Alpine A390 im Fahrbericht: Ritt auf der Rasierklinge

• Lesezeit: 8 Min.

Von Wolfgang Rudschies

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Aufnahmen des Alpine A390
Die neue Alpine A390: Elektrische Sportskanone oder Komfortgleiter? © Alpine

Die Alpine A390 mit 295 kW/400 PS Leistung scheint eine echte Sportskanone zu sein, entpuppt sich aber als überraschend komfortabel. Wie ist den Franzosen dieser Spagat gelungen? Der Fahrbericht klärt auf.

  • Ein Akku, Antrieb in zwei Leistungsstufen

  • Torque Vectoring zur Erhöhung der Fahrsicherheit

  • Hydraulische Anschlagpuffer für bessere Federung

Da steht das neue Elektroauto aus Frankreich nun. Erinnerungen an die legendäre A310 aus den 1970er-Jahren werden wach (ja, zu Alpine gehört der weibliche Artikel). Wie sich die Kinder damals die Nasen an der Seitenscheibe platt gedrückt haben, um mit eigenen Augen zu sehen, dass der Franzose laut Tachoskala schneller als 200 km/h fahren kann. 215 km/h stand in den Prospekten als mögliche Höchstgeschwindigkeit.

Das damalige Basismodell des Porsche 911 schaffte "nur" 200 Spitze. Kein Wunder, dass die Alpine A310 mit ihren Fahrleistungen und ihrer stromlinienförmigen Statur als echt aufregender Sportwagen angesehen wurde.

Diesen Erfolg soll die Alpine A390 unter der Regie von Konzernmutter Renault nun wiederholen. Es geht um nichts Geringeres als um die Wiederbelebung einer glorreichen Marke. Wobei die Grundlagen dafür schon gelegt worden sind: mit der Alpine A110, einer Knallbüchse mit Verbrennungsmotor zum Um-die-Kurven-Pfeifen, sowie der A290, der sportlichen Weiterentwicklung des agilen Renault R5 mit Elektroantrieb.

Alpine A390 mit Power satt: 295 kW/400 PS

Aufnahmen des Alpine A390
Die A390 ist verdammt agil, dabei aber erstaunlich komfortabel gefedert © Alpine

Während das historische Vorbild A310 aus 1,6 Liter Hubraum und vier Zylindern eine Maximal-Leistung von 85 kW/115 PS schöpfte sowie 120 Nm Drehmoment aufbrachte, bringt es das jüngste Modell A390 auf 295 kW/400 PS und 661 Nm. Dazwischen liegen Welten. Allerdings greift die A390 dabei auch auf drei Elektromotoren zurück und wiegt wegen der dicken Batterie im Unterboden nicht 830 Kilo (wie die A310), sondern über 2,1 Tonnen leer. Auch das sind Welten.

Um so erstaunlicher ist es, wie leichtfüßig sich die schwere A390 anfühlt. Selbst im Vergleich mit aktuellen Elektroautos wie einem Cupra Tavascan, einem Kia EV6 oder einem Škoda Enyaq Coupé ist die Agilität eine andere. Aber es ist nicht nur die Agilität im Fahrverhalten, auch der Federungskomfort der Alpine A390 ist bemerkenswert gut.

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Für annähernd 70.000 Euro darf man allerdings auch einiges erwarten. Das Auto liegt spurstabil auf der Straße, lässt sich in schnell gefahrenen Kurven nicht aus der Ruhe bringen und federt alle Straßenunebenheiten prima weg. So gut, dass man sich fragt, wie das technisch überhaupt möglich ist. Das Problem ist ja: Ein Fahrwerk kann grundsätzlich sportlich oder in Richtung Komfort ausgelegt sein. In der Mitte dazwischen existiert ein Grat, der sehr schmal und bei der Abstimmung kaum perfekt zu treffen ist.

Die A390 scheint endgültig beweisen zu wollen, dass Sportlichkeit und Komfort keine Gegensätze sein müssen. Das Auto ist zwar ein Schwergewicht, aber es tänzelt so leichtfüßig über den Asphalt wie einst Muhammad Ali durch den Boxring. Dieser Vergleich stammt zwar von Philippe Krief, dem CEO von Alpine, aber das Bild bringt absolut auf den Punkt, was den Charakter der Alpine 390 ausmacht: Eleganz, natürliche Leichtigkeit und der Punch eines extrem austrainierten Boxers.

Alpine A390: Details in Bildern

Torque Vectoring als Geheimnis

Aufnahme des Alpine A390
Zwei Motoren an der Hinterachse, zwei mal 98,3 kW stark, zwei mal 211 Nm Drehmoment © ADAC/Wolfgang Rudschies

Ganz entscheidend für diesen gelungenen Spagat ist zum einen die Federung mit hydraulischen Anschlagpuffern, die verhindert, dass Bahnschienen, Temposchweller oder fiese Schlaglöcher hart durchschlagen. Zum anderen dass durch die beiden Motoren ein sogenanntes Torque Vectoring, eine unterschiedliche Verteilung von Drehmomenten an der Hinterachse, möglich wird. Mit den fünf verschiedenen (Fahrspaß-)Fahrmodi kann man auch die Intensität des Torque Vectoring verändern.

Alpine erklärt, dass durch diese Technik der Schlupfunterschied zwischen dem rechten und dem linken Hinterrad sowie ein etwaiges Unter- oder Übersteuern des Fahrzeugs korrigiert werde. Das System arbeitet extrem schnell, reagiert innerhalb von Millisekunden – das merkt man beim Fahren, vornehmlich beim Herausbeschleunigen aus Kurven.

Was die Topversion des Alfa Romeo Junior und der Opel Mokka GSE mit der Differentialsperre an der Vorderachse schafft, erreicht die Alpine technisch noch eleganter und feinfühliger an der Hinterachse. Beides fühlt sich unterm Strich grandios an. Und es erhöht die Fahrsicherheit.

Zum Punch des Schwergewichts-Weltmeisters lassen wir die nackten Zahlen sprechen. Beschleunigung aus dem Stand auf 100 km/h: 4,8 Sekunden. Die von uns noch nicht gefahrene GTS-Version der A390 braucht noch mal rund eine Sekunde weniger. Von solchen Beschleunigungswerten wagten Besitzer der A310 in den 70er-Jahren nicht mal zu träumen.

Knapp unter der Kante der vorderen Haube strömt übrigens der Fahrtwind durch zwei Kanäle, die oben auf der Haube einen Auslass haben. Man könnte meinen, die Luftführung diene dem Groundeffekt an der Vorderachse. Der Luftschacht ist aber einzig und allein dazu da, die Aerodynamik bzw. den Luftwiderstandsbeiwert zu optimieren. Mit Cw 0,25 ist die A390 im Konkurrenzvergleich vorn dabei.

Aufnahmen des Alpine A390
Räder in 20 und 21 Zoll, Sechs-Kolben-Festsattelbremsen© Alpine

Zum Fahrspaß trägt die ideale Gewichtsverteilung zwischen den Achsen bei (vorn 49, hinten 51 Prozent) sowie die eigens für das Fahrzeug entwickelten Michelin-Reifen im Format 20 bis 21 Zoll. Die auf hohe Leistung ausgelegten Bremsen haben Sechs-Kolben-Bremssättel und einen Scheibendurchmesser von 365 Millimeter. Für zusätzliche Sicherheit sorgen ein Rückfahr-Notbremsassistent sowie ein Ausstiegswarner für den Fall, dass beim Türöffnen plötzlich ein Fahrrad oder Motorrad von hinten angerauscht kommt.

Bedienung, Innen- und Kofferraum

Aufnahmen des Alpine A390
Mischung aus sportlich und behaglich: Innenraum der A390© Alpine

Keine Frage: Viele "Swinging Curves" und eine gewisse Behaglichkeit, die von dem gut eingerichteten Innenraum verströmt wird, machen das Fahren mit der A390 zum Spaß. Man wird verwöhnt von Alcantara und Nappaleder. Die Audioanlage genügt gehobenen Ansprüchen an Hörgenuss. Die Sportsitze geben guten Seitenhalt, werden vielen Kunden jedoch etwas eng sein.

Die von aktuellen Renault-Modellen bekannte Bedienung gibt weitgehend keine Rätsel auf. Insbesondere die "My Safety Switch"-Taste, gut erreichbar links neben dem Lenkrad am Armaturenbrett, kann man gar nicht genug loben. Hier lassen sich Assistenzfunktionen bündeln und, wenn deren Dienste nicht gewünscht sind, mit zweimaligem Drücken der Taste deaktivieren.

Tempowarner und aktiver Spurhalter bieten sich wie bei vielen anderen Modellen dafür an. Gut auch, dass bei einer Alpine die Gangwahl über Knöpfe am Mitteltunnel stattfindet und nicht per drittem Hebel am Lenkrad wie sonst bei Renault.

Mit sogenannten Widgets lässt sich die Startseite des Touchdisplays nach den persönlichen Wünschen zur Bedienung gestalten. Weitere Pluspunkte sind die physischen Regler für die Klimaautomatik. Auch die Schalter am Lenkrad zur Einstellung der Rekuperation bis hin zum One-Pedal-Driving machen Sinn.

Und für die PS-Freaks am Steuer gibt es eine rote "OV"-Taste. "OV" steht für Overtaking. Wer hier draufdrückt, bekommt für zehn Sekunden eine Extraportion Leistung. Oder man stellt mit ihr, wie im Motorsport, die Launch Control für den automatisierten Blitzstart scharf.

Aufnahme des Alpine A390
Fach unterm Kofferraum: Mehr als das Ladekabel geht nicht© ADAC/Wolfgang Rudschies

Weniger komfortabel und weniger sinnig geht es hinten zu. Erwachsene parken mit ihren Hintern so tief auf der Rückbank, dass sich die Knie auf Bauch- oder Brusthöhe befinden. Auch passen die Füße nur knapp unter die Vordersitze. Und der Mittelsitz hinten ist für eine dritte Person zu schmal.

Schaut man in den Kofferraum, mag man die angegebenen 532 Liter Volumen kaum glauben. Insofern sind wir gespannt auf den Messwert der ADAC Ingenieure, wenn das Auto zum ausführlichen Test angetreten ist. Auch das Unterfach ist eher klein dimensioniert. Mehr als das Ladekabel passt dort praktisch nicht hinein.

Elektro-Alpine mit über 500 km Reichweite

Aufnahme des Alpine A390
Weit und breit keine Ladesäule. Na und?© ADAC/Wolfgang Rudschies

Ein entscheidendes Bauteil eines Elektroautos ist immer der Akku. Und auch da macht das französische Crossover-Fahrzeug grundsätzlich eine gute Figur. Das Batteriepack hat eine Kapazität von 89 kWh, das bei nur 2,70 Meter Radstand untergebracht werden will. Die Batteriezellen stammen von Verkor in Frankreich und von LG aus Korea und enthalten einen erhöhten Anteil an Nickel. Die 400-Volt-Batterie wird zudem besonders intensiv gekühlt, damit sie unter hoher Belastung nicht geschädigt wird.

Die Reichweite des gefahrenen GT soll bis zu 551 Kilometer betragen, der Verbrauch bei 18,7 kWh pro 100 Kilometer liegen. Auf den Testrunden waren es eher 23 kWh/100 km.

ADAC Reichweitenrechner

Alpine A390 GT 295 kW (400 PS)

-10

30

50

130

Berechnete Reichweite

534km

(Reichweite laut Hersteller: 551 km)

In Sachen DC-Ladegeschwindigkeit gibt der Hersteller für den gefahrenen GT maximal 150 kW an, der GTS soll mit bis zu 190 kW laden. Bei beiden wird es darauf ankommen, wie lange die Peakleistung beim Laden aufrechterhalten werden kann. Erst anhand der aufgezeichneten Ladekurven lässt sich die jeweilige Ladeperformance dann auch beurteilen.

Für das AC-Laden ist serienmäßig ein Gerät mit 11 kW an Bord, gegen Aufpreis bekommt man auch einen 22-kW-Lader. Netzrückspeisung (V2G) mit der Alpine ist bisher nur in Frankreich möglich, für Deutschland wird es baldmöglich folgen.

Fazit: Tolles Auto, nur für wen?

Aufnahme des Alpine A390
Viel Kraft, bulliges Heck: Alpine A390© ADAC/Wolfgang Rudschies

Die Alpine A390 überrascht mit einer ungeahnten Mischung aus Sport und Komfort. Ein tolles Auto. Dennoch könnten die Verkaufszahlen enttäuschen. Denn wer eine Alpine kauft, will womöglich lieber ein kompromissloses Sportgerät in Reinform. Als Imageträger könnte sich das Auto dennoch für die Renault-Mutter bezahlt machen. Vielleicht eher noch, als es mit dem Engagement von Alpine in der Formel 1 gelingt.

Alpine A390 : Technische Daten & Preise

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