ADAC Mobilitätsindex 2024: Wird der Verkehr in Deutschland nachhaltiger?
Mobilität und Verkehr in Deutschland müssen nachhaltiger werden. Von 2015 bis 2022 hat es zwar Fortschritte gegeben, doch zuletzt immer weniger. Das zeigt der ADAC Mobilitätsindex.
Nach der Pandemie hat sich das Mobilitätsverhalten wieder normalisiert
Der Gesamtindex des ADAC ist 2022 das zweite Jahr in Folge gesunken
Verschlechtert haben sich die Verkehrssicherheit und Bezahlbarkeit
Politik, Industrie und Gesellschaft suchen nach einer Formel für nachhaltige Mobilität. Deshalb hat der ADAC zusammen mit dem Wirtschaftsforschungsunternehmen Prognos den Mobilitätsindex entwickelt. Er macht die Nachhaltigkeit der Mobilität in fünf Dimensionen messbar – und somit sichtbar: Verkehrssicherheit, Klima und Umwelt, Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit sowie Bezahlbarkeit.
Die vorliegende dritte Veröffentlichung der regelmäßigen Untersuchung nimmt insgesamt den Zeitraum zwischen den Jahren 2015 und 2022 unter die Lupe. Der ADAC Mobilitätsindex ist also um das erste Jahr nach den massiven Restriktionen der Mobilität zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie ergänzt worden. Für Bewegung sorgte zudem der Inflationsanstieg auf Rekordniveau.
Mobilitätsindex misst Nachhaltigkeit
Der ADAC Mobilitätsindex ist eine aus vielen Indikatoren, etwa Unfallzahlen, CO₂-Ausstoß und ÖPNV-Angebot, berechnete Zahl, die die Nachhaltigkeit von Mobilität in ihren verschiedenen Dimensionen darstellt. Als Ausgangsbasis für das Jahr 2015 wurde der Wert 100 festgesetzt.
Die Index-Entwicklung der folgenden Jahre veranschaulicht auf einen Blick, ob die Nachhaltigkeit der Mobilität in Deutschland Fortschritte macht. Eine Verbesserung der Situation zeigt sich in einem Wert, der über 100 liegt. Eine Verschlechterung äußert sich in einer Zahl unter 100.
Nachhaltigkeit heißt für den ADAC, dass Mobilität unter sozialen, ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten zugänglich und verträglich sein soll. Die fünf Bewertungsdimensionen, die dafür maßgeblich sind, werden bei der Berechnung des Gesamtindex unterschiedlich stark gewichtet:
So hat sich die Mobilität entwickelt
Insgesamt ist die Mobilität in Deutschland zwischen den Jahren 2015 und 2022 nachhaltiger geworden. Nachdem der Index des ADAC bis 2019 nahezu unverändert geblieben war, stieg er ab 2020 sprunghaft auf den Wert 115 an. Vor allem drei Bewertungsdimensionen legten damals zu: Klima und Umwelt, Zuverlässigkeit sowie Verkehrssicherheit.
Nur: Fast alle Verbesserungen waren coronabedingt. Denn mehrere Lockdowns, Homeoffice und Reisebeschränkungen bremsten das Verkehrsgeschehen massiv ein. Mit dem Ende des verordneten Verzichts und der Normalisierung des Verkehrsverhaltens nahm die Nachhaltigkeit wieder ab: 2022 sank der ADAC Mobilitätsindex das zweite Jahr in Folge und erreichte den Gesamtwert 111.
In den fünf Bewertungsdimensionen sind die Entwicklungen unterschiedlich: Sie reichen von annähernder Stagnation bei Verfügbarkeit sowie Klima und Umwelt mit Indexwerten von 102 beziehungsweise 110 über nennenswerte Verbesserungen bei der Zuverlässigkeit (117) bis zu deutlichen Verschlechterungen bei der Verkehrssicherheit (107) und bei der Bezahlbarkeit (103).
Verkehrssicherheit nimmt ab
Nach einer kontinuierlichen Verbesserung der Verkehrssicherheit stellte das Jahr 2022 einen Wendepunkt dar. Für die Bewertungsdimension Verkehrssicherheit lag der Indexwert nur noch bei 107. Hauptursache hierfür war, dass nach den Einschränkungen der Corona-Pandemie wieder mehr Menschen im Straßenverkehr unterwegs gewesen sind. Noch in den beiden Jahren zuvor waren Unfälle mit Personenschäden im gleichen Maß wie der Autoverkehr zurückgegangen.
Sowohl die Zahl der im Straßenverkehr getöteten Menschen als auch der Verletzten nahm von 2021 auf 2022 erstmals seit mehreren Jahren wieder zu. Einen besonders starken Anstieg der Getöteten gab es im Radverkehr. Die Daten zeigen, dass weitere Anstrengungen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit in Deutschland notwendig sind, um die Ziele der Vision Zero zu erreichen.
Klima und Umwelt stagnieren
Der Indexwert in der Bewertungsdimension Klima und Umwelt stagnierte im Jahr 2022 bei 120. Der mit dem Anstieg des Verkehrsaufkommens verbundene höhere Energieverbrauch wurde quasi durch eine deutliche Reduzierung bei den Luftschadstoff-Emissionen kompensiert. Die anderen Leitindikatoren veränderten sich kaum. Die geringeren Luftschadstoffe waren zum kleinen Teil auf den Markthochlauf von Elektroautos zurückzuführen, vor allem jedoch auf immer mehr saubere Verbrenner-Pkw der Euro-6-Norm.
Die stabile Entwicklung der Treibhausgas-Emissionen im Verkehrssektor nach der Covid-19-Pandemie und deren scheinbare Entkoppelung vom gestiegenen Energieverbrauch waren vor allem auf unterschiedliche Berechnungsverfahren und das weiterhin niedrige Niveau nationaler Flüge zurückzuführen. Während der internationale Luftverkehr nicht in die nationale Treibhausgas-Statistik des Verkehrssektors einfließt, werden beim Energieverbrauch alle Verkehrsträger berücksichtigt.
Nach dem Klimaschutzgesetz muss Deutschland seine Treibhausgas-Emissionen im Verkehrssektor bis zum Jahr 2030 auf 85 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente reduzieren. Nach pandemiebedingten Sondereffekten wurde das Zwischenziel für den Verkehrssektor im Jahr 2022 verfehlt. Lediglich die Luftschadstoffe gehen seit Längerem zurück, was vor allem an immer saubereren Motoren liegt.
Verfügbarkeit bleibt gleich
Die Möglichkeiten, mobil zu sein, haben sich gegenüber dem Basisjahr 2015 insgesamt kaum verbessert. Das spiegelt der Indexwert für die Bewertungsdimension Verfügbarkeit wider, der im Jahr 2022 bei 102 verharrte. Die Erholung im Fernbus- und Luftverkehr nach der Corona-Pandemie führte dazu, dass sich das Angebot des öffentlichen Verkehrs in Deutschland wieder leicht verbesserte, wenngleich es immer noch unter dem Niveau von 2019 lag.
Der bei den Index-Indikatoren sichtbare Rückgang der Pkw-Verfügbarkeit je Einwohner beruhte auf einem Sondereffekt: Zwar vergrößerte sich der Pkw-Bestand weiter. Allerdings war 2022 das Bevölkerungswachstum aufgrund des Zuzugs von gut einer Million geflüchteter Menschen aus der Ukraine überdurchschnittlich. Dadurch sank die Zahl der Autos pro Kopf gegenüber dem Vorjahr.
Eine leicht positive Entwicklung war beim Zugang zur Verkehrsinfrastruktur zu verzeichnen, was auf den Ausbau des Radverkehrsnetzes zurückzuführen ist. Dagegen blieb die Länge des Straßen- und Schienennetzes in Deutschland weitestgehend konstant, wie die folgenden Daten zeigen.
Zuverlässigkeit steigt rechnerisch
Der Indexwert der Bewertungsdimension Zuverlässigkeit lag 2022 bei 117 Punkten und damit deutlich über dem Vorjahr. Dies war in erster Linie auf eine methodische Änderung bei der Ermittlung der Staukilometer auf Autobahnen für die ADAC Staubilanz zurückzuführen. Dadurch verbesserte sich der Index-Indikator für den Straßenverkehr – trotz einer erneut gestiegenen Fahrleistung in Deutschland.
Die Pünktlichkeit im Schienenverkehr verschlechterte sich 2022. Bereits im Jahr zuvor hatte sie abgenommen, weil die Fahrgastnachfrage und die Bautätigkeit gleichzeitig gestiegen waren. Diese Entwicklung setzte sich fort. Zusätzlich löste das 9-Euro-Ticket in den Sommermonaten einen großen Ansturm auf den Nah- und Regionalverkehr aus, was zu mehr verspäteten Zügen führte.
Bezahlbarkeit verschlechtert sich
Die Energiekrise infolge des Ukraine-Krieges und eine Rekordinflation verteuerten im Jahr 2022 viele Verkehrsmittel. Der Indexwert für die Bezahlbarkeit der Mobilität sank darum weiter. Während der Indikator des öffentlichen Verkehrs neue Höhen erreichte, rutschte der Indikator für den motorisierten Individualverkehr unter das Ausgangsniveau von 2015. Aufgrund der hohen Relevanz der Mobilitätsausgaben für Pkw in den Haushalten erreichte diese Bewertungsdimension insgesamt nur mehr 103 Punkte.
Die ungünstige Kombination aus anhaltenden Produktionsengpässen und steigenden Preisen wirkte sich 2022 vor allem bei der Anschaffung von Fahrzeugen und Fahrrädern aus. Auch im öffentlichen Verkehr wuchs der Kostendruck. Beim Ticketkauf machte er sich jedoch bei weitem nicht so stark bemerkbar. Verkehrsverbünde nahmen Preisanpassungen oft erst später vor, und das 9-Euro-Ticket führte zu einer vorübergehenden Verbilligung im öffentlichen Nah- und Regionalverkehr.
Vor allem die gestiegenen Weltmarktpreise für Rohöl spiegelten sich im Verbraucherpreisindex wider. Dies führte 2022 zu einer weiteren Verteuerung der Mobilität, die bereits seit Beginn der Covid-19-Pandemie aufgrund von Störungen in den Lieferketten deutliche Kostensteigerungen erfahren hatte. Mit dem Tankrabatt versuchte der Staat hier vorübergehend gegenzusteuern.
ADAC: Das muss sich jetzt tun
Die nominelle Verbesserung der Nachhaltigkeit während der Corona-Pandemie war ein Strohfeuer. Einschränkungen der Mobilität in dieser Zeit führten nicht zu strukturellen Fortschritten. Für mehr Nachhaltigkeit sind nach Ansicht des ADAC diese Handlungsschwerpunkte und -empfehlungen erfolgversprechend:
Keine Lösung ist es, vor dem Hintergrund des erlebbaren Klimawandels das Ambitionsniveau auf dem Weg zu einer nachhaltigen Mobilität herunterzuschrauben.
Der wachsende Druck, Klimaschutzziele zu erreichen, darf allerdings auch nicht zu sehr hohen Abgabenbelastungen oder Mobilitätseinschränkungen führen.
Es gilt, Lebensrealitäten anzuerkennen und realistische Einschätzungen zu treffen, die sich an der Veränderungsbereitschaft und der Veränderungsmöglichkeit der Menschen orientieren.
Nachhaltige Mobilität muss durch bessere Angebote für mehr Menschen attraktiver werden, etwa im öffentlichen Verkehr, und unabhängig vom Einkommen für alle zugänglich sein.
Fortschritte bei Verkehrssicherheit, Klima und Umwelt dürfen nicht zu Lasten der Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit und Bezahlbarkeit gehen.
ADAC Verkehrspräsident Gerhard Hillebrand
„Der ADAC steht unverbrüchlich zu den nationalen und europäischen Klimaschutzzielen und dem Beitrag des Verkehrssektors dazu. Zur Defossilisierung wie auch zu nachhaltiger Entwicklung der Mobilität insgesamt setzen wir weiterhin auf Elektromobilität und erneuerbare Kraftstoffe, auf attraktiveren öffentlichen Verkehr, sicheren Rad- und Fußverkehr, auf Digitalisierung und Vernetzung sowie – nicht zuletzt – auf die Bereitschaft von uns allen zur Veränderung. Auf dem Weg begleiten uns Herausforderungen wie die Verfügbarkeit von nachhaltigen Mobilitätsoptionen im ganzen Land und deren Bezahlbarkeit. Doch er lohnt sich.“
Gerhard Hillebrand, ADAC Verkehrspräsident©ADAC/Peter Neusser
Häufige Fragen und Antworten
Der ADAC Mobilitätsindex ist eine Kennzahl, zu der mehrere Kenngrößen verdichtet wurden. Er setzt sich aus fünf Bewertungsdimensionen zusammen: Verfügbarkeit, Verkehrssicherheit, Zuverlässigkeit, Bezahlbarkeit sowie Klima und Umwelt. Diese bestehen wiederum aus mehreren Leitindikatoren. Sowohl Bewertungsdimensionen als auch die Indikatoren wurden vom ADAC in ihrer Bedeutung gewichtet und fließen unterschiedlich stark in den Mobilitätsindex ein.
Die genaue Gewichtung der Bewertungsdimensionen haben Expertinnen und Experten des ADAC Verkehrsausschusses und des ADAC Arbeitskreises für Verkehr und Umwelt definiert. So wird die Verkehrssicherheit mit 30 Prozent am stärksten berücksichtigt, darauf folgen mit 25 Prozent Klima und Umwelt sowie mit jeweils 15 Prozent Verfügbarkeit, Zuverlässigkeit und Bezahlbarkeit.
Die Ergebnisse ermöglichen Rückschlüsse darauf, wie sich die Nachhaltigkeit der Mobilität seit dem Index-Basisjahr 2015 verbessert oder verschlechtert hat. Da das Bezugsjahr dieser Veröffentlichung 2022 ist, sind Aussagen darüber möglich, wie sich die Nachhaltigkeit der Mobilität insgesamt in Deutschland sowie in den untergeordneten Dimensionen von 2015 bis 2022 verändert hat.
Der Großteil der Daten für den Mobilitätsindex stammt aus öffentlich zugänglichen Statistiken etwa des Bundesamts für Statistik (DESTATIS), des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), des Bundes-Verkehrsministeriums und des Kraftfahrt-Bundesamts. Insgesamt wurden mehr als 1500 Datensätze recherchiert und für die Bildung der Indikatoren sowie die Analyse und die Erläuterung der aufgezeigten Entwicklungen herangezogen.
Die Entwicklung erfolgte in mehreren und aufeinander aufbauenden Schritten. Zunächst wurde definiert, welche Inhalte durch den Index abgebildet und zusammengefasst werden sollen, bevor daraus die Bewertungsdimensionen abgeleitet wurden. In den nächsten Schritten wurden Daten recherchiert und ihre Qualität geprüft, bevor über ihre Zusammenstellung und Gewichtung entschieden wurde. Abschließend wurden mehrere Qualitätsprüfungen durchgeführt.
Aufgrund der verzögerten Verfügbarkeit statistischer Daten zeigt der Mobilitätsindex die Entwicklung mit einem unvermeidbaren Zeitverzug von etwa zwei Jahren. Für die vorliegende Fortschreibung konnten Daten der Jahre 2015 bis 2022 ausgewertet werden, denn für diese Jahre gibt es den vollständigen Datenbestand für alle Index-Indikatoren. Für 2023 lagen zum Zeitpunkt der Erstellung hingegen noch nicht alle notwendigen Informationen vor.
Mit dem ADAC Mobilitätsindex gibt es erstmals eine wissenschaftliche Grundlage, womit die nachhaltige Entwicklung der Mobilität in Deutschland umfassend beobachtet und analysiert werden kann. Damit soll zur Versachlichung der in Politik und Gesellschaft kontrovers geführten Diskussionen zu diesem Thema beigetragen werden. Zugleich stellt sich der ADAC damit seiner gesellschaftlichen Verantwortung für Verkehrssicherheit, Klima und Umwelt sowie für die Zukunft der Mobilität.
Mit der Entwicklung des ADAC Mobilitätsindex wurde die Prognos AG beauftragt. Prognos ist ein unabhängiges Wirtschaftsforschungsunternehmen mit Hauptsitz in Basel. Ziel war es, zusammen mit den Expertinnen und Experten des ADAC die Veränderung der Mobilität wissenschaftlich gesichert zu ermitteln und verständlich darzustellen.
Alle Ergebnisse als Downloads
Die vollständigen Ergebnisse des ADAC Mobilitätsindex und Details zu seiner Methodik finden Sie in diesen PDF-Dateien zum Download.
Kurzbericht: Kompakte Darstellung und Einordnung der Ergebnisse des ADAC Mobilitätsindex 2024 auf Bundesebene.
Ergebnisbericht: Ausführliche Informationen zu Methodik und alle Ergebnisse auf Bundesebene und Länderebene sowie ein Ranking von Einzelindikatoren in den Bundesländern.