometrie und dem 19-Zoll-Vorderrad nicht ganz so motiviert ums Eck wie die nackte Schwester. Auch verlangt sie aus der Mittellage heraus eine zarte, aber doch eindeutige Ansage, um in Schräglage zu fallen. Dann aber lässt sie sich spielerisch und neutral in die Kurve pfeffern. Wenn es ganz schräg wird, neigen die Metzeler-Pneus allerdings erst zum Kippeln, dann zum Einklappen.
Einen guten Eindruck hinterlässt die mit viel Dämpfung versehene, fein ansprechende Gabel. Dem Federbein hat man im Vergleich dazu etwas mehr Komfort gegönnt. Zusammen halten sie die GS auch bei wilden Verwerfungen des Asphalts auf Kurs. Auch auf Schotterwegen sorgen sie für genügend Traktion und ausreichend Reserven. Für ausgedehntes Enduro-Wandern dürfte der Lenker allerdings etwas höher bzw. die Rasten etwas niedriger stehen.
Diese GS aus Indien hinterlässt einen sehr vielseitigen, durchdachten Eindruck, trägt ein überzeugendes Finish. Sie macht vieles ziemlich gut, wenn auch nicht alles perfekt. Vielleicht taugt sie gerade deshalb als perfekte Portfolio-Ergänzung der Münchner. Sozusagen als Antiheldin – im positiven Sinne.