10 Jahre Elektroauto: Die Fortschritte der Technik
Zwischen den ADAC Autotests des Elektro-Pioniers Karabag 500 E und des heutigen VW ID.3 liegen genau zehn Jahre. Und der Vergleich macht deutlich, welche beachtlichen Technik-Sprünge der Elektroantrieb inzwischen gemacht hat.
Der Karabag 500 E war ein umgebauter Fiat 500
Im Vergleich: der Bestseller VW ID.3
Größte Fortschritte bei Reichweiten und Preisen für Batterien
Für viele Autofahrer kommt auch heute noch kein Elektroauto zum Kauf infrage: Die Technik ist noch nicht ausgereift, zu geringe Reichweite, wenig alltagstauglich – das sind nur einige Argumente der Verbrenner-Verwöhnten.
Doch blickt man rund zehn Jahre zurück, zeigt sich, welche enormen Fortschritte die Technik der Elektroautos inzwischen gemacht hat: Zwischen der Praxistauglichkeit eines VW ID.3 und der des Karabag 500 E, dem allerersten vom ADAC getesteten Elektroauto, liegen Welten. Der Karabag war ein nachträglich umgebauter Fiat 500, der im Dezember 2009 erstmals in Deutschland eine Zulassung für den öffentlichen Straßenverkehr bekam.
Karabag 500 E: Ein umgebauter Fiat 500
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Der Bedarf eines solchen Umbaus ergab sich aus der Tatsache, dass die politische Diskussion über Elektroautos als Antrieb der Zukunft mehr und mehr in den Vordergrund rückte. Das Ziel lautete: Deutschland sollte zum Leitmarkt und Leitanbieter für Elektroautos gemacht werden. Es gab jedoch ein Problem: Keiner der etablierten Automobilhersteller hatte zu dem Zeitpunkt ein batteriebetriebenes Auto im Modellprogramm.
Einzige Ausnahme, woran man sich orientieren konnte, war der Tesla Roadster aus den USA – ein Umbau eines Lotus Elise im Auftrag von Elon Musk. Der war mit 100.000 Euro aber erstens viel zu teuer und zweitens nicht das, was Wissenschaft und Politik unter einem ökologisch sinnvollen Fahrzeug verstanden.
Elektro-Pioniere im Jahr 2010
Als ökologisch sinnvoll und zukunftsweisend galten kleine Autos für die Stadt und den Privatverkehr sowie emissionsfreie Lieferwagen und Transporter für den gewerblichen Einsatz. Solche Fahrzeuge waren gesucht, um sie in Projekte der acht Modellregionen in Deutschland zu schicken, wo sie unter wissenschaftlicher Begleitung ihre Alltagstauglichkeit demonstrieren sollten.
Den Umbau des Fiat 500 führte die italienische Firma Micro-Vett durch. Und das bedeutete eine höchst aufwendige Totaloperation: Motor, Kühler, Schaltgetriebe, Auspufftrakt und sämtliche Nebenaggregate, die im Elektroauto überflüssig sind, mussten raus. Lithium-Ionen-Batterie, Steuerungselektronik und so weiter rein. Speziell für den Akku einen geeigneten Platz zu finden, stellt bei einem Umbau ein Problem dar.
Die technischen Eingriffe hatten gravierende Folgen, denn nach der OP war der Fiat 500 offiziell kein Fiat mehr. Sowohl die Fiat-Werksgarantie als auch die Betriebserlaubnis waren erloschen. Das Problem löste die Hamburger Firma Karabag. Sie verschaffte den Autos gemeinsam mit dem TÜV Süd die Betriebserlaubnis und eine Zulassung. Drei Exemplare wurden in den Fuhrpark des ADAC aufgenommen.
Karabag-Test: Kein Komfort, geringer Verbrauch
Im Sommer 2010 stand es da, das Erprobungsfahrzeug für den Alltag. Wert des Karabag 500 E: über 60.000 Euro, im Leasing für 899 Euro pro Monat incl. Strompaket zu haben. In der September-Ausgabe der Motorwelt wurde das Ergebnis des ersten ADAC Elektroautotests präsentiert. Das Urteil der Tester war allerdings ziemlich vernichtend: "Auf Komfort und auf Sicherheit muss man verzichten. Der Preis von 60.878 Euro ist für das Gebotene absolut nicht gerechtfertigt.“
Bei der Verbrauchsmessung hingegen – das wird sich im Vergleich mit späteren Messwerten anderer Modelle herausstellen – war der Karabag erstaunlich gut: 14 kWh pro 100 Kilometer. Im ADAC Test wurde übrigens der entsprechende CO₂-Wert schon damals von der Quelle bis zum Rad (Well-to wheel) ermittelt – also inklusive der CO₂-Emissionen bei der Produktion des Stroms im Kraftwerk.
Im Blick auf die aktive Sicherheit sah es jedoch düster aus für den Karabag 500 E. Beim originalen Fiat 500 konnte man das elektronische Stabilitätsprogramm ESP wenigstens gegen Aufpreis bestellen. Diese Option bot der 500 E nicht: Geriet der Elektro-Kleinstwagen ins Schleudern, war der Fahrer sich selbst überlassen.
Aber auch der Alltagsnutzen des Karabag 500 E zeigte sich stark eingeschränkt. An Reichweite waren selten mehr als 100 Kilometer drin. Die (benzinbetriebene!) Heizung brauchte etliche Minuten Vorlauf, bis sie warme Luft in den Innenraum blies. Einen Lkw zu überholen, war ob der mangelnden Leistung und der auf 105 km/h limitierten Geschwindigkeit häufig so gut wie unmöglich. Und berührte man versehentlich den Schalthebel auf der Mittelkonsole, wenn man an der roten Ampel stehend den Radiosender einstellte, konnte es passieren, dass plötzlich und unerwartet der Rückwärtsgang eingelegt war.
Im Dezember 2010 kommt dann übrigens der Mitsubishi i-MiEV auf den Markt, das erste moderne Elektroauto eines etablierten Autoherstellers. Doch sehr viel besser ist es auch nicht: Zwar bietet der kleine, schmale Wagen die gebotene Fahrsicherheit (ESP), aber die Reichweite ist mit etwa 100 Kilometern sogar geringer. Nur beim Preis ist der Mitsubishi i-MiEV deutlich überlegen: Mit einem Prospektpreis von 34.990 Euro kostet er rund 25.000 Euro weniger als der teuer umgebaute Karabag 500 E.
Karabag 500 E gegen VW ID.3: Eigenschaften und Messwerte im Vergleich
Den VW ID.3 – das aktuelle Volumenmodell von Volkswagen – gibt es ab rund 32.000 Euro. Und das ist im Vergleich zu früher ein Schnäppchen. Denn für diesen Preis ist eine 45 kWh große Batterie an Bord, die den ID.3 unter idealen Bedingungen mehr als 300 Kilometer weit fahren lässt. Wer will, kann auch einen Akku mit 77 kWh Energie im Fahrzeugboden bekommen. Dann sind bis zu 550 Kilometer elektrische Reichweite drin.
Solche Akku-Reichweiten sind möglich, weil der Preis einer Lithium-Ionen-Batterie von etwa 1000 Euro pro kWh im Jahr 2010 auf heute unter 120 Euro pro kWh gefallen ist. Und weil der benötigte Bauraum für den Akku inzwischen bedeutend kleiner geworden ist.
Hohe Fahrsicherheit, Platz und Komfort im Elektroauto sind zu Selbstverständlichkeiten geworden. Darüber hinaus bietet der elektrische Wolfsburger wichtige Ausstattungsdetails wie einen Notbremsassistenten, automatische Spurführung, den Spurwechselassistenten, Parkhilfen, Verkehrszeichenerkennung, ein modernes Navigationssystem mit Routenführung zur nächsten freien Ladesäule und vieles mehr. Das Fahrzeug ist außerdem über Mobilfunk ständig mit der Außenwelt vernetzt und kann über pWLAN eigenständig andere Verkehrsteilnehmer vor Gefahrensituationen warnen.
Volumenmodell: Der VW ID.3
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Während der Karabag eine benzinbetriebene Standheizung eingebaut bekam und nicht mal über eine Klimaanlage verfügte, kann man es im VW wohlig warm oder angenehm kühl haben – im Stand, während der Fahrt, wann immer man will, solange genug Strom in der Batterie ist. Die Sitze, die Spiegel, die Fenster bewegen sich elektrisch gesteuert, für die Vordersitzlehnen gibt es sogar eine Massagefunktion.
Der ID.3 bietet in allen Versionen einen ordentlichen Fahrkomfort, in der Topausstattung sogar adaptive Dämpfer. So oder so ist man bequem und bei Bedarf auch richtig flott unterwegs – kein Wunder bei Motorleistungen zwischen 150 und 204 PS. Das Drehmoment liegt in beiden Fällen bei 310 Nm und ist somit mehr als ausreichend.
Aufgeladen werden kann der ID.3 nicht nur über die Haushaltssteckdose oder per 11-kW-Wechselstrom-Wallbox, sondern auch an der Gleichstromladesäule mit bis zu 100 kW. Dann ist der Akku auf der Langstreckenfahrt während einer halbstündigen Kaffeepause nahezu wieder voll geladen.
Fazit
Die Fortschritte beim Elektroauto in nur zehn Jahren sind beachtlich. Der Karabag 500 E war 2010 ein Auto voller Kompromisse und ein Sinnbild für den Stand der damaligen Elektromobilität: zu lahm, zu kompliziert, zu wenig Reichweite, zu langsam beim Laden und viel zu teuer. Kurzum: Einfach ungeeignet für den durchschnittlichen Autofahrer und dessen Anforderungen.
Sieht man sich jedoch aktuelle Elektroautos und ihre Eigenschaften genauer an, existieren viele der ursprünglichen Nachteile nicht mehr. Beim Antriebskomfort haben sie sogar Autos mit Verbrennungsmotor überholt, obwohl die sich über die Jahre auch verbessert haben.
An das Laden der Batterie innerhalb einer halben Stunde war beim 500 E seinerzeit nicht zu denken. Nur das Problem der höheren Anschaffungskosten ist noch nicht aus der Welt. Zurzeit wird der Aufpreis noch durch die staatlichen Subventionen kaschiert. Doch es ist wohl keine dauerhafte und sozialverträgliche Lösung, dass die Allgemeinheit bis zu einem Drittel des Fahrzeugpreises mitfinanzieren muss.
Fachliche Beratung: Martin Ruhdorfer