Yamaha XSR900 GP im Fahrbericht: Retro trifft Nische
Auf Basis der XSR900 hat Yamaha Hervorragendes vergangener Zeiten mit dem Guten von heute verbunden und so die XSR900 GP auf ihre zwei Räder gestellt. Die ist alles, nur keine graue Maus. Fahrbericht, Bilder, technische Daten und Preis.
Beeindruckendes Fahrwerk
Sehr ungewöhnliches Design
Umfangreiches Elektronikpaket
Der Lack ist ab von der Rennstreckenlegende Estoril unweit von Lissabon: Die Farbe der Tribünen blättert, die Natur wuchert und erkämpft sich so manchen einst betonierten Quadratmeter zurück. Geschichte sind auch die legendären Rennerfolge von Eddie Lawson und Wayne Rainey. Die beiden wurden zwischen 1985 und 1993 auf Yamaha fünfmal Motorradweltmeister der Klasse über 500 Kubik.
An diese goldenen Zeiten will Yamaha mit der XSR900 GP erinnern; das neue Retro-Sportbike steht für die gesamte Ära. Die Neunhunderter mit dem bekannten Yamaha-Dreizylinder (87,5 kW/119 PS) ist kein Fahrzeug für die Rennstrecke. Sie ist als sportliches Landstraßenmotorrad konzipiert, das freilich auch auf einem Rundkurs herrliches Oldtime-Rennfeeling aufkommen lässt und den Fans rund 13.500 Euro (ohne Nebenkosten) wert sein soll.
Im Test: 120-PS-Motor
Angetrieben wird die jüngste XSR vom renommierten CP3-Motor: Drehmomentstark ist er, drehfreudig ebenfalls, dazu liegt er mit knapp 120 PS in einer Leistungsklasse, die im Straßenverkehr angemessen erscheint. Zudem läuft der Triple kultiviert, hat Dampf in jeder Lebenslage und ist hinreichend sparsam. Ganz zweifellos ist dieses Triebwerk, das sowohl in der MT-09 wie auch in den diversen Tracer9-Versionen zum Einsatz kommt, eines der besten, die der Markt seit Jahren offeriert. Kombiniert wird es mit dem Chassis der 2022 erschienenen XSR900, damals ebenfalls als "Sport Heritage" lanciert.
Top-Federelemente und -Bremsanlage
Der Aluguss-Brückenrahmen ist ein Kunstwerk, leicht und bis ins letzte Detail perfekt gestaltet und verarbeitet. Ergänzt wird er in der neuen GP durch Kayaba-Federelemente, die im Straßenverkehr keine Wünsche offenlassen: Sie sind in allen Parametern individualisierbar und von hoher Qualität. Das gilt in gleicher Weise für die Nissin-Dreischeibenbremsanlage, die von einem Brembo-Radialbremszylinder angesteuert und, natürlich, von einem kurventauglichen ABS kontrolliert wird.
Auch die Reifen in gut gewählter Dimensionierung tragen ein Qualitätssiegel. Nicht überzeugen können dagegen die Reifenventile; sie sind nicht abgewinkelt, was die Luftdruckkontrolle erschwert.
Bilder: Die Yamaha XSR900 GP im Detail
1 von 3
Schwingen wir also das rechte Bein über den kantigen Sitzbankhöcker, der im Normalbetrieb den Soziussitz verdeckt und charakteristisch für die Rennboliden der 1980er- und 90er-Jahre ist. Der gemäßigte Stummellenker trägt zur sportlichen Sitzhaltung bei. Der Sitz ist bequem geformt, die Fußrasten sind höher und weiter hinten montiert, die Lenkergriffe weiter vorn und tiefer platziert als bei der bekannten MT-09, der Ausgangs-Yamaha.
Gegenüber dieser wurde die Schwinge übrigens um 5,5 Zentimeter verlängert. Ausgiebige Touren werden von jenen problemlos verdaut, die regelmäßig ihre Yoga-Übungen absolvieren. Denn Nacken, Handgelenke sowie Hüfte und Knie stecken jenseits der 50 nicht mehr alles gern weg. Aber für stimmungsvolle Ausflüge und flottes Wedeln auf kurvenreichen Strecken mit gutem Asphalt ist die Sitzposition stimmig; der Windschutz ist okay, der Knieschluss am Tank gut.
Moderne Connectivity
Der Blick ins Cockpit macht uneingeschränkt Freude: Die Verkleidung ist mit Splinten an einer filigranen Stahlrohrkonstruktion gesichert, die Gabelkappen sind gedrillt. Schalter und Hebel entsprechen dagegen dem jüngsten Yamaha-Standard. Das gilt ebenso für die IMU-basierte Fahrassistenz-Elektronik samt Wheelie- und vielfach regelbarer Traktionskontrolle sowie für das gut ablesbare TFT-Display. Es beherrscht alle Konnektivitäts-Gimmicks, zeigt in Verbindung mit einem gekoppelten Smartphone auf der Basis von Garmin Street Cross sogar die zuvor ausgewählte Strecke als Karte an.
Nutzt man diese Technik nicht, präsentiert das Display einen großen, halbrunden Drehzahlmesser; auch dies ein stilistischer Leckerbissen. Umständlich ist allein die Installation des Smartphone-Kabels am serienmäßigen USB-C-Port: Er liegt unter einer Cockpit-Abdeckung, deren drei Clips mit Werkzeug gelöst werden müssen.
Motorrad und Roller: Neuheiten, Tests, Fahrberichte
Von Aprilia bis Zontes: Über 180 Tests, Fahrberichte, Neuvorstellungen
Vorschau 2024: Motorradneuheiten und Rollerneuheiten
Bikes für Autofahrerinnen und -fahrer: Die große 125er-Übersicht
Vorschau: Neue Elektroroller 2024
Daten zu über 500 aktuellen Modellen: ADAC Motorradkatalog
Das Fahren selbst ist eine Freude: Der Motor beherrscht alle Spielarten aus dem Effeff, das Fahrwerk reagiert feinfühlig, die Bremswirkung überzeugt genauso wie die Stabilität in Kurven und auf der Autobahn. Weil all das für eine Yamaha nicht überraschend ist, imponiert umso mehr der Mut des Herstellers, ein solches Nischenmotorrad auf die Räder zu stellen. Denn aller Voraussicht nach wird die XSR900 GP nicht auf Tausende von Verkäufen pro Jahr kommen. Nicht deshalb, weil ihr Preis von 13.500 Euro zu hoch wäre; er erscheint absolut angemessen.
Yamaha XSR900 GP: Technische Daten, Preis
Herstellerangaben | Yamaha XSR 900 GP (MTM890D) |
---|---|
Motor | 3 Zylinder, Reihenmotor, 889 ccm Hubraum, 87,5 kW bei 10000/min, max.Drehmoment 93,0 bei 7000 U/min, 4 Ventile/Zylinder, Einspritzanlage, Flüssigkeitskühlung |
Assistenzsysteme | k.A. |
Fahrwerk | Brückenrohrrahmen; mm Up-Side-Down-Telegabel, 130 mm Federweg; Zweiarmschwinge hinten, 131 mm Federweg; |
Maße | Leergewicht ca. 200 kg, zul. Gesamtgewicht 414 kg; Länge/Breite/Höhe 2160 / 810 / 1180 mm, Sitzhöhe 835 mm; Tankinhalt 14,0 l |
Bremsen | einzeln betätigt, vorne Scheibe, 298 mm, hinten Scheibe, 245 mm |
Fahrleistungen / Verbrauch | Höchstgeschwindigkeit k.A. km/h, 5 l/100 km |
Preis | 13499 Euro |
Fazit
Auch wenn sie, technisch gesehen, alltagstauglich ist, so mutet sie doch als typisches Drittmotorrad an. Und wie viele Yamaha-Fans werden sich mit einer GP so sehr exponieren wollen? Noch konsequenter kann Letzteres, wer sich den sehr stimmigen Racekit (knapp 3000 Euro) zulegt: Dann wird aus der unscheinbaren Unterflur-Auspuffanlage ein echter Akrapovič-Titanauspuff im Racedesign, dazu kommen ein Motorspoiler und diverse weitere Accessoires, die die XSR900 auf ein noch höheres Level heben.
Schön zu erleben, dass es selbst bei Großserienherstellern überzeugte "Spinner" gibt, die sich trauen, die breiten Trampelpfade zu verlassen. Aber die graue Lackierung, die hätten sie sich getrost sparen können.
Text: Ulf Böhringer/SP-X