Testfahrt im Microlino: Die elektrische Isetta

Wer hier einsteigt, begibt sich auf eine Zeitreise mit Grinse-Garantie: Als elektrische Neuinterpretation der revolutionären BMW Isetta wird der Microlino zum Smart der Generation Elektromobilität. Testfahrt, Daten, Reichweite, Preise
Schweizer Stadt-Floh ist ab 17.690 Euro zu haben
Nur 12,5 kW Leistung, aber bis zu 230 km Reichweite
Serienversion ist mittlerweile in Deutschland bestellbar
Zu groß, zu teuer, zu aufwendig: Für Merlin Ouboter ist es kein Wunder, dass sich Elektroautos bei der Käuferakzeptanz noch so schwertun. Daher hat der Schweizer ein radikal reduziertes Konzept entwickelt – und dafür ein altes Rezept neu aufgewärmt. Denn der Microlino der "Pionieer Series", mit dem wir kreuz und quer durch Mainz stromern, erinnert nicht von ungefähr an die legendäre Isetta, mit der BMW die individuelle Mobilität in den 1950er-Jahren schon einmal erschwinglich gemacht hat.
Microlino ab 17.690 Euro erhältlich

In der Entwicklungsphase hat das Projekt mehrfach die Partner gewechselt bzw. wechseln müssen. Der ganze Wirrwarr hat ungewollt einen Klon des Microlino hervorgebracht, der zunächst unter dem Namen Artega Karo verkauft werden sollte, aber wohl im Laufe des Jahres 2023 als Evetta von der Firma Electric Brands unters Volk gebracht werden dürfte. Um der missliebigen Konkurrenz eine Nase voraus zu haben, wurde der Microlino noch einmal komplett umgekrempelt und bei der Crashstruktur verbessert. Zu diesem Zweck erhielt der Microlino eine neue selbsttragende Karosserie, und die Plastikkarosse wurde gegen Blech getauscht.
Der Einstiegspreis für einen Microlino wird aktuell mit 17.690 Euro für die ab Ende 2023 lieferbare Basisversion "Urban" mit nur 6,0 kWh fassendem Mini-Akku und rund 90 Kilometer Reichweite aufgerufen. 22.690 Euro kostet die getestete Version „Pioneer Series“ mit 10,5-kWh-Akku und nominell 175 Kilometern Reichweite. Später soll noch eine Version mit 14-kWh-Akku bis zu 230 Kilometer am Stück schaffen. Ein Sonderangebot ist das Zwergen-Wägelchen also nicht. Und im Gegensatz zu einigen anderen europäischen Ländern gibt es in Deutschland keinerlei staatliches Fördergeld für die Anschaffung von Elektro-Kleinfahrzeugen, wie Merlin Ouboter beklagt.
Barockes Elektroauto mit moderner Technik

Der Microlino ist auf den ersten Blick als Isetta-Enkel zu erkennen. Daran ändern auch die wie Fühler an die Flanke geschraubten Scheinwerfer mit LED-Technik nichts. Wirklich gewachsen ist die elektrische Neuinterpretation der barocken BMW-Knutschkugel auch nicht: 2,52 Meter lang ist der Microlino und 1,47 Meter breit – die Räder sind mit 13 Zoll eher Rädchen. Wie früher die Isetta ist auch der Microlino vorne breiter als hinten. Und wie damals in den 1950er-Jahren ist die einzige Tür vorne an der Karosserie angeschlagen. Wer durch sie einsteigt und um die feststehende Lenksäule auf die durchgehende Sitzbank klettert, macht allerdings einen Zeitsprung – und landet im Hier und Jetzt: Über dem Lenkrad thront ein kleiner Bildschirm, bedient wird die Isetta 2.0 über einen Bonsai-Touchscreen am Dashboard – und natürlich fährt die moderne Auflage der Isetta rein elektrisch.
Microlino: 17 PS und bis zu 230 km Reichweite

Das Akku-Paket verbirgt sich im Boden des Fahrzeugs, quasi unter der Sitzbank. Die größte Batterie mit einer maximalen Kapazität von 14 kWh lässt sich mit 2,6 kW in vier Stunden zu Hause an der Steckdose oder mit einem Typ-2-Stecker an öffentlichen Ladesäulen aufladen. Voll geladen soll das eine Reichweite von bis zu 230 Kilometern ergeben. Beim "mittleren" Akku mit 10,5 kWh Kapazität dauert das Aufladen rund drei Stunden.
Angetrieben wird das Schweizer E-Auto von einem im Heck montierten Elektromotor mit 12,5 kW/17 PS, der maximal 90 km/h ermöglicht. Mehr ist auch nicht erlaubt in der Kategorie L7E, für die der Microlino konstruiert ist. Weil die Zulassung aber zugleich das Gewicht auf 450 Kilo limitiert, hat der Heckmotor mit dem Zweisitzer keine Mühe, sprintet in 5 Sekunden auf Tempo 50 und kann gut im Stadtverkehr mitschwimmen. Sportliche Einlagen, wie sie etwa beim Fiat 500e möglich sind, hat der Microlino nicht zu bieten, nicht mal, wenn man den „Turboknopf“ drückt. Schließlich ist der Kleine gemacht für die urbane Mobilität, traut sich nur ausnahmsweise mal aufs Land und fühlt sich auf der Autobahn ziemlich verloren.
Doch für die Stadt ist er perfekt: Der Microlino ist handlich, flink und findet überall einen Parkplatz – zur Not eben quer. Bei höherem Tempo ist er aber auch ganz schön laut. Und ein wenig hoppelig. Angesichts der L7e-Auslegung und des engen Gewichtskorsetts ist ein feinfühliges Fahrwerk mit aufwendig konstruierten Mehrlenker-Achsen oder eine große Menge Dämmmaterial natürlich illusorisch.
Airbags oder ESP sucht man vergeblich

Auch bei der Ausstattung des Microlino muss man einige Abstriche machen: Zwar rühmt Ouboter die Sicherheitszelle des zweiten Entwurfs als deutlich stabiler gegenüber dem bisherigen Gitterohrrahmen, doch Airbags oder ESP sind bei diesem Preis nicht drin. Und in der gewählten Fahrzeug-Kategorie auch nicht vorgeschrieben, selbst wenn Ouboter diese für das erste Update des Microlino in einigen Jahren ankündigt. Stattdessen gibt es schon heute schmuckes Veloursleder ringsum und eine kräftige Lüftung.
Stufen im Gebläse oder gar eine Klimaanlage mit Temperatureinstellung gibt es indes nicht. Entweder es bläst mit voller Heizleistung oder gar nicht. Auch eine Sitzheizung bringt die Serienversion zumindest bis auf Weiteres nicht mit. Dafür verströmt das – je nach Version inkludierte – Schiebedach ein bisschen Cabrio-Feeling in der Sommerzeit.
Zweit- oder Drittwagen für die Stadt

Das Konzept der minimalistischen Mobilität für große Metropolen kennt man so ähnlich vom Opel Rocks-e und e.Go Life. Doch die Schweizer haben die Aufgabe mit ihrem Auto schlauer gelöst. Denn während die Rüsselsheimer mit ihrer Beschränkung auf 45 km/h beim Fahrer eher für Frust sorgen als für Freude und der knuffige Kunststoffwürfel in der Stadt mehr Hindernis ist als Hingucker, schwimmt der Microlino mit seinen bis zu 90 km/h locker im Verkehr mit.
Und wo der Smart Fortwo für einen Kleinstwagen viel zu teuer war und deshalb ohne große Chance mit echten Kleinwagen konkurrieren musste, bewahren die Schweizer Bodenhaftung und positionieren den Microlino als noch bezahlbaren Zweit- oder besser Drittwagen. Und als solcher passt er mit seinem charmanten Design in der Garage selbst neben einen Porsche oder einen Mercedes, ohne dass man sich dafür schämen müsste.
Microlino: Technische Daten, Reichweiten, Preise
Technische Daten (Herstellerangaben) | Micro Microlino (6 kWh) Urban (ab 11/23) | Micro Microlino (10,5 kWh) Pioneer Series (ab 04/23) | Micro Microlino (14 kWh) Dolce (ab 11/23) |
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Motorart | Elektro | Elektro | Elektro |
Leistung maximal in kW (Systemleistung) | 13 | 13 | 13 |
Leistung maximal in PS (Systemleistung) | 17 | 17 | 17 |
Drehmoment (Systemleistung) | 89 Nm | 89 Nm | 89 Nm |
Antriebsart | Hinterrad | Hinterrad | Hinterrad |
Höchstgeschwindigkeit | 90 km/h | 90 km/h | 90 km/h |
Reichweite WLTP (elektrisch) | 91 km | 177 km | 230 km |
CO2-Wert kombiniert (WLTP) | 0 g/km | 0 g/km | 0 g/km |
Batteriekapazität (Brutto) in kWh | 6,0 | 10,5 | 14,0 |
Ladeleistung (kW) | AC:1,4 | AC:2,6 | AC:2,6 |
Kofferraumvolumen normal | 230 l | 230 l | 230 l |
Leergewicht (EU) | 496 kg | 513 kg | n.b. |
Zuladung | 254 kg | 237 kg | n.b. |
Länge x Breite x Höhe | 2.519 mm x 1.473 mm x 1.501 mm | 2.519 mm x 1.473 mm x 1.501 mm | 2.519 mm x 1.473 mm x 1.501 mm |
Grundpreis | 17.690 Euro | 22.690 Euro | 22.690 Euro |
Text: Thomas Geiger, Wolfgang Rudschies mit Material von SP-X
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