"VW sieht sich in der Pflicht, Mobilität für alle anzubieten"

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Portrait von VW-Chef Oliver Blume in der ADAC Interviewoptik
Doppelrolle: Oliver Blume ist VW-Konzernchef und Porsche-Vorstandsvorsitzender© ADAC Motorwelt/Tom Ziora

Wie er die chinesische Konkurrenz sieht und warum es ein Umdenken bei den elektrischen VW-Modellen gibt, hat VW-Konzernchef Oliver Blume der ADAC Redaktion auf der IAA Mobility in München verraten.

ADAC Redaktion: Wenn Sie das Angebot der chinesischen Hersteller auf der IAA betrachten – welche Gefühle löst das beim VW-CEO aus?

Oliver Blume: Ich bin leidenschaftlicher Sportler. Und wie im Sport gilt: Wettbewerb ist gut, um selbst besser zu werden. Aus Wettbewerb entsteht Innovation. Im chinesischen Markt ist enorm viel Bewegung – auch durch viele neue Hersteller, die teilweise nicht aus dem Automobilbau kommen. Wir werden sehen, dass sich der dortige Markt konsolidieren wird.

Vor diesem Hintergrund: Wie sehen Ihre Pläne für China aus?

Der Volkswagen-Konzern hat sich in China in kürzester Zeit strategisch neu aufgestellt. Wir spielen nun vorn mit bei Technologien, Kosten, Preisen, Entwicklungstempo. Und wir starten jetzt eine beispiellose Produktoffensive mit rund 50 neuen Modellen bis 2030. In China für China entwickelte Fahrzeuge – vollvernetzt, intelligent und maßgeschneidert für die Bedürfnisse der chinesischen Kundinnen und Kunden.

VW-Konzernchef Oliver Blume

  • Geboren am 6. Juni 1968 in Braunschweig

  • Sein Durchbruch: Nach seinem Maschinenbau- Studium startete Blume 1994 als Trainee bei Audi, durchlief dann diverse Positionen bei Audi, Seat und Volkswagen

  • 2015 wurde er Porsche-Vorstandsvorsitzender

  • Seit September 2022 ist er Vorstandsvorsitzender beim VW-Konzern mit all seinen Marken

Sie sagten mal, die Party der Autoindustrie sei vorbei. Wie ist das zu verstehen?

Unsere Branche hatte über Jahrzehnte eine recht sorglose Zeit. Vieles war berechenbar, planbar. Aber diese Komfortzone liegt hinter uns. Heute sind wir mit globalen Handelskonflikten konfrontiert und in China ist die Zeit von garantiert hohen Erträgen vorbei. Gleichzeitig schreitet die Transformation zur E-Mobilität in den einzelnen Weltregionen in unterschiedlichem Tempo voran. Um global flexibel zu bleiben, haben wir heute hohe Investitionen in verschiedene parallel laufende Antriebsarten – die Investitionslast ist dadurch etwa doppelt so hoch wie früher. Diese Rahmenbedingungen führen aber auch dazu, dass sich die Automobilindustrie schnell und kreativ entwickelt. Wir arbeiten weiter intensiv daran, uns robust für diesen dynamischen Wettbewerb und eine erfolgreiche Zukunft aufzustellen.

Bei der Vorstellung neuer Modellreihen versprach VW "Mobility for everyone". Was haben die Kunden davon?

Als Volkswagen-Konzern haben wir eine Verpflichtung, Mobilität für alle anzubieten. Das verkörpert ja schon unser Name. Dafür stehen wir seit Generationen. Käfer, Polo, Golf – prägende Ikonen für erschwingliche Mobilität. In der E-Mobilität haben wir in den höheren, weniger preissensiblen Segmenten angefangen und können Spitzentechnologie jetzt auch in kleineren Modellen wirtschaftlich darstellen. Die neue Electric Urban Car Family mit einem Einstiegspreis um die 25.000 Euro ist das Ergebnis. VW, Cupra und Škoda werden ab 2026 Modelle mit eigenem Charakter auf einer gemeinsamen Plattform anbieten. Im Jahr darauf folgt der ID. Every1 von Volkswagen mit einem Preis ab 20.000 Euro. Damit werden wir auch den Hochlauf der Elektromobilität insgesamt beschleunigen.

In der Elektromobilität gibt es einen heftigen Wettkampf um die beste Batterietechnik. Wo steht Volkswagen?

Porsche hat hier Pionierarbeit geleistet und die 800-Volt-Technologie als erster Serienhersteller schon 2019 im Taycan eingesetzt. Gerade im Spitzensegment hat das einen hohen Mehrwert, weil man damit zum Beispiel schneller laden kann. Wir haben begonnen, die 800 Volt jetzt schrittweise in weitere Segmente auszurollen. Beispielsweise setzen wir sie schon im Audi Q6 e-tron oder im Porsche Macan ein. Und künftig gehen wir weiter in Segmente, die darunter liegen. Die kleineren Fahrzeugklassen bleiben aber vorerst bei 400 Volt, weil das auch ökonomisch sinnvoll ist. Entscheidend ist aber auch, dass die Ladeinfrastruktur überall besser wird.

Wie schützen Sie Volkswagen vor Lieferkettenproblemen und was können Sie gegen hohe Rohstoffabhängigkeiten machen?

Wir haben ein sehr umfangreiches Risikoradar aufgebaut, das geopolitische oder handelspolitische Gefahren identifiziert. Da geht es um Rohstoffe, aber auch um Fertigmaterialien. Aus der Anfangszeit des russischen Angriffskriegs in der Ukraine haben wir gelernt, wie problematisch es beispielsweise ist, wenn man für Kabelbäume nur einen einzigen Lieferanten hat. Um vom Markt und in bestimmten Regionen unabhängiger zu sein, entwickeln und fertigen wir deshalb auch selbst Batteriezellen. Und wir investieren in Rohstoffe oder Minen.

Kommt das nötige Lithium in Zukunft aus dem Rheingraben oder weiter aus China?

Wir haben uns weltweit aufgestellt und selbst abgesichert. Wir können also entscheiden: Wo beziehen wir den Rohstoff aus eigenen Quellen und wo nehmen wir Partner dazu, um den richtigen Kostenmix zu bekommen. Wir haben eigene Investments in Asien, aber auch auf dem nordamerikanischen Kontinent.

Ihr Chefdesigner hat unlängst Stilkritik in eigener Sache betrieben: Künftige VW sollen "weniger Extravaganz" und "mehr Wiedererkennung haben". Was hat den Ausschlag fürs Umdenken gegeben?

Martin Kunz und Oliver Blume auf der IAA 2025 in München
"Design war eines der Themen, das wir ganz schnell angepackt haben", sagt Oliver Blume© TOM_ZIORA

Den Prozess haben wir vor drei Jahren gestartet. Wir haben damals schonungslos die Situation des Volkswagen-Konzerns analysiert und unsere Strategie aufgestellt, um uns zukunftsfähig auszurichten. Im Zentrum standen dabei die Produkte unserer Marken. Design war eines der Themen, das wir ganz schnell angepackt haben. Wir haben definiert, was die Identität jeder Marke ist, wofür sie steht, was ihre Heritage ist, was die Fans an ihnen lieben. Einen VW Golf, einen Porsche 911 oder einen Audi TT kann ich aus großer Entfernung identifizieren. Diese prägenden Merkmale übertragen wir jetzt in die Zukunft – modern interpretiert, aber mit hohem Wiedererkennungswert.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Das sehen Sie beispielsweise beim neuen ID. Polo. Man erkennt seine typische Geradlinigkeit und die markante C-Säule am Heck, die ihm eine gewisse Stärke verleiht. Ab 2026 kommt die Electric Urban Car Familiy mit dem ID. Polo und weiteren Modellen von Škoda und Cupra in der neuen Designlinie. Sie werden sich deutlicher als bisher voneinander abheben.

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Wie lange müssen Ihre Kunden noch auf das E-Einstiegsmodell ID. Every1 warten?

Er wird noch einen anderen Namen bekommen und bei etwa 20.000 Euro Einstiegspreis liegen. Wir wollen ihn Ende 2027 in der Kundenversion vorstellen.

Hängt das Wohl und Wehe von Volkswagen in den nächsten Jahren vom Erfolg der Elektro-Kleinwagen ab?

Wir sind überzeugt, dass sie ein Erfolg werden – das große Interesse und die vielen Nachfragen schon weit vor der Markteinführung sprechen für sich. Gleichwohl sind die Kleinwagen-Segmente nicht diejenigen, die einen Konzern allein erfolgreich machen. Wir sehen es als unsere Verpflichtung, die Produktpalette von unten aufzubauen. Zum Beispiel, um jungen Zielgruppen ein tolles Einstiegsangebot zu machen. E-Mobilität für alle, das ist Volkswagen. Wie früher beim Käfer.

Wie ist der Stand beim mehrfach verschobenen elektrischen Porsche Boxster?

Es ist das Fahrzeug, das mich persönlich in letzter Zeit beim Fahrerlebnis am meisten begeistert hat: Wir haben den Mittelmotor nachgebildet, den elektrischen Motor und die Batterien in die Mitte gesetzt, dadurch habe ich eine perfekte Gewichtsverteilung. Wir haben das Auto trotzdem sehr leicht gemacht – es ist das pure Vergnügen. Leider haben wir Verzögerungen, weil wir auf Batterien von Northvolt (Anm. der Redaktion: Der Batteriehersteller ist insolvent) gesetzt haben und jetzt gezwungen waren, das mit einem neuen Partner umzusetzen. Wir werden unseren ersten vollelektrischen zweitürigen Sportwagen nach der Einführung des Cayenne Electric auf den Markt bringen. Und die Porsche-Fangemeinde kann sich auf dieses Fahrzeug freuen. Der E-Boxster wird Maßstäbe setzen. Auch das Design wird ein wirklich großer Schritt.

Porsche hat eine E-Fuels-Produktion in Chile gestartet. Wieso?

Martin Kunz und Oliver Blume auf der IAA 2025 in München
VW-Chef Oliver Blume (links) im Interview mit ADAC Chefredakteur Martin Kunz© ADAC Motorwelt/Tom Ziora

Porsche hat sich ehrgeizige Nachhaltigkeitsziele gesetzt und verfolgt das Ziel, die durchschnittlichen Treibhausgasemissionen entlang der Wertschöpfungskette seiner Fahrzeuge sukzessive zu reduzieren. E-Fuels können als Überbrückungstechnologie für Verbrennungsmotoren einen Beitrag leisten, den CO₂-Ausstoß zu reduzieren. Mit der Pilotanlage in Chile können mittels Windkraft E-Fuels erzeugt werden. Betreiber und Eigentümer ist das chilenische Unternehmen HIF Global. Die Pilotanlage ist erfolgreich angelaufen und die Direct Air Capture-Technologie befindet sich im Aufbau, sodass dort in absehbarer Zukunft sogar E-Fuels mit CO₂ aus der Atmosphäre hergestellt werden können. Wir nutzen E-Fuels derzeit zum Beispiel im Motorsport.

Wie geht es jetzt weiter?

Jetzt sind Investoren gefragt, die Technologie im großen Stil aufzubauen. Ab der industriellen Verfügbarkeit wäre das ein großer Schritt, um CO₂-Reduktion in der Nutzungsphase zu ermöglichen. Das setzt aber auch verlässliche politische Rahmenbedingungen voraus.

Wie stehen Sie zum Verbrenner-Aus 2035?

Im Zuge der Dekarbonisierung unserer Industrie sind wir in einer Übergangsphase. Ich bin überzeugt: E-Mobilität setzt sich durch. Als Gesellschaft müssen wir am Ziel der Dekarbonisierung festhalten. Batterien werden immer besser und günstiger. Die Ladeinfrastruktur wächst, die Fahreigenschaften von Elektroautos sind sensationell. Und die IAA in München hat gezeigt: Die deutsche Autoindustrie fährt bei der Elektromobilität ganz vorne. In Europa ist der Volkswagen-Konzern mit seinen Marken mit Abstand Marktführer bei E-Autos. Wir brauchen daher keine komplett andere Gesetzgebung, um unsere Mobilität zu dekarbonisieren.

Was brauchen Sie stattdessen?

Flexibilitäten bei der Zielerreichung, konkurrenzfähige Rahmenbedingungen und die passenden Anreize für unsere Kundinnen und Kunden, wie etwa Steuerentlastungen oder erschwingliche Ladestrompreise. Keine Verbote, sondern neue Chancen helfen weiter. Aus heutiger Sicht ist das Ziel unrealistisch, ab 2035 komplett auf E-Mobilität zu setzen. Wir benötigen regelmäßige Realitäts-Checks, die in die Zielsetzungen einfließen.

Ihre Produktpalette ist – auch bei ADAC Tests – erfolgreich: Der ID.7 hat von allen E-Autos, die der ADAC bislang testete, die Bestnote 1,5 erreicht. Grund zum Feiern?

Uns bedeutet das viel und es ist für uns sehr wichtig, in den ADAC Tests vorne zu sein. Sie sind für uns eine Messlatte und für die Kunden eine wichtige Orientierung und Informationsquelle. Es ist unser Anspruch im Volkswagen Konzern, in allen Segmenten sehr gut abzuschneiden. Wir haben sehr viel Arbeit in dieses Fahrzeug gesteckt. Wenn man dann so eine Top-Bewertung bekommt, ist das fürs Team eine tolle Bestätigung und ein großer Ansporn, diesen erfolgreichen Weg weiterzugehen.

Vielen Dank für das Gespräch.