Benelli Leoncino 800: Unkompliziert und handsam
Die Benelli Leoncino 800 ist ein Mittelklasse-Naked-Bike der chinesisch-italienischen Marke, das positiv überrascht. Ein Detail aber stört. Fahrbericht, Bilder, Daten, Preise.
Sehr gute Preis-Leistung
Einfach im Handling, gutes Fahrwerk
Optimal für Land- und Bergfahrten
Benelli: Traditonsmarke aus Italien
Der 1911 in Italien gegründete Motorradhersteller Benelli gibt Gas, seitdem die Marke von der chinesischen QJ-Gruppe übernommen wurde. So war die TRK 502 X 2021 in Italien das meistverkaufte Motorrad. Die Leoncino 800, ein Mittelklasse-Naked-Bike mit 754-Kubik-Zweizylinder kommt mit einer Leistung von 56 kW/76 PS. Es soll mit Spritzigkeit und leichter Zugänglichkeit an die ruhmreiche Vergangenheit der Marke anknüpfen.
Kurzer Rückblick: Es war die in Pesaro beheimatete Marke Benelli, die 1974 mit der 750 Sei das erste in Serie gefertigte Sechszylindermotorrad der Welt auf den Markt brachte. Ihr folgte später die 900 Sei. Auch wenn die Leoncino 800 bei Weitem nicht so exklusive Merkmale aufweist wie ihre Ahnen, so stößt sie doch in ein italienisch geprägtes Marktsegment vor.
Lange gab bei den Mittelklasse-Nakeds die Ducati Monster den Ton an. Heute müht sich dort die 800er Scrambler, und zwar zu beträchtlichen Tarifen: Eine Scrambler Icon kostet mindestens 10.560 Euro. Die Benelli Leoncino bietet Ähnliches und ebenfalls sehr Ansehnliches für unter 9000 Euro.
Design: Gefälliges Naked Bike
Es fällt schwer, am Design der Leoncino 800 etwas aussetzen zu wollen: Sie scheint "aus einem Guss" zu sein. Schwarzer Gitterrohrrahmen, dezent-matte Metallic-Lackierung, der sehnige Tank, die markante Frontmaske, die charakterstarken LED-Beleuchtungseinheiten – das Naked Bike macht zweifellos was her. Auch coole Details wie der in den Lenker eingelaserte Markenname oder der seitlich am Rahmen angebrachte Leoncino-Schriftzug verraten Liebe zum Detail. Schön gestaltet ist auch der Tankverschluss.
Suboptimales TFT Display
Ergänzend stellt das große TFT-Display ein repräsentatives Stück Technik dar. Seine Oberfläche ist gut gegliedert und weist eine gefällige Formensprache auf. Die Ablesbarkeit wird durch zu kleine Buchstaben und Zahlen allerdings beeinträchtigt. Bei praller Sonne ist zudem der Kontrast zwischen der blauen Drehzahlmesser-Einfärbung und dem schwarzen Display-Hintergrund zu gering. Kleinigkeiten, die sich leicht besser machen ließen. Das gilt auch für die ursprüngliche Bedienungsanleitung.
Im Test: 76-PS-Motor
Die genannten Kritikpunkte verblassen aber fast vollständig, wenn der Zweizylinder-Twin die Arbeit aufnimmt. Ein sehr charaktervoller, potenter und drehfreudiger Motor, dessen Entwicklung – wie auch die des gesamten Motorrads – am Firmensitz an der italienischen Adria erfolgt ist. Die Maximalleistung von 56 kW/76 PS fällt zwar erst bei 8500 U/min an, doch ist der nutzbare Bereich von 2500 bis zum Einsetzen des Begrenzers bei knapp 10.000 Touren schön breit.
Meist hält man sich in der Praxis zwischen 3000 und 7000 Umdrehungen auf, wo der Motor absolut einwandfrei arbeitet. Besonders beeindruckend ist das volle Öffnen der Drosselklappen bei mittleren Drehzahlen: Es sind wahre Brunftschreie, die aus der Ansaugbox tönen. Extrem sparsam ist die Italo-Chinesin allerdings nicht: Wir brauchten bei zügiger, aber unhektischer Landstraßenfahrt 5,1 bis 5,9 Liter E10-Sprit für 100 Kilometer, was eine Reichweite von an die 250 Kilometer ohne Nachtanken des 15-Liter-Tanks ermöglicht.
Bilder: Benelli Leoncino 800
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© Olaf Pignataro
Fahrverhalten: Ideal für Land- und Bergstraßen
Die Leoncino 800 ist mit 222 Kilogramm kein Leichtgewicht; Stahl dominiert, aber immerhin hat sie eine Leichtmetallschwinge und auch eine sehr kräftig dimensionierte USD-Gabel erhalten. Sie ist bestens austariert und lässt sich einfach fahren. Die Ergonomie ist gelungen, denn Sitz, Fußrasten und Lenker sind genau da, wo sie hingehören, um entspannt und gleichzeitig fahraktiv unterwegs zu sein. Deshalb fällt das Einlenken leicht, die Stabilität in Kurven und auch geradeaus bei hohem Tempo überzeugt. Die Federungsabstimmung ist straff, Komfort wird geliefert, dominiert aber nicht.
Ideales Terrain der Leoncino sind Land- und Bergstraßen, denn da kann die 800er richtig punkten: Die Leistung passt, die Drehfreudigkeit des Motors überzeugt, und das Fahrwerk macht alles mit. Dabei setzt sich der prägnant profilierte Pirelli-Pneu vom Typ MT 60 RS sehr gut in Szene. Auch die Dreischeiben-Bremsanlage ankert kräftig und lässt sich punktgenau dosieren. Allein die Weitenverstellung der Handhebel überzeugt nicht: Sie ist extrem schwergängig. Zu zweit möchte man übrigens nicht längere Strecken fahren, dafür ist die Sitzbank zu kurz und zu wenig anschmiegsam. Aber das sieht man der Leoncino schon im Stand an.
Benelli Leoncino 800: Technische Daten, Preis
Herstellerangaben | |
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Motor/Getriebe | Flüssigkeitsgekühlter Zweizylinder-Reihenmotor, 8 Ventile, DOHC, 754 ccm Hubraum, 56 kW/76 PS bei 8500 U/min, 67 Nm bei 6500 U/min; Einspritzung, 6 Gänge, Kettenantrieb |
Fahrleistungen | Höchstgeschwindigkeit 190 km/h, 0–100 km/h: ca. 4 s, Normverbrauch: 4,9 l/100 km, Testverbrauch 5,1 bis 5,9 Liter/100 km |
Fahrwerk | Stahl-Gitterrohrrahmen; vorne USD-Telegabel ø 50 mm, 130 mm Federweg; Leichtmetall-Kastenschwinge, Zentralfederbein, Vorspannung einstellbar, 130 mm Federweg; Aluminiumgussräder; schlauchlose Reifen 120/70 ZR 17 (vorne) und 180/55 ZR 17 (hinten). 320-mm-Doppelscheibenbremse vorne, 260-mm-Einscheibenbremse hinten |
Assistenzsysteme | ABS, zwei Fahrmodi, Antihopping-Kupplung |
Maße und Gewichte | Radstand: 1460 mm, Sitzhöhe: 820 mm, Gewicht fahrfertig: 222 kg, Zuladung: 195 kg; Tankinhalt: 15 Liter |
Preis | 8699 Euro |
Fazit: Viel Spaß fürs Geld
Unterm Strich wirkt die Benelli Leoncino 800 charakterstark: Sie ist lebendig, ohne zu nerven, zugleich lässt sie auch gelegentliches beschauliches Dahinrollen zu. Aber am meisten Spaß macht sie im forcierten Landstraßenbetrieb, wenn man ihrem drehfreudigen Triebwerk gelegentlich die Sporen geben kann.
Angesichts ihres Einstandspreises von 8699 Euro bietet sie verblüffend viel Fahrspaß fürs Geld. Und zeigt darüber hinaus, dass chinesische Motorradhersteller mittlerweile genau wissen, was in Europa gefragt ist – gute Qualität in schicker Verpackung zu günstigem Preis.
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Text: Ulf Böhringer/SP-X