Harley-Davidson LiveWire: Testfahrt mit dem Elektro-Bike

Die Harley-Davidson Livewire war das erste Elektromotorrad der Marke. Diese wurde durch die technisch weitgehend identische One ersetzt. Testfahrt mit dem futuristischen Bike. Plus: Technische Daten, Bilder, Infos zu Batterie, Reichweite.
Nur noch gebraucht erhältlich, Nachfolgemodell One ist fast baugleich
Akku mit 15,5 kWh, realistische Reichweite: gut 150 km
Sehr hoher Preis
Beim Thema Elektromobilität läuft es bei Motorrad-Herstellern derzeit nicht viel anders als bei Autobauern: Engagierte Start-ups treiben die etablierten Anbieter vor sich her. Bei Pkw heißt der Angreifer bekanntermaßen Tesla. Bei den Zweirädern sind das, neben einigen Rollermarken, hauptsächlich die Italiener von Energica und die amerikanische Marke Zero, die z.B. die Zero DSR/X anbietet.
Science-Fiction-Design

Ausgerechnet die Amerikaner, deren Image auf Big Bikes im Retro-Syle mit großvolumigen Verbrennungsmotoren beruht, wollen beim Thema lokal emissionsfreie Mobilität durchstarten. Ein Motorrad, wie es die Welt noch nicht gesehen. Das wirkt, als sei es aus einem Science-Fiction-Film gefahren. Der gigantische, 104 Kilogramm schwere Akkupack präsentiert sich nackt und unverkleidet und dominiert den optischen Gesamteindruck des progressiv designten Bikes.
Der darunter hängende, von Harley selbst gebaute Elektromotor, wirkt wie ein Raumschiff-Enterprise-Antrieb im Mini-Format. Er beschleunigt die knapp 250 Kilogramm schwere Maschine in drei Sekunden auf Tempo 100. Im Vergleich zu manch anderen japanischen, italienischen oder bayrischen Big Bikes mit Verbrennungsmotor wirkt dieser Papierwert nicht einmal besonders spektakulär. Unvergleichlich aber ist die Art und Weise, wie die Starkstrom-Harley aus dem Stand loslegt. Ohne jede Verzögerung schnellt sie mit maximalen Drehmoment von dannen wie ein Düsenjäger, aber absolut mühelos, begleitet von einem mal leisen, mal lauterem Zischen oder Pfeifen.
Dieser Sound wird bei manchen Motorrad-Fans erst mal Spott hervorrufen. Aber die akustische Leichtigkeit der Kraftentfaltung gehört nun mal zu dem packenden Gesamteindruck dieser Art der Fortbewegung. Und dass Power nicht unbedingt Lärm benötigt, müssen Speed-Freaks in Zeiten elektrischer Mobilität neu lernen.
Beeindruckende Fahrleistungen

Ebenso, dass Fahrspaß und Sportlichkeit nichts mehr mit Kuppeln und Schalten zu tun haben: Ohne seine Gedanken an solche Tätigkeiten zu verschwenden oder sich um den optimalen Drehzahlbereich kümmern zu müssen, fliegt der Fahrer auf der Livewire förmlich über den Asphalt. Mit dem gewählten Modus oder Individual-Einstellung wählt er die Rekuperation, also die Energie, die das Antriebsrad im Schiebebetrieb in den Akku zurückspeist. So bremst man intuitiv – per Lösen des Drehgriffs aus dem rechten Handgelenk – in Kurven ein und beschleunigt mit einem Dreh wieder hinaus.
Für die flüssige Fahrt reicht die Bremsleistung aus, erst bei kräftigem Verzögern packt die Brembo-Anlage an den Scheiben mechanisch zu. Der niedrige Schwerpunkt kaschiert das Eigengewicht in Kurven und stärkt den Eindruck einer herausragenden Fahrmaschine. Und im Stand signalisiert der Motor mit leichtem Pulsieren, dass er wach ist, und man nicht nervös mit dem Power-Griff spielen sollte – den Motor an der Ampel aufheulen lassen, gehört zu den Vergnügungen, die ein elektrischer Reiter nicht genießen kann.
Mäßige Reichweite

Die Reichweite mit dem 15,5-kWh-Akku ist bescheiden, unterscheidet sich aber im Grunde nicht so sehr von konventionellen Harleys. Etwas mehr als 150 Kilometer gibt der Hersteller für Stop-and-go-Fahrten auf dem Highway an, sowie für den World Motorcycle Test Cycle (WMTC). Auf entspannter Langstrecke sollen es deutlich über 200 Kilometer sein. Die erste Testfahrt durch die Hügel rund um Portland, Oregon, zeigte, dass diese Werte einigermaßen realistisch sind. An der heimischen Schuko-Steckdose muss die Harley für eine volle Ladung über Nacht parken. Per CCS-Stecker an einer Gleichstrom-Schnellladesäule dauert es 40 Minuten bis 80 Prozent Ladung, und eine Stunde bis zum vollen Akku.
Motorrad und Roller: Neuheiten, Tests, Fahrberichte
Von Aprilia bis Zontes: Über 150 Tests, Fahrberichte, Neuvorstellungen
Vorschau: Motorradneuheiten 2023 und Rollerneuheiten 2023
Bikes für Autofahrer und Autofahrerinnen: Die große 125er-Übersicht
Vorschau: Neue Elektroroller 2023
Daten zu über 500 aktuellen Modellen: ADAC Motorradkatalog
Praktisches Touchdisplay und Konnektivität

Die Livewire ist mit "H-D Connect" ausgestattet, ein Konnektivitätssystem, das per LTE die Verbindung zur Harley-Davidson-App und Cloud-Services herstellt. Sie umfasst serienmäßig Funktionen wie Navigation und Tourenplanung, überträgt technische Daten für die Fahrzeugwartung und bietet dem Besitzer die Möglichkeit, das Fahrzeug aus der Ferne zu überwachen. Über dem Lenker befindet sich ein 4,3 Zoll großer Farb-Touchscreen, dessen Neigung einstellbar ist, um optimale Sicht zu ermöglichen. Die Touchscreen-Funktion ist nur bei stehendem Motorrad aktiv, zahlreiche Menüoptionen lassen sich jedoch während der Fahrt komfortabel und sicher über Joysticks am Lenker bedienen.
Technische Daten Harley-Davidson Livewire
Herstellerangaben | |
---|---|
Motor | Flüssigkeitsgekühlter Permanent-Magnet-Elektro, 78 kW/106 PS bei 11.000 U/min, Drehmoment: 116 Nm bei 0–5000 U/min |
Akku/Ladedauer | 15,5 kWh, DC-Fast-Charge: 40 min von 0 auf 80 %, 60 min von 0 auf 100 % |
Reichweite | nach WMTC: 157,7 km, nach MIC kombiniert: 234,9 km |
Fahrleistungen | 3,0 s von 0 auf 100 km/h, 177 km/h Spitze |
Gewicht | 249 kg |
Fazit: Harley-Davidson geht die Elektrifizierung konsequent an – als Teil der Strategie, Kundschaft und Image zu verjüngen. Die Amerikaner gehen davon aus, dass sogar manche der bisherigen Markenfans auf elektrisch wechseln; Kundenbefragungen haben sie in dieser Meinung bestärkt. Einkalkuliert sind auch neue Kunden und Wegbereiter der Elektrifizierung, die neben ihrem Tesla noch ein Elektro-Bike ihr Eigen nennen wollen.
Doch die Konkurrenz hat überzeugende Alternativen: So bietet Zero zum Beispiel mit dem Modell Zero SR/F ein noch stärkeres, aber deutlich preiswerteres Bike an.
Text: Marcus Efler