Fahrzeugklasse L7e: Chance oder Risiko?
Die Hersteller von L7e-Kleinstfahrzeugen preisen ihre Autos als Lösung für die urbane Mobilität der Zukunft. Welche Autos fallen in diese Fahrzeugklasse, und wo liegen ihre Vor- und Nachteile? Ein Überblick.
Bis zu 90 km/h Spitze
Fast nur als Zweisitzer erhältlich
Kaum Sicherheits- oder Assistenzsysteme
Der Parkraum in deutschen Innenstädten wird knapper, und auch auf den Straßen herrscht nicht nur zur Rushhour vielerorts Stau. Eine Lösung für weniger Gedränge im urbanen Verkehr könnten Leichtfahrzeuge bieten, denn sie sind raum- und energiesparender unterwegs als herkömmliche Pkw. Wir stellen die europäische Fahrzeugklasse L7e und einige ihrer Vertreter vor.
Definition: Fahrzeugklasse L7e
In der EG-Fahrzeugklasse L7e finden sich alle vierrädrigen Leichtfahrzeuge, die aufgrund höherer Leistung oder Geschwindigkeit nicht mehr unter die Klasse L6e fallen. Während die L6e-Fahrzeuge auf 45 km/h limitiert sind, werden Autos der Klasse L7e bis zu 90 km/h schnell und dürfen somit auf allen Straßen unterwegs sein. Daher wird für diese Fahrzeugklasse im Gegensatz zu den sogenannten Mopedautos ein Autoführerschein (Klasse B) benötigt.
Die maximale Nutzleistung in der Klasse L7e darf 15 kW (20 PS) und das Leergewicht darf 450 kg nicht überschreiten. Bei Fahrzeugen zur Güterbeförderung sind maximal 600 kg Leergewicht erlaubt. Wichtig: Bei Elektrofahrzeugen der Klasse L7e wird das Gewicht der Batterie dabei nicht mitgerechnet.
Newcomer Silence rollt den Akku zum Laden
Recht neu im Karussell der L7e-Leichtfahrzeuge ist das S04 Nanocar (siehe Bild ganz oben) des spanischen Herstellers Silence, das in Deutschland von Nissan vertrieben wird. Das zweisitzige Elektroauto hat eine sehr schmale Spur und misst in der Länge nur 2,28 m. Damit eignet sich der S04 auch zum Querparken in der Stadt. Der Basispreis für den Silence liegt bei 11.995 Euro, und der kleine Zweisitzer ist in zwei Varianten für die Fahrzeugklassen L6e oder L7e bestellbar. Je nach Variante schafft das Leichtfahrzeug so 45 oder bis zu 85 km/h Höchstgeschwindigkeit.
Wem die Geschwindigkeit beim Laden zu langsam ist, kann den Akku des Silence entnehmen und dank Trolley-System gegen einen vorab aufgeladenen Akku austauschen. Je nach Version ist der Silence mit ein oder zwei Batterien ausgestattet, die bis zu 149 Kilometer Reichweite ermöglichen sollen.
Softcar: Nachhaltiger Exot mit vier Sitzen
Eine Ausnahme zur ausschließlich zweisitzigen Konkurrenz will die Firma Softcar bieten. Auf dem Pariser Autosalon haben die Schweizer ein Elektroauto der Klasse L7e vorgestellt, in dem vier Personen Platz finden sollen. Darüber hinaus setzt Softcar auf nachhaltige Materialien und eine vergleichsweise geringe Anzahl von Bauteilen. So soll das Softcar nur aus 1800 Komponenten gefertigt werden, während herkömmliche Autos aus rund 45.000 Einzelteilen bestehen.
Basis für das innovative Leichtfahrzeug-Konzept ist eine sogenannte Skateboard-Plattform, auf der künftig verschiedene Aufbauten realisiert werden sollen. Neben dem in Paris vorgestellten Viersitzer mit Flügeltüren will Softcar auch einen Kleintransporter, ein Cabriolet und einen Zweisitzer auf der Fahrzeugplattform realisieren.
Angetrieben wird das Softcar von einem Elektromotor, der 15 kW/20 PS Dauerleistung bereitstellt und das 640 Kilogramm (inklusive Akku) leichte Fahrzeug auf bis zu 90 km/h beschleunigt. Den Verbrauch gibt der Hersteller mit rund 8 kWh pro 100 Kilometer an. Mit seiner 15 kWh fassenden Batterie soll das Softcar knapp 200 Kilometer weit kommen. Ein gasbetriebener Range-Extender, den Softcar optional anbieten will, soll den Aktionsradius auf 400 Kilometer verdoppeln.
Noch befindet sich das Softcar in der Homologationsphase. Ab 2025 ist die Produktion der ersten Fahrzeuge in einer Schweizer Mikrofabrik geplant. Ende 2025 sollen sie zum Stückpreis von mindestens 23.000 Euro auf den Markt kommen.
Renault Twizy kehrt als Mobilize Duo zurück
Etwas günstiger wird wohl der ebenfalls rein elektrische Duo zum Händler rollen. Der Nachfolger des Twizy wird von der Renault-Tochter Mobilize vertrieben und soll ab 2025 den Individual- und den Letzte-Meile-Verkehr in der Stadt nachhaltiger machen.
Mit dem Duo 45 Neo bietet Mobilize eine Variante für die Fahrzeugklasse L6e an. Wie der Name verrät, fährt der Duo 45 maximal 45 km/h schnell und ist analog zum Konkurrenz-Trio aus dem Stellantis-Konzern (Citroën Ami, Opel Rocks-e und Fiat Topolino) als Mobilitätseinstieg ab 15 Jahren mit Führerscheinklasse AM gedacht.
Deutlich flotter geht es mit dem Duo 80 Evo voran, der in die Klasse L7e fällt und – ebenfalls analog zur Namensgebung – bis zu 80 km/h schnell wird. Das 2,43 Meter lange und 1,30 Meter breite Elektrovehikel bietet Platz für zwei Personen hintereinander oder als Lieferfahrzeug Mobilize Bento einen Sitz für Fahrer oder Fahrerin plus eine 649 Liter fassende Gepäckbox. Der Antrieb des Duos mit 48-Volt-Technik stammt aus dem Mildhybrid-System des Renault Austral und leistet 7,4 kW (10 PS). Für die Stadt reicht das aus.
Der Akku fasst 10,3 kWh – genauso viel wie ein Akku-Modul im neuen Renault 5 E-Tech Electric. Damit sollen angesichts eines WLTP-Verbrauchs von 8,8 kWh/100 km beim Duo bis zu 161, beim Transporter-Pendant Bento bis zu 149 Kilometer am Stück möglich sein.
Ein echtes Alleinstellungsmerkmal gegenüber der Konkurrenz in der Fahrzeugklasse L7e bietet Mobilize in Sachen Fahrzeugsicherheit: Duo und Bento haben vier Scheibenbremsen, sowie Dreipunktgurte inklusive Gurtkraftbegrenzer zu bieten. Ebenfalls an Bord: ein Airbag. Zudem gibt es, teils serienmäßig, teils optional, ein ordentliches Gebläse, eine beheizbare Frontscheibe, einen beheizbaren Fahrersitz und eine Klimaanlage, die in Frankreich 1000 Euro extra kostet.
Preise für den deutschen Markt sind noch nicht bekannt, einen Anhaltspunkt liefert aber der französische Markt. Dort kostet der Duo 45 ab 9990 Euro, der Duo 80 kann ab 12.500 Euro geordert werden.
XEV Yoyo: Smart ForTwo aus China
Das Original des Smart ForTwo ist zwar Geschichte, doch der chinesische Hersteller XEV belebt die Idee unter dem Namen Yoyo munter weiter. Mittlerweile ist der elektrische Zweisitzer auch in Deutschland erhältlich. Online wird der Yoyo für Preise jenseits der 15.000 Euro angeboten, dafür bekommt man aber auch bis zu 15 kW Leistung. Außerdem schafft der XEV Yoyo für die Klasse L7e fast schon abenteuerliche 90 km/h.
Seine Akkus fassen rund 10 kWh und ermöglichen bis zu 150 km Reichweite. Der Clou auch hier: Statt mit mageren 2,2 kW in gut und gerne vier Stunden komplett aufzuladen, lassen sich die Batterien ebenfalls in wenigen Minuten tauschen. Aber natürlich nur, wenn man gerade in der Nähe einer entsprechenden Station unterwegs ist.
Microlino Spiaggia: Knutschkugel oben ohne
Mit 17 Pferdestärken und 90 km/h bietet auch der Microlino ordentliche Leistungsdaten in der Klasse L7e. Doch auch beim Preis gibt der elektrische Zweisitzer den Platzhirsch: 20.000 Euro werden fällig, wenn man im futuristischen Enkel der Isetta mit dem Charme der 1950er-Jahre unterwegs sein möchte. Dafür bekommt man einen 10,5 kWh fassenden Akku und 177 Kilometer Reichweite.
Die Zulassungszahlen sind nach wie vor bescheiden, und die Schweizer Macher wollen mit weiteren Varianten im Gespräch bleiben. Daher wurde auf dem Pariser Salon der Microlino Spiaggia als lebenslustiges Strandkörbchen mit Stoffdach vorgestellt. Parallelen zum Fiat Topolino Dolce Vita sind sicher nicht ganz zufällig, doch der luftige Italiener rangiert in der Fahrzeugklasse L6e und kommt damit nur auf 45 Sachen in der Spitze. Für beide Versionen ohne festes Dach gilt das Gleiche wie für den Markt der Leichtfahrzeuge: Es ist noch viel Luft nach oben.
Größte Schwäche: Die passive Sicherheit
Eigentlich können die L7e-Leichtfahrzeuge einige Verkehrsprobleme lösen. Sie benötigen weniger Verkehrsfläche, und die Konfiguration als Zweisitzer kommt dem tatsächlichen Mobilitätsbedürfnis entgegen, da statistisch gesehen zahlreiche Autos bei den meisten Fahrten jeweils nur eine Person befördern.
Doch ein entscheidender Nachteil der Fahrzeugklasse L7e ist die mangelnde Sicherheitsausstattung. Da die Leichtfahrzeuge im Sinn der EU-Normen nicht als vollwertige Pkw gelten, müssen sie auch nicht die strengen Sicherheitsauflagen herkömmlicher Autos erfüllen. Und aufgrund der Gewichtsvorgaben ist es schlicht nicht möglich, entsprechende Knautschzonen in der Karosserie unterzubringen und die heute üblichen Sicherheits- und Assistenzsysteme zu verbauen.
Der Airbag im Mobilize Duo oder Bento ist eine Ausnahme. Meist sucht man ABS, ESP, Airbags oder Notbremssysteme bei den Vertretern der L7e-Fahrzeuge vergeblich. Für Fahrten außerhalb geschlossener Ortschaften sind Autos der Fahrzeugklasse L7e daher nur bedingt geeignet. Im urbanen Raum können die – meist rein elektrisch angetriebenen – Schmalspurhelden aber vielleicht einen Impuls für die nachhaltige Mobilität der Zukunft setzen.
Tipps für Verbraucher
Vor der Anschaffung eines Leichtfahrzeugs der Klasse L7e sollte man sich Gedanken über den Einsatzbereich der Fahrzeuge machen. Trotz Höchstgeschwindigkeiten zwischen 80 und 90 km/h sind die Leichtkraftfahrzeuge nur bedingt für längere Überlandfahrten geeignet.
Einige Fahrzeuge sind wegen fehlender Heizung oder Klimatisierung nicht ganzjahrestauglich.
Im Grenzbereich können einige Vertreter der Fahrzeugklasse zum Kippen neigen.
Andere Verkehrsteilnehmer können die Geschwindigkeitsdifferenz oftmals schlecht einschätzen.
Fahranfänger sollten auch mit dem Leichtfahrzeug ein Fahrtraining absolvieren, um das Fahrzeug und speziell die Fahreigenschaften und den Grenzbereich besser kennenzulernen.
Text mit Material von SP-X