GWM Wey 03 im Langzeittest: Der große Unbekannte
Bei neuen, noch unbekannten Marken aus China sind deutsche Autokäuferinnen und -käufer häufig skeptisch. Zu recht? Das will die ADAC Redaktion herausfinden und hat den Plug-in-Hybriden Wey 03 der Marke Great Wall Motor (GWM) für einen Langzeittest ausgewählt.
Die neuen chinesischen Marken stürmen den europäischen Markt mit kleinen Billigautos? Von wegen. Mit den meisten Fahrzeugen bewegen sich die Asiaten hierzulande eher im höherpreisigen Segment und wollen zeigen, was sie können. Das ist auch bei dem Mittelklasse-SUV Wey 03 von Great Wall Motor so.
Optisch und technisch zeigt er sich selbstbewusst, ist sehr gut ausgestattet und als Plug-in-Hybrid mit einer ungewöhnlich großen Antriebsbatterie (34 kWh) gesegnet. Mit ihr soll er 130 Kilometer rein elektrisch fahren können, sodass im Alltag die meisten Fahrten ohne den Verbrenner zu schaffen sein sollten.
Für den Antrieb sorgen bei der getesteten Version mit Frontantrieb ein 120 kW/163 PS starker Elektromotor und ein 2,0-Liter-Turbobenziner mit 120 kW/163 PS. Systemleistung: stolze 270 kW/367 PS. Und das zum Preis ab 47.900 Euro, die getestete "Luxury"-Version kommt auf 51.900 Euro (Stand Oktober 2024). Ein vergleichbarer, aber schlechter ausgestatteter VW Tiguan Plug-in-Hybrid kostet rund 6500 Euro mehr.
Wie sich der Wey 03 im Alltag bewährt, will die ADAC Redaktion herausfinden. Hier kommt das Langzeittest-Tagebuch, das stetig erweitert wird.
+++ 16.10.2024 +++
Das erste Date. Da steht er nun also, unser Wey 03. Und wie es immer so ist beim Erstkontakt: Man muss sein Gegenüber erst mal abtasten. Was ist das für ein Typ? Ist er mir sympathisch? Können wir uns riechen? Mit seiner Statur von fast 4,70 Meter Länge und 1,73 Meter Höhe ist der Wey 03 zwar nicht riesig, aber doch eine durchaus stattliche Erscheinung. Der große Kühlergrill und die auffallenden Kühllufteinlässe an der Front demonstrieren einiges an Selbstvertrauen. Und ja, auch seine inneren Werte muss der Plug-in-Hybrid nicht verstecken.
Trotzdem funkt es erst einmal überhaupt nicht. Denn als ich einsteige, dringt mir ein unangenehmer Geruch in die Nase. Losziehen mit dem neuen Kumpel kostet Überwindung. Mal sehen, ob eine Beziehung daraus werden kann. wr
+++ 17.10.2024 +++
Der Morgen danach. Jetzt sieht die Bilanz schon ein bisschen besser aus. Man hat die erste gemeinsame Tour hinter sich gebracht und einander ein wenig kennengelernt. Der Geruch im Innenraum ist zwar nicht komplett verschwunden, aber deutlich reduziert. Besonders beeindruckt hat mich das digitale Kamerabild, das mir der Chinese am Abend beim Rückwärtsfahren gezeigt hat. Es lieferte selbst im Stockdunkeln ein superklares Bild. Auch der Sichtbereich ist top, weil sehr breit.
Heute morgen kommt mir das Fahrwerk des Wey etwas übertrieben hart abgestimmt vor. Auch nervt mich zusehends das Gebimmel, Gepiepse und die häufigen Tempo-Ermahnungen der Assistenten, wenn man mal gerade ein oder zwei km/h zu schnell ist. Folglich treffe ich die Entscheidung, die Geräusche schon im Ansatz zu ersticken, indem ich die entsprechenden Systeme deaktiviere. Jetzt und in Zukunft, bei jedem Start wieder von Neuem.
Dass diese nervigen Assistenten bei modernen Autos Usus sind, tröstet mich überhaupt nicht. Ich will mich an diese Art der Bevormundung einfach nicht gewöhnen. Das Auto soll mir nur im äußersten Notfall sagen, was ich zu tun oder zu lassen habe. wr
+++ 22.10.2024 +++
Energieverbrauch. Nach einer Woche Beziehungsaufbau hat sich schon eine ganze Menge Gewöhnung eingestellt. Verwundert bin ich seit Tagen über die Anzeige zum Energieverbrauch des Plug-in-Hybrids. Auf der Kurzstrecke mit geladenem Akku rechnet der Bordcomputer einen kombinierten Verbrauch von 0,9 Liter und 4,9 kWh pro 100 Kilometer hoch. Nach einer Autobahnetappe von 167 Kilometern (ohne Zwischenladung) will das Auto 2,9 Liter und 3,8 kWh pro 100 Kilometer konsumiert haben.
Nach 125 Kilometern Fahrt über die Landstraße (ebenfalls ohne Zwischenladung) zeigt das Display 1,0 Liter und 4,3 kWh als Durchschnittsverbrauch an. Diese Werte können nicht richtig sein, sie sind völlig neben der Kappe.
Die gute Nachricht: Der Wey 03 schafft es tatsächlich, die elektrische Reichweite von 130 Kilometern zu erzielen. Auch wenn der Verbrennungsmotor sich hin und wieder mal für eine kurze Beschleunigungsphase hat zuschalten müssen. Das zu beeinflussen, hat natürlich jeder selbst in der Hand. Man kann sich zurückhaltend beim Gas geben und muss auch nicht elektrisch 140 km/h schnell fahren auf der Autobahn. Aber – und das ist super – man kann! Das Elektro-Potenzial verdient ein großes Kompliment. wr
+++ 4.11.2024 +++
Laden, laden, laden. Wer das Potenzial an Kraftstoffeinsparungen sowie an CO₂-Reduktion seines Plug-in-Hybrids voll nutzen will, muss den Akku seines Fahrzeugs so oft wie möglich aufladen. Beim Pendeln zwischen Wohnort und Arbeitsplatz funktioniert das bequem und perfekt, wenn man zumindest bei einem der Standorte eine Wallbox oder eine Wechselstrom-Säule (AC) zur Verfügung hat.
Die üblichen vier bis acht Stunden Stehzeit des Autos reichen auf jeden Fall aus, den Akku wieder bis zum Rand mit Strom aufzufüllen. Insofern ist es auch okay, dass der Wey 03 beim AC-Laden maximal 11 kW Ladeleistung zustande bringt.
Erfreulicherweise lässt sich der Wey 03 aber auch an einer Gleichstrom-Säule (DC) aufladen. Um den Wey 03 dort anschließen zu können, besitzt er eine dicke CCS-Steckerbuchse. Heute will ich mal ausprobieren, wie schnell er damit lädt. Bis zu 50 kW seien an Ladeleistung möglich, sagt der Hersteller. Das schafft der Plug-in heute nicht ganz, wenn ich es richtig gesehen habe. Über 35 kW kommt die Ladeleistung nicht hinaus. Aber immerhin. Auch das ist ein ziemlich guter Wert für einen Plug-in. wr
+++ 22.11.2024 +++
"Selbstverständlich konnte man zu keinem Zeitpunkt wissen, ob man gerade beobachtet wurde. Wie oft und in welcher Form sich die Gedankenpolizei bei jemandem einklinkte, war reine Mutmaßung. Es war sogar denkbar, dass sie alle Menschen durchgängig überwachte. In jedem Fall konnte sie sich bei dir einklinken, wann immer sie wollte." (George Orwell, '1984')
Unter ständiger Beobachtung. In modernen Autos steckt stets eine Kamera, die überwachen soll, ob der Fahrer müde oder unaufmerksam ist. In westlichen Fabrikaten sind die Kameras so gut versteckt, dass man von ihnen keine Notiz nimmt. Der chinesische Hersteller Great Wall Motors geht damit anders um, er platziert das Gesetzes-Auge unübersehbar an der A-Säule links vor dem Fahrer.
Aber der damit verbundene Algorithmus nervt beim Wey im Gegensatz zu dem in einem BMW oder Mercedes ungemein. Denn während sich deutsche Hersteller sehr zurückhalten mit Warnhinweisen, mahnt der Wey den Fahrer allzu oft, aufmerksam(er) zu sein. Und das erstens mit einer ziemlich unfreundlich intonierten Stimme, zweitens sehr oft auch zu Unrecht. Zum Beispiel weil man mal einen Wimpernschlag zu lang aus dem Seitenfenster geschaut hat.
Vielleicht stört das die Menschen in China nicht, Europäer empfinden es als maßlose Bevormundung. Und wissen wir, was mit den erhobenen Daten noch alles passiert?