"Die Menschen wollen Realismus, Lösungen und Kontinuität"

Portrait von Christian Reinicke im ADAC Interviewformat
ADAC Präsident Christian Reinicke© ADAC/Stefanie Aumiller

ADAC Präsident Christian Reinicke spricht im Interview über seine Erwartungen an die künftige Regierung, die größten Herausforderungen im Mobilitätsbereich und warum ein sozialer Ausgleich in Zukunft noch wichtiger wird.

ADAC Redaktion: Wenn Sie auf die Verkehrspolitik in der vergangenen Legislaturperiode zurückblicken: Eher flotte Fahrt oder Dauerstau?

Christian Reinicke: Zäh fließender Verkehr umschreibt es aus meiner Sicht ganz gut. Der Fairness halber muss man sagen, dass die Rahmenbedingungen für die Bundesregierung schwierig waren: Erst die Pandemie, dann der russische Angriff auf die Ukraine, die Energiekrise. Trotzdem sind insbesondere im Mobilitätsbereich einige Themen nicht konsequent und konsistent genug umgesetzt worden.

Was meinen Sie genau?

Die Regierung hatte sich zwar darauf verständigt, Klimaschutz im Verkehr voranzutreiben, in der Praxis wurde aber zu wenig vorangebracht: Das Hin und Her bei der Förderung der Elektromobilität hat deren Hochlauf eher gebremst.

Beim Laden wächst zwar die Infrastruktur, aber die Ladepreise sind intransparent und deutlich zu teuer. Und Alternativen zum Pkw sind vielerorts absolut ungenügend. Zusätzlich wurden viele Menschen dadurch verunsichert, dass öffentlich viel gestritten wurde, zum Beispiel über alternative Kraftstoffe.

Und was war gut?

Positiv waren die Planungsbeschleunigung und mehr Investitionen in Verkehrsinfrastruktur, auch wenn das noch nicht ausreicht. Und schließlich: das Deutschlandticket.

Der Ton in der Politik wird rauer. Wie erleben Sie als Präsident des größten deutschen Vereins die Diskussionen der vergangenen Monate?

Wir erleben insgesamt eine hohe Erregbarkeit und die Tendenz, inhaltliche Fragen stark emotional aufzuladen. Lösungen werden nicht leichter gefunden, wenn Fragen nur schwarz-weiß und im Gegeneinander diskutiert werden. Wenn etwa das Auto prinzipiell verteufelt wird, wird all jenen Menschen Unrecht getan, die den Pkw nutzen – und natürlich steigt dann auch dort der Zorn. Damit ist niemandem geholfen.

Die Menschen wollen Realismus, Lösungen und Kontinuität über Wahlperioden hinaus. Deshalb sehe ich auch die Rolle des ADAC darin, so sachlich wie möglich zu informieren und die Stimmung nicht weiter anzuheizen.

Kommen Mobilitätsthemen im Wahlkampf zu kurz?

Mobilität geht jeden Menschen an und ist entscheidend für soziale und wirtschaftliche Teilhabe: daher eindeutig Ja. Wenn wir uns zusätzlich anschauen, wie groß die Herausforderungen im Verkehrsbereich sind – allein mit Blick auf die Infrastruktur und ganz besonders die Brücken – dann noch einmal Ja. Die künftige Bundesregierung muss die Verkehrspolitik deutlich höher priorisieren und geschlossener handeln.

Wo sollte die nächste Regierung vorrangig investieren?

Es geht viel Vertrauen in den Staat verloren, wenn die Menschen tagtäglich spüren, dass die Infrastruktur nicht funktioniert. Marode Brücken, kaputte Straßen, verspätete Züge. Deshalb ist meine Antwort eindeutig: Wir müssen in den Erhalt und die Sanierung, aber auch in den Ausbau von Straße und Schiene investieren.

Die hohe Inflation der vergangenen Jahre hat viele Menschen hart getroffen. Was sollte die nächste Regierung tun, um sie in ihrer Alltagsmobilität zu entlasten?

Die Kosten für die Mobilität sind stärker gestiegen als die allgemeinen Lebenskosten – und perspektivisch werden sie kaum sinken. Damit Mobilität keine soziale Frage wird, müssen wir vor allem besonderes Betroffene wie Menschen mit niedrigerem Einkommen oder Pendler entlasten. So muss etwa die Pendlerpauschale ab dem ersten Kilometer dauerhaft erhöht werden.

Zur Person

Der Jurist Christian Reinicke ist seit 2021 ADAC Präsident. Er wurde in Hannover geboren, ist seit 1988 ADAC Mitglied und hauptberuflich Partner einer Rechtsanwaltskanzlei. Er engagierte sich seit 2005 ehrenamtlich als Clubsyndikus des ADAC Niedersachsen/Sachsen-Anhalt.

Der Führerschein kostet inzwischen oft über 4000 Euro. Kann die Bundesregierung hier Reformen anstoßen, die das wieder günstiger machen?

Es darf nicht sein, dass eine steigende Zahl junger Menschen sich den Führerschein nicht mehr leisten kann. Hier müssen digitale Angebote und mehr Prüfkapazitäten dafür sorgen, dass die Kosten sinken.

Im Verkehrssektor ist keine Verbesserung beim Klimaschutz zu erkennen. An welchen Stellschrauben sollte die nächste Regierung drehen?

Damit die Elektromobilität endlich voran kommt, brauchen wir bezahlbare Ladepreise. Wenn sich ein E-Auto im Betrieb auszahlt, dann werden immer mehr Menschen umsteigen. Also: Die Strompreise müssen runter.

Und dann muss die Politik anerkennen, dass ein Großteil der Menschen vorerst auch weiterhin mit seinem alten Verbrenner unterwegs sein wird. Es muss daher möglich und bezahlbar sein, den Verbrenner mit alternativen Kraftstoffen zu betreiben. Dafür muss eine künftige Bundesregierung die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Wir brauchen alternative Kraftstoffe ja auch für den Flugverkehr. Und schließlich brauchen wir bessere Radwege und beim Deutschlandticket Verlässlichkeit statt kleinteiligem Dauerstreit.

Portrait von ADAC Präsident Christian Reinicke auf grauem Hintergrund

Ich halte nichts von neuen Kaufprämien. Es ist Sache der Hersteller, bezahlbare Fahrzeuge auf den Markt zu bringen.

Christian Reinicke, ADAC Präsident©ADAC/Stefanie Aumiller

Der perspektivisch steigende CO₂-Preis schlägt gerade hohe Wellen. Womit müssen Autofahrende rechnen?

Sie haben Recht, die Aufregung ist – wahrscheinlich auch wegen des laufenden Wahlkampfs – groß. Lassen Sie es mich sortieren: Im kommenden Jahr wird der Anstieg mit etwa 3 Cent je Liter Benzin und 3,1 Cent je Liter Diesel noch einigermaßen moderat ausfallen. 2027, aber eher in den Folgejahren, könnten es dann deutlich mehr werden.

Deshalb muss spätestens dann eingehalten werden, was versprochen war: Teile der Einnahmen müssen als Ausgleich an die Verbraucher zurückfließen. Es ist ein Versäumnis der bisherigen Koalition, hier nicht für Verbindlichkeit gesorgt zu haben.

Wie teuer wird es denn, es sind ganz unterschiedliche Zahlen im Umlauf?

Wir rechnen – abhängig davon, wie schnell wir beim Klimaschutz vorankommen – mit bis zu 19 Cent pro Liter zusätzlich. Größenordnungen von bis zu einem Euro halten wir für unrealistisch.

Die Förderung für E-Autos wurde Ende 2023 sehr plötzlich gestoppt. Sollte sie wiederbelebt werden?

Ich halte nichts von neuen Kaufprämien. Es ist Sache der Hersteller, bezahlbare Fahrzeuge auf den Markt zu bringen. Und da tut sich vermutlich in diesem und im kommenden Jahr einiges. Viel wichtiger ist es, dass sich der Vorteil der E-Mobilität im Betrieb ausspielt, und deshalb sind günstige Ladepreise so wesentlich. Der Ladestrompreis muss also runter, zum Beispiel durch die Senkung der Stromsteuer.

Neue Verkehrsregeln, Spritpreise und Verbraucher-Tipps

Macht Ihnen die Cannabis-Legalisierung in Bezug auf die Verkehrssicherheit Sorgen? Was kann man tun, damit die Risiken nicht größer werden?

Die Legalisierung hat zu vielen Missverständnissen geführt und die Anhebung des Grenzwertes hat ihr Übriges dazu beigetragen. Offenbar ist der Eindruck entstanden, es sei in Ordnung, nach dem Drogenkonsum Auto zu fahren. Dabei ist es das mitnichten – und auch der höhere Grenzwert bedeutet: Niemals gehen Drogen und Autofahren zusammen. Hier ist noch eine Menge Aufklärung zu leisten.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Welches Problem im Mobilitätsbereich sollte die nächste Bundesregierung lösen?

Es wäre schon viel gewonnen, wenn die neue Bundesregierung die Lebensrealitäten der Menschen anerkennen würde – und dazu zählt einfach, dass das Auto für viele Menschen nach wie vor die wichtigste Mobilitätsform ist. An die Stelle von unrealistischen Verlagerungszielen gehören also Lösungen für den emissionsarmen Betrieb von Pkw.