Akku statt Achtzylinder: Erste Eindrücke vom Mercedes EQG

Frontansicht eines im Gelände fahrenden Mercedes EQG
Dank vier E-Motoren ist der elektrische Mercedes EQG voll geländetauglich© TSCHOVIKOV

Mit der rein elektrischen Variante EQG wird selbst die urtümliche G-Klasse von Mercedes Benz "fit for future". Erste Testfahrt, Infos, Daten.

  • Vier E-Motoren sorgen für rund 1000 PS

  • Einstiegspreis: Knapp unter 200.000 Euro

  • Erster Eindruck: Extrem geländegängig

Von wegen Dinosaurier! Zwar wirkt der Mercedes-Außenposten in Graz wie der Jurassic Park der PS-Branche – schließlich bauen sie hier ein Auto, das sich in fast einem halben Jahrhundert zumindest dem Wesen nach kaum verändert hat und vielen als Saurier unter den SUV gilt. Doch nur weil die mittlerweile fast 500.000 Mal verkaufte G-Klasse noch immer fast genauso aussieht wie beim Debüt vor 44 Jahren, ist sie nicht immun gegen den Zeitgeist.

Mercedes EQG: Akku statt Achtzylinder

Seitenansicht eines fahrenden Mercedes EQG
Noch fährt die elektrische G-Klasse in Graz nur als Prototyp© Mercedes

Und jetzt proben sie in Graz gar vollends die Quadratur des Kreises. Oder in diesem Fall wohl besser: Die Kreisatur des Quadrates – und machen ihn auch noch zum Elektroauto. Mit dem EQG will Mercedes zu Schätzpreisen knapp unter 200.000 Euro vom nächsten Jahr an beweisen, dass die G-Klasse selbst die elektrische Revolution überstehen und mit Akku-Antrieb genauso gut fahren kann wie mit einem Achtzylinder. "Oder vielleicht sogar besser", sagt G-Klasse-Chef Emmerich Schiller – und bittet zur exklusiven Mitfahrt im Prototyp.

Dessen Technik ist extrem komplex. Denn anders als die übrigen EQ-Modelle nutzt der EQG nicht einfach eine bestehende Skateboard-Plattform, sondern bekommt eine maßgeschneiderte Elektroarchitektur, die im unverzichtbaren Leiterrahmen des Hardcore-SUV integriert ist. Weil eine G-Klasse ohne Sperren keine G-Klasse ist, haben die Ingenieure dieses Konzept in die E-Zeit übertragen und jedem Rad einen eigenen, individuell zu steuernden Motor spendiert und dafür – eine weitere Unumgänglichkeit beim G – eine neue Starrachse ins Heck geschraubt.

Reichweite noch unbekannt

Frontansicht eines im Gelände fahrenden Mercedes EQG
Auf den ersten Blick wirkt der noch getarnte EQG wie die G-Klasse mit Verbrennungsmotor© TSCHOVIKOV

Und weil sich E-Motoren bei niedrigen Drehzahlen nicht so richtig wohlfühlen, hat Schillers Truppe ein Untersetzungs- oder in diesem Fall besser Übersetzungsgetriebe für niedrige Geschwindigkeiten eingebaut. So drehen die Motoren im Kriechgang höher, erhitzen sich langsamer und können zudem mehr rekuperieren. Kein Wunder also, dass sich die Berg- und Tal-Fahrt am Fuß des legendären Hausbergs Schöckl kaum auf die Reichweite auswirkt.

Apropos Reichweite: So viel Schiller über das Wesen der G-Klasse und das Werden des EQG philosophiert, so dünn werden seine Lippen, wenn es um konkrete Daten geht. Aber wenn das Fahrzeug wirklich zwei volle Tage durch hartes Gelände pflügen kann und dann immer noch über ein Drittel Saft im Akku hat, dann wird er gut und gerne mehr als 100 kWh installiert haben.

Auch deshalb ringen ihm die rund 450 Kilometer Minimalreichweite, die seine Kollegen in Stuttgart gerade für das EQE SUV vermeldet haben, keinen sonderlich großen Respekt ab – selbst wenn der neben dem EQG aussieht wie ein abgegriffenes Stück Hotelseife neben einem frischen Block Kernseife.

Mercedes G-Klasse Elektro: Mit 1000 PS?

Mann steht neben Mercedes EQG
G-Klasse-Chef: Dr. Emmerich Schiller leitet den Produktbereich Geländewagen bei Mercedes-Benz© TSCHOVIKOV

Und wenn man erlebt, mit welcher Urgewalt sich die gut und gerne drei Tonnen Stahl und Lithium-Ionen beim Kickdown dem Horizont entgegen schleudern, dann sollte AMG-Kunden angst und bange werden. Ganz ohne Spektakel stiehlt der elektrische EQG dem AMG-Verbrenner G63 die Schau und hält bei dessen 4,5 Sekunden von 0 auf 100 augenscheinlich locker mit. Top-Speed jenseits von 200 km/h mag man dem Koloss kaum zutrauen, geschweige denn die mittlerweile üblichen 250 Sachen.

Dass es dafür viel Leistung braucht, verhehlt Schiller nicht. Schließlich ist schon ein Motor allein stark genug, um den EQG einen 80 Prozent steilen Hang hinaufzuschleifen. Und es gibt vier davon! Ohne dass Schiller Details nennen würde, liegt man deshalb wohl mit einer Systemleistung hart an der Grenze von 1000 PS und mit einem deutlich vierstelligen Drehmoment nicht schlecht.

Mercedes-Benz G-Klasse Elektro mit Creep Mode

Front eines im Gelände fahrenden Mercedes EQG
Noch sind keine technischen Daten bekannt, aber die Elektro-G-Klasse dürfte rund 1000 PS haben© Mercedes

Aber Zahlen vermögen ohnehin kaum ausdrücken, was man mit dem elektrischen G erleben kann. Erst recht nicht im Gelände. Denn vollkommen mühelos und wie von Zauberhand klettert der Koloss über Stock und Stein und wuchtet sich Steigungen hinauf, bei denen selbst Reinhold Messner die Puste ausgehen würde. Nur, um sich gleich danach gebremst alleine von der Rekuperationsleistung der E-Maschinen wieder Hänge hinunterzustürzen, an denen der König der Achttausender zu Seil und Haken greifen würde.

Ja, das alles kann die G-Klasse auch. Aber wo die dafür weithin hörbar arbeiten muss, laut aufbrüllt und bisweilen bis in die Grundfesten ihres Leiterrahmens zu vibrieren beginnt, zelebriert der EQG den Kraftakt ganz unaufgeregt und ohne Vorwarnung und nimmt dem Fahrer dabei auch noch das letzte bisschen Arbeit und Entscheidungsbedarf ab. Denn wer sich unsicher ist im Gelände, der aktiviert einfach den "Creep Mode" und rollt wie mit einem Tempomat im Kriechgang durchs Abenteuer.

EQG: Die Mutter aller elektrischen Geländewagen?

Heckansicht eines im Gelände fahrenden Mercedes EQG
Lässig über Stock und Stein: Die elektrische G-Klasse verfügt über vier E-Motoren© Mercedes

Doch noch ein paar harte Fakten: Die geometrischen Offroad-Eigenschaften sind dabei nicht schlechter als bei jeder anderen Variante, verspricht Jurassic-Park-Chef Schiller. Schließlich ist das G im Typenkürzel den Entwicklern eine heilige Verpflichtung. Deshalb watet auch der elektrische G bis zur Zierleiste durchs Wasser, er hat die gleichen Böschungs- und Rampenwinkel.

Und als er beim Kiesgruben-Ballett mit aller Wucht auf einen riesigen Stein stürzt, verzieht Schiller keine Miene – obwohl die Batterie im Bauch stoßempfindlich ist und solche Aktionen bei den allermeisten anderen E-Autos buchstäblich brandgefährlich. Doch beim EQG haben sie wie am Bauch einer Schildkröte einen aus Karbon gebackenen Panzer von bald vier Zentimetern installiert, der solche Stöße sicher pariert.

Es gibt sogar eine Disziplin, in der die elektrische G-Klasse der normalen überlegen ist: Weil der Akku den Schwerpunkt senkt, kann sich der EQG noch zehn Grad weiter zur Seite lehnen, sagt Schiller, steuert längs über eine Rampe und geht auf Kuschelkurs. Bei bald 40 Grad Neigungswinkel garantieren jetzt nur noch die straffen Gurte eine sittliche Distanz und verhindern, dass der Sozius dem Fahrer auf den Schoss rutscht.

Der "G-Turn" macht die G-Klasse zum Karussell

Heckansicht eines fahrenden Mercedes EQG
Steigungs- und Böschungswinkel des EQG sind identisch mit der Verbrenner-G-Klasse© Mercedes

Und wenn man denkt, jetzt hat man alles erlebt, was man mit einem elektrischen Geländewagen erleben kann, dann hält Schiller noch einmal an, drückt dort, wo sonst die Sperren aktiviert werden, einen silbernen Taster, zieht an der Wippe am Lenkrad, startet den "G-Turn" und macht den EQG zum Karussell für ganz große Kinder: Ohne Lenkeinschlag und nur mit der Kraft der gegenläufig drehenden Reifen macht die G-Klasse eine Panzerkehre und kreiselt auf der Stelle, während draußen der Schotter spritzt und eine Staubwolke aufsteigt.

Im Alltag völlig sinnlos, aber spektakulär – und für Conti und Co. ein Fest. Denn wer das nicht auf Sand oder Schnee macht, sondern auf der Straße, der brennt die größten Donuts auf den Asphalt und kann die fetten Schlappen für die 22-Zöller gleich im Abo ordern.

Daneben gibt’s einen zweiten Schalter, den Schiller noch sorgsam abgeklebt hat, weil er sich den größten Clou zum Schluss aufheben will: "Lass dich überraschen", zitiert er mit leichtem Singsang und holländischem Einschlag die TV-Legende Rudi Carrell.

Die G-Klasse fährt auch weiter mit Verbrenner vor

Seitenansicht eines fahrenden Mercedes EQG
Noch ist kein Basispreis für den elektrischen EQG bekannt© TSCHOVIKOV

Im Gelände besser als je zuvor und dabei noch leichter zu handhaben, politisch, nun ja, nicht mehr ganz so inkorrekt und mit Funktionen wie dem G-Turn der absolute Showstar auf dem Kiez und in der Kiesgrube: So wird die G-Klasse als EQG zum ultimativen E-SUV und hat das Zeug für die nächsten 500.000 Exemplare. Schillers Team legt Wert darauf, dass der EQG eben kein Elektroauto mit erweiterten Geländeeigenschaften ist wie ein EQE oder ein EQC, sondern eine G-Klasse mit E-Antrieb.

Doch anders als in den anderen Baureihen fallen die Verbrenner deshalb nicht gleich hinten über. Sondern der Elektroantrieb ist nur eine weitere Antriebsvariante neben Diesel, Benziner und AMG – nicht weniger, aber auch nicht mehr, sagt Schiller.

Denn während Mercedes sonst kompromisslos auf Kurs in eine elektrische Zukunft ist, hat der Saurier aus Graz Bestandsschutz und wird der Neuwagen sein, in dem Mercedes den letzten Liter Benzin verbrennt. Und wenn es nach Schiller geht, wird das noch ziemlich lange auf sich warten lassen. Die Fans der alten Garde mögen das gerne hören. Doch alle, die einmal im elektrischen G unterwegs waren, werden wissend lächeln und das herzlich ignorieren. Wer nicht durch Afrika will, Alaska oder Argentinien, sondern sich maximal eine Akkuladung aus dem Alltag entfernt, der will – sorry – von G 400d, G500 oder G 63 nichts mehr wissen.

Text: Thomas Geiger