Mercedes EQV im Test: Spaceshuttle unter Strom
Mercedes peppt seinen elektrischen Großraumvan in Richtung Luxus auf. Nicht nur optisch. Vor allem das neue Cockpit hat nun eine dringend benötigte Änderung bekommen. Plus: Test des EQV vor dem Facelift.
Mercedes EQV in large und extralarge
In der Stadt rund 400 km Fahrstrecke möglich
Variabel Platz für sechs bis acht Personen und Gepäck
Elektromobilität fing ganz unschuldig an. Der Karabag 500 E, den der ADAC 2010 als allererstes E-Auto überhaupt auf seinen Prüfstand hob, wog seinerzeit nur knapp über eine Tonne. Smart fortwo, Mitsubishi i-MiEV & Co., die etwas später kamen, waren in derselben Federleicht-Klasse unterwegs.
14 Jahre später gibt es längst Batterieautos in einer ganz anderen Größenordnung. Einer der schwersten ist der Mercedes EQV, Daimlers elektrische Version der V-Klasse. Leergewicht schlappe 2,6 Tonnen. Aber er ist auch einer der nutzwertigsten E-Autos mit reichlich Raum für alles und jeden.
2020 ging der EQV erstmals an den Start, nun lässt Mercedes ihm die noble Modellpflege zuteil werden, die auch die Diesel-V-Klasse bekommt. An dem saftig hohen Verbrauch, den der ADAC in seinem Test der Erstlingsversion feststellte, ändert das zwar nichts. Vor allem im Cockpit gab es aber eine dringend nötige Erfrischung.
Mercedes EQV: Bedienung überarbeitet
Wie in der Verbrenner-V-Klasse weicht das angestaubte Bedienkonzept mit einem eher kleinen Bildschirm und einem Touchpad als Kontrolleinheit nun einem frischen Touchscreen-basierten Ansatz. Auf dem 12,3-Zoll-Bildschirm lässt sich das MBUX genannte System nun direkt und äußerst übersichtlich steuern.
Ein Beispiel: Der Tempowarner lässt sich mit Druck auf das im Touchscreen dargestellte Verkehrsschild ganz einfach abstellen, sollte er zu sehr nerven – oder penetrant auf ein falsch erkanntes Tempolimit bestehen. Man braucht also kein weiteres Untermenü oder umständliches Gesuche.
Und auch sonst findet man alle benötigten Funktionen schnell und problemlos, dabei hilft auch, dass Funktionen wie die Lautstärkeregelung immer noch über Drehrädchen möglich ist. Und wer auf Touch verzichten will, kann sogar weiter das alte Konsolenpad benutzen. Konsequenterweise hätte man dieses mit der Neugestaltung aber auch weglassen können. Neu ist ebenfalls die edle Holzoptik, die ein bisschen den Eindruck einer etwas moderneren Fernsehschrankwand vermittelt. Ansonsten ist die Materialanmutung sehr hochwertig, weiche Lederoberflächen beweisen, dass es ab jetzt nobler zugehen soll.
Behutsame optische Eingriffe
Die weiteren Neuerungen durch das Facelift muss man dann schon mit der Lupe suchen. Anders als bei der V-Klasse gibt es keine nach Ausstattungsversion variierenden Frontdesigns. Auch den erhabenen Stern über der Motorhaube spendiert Mercedes nur der Top-Ausstattung seines Verbrenners.
So sind es lediglich weniger Querstreben auf dem Kühler geworden, der EQV sieht damit ein bisschen mehr wie seine E-Auto-Kollegen aus, mit geschlossener "Black Panel"-Front mit beleuchteter Umrandung. Nur leicht retouchiert wurde das Heck mit neu gezeichneten LED-Leuchten und einem Chromzierstab mit Mercedes-Benz-Schriftzug. Einen Frunk gibt es aber weiterhin nicht.
Und so wirkt die Überarbeitung unterm Strich etwas oberflächlich. Mercedes wollte wohl sein Pulver noch nicht verschießen, bevor die neue vollelektrische "VAN.EA"-Architektur 2026 an den Start geht. Mittelgroße und große Vans bekommen dann eine eigene E-Plattform, ab 2039 soll die Neuwagenflotte dann bilanziell CO₂-neutral sein. Und so wirkt die aktuelle Überarbeitung eher wie eine Pflichtarbeit, wenn auch das neue Multimediasystem eine echte Verbesserung darstellt.
Bildergalerie: EQV im Detail
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Die Reichweite im ADAC Test
Auch bei Batterien und Antrieb ändert sich nichts. Der E-Motor läuft mit 150-kW-Spitzen- und 95-kW-Dauerleistung und im Wagenboden spendet der Lithium-Ionen-Akku mit einer Kapazität von 90 bzw. 60 kWh die Energie. Mercedes verspricht so 365 respektive 247 km (jeweils Langversion) Reichweite.
Der "alte" ADAC Ecotest-Verbrauch, der auch für die aktuelle Version repräsentativ sein dürfte, ergab happige 30,9 kWh pro 100 Kilometer bei dem Modell mit dickem Akku. Immerhin: In der Stadt, wo sich der Minibus als Shuttle gut aufgehoben fühlt, sind bis zu 400 km Reichweite möglich, sonst eher 300, auf der Autobahn noch weniger.
ADAC Reichweitenrechner
Mercedes-Benz EQV 300 lang (90 kWh) 150 kW (204 PS)
-10
30
50
130
Berechnete Reichweite
354km
(Reichweite laut Hersteller: 365 km)
Damit Van und Fahrer bzw. Fahrerin danach keine allzu lange Pause brauchen, stattet Mercedes den EQV serienmäßig mit einem wassergekühlten Onboard-Lader und einem CCS-Anschluss aus. An der Schnellladesäule eingestöpselt, zapfte das Spaceshuttle im Schnitt mit einer Ladeleistung von 93,3 kW im Test und kam so in 42 Minuten von 10 auf 80 Prozent Ladestand (Ladekurve beim Schnellladen im ausführlichen Test-PDF).
Auf die reale Reichweite hat der Fahrer großen Einfluss. Zum einen, weil er zwischen vier Fahrmodi wählen und bis in den spaßfreien, aber dafür sparsamen ECO+-Betrieb schalten kann, der mit der Leistung auch die Klimatisierung drosselt, was bei einem so großen Kasten schnell mal ein paar Kilometer bringt.
Und zum anderen, weil der EQV in der stärksten Rekuperationsstufe so stark verzögert, dass man tatsächlich mit einem Pedal fahren, die mechanische Bremse vergessen und bei jedem Ampelstopp ein wenig an Reichweite zurückgewinnen kann. Das braucht nicht nur weniger Strom, sondern macht tatsächlich Spaß, weil die automatische Bremse nicht unangenehm ruckt, sondern dynamisch gegensteuert.
Komfortabel, aber manchmal träge
In der Stadt fühlt sich der elektrische Kleinbus in Lack und Leder damit ein bisschen an wie eine S-Bahn 1. Klasse. Denn zur hohen und vergleichsweise aufrechten Sitzposition und dem vornehmen Interieur kommt noch das elektrische Fahrgefühl. Und wie alle Akku-Autos beschleunigt auch der EQV zumindest auf den ersten Metern deutlich besser und spontaner als die Verbrenner. Vom Stand weg zieht der Motor gleichmäßig und nachdrücklich los, die Beschleunigung verläuft konstant und ohne jegliches Rucken oder Ungleichmäßigkeiten.
Anders als etwa beim ebenfalls massiven Kia EV9 merkt man dem EQV sein Gewicht (zulässig sind 3,5 Tonnen) vor allem bei mehr Tempo an. Dann geht es eher träge um enge Kurven. Gerade mit der optionalen Luftfederung kann aus dieser Trägheit aber durchaus auch Komfort werden. Unebenheiten und Bodenwellen werden gut geschluckt, Kanten wie abgesenkte Kanaldeckel sind eher zu hören als wirklich deutlich zu spüren.
Mercedes EQV: Elektrischer Raumriese
Weil die Batterie komplett im Wagenboden verschwindet, gibt es genauso viel Platz und Variabilität wie in der fossilen V-Klasse. Wegen der Akkus fällt aber die Kurzversion, die es bei den Verbrennern gibt, weg. Auf dem ebenen Boden kann man Einzelsitze oder Bänke mit oder gegen die Fahrtrichtung montieren, kann jedes Möbelstück verschieben, versetzen oder ganz ausbauen – und dann jede Menge Gepäck einladen.
In der genormten Sitzkonfiguration des ADAC Tests (Sitzreihe zwei und drei sind auf 1,85 Meter große Passagiere eingestellt) beträgt das Kofferraumvolumen bis zur Scheibenunterkante beziehungsweise bis zur optionalen Laderaumunterteilung 755 Liter. Und maximal, also wenn Fondsitze oder -sitzbänke ausgebaut sind, lassen sich enorme 4785 Liter transportieren.
Obwohl Gewichtsprobleme gerade bei so großen Stromern durchaus vorkommen können, soll der EQV zeitnah mit allen möglichen Ausstattungsvarianten verfügbar sein, also auch mit den besonders komfortablen Luxus-Sitzen in der mittleren Reihe neben der sonstigen Vollausstattung.
Auf dem Dach dürfen erstaunlich hohe Lasten von bis zu 150 Kilo transportiert werden, eine praktische Dachreling gibt es optional. Eine Stützlast ist dagegen nicht erlaubt, ebenso wenig eine Anhängelast. Standard in der Basisversion sind ab jetzt zwei Schiebetüren.
Mercedes EQV: Preis
Das Preisniveau für den EQV ist Mercedes-typisch sehr selbstbewusst. Obwohl sich außer kleinen Additionen für die Basis und natürlich beim Cockpit nicht viel getan hat, kostet der EQV 250 mit kleinem Akku nun 75.300 Euro, über 4000 Euro mehr als zuvor. Die (empfehlenswertere) Langversion mit großem Akku startet bei 79.000 Euro. Durch die vielen möglichen Extras könnte die Summe aber auch leicht sechsstellig werden. Mercedes liegt damit deutlich über dem VW ID. Buzz. Mit dem will der EQV, spätestens nach dieser erneuten Absichtserklärung in Richtung Luxus, aber wohl ohnehin nicht mehr allzu stark konkurrieren.
Technische Daten Mercedes EQV
Technische Daten (Herstellerangaben) | Mercedes-Benz EQV 250 lang (60 kWh) (ab 01/24) | Mercedes-Benz EQV 300 lang (90 kWh) (ab 01/24) |
---|---|---|
Motorart | Elektro | Elektro |
Leistung maximal in kW (Systemleistung) | 150 | 150 |
Leistung maximal in PS (Systemleistung) | 204 | 204 |
Drehmoment (Systemleistung) | 365 Nm | 365 Nm |
Antriebsart | Vorderrad | Vorderrad |
Beschleunigung 0-100km/h | 10,3 s | 12,1 s |
Höchstgeschwindigkeit | 140 km/h | 140 km/h |
Reichweite WLTP (elektrisch) | 247 km | 365 km |
CO2-Wert kombiniert (WLTP) | 0 g/km | 0 g/km |
Verbrauch kombiniert (WLTP) | 27,1 kWh/100 km | 27,1 kWh/100 km |
Batteriekapazität (Netto) in kWh | 60,0 | 90,0 |
Ladeleistung (kW) | AC:11,0 DC:80,0 | AC:11,0 DC:110,0 |
Leergewicht (EU) | 2.666 kg | 2.811 kg |
Zuladung | 834 kg | 689 kg |
Garantie (Fahrzeug) | 2 Jahre | 2 Jahre |
Länge x Breite x Höhe | 5.140 mm x 1.928 mm x 1.923 mm | 5.140 mm x 1.928 mm x 1.923 mm |
Grundpreis | 58.488 Euro | 62.010 Euro |
Testbericht des Vor-Facelift-Modells
Text mit Material von Thomas Geiger