"Verkehrsminister Wissing kämpft nicht genug für seinen Etat"

Motiv zum Interview mit Thomas Bareiß, Mitglied des CDU Bundesvorstand
Der CDU-Verkehrspolitiker Thomas Bareiß im ADAC Interview© ddp images/Abdulhamid Hosbas

Der CDU-Verkehrspolitiker Thomas Bareiß über Lösungen fürs Flugchaos, fehlende Ideen für die Zeit nach Tankrabatt und 9-Euro-Ticket und die neue Tempolimit-Debatte.

Bis zur Bundestagswahl 2021 trug der CDU-Politiker Thomas Bareiß, 47, als parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Regierungsverantwortung. Jetzt ist der verkehrspolitische Sprecher der Unionsfraktion ein scharfer Kritiker der Ampelkoalition.

ADAC Redaktion: Flugchaos und hohe Spritpreise belasten seit Wochen unsere Mobilität. Warum sind wir so schlecht auf Krisen vorbereitet?

Thomas Bareiß: Ereignisse wie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine konnte niemand vorhersehen. Wir müssen jetzt reagieren.

Was fordern Sie?

Was das Chaos an den Flughäfen angeht, erwarte ich mehr von der Regierung. Ich lasse nicht gelten, dass der Reisesommer quasi vorbei sei und es keine kurzfristigen Lösungen gebe. In zwei, drei Wochen kann man meiner Meinung nach viel verbessern.

Die einzige Idee der Regierung ist es, ausländische Arbeitskräfte anzuwerben. Ich glaube aber nicht, dass die schneller einsatzfähig sind als Arbeitskräfte, die schon in Deutschland sind. Es gibt über zwei Millionen Arbeitslose, da sollten sich Menschen finden lassen, die schnell anpacken. Außerdem kann man Abläufe optimieren und durch den Einsatz von neuen Technologien an den Sicherheitskontrollen schneller werden.

Wo kommen diese einheimischen Arbeitskräfte her? Viele Branchen klagen doch über Personalmangel.

Bei der Gepäckabfertigung gibt es Tätigkeiten, für die man Kräfte innerhalb von ein, zwei Wochen anlernen kann. Staat, Arbeitsagentur und Unternehmen sollten das angehen. Das ist wesentlich besser, als auf Arbeitskräfte aus dem Ausland zu hoffen, die vielleicht erst in vier bis acht Wochen in Deutschland ankommen, dann aber nur für einen begrenzten Zeitraum eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung haben. Gleichzeitig müssen wir zum Beispiel die Zuverlässigkeitsprüfungen beschleunigen.

Glauben Sie, dass die Gehälter an den Flughäfen angemessen sind?

Sicher kann man die Arbeitsbedingungen noch verbessern und dadurch die Arbeit attraktiver gestalten. Bei einem Lohn von 15 Euro pro Stunde plus Zuschläge etwa für Nachtarbeit für Gepäckabfertigung sollte man in Deutschland Arbeitskräfte finden.

Allerdings macht die aktuelle Situation um den Arbeitskräftemangel auch deutlich, dass die Ampelkoalition auf dem Holzweg ist, wenn sie sich wie geplant vom Prinzip Fördern und Fordern verabschiedet.

Nach dem Ende des 9-Euro-Tickets droht der Katzenjammer, weil viele ÖPNV-Unternehmen die Ticketpreise erhöhen oder ihr Angebot reduzieren müssen.

Thomas Bareiß, CDU

Wie bewerten Sie das 9-Euro-Ticket?

Das ist ein spannender Testlauf. Offenbar wird es mehr in Städten genutzt, dort, wo das Angebot sehr gut ist. Anders sieht es im ländlichen Raum aus. Hier müssen wir mehr investieren, um das Angebot weiter zu verbessern. Dafür fehlen jetzt die 2,5 Milliarden Euro, die das 9-Euro-Ticket kostet. Danach droht der Katzenjammer, weil viele ÖPNV-Unternehmen die Ticketpreise erhöhen oder ihr Angebot reduzieren müssen.

Also das 9-Euro-Ticket beenden und dafür mehr Geld an die Verkehrsbetriebe ausschütten?

Man hat sich keine Gedanken gemacht, wie es nach den drei Monaten weitergeht. Da gibt es kein Konzept, keine Idee. Es gibt Unternehmen, die existenzielle Probleme haben. Wie man damit umgehen will, habe ich bisher noch nicht von der Bundesregierung gehört.

Sie kommen aus einer ländlichen Region in Baden-Württemberg, dort fahren viele Menschen Auto. Haben Sie sich über den Tankrabatt gefreut?

Er geht prinzipiell in die richtige Richtung, weil der Steueranteil an Benzin und Diesel extrem hoch ist. Der Staat darf kein Krisengewinnler sein. Schon ein Anstieg auf das Preisniveau vor dem Tankrabatt wäre eine zu hohe Belastung für alle, die aufs Auto angewiesen sind. Deshalb braucht es auch hier eine Anschlusslösung.

Wollen Sie Steuern senken oder Zuschüsse zahlen?

Wir brauchen ein einfaches System, das wirkt. Untersuchungen und Vergleiche mit anderen Ländern zeigen, dass der Tankrabatt zu 80 Prozent bei den Menschen ankommt. Günstigere Preisen helfen allen, von der Familie bis zum Mittelstand. Das ist gerecht.

Nach Berechnungen des ADAC müsste der Spritpreis mit Tankrabatt niedriger sein als er derzeit ist. Was ist zu tun?

Ich will niemanden an den Pranger stellen, auch nicht die Mineralölindustrie. Bei den Preisen gibt es eine sehr hohe Transparenz. Jeder kann beispielsweise über die Drive App des ADAC herausfinden, wo Tanken gerade am günstigsten ist. Ich mache das regelmäßig. Laut Bundeskartellamt besteht zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Preis in einer Stadt eine durchschnittliche Spanne von 23 Cent. Das zeigt, wie groß das Potenzial für den Kunden ist.

Saskia Esken, SPD-Parteivorsitzende, hat sich genau wie Ihre Parteikollegin Karin Prien und der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Jens Spahn offen für ein befristetes Tempolimit gezeigt. Was halten Sie davon?

Das ist ein Vorschlag aus der Mottenkiste. Bei der heutigen Energiesituation fährt keiner mehr aus Spaß einfach mal so durch die Gegend. Die meisten Menschen bemühen sich, sparsam und effizient zu fahren. Ein Limit würde sich nur gering beim CO₂-Ausstoß auswirken. Hier kann man den Menschen Eigenverantwortung zutrauen. Wir brauchen keine Verbotspolitik.

Verkehrsminister Wissing kämpft offenbar nicht genug für seinen Etat. Das wird sich bei der Bahn, beim Radverkehr und auch bei der Straße dramatisch auswirken.

Thomas Bareiß, CDU

Bundesverkehrsminister Wissing sagt, die Bahn sei jahrelang vernachlässigt worden, und will ab 2024 ganze Trassen erneuern. Warum ist man darauf nicht früher gekommen?

Eines der Spielchen der Bundesregierung ist es zu behaupten, in den letzten 16 Jahren sei nichts passiert. Das ist gerade im Verkehrsbereich völlig falsch, die Vorgängerregierung hat viel für die Bahn gemacht: 2021 wurde erstmals mehr in die Schiene als in die Straße investiert.

Mich besorgt, dass im aktuellen Haushalt der Etat des Verkehrsministeriums massiv reduziert wird. Vom Höchststand von 41,4 Milliarden unter dem ehemaligen Verkehrsminister Andreas Scheuer ging es jetzt runter auf ca. 35 Milliarden. Das heißt, dass viele wichtige Projekte nicht realisiert werden können.

Klingt nach klassischem Schwarzer-Peter-Spiel.

Ich lege Wert auf die Tatsache, dass wir in den vergangenen Jahren sehr viel investiert haben. Herr Wissing kämpft offenbar nicht nachdrücklich genug für seinen Etat. Das wird sich in allen Bereichen dramatisch auswirken, bei der Bahn, beim Radverkehr und auch bei der Straße.

Es zeichnet sich ab, dass die EU ab 2035 nur noch Neuwagen zulassen will, die emissionsfrei angetrieben werden. Was sagen Sie dazu?

Die Entscheidung der EU-Umweltministerinnen und Umweltminister war das schlechteste Ergebnis, das man sich vorstellen kann. Denn einerseits läuft es jetzt anscheinend auf ein Verbrennerverbot hinaus, andererseits hat man ein Schlupfloch für E-Fuels gelassen.

Das sorgt für Verwirrung bei Investoren und Verbrauchern, dabei brauchen Wirtschaft und Bürger Verlässlichkeit.

Alles auf E-Mobilität zu setzen halte ich für falsch. Mit Technologie-Einschränkung lassen sich unsere klimapolitischen Herausforderungen nicht lösen.

Thomas Bareiß, CDU

Halten Sie den Fokus auf Elektromobilität für richtig?

Alles auf E-Mobilität zu setzen halte ich für falsch. Mit Technologie-Einschränkung lassen sich unsere klimapolitischen Herausforderungen nicht lösen. Wir brauchen vor allem für die Bestandsflotten E-Fuels. Und aus industriepolitischer Perspektive kann ich nicht verstehen, warum wir unsere sparsame Verbrennertechnologie aufgeben sollten.

Wir vergeben damit viele Chancen, und es wird die Mobilität teurer machen. Ein Verbrenner kann mit E-Fuels oder Biokraftstoffen langfristig auch in Teilbereichen eine sehr gute Antwort auf die anstehenden Herausforderungen sein.

Viele Autokonzerne setzen schon jetzt auf Elektromobilität. VW-Chef Herbert Diess etwa tut das auch sehr öffentlichkeitswirksam.

Es ist richtig, jetzt die E-Mobilität voranzutreiben. Ich will, dass wir in Deutschland auch in Zukunft die besten Autos bauen. Die Unternehmen sollten aber langfristig eine nachhaltige und ausgewogene Strategie verfolgen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich Vorstandsvorsitzende von Aktiengesellschaften in ihren öffentlichen Äußerungen an den Stimmungen am Kapitalmarkt orientieren.

Die Politik muss aber längere Linien im Blick haben. Volkswagen zum Beispiel sagt in Europa das eine und tut in anderen Teilen der Welt das andere. Mittelstand und Zulieferbranche haben da einen etwas anderen Blick auf die Dinge.

Die aktuelle Krise zeigt, dass wir uns nicht von einer Technologie oder wenigen Lieferanten oder einzelnen Rohstoffen abhängig machen dürfen.

Thomas Bareiß, CDU

Sie sind für den Einsatz von E-Fuels, auch beim Automobil. Kritiker weisen auf die im Vergleich zu Strom schlechte Effizienz hin. Was stimmt Sie trotzdem optimistisch, dass sich die Weiterentwicklung lohnt?

Die aktuelle Krise zeigt, dass wir uns nicht von einer Technologie oder wenigen Lieferanten oder einzelnen Rohstoffen abhängig machen dürfen. Wir brauchen eine breitere Basis.

Manche sagen ja, dass wir E-Fuels nur bei Flugzeugen anwenden sollten. Aber der ökonomische Sachverstand sagt, dass man mit Skaleneffekten, also einer höheren Produktion, auch Kostenvorteile erzielen kann.

Wie sehen Sie das geplante Ende des Umweltbonus für Plug-in-Hybride ab 2023?

Plug-ins haben ihre Berechtigung. Der Vorwurf, die Leute würden nur den Verbrennungsmotor nutzen, ist falsch. Der normale Anwender nutzt beides, gerade angesichts der aktuellen Spritpreise. Ich glaube, dass Plug-ins dazu beitragen können, dass sich die Menschen an E-Autos gewöhnen. Deshalb halte ich eine weitere Förderung für angebracht.

Die Regierung scheint auch die Förderung von privaten Wallboxen endgültig beenden zu wollen.

Ich höre von der FDP nur Beschleunigung, Beschleunigung. Ganz viele Initiativen werden angekündigt, gleichzeitig werden Programme eingestellt, und es soll weniger Geld ausgegeben werden. Die Wallbox-Förderung war ein Erfolgsprogramm. Deshalb wäre eine Vollbremsung falsch.

Die Sperrung der Talbrücke Rahmede auf der A45 hat wieder einmal deutlich gemacht, wie störungsanfällig das deutsche Autobahnnetz ist. Welche Prioritäten muss der Verkehrsminister jetzt setzen?

Wir dürfen nicht das eine gegen das andere ausspielen. Wir brauchen Straßenbau, Erhaltung von Brücken, wir brauchen neue Straßen, Ausbau, neue Umgehungsstraßen. Das muss jetzt abgearbeitet werden. Ich bin auf den neuen Haushalt gespannt. Der Minister ist gefordert, Mittel einzuholen und im Finanzministerium durchzusetzen.

Die Bundesregierung will den Verkehrswegeplan auf den Prüfstand stellen. Von welchen Kriterien sollte sie sich dabei leiten lassen? Wie sollten z.B. Klimaschutz und flüssiger Verkehr und Flächenverbrauch bei Entscheidungen gewichtet werden?

Die Bundesregierung äußert sich sehr uneinheitlich. Verkehrsminister Volker Wissing sagt: "Keine Sorge, wir machen ein paar kosmetische Korrekturen, ansonsten geht es weiter wie bisher." Die Grünen klingen ganz anders, da wird der Rotstift angesetzt und Vorhaben werden in Frage gestellt. Man muss sich am Bedarf orientieren. Darauf haben sich Kommunen und Länder verlassen.