Lucid Gravity: Elektro-SUV ohne Kompromisse

Bei Reichweite und Batterietechnik ist das Start-up Lucid Motors ganz vorn dabei. Doch vom Massenmarkt sind die Amerikaner noch meilenweit weg. Das erste SUV der Marke, der Lucid Gravity, soll das nun ändern. Erste Testfahrt.
Luxus-SUV mit Elektroantrieb und sieben Sitzen
Großzügige Platzverhältnisse und hochwertige Ausstattung
Reichweite bis zu 700 Kilometer
Elektroautos aus Amerika - da denkt jeder gleich an Tesla. Doch eine andere US-Firma hat sich längst in Stellung gebracht: Die Marke Lucid unter der Führung von Interims-Chef Marc Winterhoff. Vor nicht einmal zehn Jahren von frustrierten Tesla-Mitarbeiten mit Geld aus Saudi Arabien gegründet, hat das Start-up 2021 bereits mit der Limousine Lucid Air für reichlich Wind gesorgt.
Lucid Gravity zum Preis von 130.000 Euro

Und jetzt, mitten in der Musk-Misere, schiebt ein strahlender CEO Winterhoff mit dem Gravity ein SUV hinterher und will damit die transatlantische Stimmung wieder heben. Genau wie der Air wird zwar auch der robuste Raumkreuzer kein Schnäppchen, wenn er zum Marktstart im späten Sommer 2025 über den Atlantik kommt. Was der Lucid exakt kosten wird, steht noch nicht ganz fest. In der Startversion Grand Touring wird er aber wohl um die 130.000 Euro kosten und später auch mit dem Basismodell nur knapp unter 100.000 Euro fallen.
Damit ist er noch einmal deutlich teurer als die bei uns ebenfalls schon schwer verkäuflichen Kia EV9 und Hyundai Ioniq 9, die zu den wichtigsten Konkurrenten neben dem teuren Mercedes EQS SUV zählen. Doch einmal mehr bieten die Amerikaner dafür auch mehr Leistung für Antrieb und Akku als die Konkurrenz und einen angenehm dezenten Auftritt.
5,03 Meter wirken erstaunlich schlank
Wo andere SUV gerne den Dicken machen, tritt der Gravity trotz seiner 5,03 Meter deshalb ähnlich schlank und filigran auf wie der Air und rühmt sich eines in dieser Klasse konkurrenzlosen cW-Wertes von 0,24. Zugleich verkneift er sich die überbordenden LED-Spiele vieler chinesischer Konkurrenten und das Lametta, das die Europäer gerne an ihre Autos hängen. Von rustikalen Plastik-Planken ganz zu schweigen. Weil er obendrein deutlich flacher ist als die meisten Oberklasse-SUV, sieht er fast aus wie ein Van und beschwört Erinnerungen an die selige Mercedes R-Klasse herauf.

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Der Kofferraum ist riesig
Innen gibt es eine Landschaft aus Lack und Leder, die zwar bei allem Premium-Anspruch nicht ganz die Perfektion von Audi & Co lebt. Aber reichlich Platz bietet und die Variabilität eines Vans. Schließlich montieren die Amerikaner schon jetzt eine elektrisch verschiebbare und asymmetrisch geteilte Dreierbank in die Mitte und wollen bald auch Einzelsitze anbieten.
Dank mehr als drei Metern Radstand und betont schlanker Sitze fahren Erwachsene selbst in der dritten Reihe noch halbwegs bequem und mit bis zu 3200 Litern Kofferraum taugt der Gravity auch als Umzugslaster. Und da sind die über 200 Liter Frunk unter der Fronthaube, der beim Picknick mit entsprechenden Polstern auch zur Parkbank wird, noch gar nicht mitgerechnet.
Schnelles Laden und 700 km Reichweite
Das größte Pfund der Amerikaner sind aber einmal mehr ihr Antrieb und vor allem ihre Akkus. Wo sich die Konkurrenz bisweilen noch nach dem 800 Volt-Standard strecken muss, haben die Zellen bei Lucid eine Spannung von 926 Volt und können damit schneller Laden als alle anderen. Bis zu 400 kW Spitzenleistung verspricht Technik-Chef Eric Bach und kommt so in den USA im besten Fall auf 200 Meilen in kaum mehr als zehn Minuten Ladezeit. Bei uns dürften daraus 400 Kilometer in weniger als einer Viertelstunde werden. Wobei man das allerdings nur selten ausprobieren muss. Denn bei einer Kapazität von 123 kWh liegt der Aktionsradius deutlich über 700 Kilometer.
Rasante 270 km/h in Lucids Elektro-SUV

Der Powerpack speist zwei Motoren, die im Grand Touring hinten 600 und vorne 228 PS haben und zusammen auf ein irrwitziges Drehmoment von 1232 Nm kommen. Obwohl der Gravity knapp an den drei Tonnen kratzt, stellt er die Nackenmuskeln seiner Insassen mit einem Sprintwert von 3,6 Sekunden auf eine bisweilen schmerzhafte Probe und wo die meisten Konkurrenten spätestens bei 200 Sachen den Stecker ziehen, schafft der Ami irrwitzige 270 km/h. Kein Wunder, dass Lucid-Chef Winterhoff gerne vom „Supercar unter den Siebensitzern“ spricht.
Zwar wird einem beim Kickdown Angst und Bange, so explosiv ist die Beschleunigung. Doch hält der Gravity seine Kraft erstaunlich gut im Zaum. Serienmäßig mit einer rasend schnellen Luftfederung ausgestattet und mit einer Hinterachslenkung auf Handlichkeit getrimmt, gleitet er deshalb nicht nur schnell über die linke Spur, sondern schnürt sportlich und präzise über kurvige Nebenstraßen durchs kalifornische Küstengebirge. Und sobald man sich an das eckige Lenkrad gewöhnt hat, manifestiert sich im Gesicht des Fahrers ein elektrisiertes Lächeln.
Scheitern die Amis an Preis und Vertrieb?
Ein zurückhaltendes Design, viel Platz im Innenraum, eine schier konkurrenzlose E-Technik und herausragende Fahrleistungen: Einmal mehr düpiert Lucid damit nicht nur Elon Musk, sondern gleich auch die restliche Auto-Elite. Aber einmal mehr werden die Amerikaner wohl wieder an ihren hohen Preisen, ihrer geringen Bekanntheit und einem mit vier so genannten Studios für Deutschland mehr als löchrigen Vertriebsnetz scheitern.

Oder vielleicht doch nicht? Natürlich wissen Winterhoff, Bach und ihre Kollegen, dass sie mit teuren Technologie-Highlights zwar Aufmerksamkeit erzeugen können, aber kaum Umsatz. Und dass sie Masse brauchen, wenn sie endlich aus den Miesen kommen wollen. Deshalb erzählt das Management nicht nur von neuen Märkten und neuen Händlern, die an Bord kommen sollen. Sondern bei der Führung durchs Hauptquartier im Silicon Valley stehen wie zufällig die ersten Prototypen eines Mittelklasse-Modells herum, mit dem Lucid 2027 aus der Nische stürmen und sich dann vollends zur Tesla-Alternative mausern will.
Text: Thomas Geiger
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