11 aktuelle Urteile, die Autofahrer kennen sollten
Rückwärts fahren in der Einbahnstraße, Handy am Steuer, Warnblinker am Stauende, Unfall im Kreisverkehr – die interessantesten Gerichtsurteile rund um den Verkehrsalltag.
Streit und Unfälle im Straßenverkehr: Wichtige Gerichtsentscheidungen
Wann Rückwärtsfahren in Einbahnstraßen erlaubt ist
Muss der Warnblinker am Stauende eingeschaltet werden?
Tagtäglich kracht es auf deutschen Straßen. Nicht selten landen die Streitparteien vor Gericht. Wer bekommt Recht? Elf wichtige Urteile des vergangenen Jahres, die für Autofahrerinnen und -fahrer im Alltag relevant sind.
Unfall mit Rettungswagen: Wer hat Schuld?
Rettungsfahrzeuge mit Blaulicht und Martinshorn haben Vorfahrt. Aber im Alltag ist die Situation gar nicht leicht. Wie schnell können Autofahrende reagieren, bremsen oder zur Seite fahren? Wie vorsichtig müssen die Rettungskräfte – trotz besonderer Rechte – fahren? Das Oberlandesgericht Frankfurt hat in einem Fall entschieden, in dem es zum Crash auf einer Kreuzung kam. Die Schuld wurde hier hälftig aufgeteilt, beide Fahrer hätten laut Richter aufmerksamer sein müssen (OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 20.11.2023, Az.: 17 U 121/23).
Warnblinker am Stauende einschalten?
Ob der Vordermann dazu verpflichtet ist, bei einem Stau den Warnblinker einzuschalten, musste das Landgericht Hagen klären. Ein Lada-Fahrer war auf einen Lkw aufgefahren, dessen Fahrer wegen eines Staus langsam abbremste, aber keinen Warnblinker einschaltete. Der Pkw-Fahrer klagte.
Das Gericht war der Meinung, der Kläger, der bei dem Unfall schwer verletzt wurde, hätte damit rechnen müssen, plötzlich abzubremsen. Eine Pflicht, den Warnblinker einzuschalten hätte für den Vordermann nur dann bestanden, wenn sich wegen des Staus eine Gefahr für den nachfolgenden Verkehr ergeben hätte. Das war aber laut Gericht nicht der Fall (LG Hagen, Urteil vom 31.5.2023, Az.: 1 O 44/22).
Rückwärtsfahren in Einbahnstraßen?
Das ist tatsächlich nur in zwei Fällen erlaubt. Der Bundesgerichtshof hat hier ein Grundsatzurteil gefällt und damit für Rechtssicherheit gesorgt. Erlaubt ist das Rückwärtsfahren, wenn eingeparkt wird, und dann, wenn ein Auto rückwärts aus einer Grundstücksausfahrt in die Straße einfährt (BGH, Urteil vom 10.10.2023, Az. VI ZR 287/22).
Grüne Ampel: Einfach losgehen?
Dürfen Fußgänger bei einer grünen Ampel einfach losgehen, ohne auf die Umgebung zu achten? Ein Lkw-Fahrer hatte eine Fußgängerin überfahren und schwer verletzt. Der Lkw war noch bei Grün in die Kreuzung eingefahren, musste dann aber wegen stockenden Verkehrs kurz vor dem Fußgängerüberweg anhalten. Inzwischen schaltete die Fußgängerampel auf Grün, die Frau ging los, der Fahrer fuhr im selben Augenblick weiter.
Das Gericht entschied, dass sich die Fußgängerin zwar vor dem Gehen noch vergewissern hätte müssen, ob der Lkw stehen bleibt. Trotzdem sahen die Richter die alleinige Schuld in diesem Fall beim Fahrer (LG Lübeck, Urteil vom 29.9.23, Az.: 3 O 336/22).
Rechtsabbieger darf Spur frei wählen
Wer rechts abbiegt, hat Vorrang vor einem Linksabbieger. Das gilt auch bei der Wahl der Fahrspur, falls es mehrere gibt. So viel zur Theorie. In der Praxis sieht es häufig so aus, dass Linksabbieger vorschnell auf die linke Spur abbiegen und darauf vertrauen, dass der andere Fahrer sich rechts hält. Das Oberlandesgericht Saarbrücken sah die überwiegende Schuld für einen Zusammenstoß zweier Fahrzeuge auf einer Kreuzung beim Linksabbieger (OLG Saarbrücken, Urteil vom 20.10.2023, Az. 3 U 49/23).
Handy woanders hingelegt: Verstoß?
Autofahrende, die beim Fahren mit dem Smartphone in der Hand erwischt werden, sind oft sehr kreativ, was Ausreden anbelangt. Meistens ohne Erfolg. Was tatsächlich nicht als Handyverstoß gewertet wird: Wen jemand das Handy nur woanders hinlegt. Das war der Fall bei einem Autofahrer, der über die Freisprechanlage telefoniert hat und währenddessen das Gerät an einen anderen Platz legte (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 18.4.2023, Az.: 1 ORbs 33 Ss 151/23). Der Mann klagte erfolgreich gegen den Bußgeldbescheid.
Unfall im Kreisverkehr: Wer hat Schuld?
Im konkreten Fall fuhr ein Autofahrer mit überhöhter Geschwindigkeit in den Kreisverkehr ein, überfuhr dabei sogar die Mittelinsel und stieß mit einer Pkw-Fahrerin zusammen, die bereits fast vollständig in den Kreisel gefahren war. Bei der anschließenden Gerichtsverhandlung war er der Meinung, die Frau hätte den Zusammenstoß verhindern können, hätte sie noch einmal nach links gesehen.
Recht bekam die Autofahrerin. Laut Urteil darf sie als die Erste von beiden im Kreisverkehr auf ihr Vorfahrtsrecht vertrauen, zumal der Unfallgegner auch noch mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs und verbotenerweise über die Mitte des Kreisverkehrs gefahren war (OLG Koblenz, Hinweisbeschluss vom 22.9.2022, Az.: 12 U 917/22).
Wildunfall verhindert: Wer muss zahlen?
Muss eine Versicherung auch zahlen, wenn der Schaden am Fahrzeug entstanden ist, um einen Unfall zu verhindern? Ein Motorradfahrer war gestürzt, weil er Rehen ausgewichen war und so einen Zusammenstoß vermieden hatte. Die Versicherung (Teilkasko) wollte nicht für den Schaden bezahlen, weil es keinen Zusammenstoß gegeben hatte. Das Gericht gab dem Versicherungsnehmer recht. Auch für Schäden, die bei der Vermeidung des Unfalls entstehen, muss die Versicherung aufkommen (OLG Saarbrücken, Urteil vom 23.11.2022, Az. 5 U 120/22).
Verbrenner auf E-Auto-Parkplatz abgeschleppt
Fahrerinnen und Fahrer von Verbrennern aufgepasst: Wer sich auf einen für Elektro-Fahrzeuge reservierten Parkplatz stellt, muss damit rechnen, abgeschleppt zu werden. Ein Falschparker hat vor Gericht vergeblich versucht, dagegen zu klagen. Das Abschleppen war nach Ansicht des Gerichts gerechtfertigt, weil zusätzlich zum Falschparken eine Behinderung der hier bevorrechtigten E-Autos bestand (OVG Münster, Beschluss vom 13.4.2023, Az.: 5 A 3180/21).
Kleinkind am Steuer: Haftet die Mutter?
Unglaublich, aber wahr: Ein Kleinkind wird von der Mutter kurz im Auto zurückgelassen, krabbelt vom Beifahrersitz auf den Fahrersitz, schnappt sich die Autoschlüssel vom Armaturenbrett, startet das Auto und fährt die Großmutter an. Unglücklicherweise saß die Oma eineinhalb Meter vom Auto entfernt auf einer Bank und wurde durch den Unfall an beiden Knien verletzt.
Die Krankenkasse der Großmutter wollte das Geld von der Mutter des Zweieinhalbjährigen zurück. Diese hätte ihre Aufsichtspflicht verletzt. Das OLG Oldenburg gab der Krankenkasse recht. Kleinkinder müssten ständig beaufsichtigt werden (OLG Oldenburg, Urteil vom 20.4.2023, Az.: 14 U 212/22).
Auto fährt rückwärts: Hupen reicht nicht
Stur auf seiner Vorfahrt beharren, kann nach hinten losgehen. Im konkreten Fall war ein Peugeot-Fahrer durch eine verkehrsberuhigte Straße gefahren und hatte gesehen, dass ein Mercedes rückwärts aus einer Garageneinfahrt auf die Straße fuhr. Er hupte, stoppte aber nicht. Weil der Mercedes-Fahrer ebenfalls nicht anhielt, sondern weiter rückwärts fuhr, kam es zum Zusammenstoß.
Der Rückwärtsfahrende bekam zwar mit 80 Prozent Haftung die Hauptschuld, aber 20 Prozent musste der Peugeot-Fahrer übernehmen, weil er die Situation hätte weiter beobachten und notfalls bremsen müssen (LG Saarbrücken, Urteil vom 20.1.2023, Az.: 13 S 60/22).