MG Cyberster: Frischer Wind bei den E-Roadstern
MG wagt sich an die Wiederbelebung eines ganzen Autosegments: Der Cyberster soll Cabrio-Extravaganz mit leistungsstarker Batterietechnik verbinden. Nach dem Start in China wird bald auch Deutschland folgen. Testfahrt, Bilder, Daten.
340 oder 510 PS: Der Cyberster ist ein echtes Kraftpaket
Moderner Zweisitzer mit digitalem Cockpit
In China schon auf den Straßen unterwegs
Der Start war vielversprechend: Das erste serienmäßige Elektroauto, der Tesla Roadster, ging 2008 in den USA an den Start und hätte der furiose Beginn eines langen Kapitels von elektrischen Cabrios sein können. Doch es kam anders, mittlerweile sind alle Batteriesegmente vom Kleinwagen über die Luxus-Limousine bis zum Van und dem Pick-up bedient worden, den Cabrios und Roadstern ging zunehmend die Luft aus.
Doch während Tesla mit dem Revival des Roadsters spät dran ist, das elektrische Mini Cabrio noch auf sich warten lässt und der Smart Fortwo gerade ins Museum gerollt ist, beweist jetzt MG Mut: Drei Jahre nach der ersten Studie bringt der Hersteller den Cyberster in Serie. In China ist der Roadster schon seit ein paar Wochen auf dem Markt, bei uns startet er zum Ende des Sommers. Was ist vom Lückenfüller zu erwarten?
MG Cyberster: Auffälliges Revival
Auf der einen Seite ist es nur logisch, dass MG sich an die Roadster-Wiederbelebung macht. Weil die Briten das Segment mit Autos wie dem MG B schließlich mal begründet haben und beim Revival zur Jahrtausendwende mit dem MG TF auch ganz vorn dabei waren. Und auf der anderen Seite ist es um so bemerkenswerter, weil die Traditionsmarke inzwischen von der chinesischen SAIC Motor Corporation übernommen wurde. Und dort offene Autos eigentlich keine große Rolle spielen.
Auffallen wird man mit dem Cyberster trotzdem überall: Schließlich sind die MG-Designer nicht in die Retrofalle getappt, sondern haben einen ausgesprochen modernen Zweisitzer gezeichnet, der mehr Show macht als mancher Supersportwagen – im Großen natürlich mit seinen Türen, die auf Knopfdruck elektrisch schräg nach oben schwingen wie bei Lamborghini Huracán & Co. Und im Kleinen zum Beispiel mit Details wie den Rückleuchten, die wie feuerrote Pfeile unter der messerscharfen Abrisskante aufflammen.
Und während der schlanke Bug noch halbwegs konventionell gezeichnet ist, prangt am Heck ein Diffusor so mächtig, als wolle der Cyberster den nachfolgenden Verkehr förmlich in sich hineinsaugen.
Lack und Leder im Cabrio-Innenraum
All das schließt sich eng und straff um eine kuschelige Kabine für zwei, die ebenfalls nichts wissen will von der seligen Erinnerung an die gute alte Zeit. Ja, es gibt Lack und Leder satt, wie man es von einem britischen Auto für Landpartien erwartet, auch wenn MG mit England eigentlich nichts mehr am Hut hat.
Aber statt auf mechanische Instrumente und analoge Anzeigen blickt der Fahrende in ein digitales Triptychon, das sich hinter dem konventionell mit Schaltern gepflasterten Lenkrad ausbreitet. Vor der Mittelkonsole prangt der unvermeidliche Touchscreen für Navigation, Infotainment und Klima.
Da hätten sie die paar Schalter, die darunter noch Platz hatten, auch gleich wegsparen können. Denn so wichtig die Bedienung fürs Getriebe, die Türen und das Verdeck auch sein mögen, so lieblos und grobschlächtig ist sie in diesem Fall geraten.
Aber all das ist vergessen, wenn sich auf Knopfdruck und natürlich auch während der Fahrt binnen weniger Sekunden die stramme Stoffhaube nach hinten faltet und einem endlich wieder mal der Fahrtwind durch die Haare weht. Dann wird der Cyberster doch wieder zu einem Roadster nach alter Väter Sitte. Offen, ehrlich, direkt.
Cyberster in zwei Ausführungen
Angeboten wird der Cyberster in zwei Varianten: In der Basisversion treibt ihn ein 340-PS-Motor an, der standesgemäß an der Hinterachse angeflanscht ist und mit bis zu 475 Nm an den 19-Zöllern zerrt. Schon das reicht für 5,2 Sekunden von 0 auf 100 km/h und 195 Sachen Spitze. Aber wer es ernst meint mit der Sturmfrisur, der nimmt die Version mit Dualmotor und Allradantrieb, die es auch beim Fahren mit Lambo & Co. aufnehmen kann.
Schließlich stehen dann 510 PS und 725 Nm im Datenblatt, und die Sprintzeit schrumpft auf 3,2 Sekunden. Nur das Spitzentempo ist nicht nennenswert höher, und auch dem Top-Modell geht bei rund 200 Sachen die Luft aus. Dafür hat der Cyberster einen vergleichsweise langen Atem. Schließlich schrauben die Chinesen Akkus mit 77 kWh in den Boden und stellen WLTP-Reichweiten von bestenfalls über 500 Kilometer in Aussicht.
Fahreindruck: Gebremste Emotionalität
Zwar sitzt man im Cyberster wegen der Akkus im Boden nicht ganz so nah am Asphalt wie in einem alten MG Roadster oder einem Mazda MX-5. Und wo man das Leben in einem luftigen Zweisitzer sonst gern auf die leichte Schulter genommen hat, lastet die Elektrotechnik hier so schwer auf der Straße, dass man die Kilos in den Kurven deutlich spürt.
Aber während einen die Batterie in engen Kehren dazu zwingt, etwas weiter herunterzubremsen, versöhnt einen zum Kurvenausgang die Spontaneität des Stromers wieder mit der neuen Zeit, und man schießt um so schneller davon.
Schon möglich, dass einem die Endorphine in einem Porsche Boxster oder einem Audi TT schneller ins Hirn schießen. Aber unter den Elektroautos ist der Cyberster so ziemlich das emotionalste, was bislang aus China zu uns gekommen ist. Und dass man hier keinen Motor brüllen hört, sondern nur das Rauschen des Windes und das Zwitschern der Vögel, daran kann man sich gut gewöhnen.
MG Cyberster in Deutschland?
Zwar hat MG daheim in China bereits mit der Auslieferung begonnen, doch die Europäer müssen noch ein bisschen warten, voraussichtlich bis Ende des Sommers. Immerhin gibt's mittlerweile einen Preis – zumindest für England, wo die Markteinführung bei 54.995 Pfund (rund 65.000 Euro) beginnen soll.
Selbst wenn daraus auf dem Weg über den Kanal vielleicht 70.000 Euro oder mehr werden, dürfte das die kleine, aber treue Open-Air-Gemeinde nicht stören. Zumal sie sonst ja auch keine Alternative hat. Das Maserati Gran Cabrio spielt in einer ganz anderen Liga, und der Tesla Roadster kommt – so zumindest hat es Elon Musk zuletzt versprochen – frühestens zum Ende Jahres und wird ganz sicher das Dreifache kosten.
Text: Thomas Geiger