Kameras im Auto: Besser sehen. Mehr Sicherheit?
Je moderner die Autos, desto schlechter die Rundumsicht. Pkw-Hersteller verbauen daher immer mehr Kameras. Was sie für die Verkehrssicherheit leisten und woran sie (noch) scheitern.
Kameras für Rundumsicht notwendig
Herausforderungen und Probleme
Hersteller bei der Entwicklung gefordert
Kamerasysteme galten vor einigen Jahren noch als futuristisch, mittlerweile sind sie in vielen Fahrzeugen Standard. Und das hat einen guten Grund: Die Rundumsicht in modernen Autos ist mäßig bis schlecht.
Von den letzten fünf Autos, die den ADAC Autotest durchlaufen haben (Stand: Mitte August 2024), hat keines in der Bewertung der Rundumsicht die Note "Sehr gut" oder "Gut" bekommen, wie es eigentlich sein müsste. Nicht mal ein "Befriedigend" ist darunter.
Modell | Note Rundumsicht im ADAC Autotest |
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4,4 | |
3,9 | |
4,1 | |
4,2 | |
3,9 |
Wie Kameras bei der Rundumsicht helfen
Das Problem ist, dass die Dachsäulen und Kopfstützen der Autos im Lauf der Zeit immer dicker und breiter, gleichzeitig die Fensterflächen immer kleiner geworden sind. Da ist es nur folgerichtig, dass sich die Autohersteller Alternativen überlegt haben, um die Rundumsicht wieder zu verbessern.
Kamerasysteme im Auto bieten eine Vielzahl von Vorteilen, die sowohl die Verkehrssicherheit als auch den Komfort für Fahrer und Insassen steigern. Die erste Wahl sind Kamera-Display-Kombinationen. An den Stellen, wo eine Sichtbeeinträchtigung vorliegt, übernehmen Minikameras. Das Kamerabild wird auf ein Display beim Fahrer übertragen. Kamerasysteme können sowohl hardware- als auch softwareseitig vielfältige Ausprägungen haben.
Mit den Abbildungen im Display gut umgehen zu können erfordert andererseits aber auch teils lange Gewöhnungsphasen seitens derjenigen, die am Steuer sitzen. Das Blickverhalten und die Fokussierung auf Displays sind anders als bei der Nutzung herkömmlicher Spiegel.
Kamerasysteme im Detail
Die Rückfahrkamera
Seit 2018 sind Rückfahrkameras in den USA für alle Neuwagen gesetzlich vorgeschrieben. Das unterstreicht die Bedeutung dieser Technologie für die Verkehrssicherheit. Die Rückfahrkamera ist in der Regel am Heck des Fahrzeugs montiert und liefert ein Videobild auf ein Display im Fahrzeuginneren. Das System aktiviert sich automatisch beim Einlegen des Rückwärtsgangs und kann oft auch bei Vorwärtsfahrt eingeschaltet werden, solange die Geschwindigkeit niedrig ist.
Vorteile: Die Kamera bietet eine breite Sicht auf den Bereich direkt hinter dem Fahrzeug, was mit den herkömmlichen Rückspiegeln schwer zu erreichen ist. So können Hindernisse, Fußgänger und andere Fahrzeuge besser erkannt werden. Zahlreiche Rückfahrkameras sind auch mit einer Weitwinkellinse ausgestattet. Insbesondere das rückwärts Rausfahren aus einer schwer einsehbaren (engen) Einfahrt wird mit solch einem System bedeutend sicherer möglich. Nachteile: Ist die Kameralinse von Wassertropfen bedeckt oder verschmutzt, liefert sie nur noch ein sehr verschwommenes Bild der Realität.
Die Frontkamera
Sehr hohe oder lange Motorhauben schränken die Sicht nach vorn stark ein. Insofern sind Frontkameras hilfreich beim Einparken und Manövrieren in engen Bereichen sowie zur Erkennung von Hindernissen nah vor dem Auto. Frontkameras mit Nachtsicht- oder Wärmebildtechnik sind in wenigen Premium-Fahrzeugen als Sonderausstattung erhältlich.
Surround-View- oder 360°-Kameras
Surround-View-Systeme kombinieren Bilder von mehreren Kameras, die rund um das Fahrzeug platziert sind, um eine künstliche 360-Grad-Ansicht zu erzeugen. Sie erleichtern das Einparken, insbesondere in enge Parklücken oder in belebten städtischen Umgebungen, indem sie eine Sicht auf das Fahrzeug und seine Umgebung aus der Vogelperspektive bieten. Dadurch helfen sie, Hindernisse wie Bordsteine, Poller, andere Fahrzeuge und Fußgänger zu erkennen.
Wie bei den meisten Rückfahrkameras werden dem Fahrer im Display Hilfslinien eingespiegelt, die ihm den nötigen Lenkwinkeleinschlag bei Parkmanövern anzeigen. Wird ein Abstand von einem Hindernis zu gering, wird der Fahrer durch einen roten Balken oder ein ähnliches Symbol gewarnt.
Digitaler Innenspiegel
Der digitale Innenspiegel ersetzt den traditionellen Rückspiegel durch ein digitales Display. Das dort gezeigte Kamerabild hat vor allem Vorteile bei schlechten Lichtverhältnissen, schlechten Wetterbedingungen oder wenn die Sicht durch Insassen oder Gepäck blockiert ist. Für Fahrzeuge mit kleinen Heckfenstern, ungünstigen Projektionsverhältnissen oder gar dem Entfall der Heckfenster (Transporter, Camper usw.) sind die digitalen Innenrückspiegel unverzichtbar.
Im Gegensatz zur Rückfahrkamera ist der digitale Rückspiegel stets aktiv und befindet sich an gewohnter Stelle für den Fahrer. Digitale Rückspiegel bieten auch ein breiteres Sichtfeld als herkömmliche Spiegel, was hilft, tote Winkel zu minimieren und eine bessere Übersicht über den rückwärtigen Verkehr zu gewährleisten. Oft lassen sich diese Spiegel über einen Knopf/Schalter zum analogen Spiegel umschalten.
Nachteil: Die Tiefenwahrnehmung ist bei Display-Darstellungen erheblich eingeschränkt, die Entfernungseinschätzung deshalb erschwert.
Digitale Außenspiegel
Digitale Seitenspiegel werden für Pkw bisher nur sehr selten angeboten. In manchen modernen Fahrzeugen und Konzeptautos, vor allem in höherwertigen Modellen und Elektrofahrzeugen gibt es sie als Ausstattungsoption. Vorteile: Der virtuelle Spiegel kann eine breitere Sichtfläche und einen minimierten toten Winkel bieten, was die Sicherheit beim Spurwechsel und beim Einparken erhöht. Durch die Eliminierung physischer Spiegel wird der Luftwiderstand verringert, was zu einer besseren Energieeffizienz (Strom/Kraftstoff) führen kann.
Nachteile: Bei Dunkelheit ist die Sicht im direkten Vergleich zu einem normalen Spiegel eingeschränkt. Größter Kritikpunkt ist die ungünstige Platzierung der Displays in der Türverkleidung, die für eine starke Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen sorgt. Aber auch die im Gegensatz zu normalen Außenspiegeln fehlende Möglichkeit, das Sichtfeld durch Verändern der Kopfposition zu verändern, ist nachteilig. Außerdem gibt es kaum Systeme, die für den Betrieb mit Wohnanhänger bzw. breite Anhänger geeignet wären. Die Tiefenwahrnehmung ist ebenfalls eingeschränkt.
Totwinkelkamera
Sie überwacht den toten Winkel des Fahrzeugs mit seitlichen Kameras und warnt den Fahrer visuell oder akustisch vor Fahrzeugen in dem Bereich.
Darüber hinaus gibt es Fahrzeughersteller, die eine Einblendung des Kamerabilds in das digitale Tacho- oder Zentraldisplay vornehmen. Das ist besonders hilfreich im Stadtverkehr, beispielsweise, um beim Rechtsabbiegen ein sich von hinten annäherndes Fahrrad rechtzeitig zu erkennen.
Ein effektiver Vorteil letzterer Systeme hat sich den ADAC Autotestern aber bislang nicht erschlossen. Im Vergleich bieten nämlich asphärische Spiegel – insbesondere wenn sie in die Spiegelgläser auf der Fahrer- und Beifahrerseite integriert sind – einen höheren Nutzwert.
Anzeigen im Display: Beispiele
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Technische Herausforderungen
Systemausfälle
Virtuelle Spiegel sind elektronische Systeme, die ausfallen können. Ein Kameradefekt oder ein Problem mit dem Display kann plötzlich zu einer kritischen Situation führen.
Wartung und Reparatur
Wartung und Reparatur von Kamerasystemen sind oft teurer und komplexer als die von herkömmlichen Spiegeln. Außerdem deckt die Teilkaskoversicherung zwar Glasschäden nach Steinschlägen ab, zahlt aber nicht, wenn der Stein die Kameralinse trifft. Steht man vor einem solchen Reparaturfall, folgt oft der Schock wegen der hohen Kosten.
Der Grund: Die Kamerasysteme sind in der Regel nur eingeschränkt reparaturfähig. Meist ist ein vollständiger Austausch von Linse, Sensor und Gehäuse erforderlich. Nach umfangreichen und komplizierten Reparaturarbeiten ist zudem eine Kalibrierung mit spezieller Diagnoseausrüstung und Kalibriermatten vor dem Fahrzeug notwendig – ein Kostenfaktor, der schnell mehrere Hundert Euro ausmachen kann.
Beeinträchtigung durch Blendung
Displays können bei starker Sonneneinstrahlung spiegeln oder bei Nacht blendend wirken, was die Konzentration des Fahrers beeinträchtigen kann.
Probleme für Brillenträger
Brillenträger können durch Spiegelungen und Blendungen auf den Displays gestört werden. Insbesondere bei Gleitsichtbrillen kann die Sicht auf das Display beeinträchtigt sein, da der optimale Sehbereich für die Displays möglicherweise nicht mit dem Korrekturbereich der Brille übereinstimmt.
Brillen können je nach Beschaffenheit des Displays und der Brillengläser zu Verzerrungen des angezeigten Bildes führen. Fahrer, die Gleitsichtbrillen tragen, müssen sich möglicherweise stärker an die Position der Displays und die erforderlichen Blickwechsel anpassen, was zu erhöhter Anstrengung führen kann.
Fazit: Entwicklung muss weitergehen
Kamerabasierte Bilder im Auto sind eine vielversprechende Technologie, die weiter verbessert und verbreitet werden sollte. Zukünftige Entwicklungen könnten die Integration von Augmented Reality (AR) umfassen, um zusätzliche Informationen wie Navigation oder Gefahrenhinweise direkt im Sichtfeld des Fahrers anzuzeigen. Zudem könnten fortschrittliche Algorithmen die Bildverarbeitung weiter verbessern und die Anpassung an individuelle Sehbedürfnisse optimieren. Kamerasysteme bringen jedoch auch Herausforderungen mit sich, insbesondere im Hinblick auf technische Zuverlässigkeit und die Anpassung an individuelle Sehbedürfnisse.
Forderungen an die Hersteller
Technologische Verbesserung der Hardware: Die Hersteller sollten sicherstellen, dass die Kamerasysteme dem neuesten Stand der Technik entsprechen. Dies umfasst insbesondere eine hohe Auflösung und verbesserte Lichtempfindlichkeit bei Dunkelheit.
Erhöhung der Robustheit: Hersteller sollten Maßnahmen ergreifen, um die Kamerasysteme robuster gegenüber Umwelteinflüssen wie Steinschlägen zu machen. Dazu gehört die Entwicklung und Integration von Schutzlösungen wie auswechselbaren Linsenschutzabdeckungen, die eine zusätzliche Sicherheit bieten und die Kameraoptik vor Schäden bewahren. Solche Schutzprodukte sollten standardmäßige Ausstattung sein, um die Lebensdauer der Kameras zu verlängern und die Kosten für Reparaturen zu minimieren.
Erhöhte Widerstandsfähigkeit gegenüber Umwelteinflüssen: Die Kameralinsen sollten effektiv vor Verschmutzung geschützt werden. Dazu entweder einklappbar gestaltet oder an optimal geschützten Stellen am Fahrzeug angebracht werden, um ihre Sauberkeit und Funktionalität zu gewährleisten, wenn sie nicht in Gebrauch sind.
Verbesserte Reparaturmöglichkeiten: Die Hersteller sollten Kamerasysteme so konzipieren, dass sie leichter reparierbar sind. Statt des vollständigen Austauschs von Linse, Sensor und Gehäuse sollte eine modulare Bauweise in Betracht gezogen werden. Diese Bauweise ermöglicht gezielte Reparaturen einzelner Bauteile und trägt so dazu bei, die Reparaturkosten zu senken.
Einfache Kalibrierung: Die Kalibrierung der Kamerasysteme sollte durch standardisierte Verfahren und Ausrüstungen erleichtert werden, um die zusätzlichen Kosten und den Aufwand für spezialisierte Diagnoseausrüstung und Kalibriermatten zu reduzieren.
Transparente Informationen und Schulungen: Hersteller sollten umfassende Informationen und Schulungen zu den Kamerasystemen bereitstellen, damit Verbraucher und Werkstätten besser über die Funktionalität, Wartung und Reparatur der Systeme informiert sind.
Empfehlung für Autokäufer
Probefahrt: Eine ausgiebige Probefahrt hilft, um sich mit den Kamerasystemen vertraut zu machen und deren Nutzen und Benutzerfreundlichkeit zu beurteilen.
Kosten-Nutzen-Analyse: Überlegen Sie, ob die zusätzlichen Kosten für Anschaffung und Wartung der Kamerasysteme durch den Mehrwert und die erhöhte Sicherheit gerechtfertigt sind.
Fahrerschulung: Nutzen Sie die Anleitungen des Herstellers, um die Systeme zu verstehen und optimal nutzen zu können.
Eingewöhnungszeit: Nehmen Sie sich Zeit, um sich an die neuen Systeme zu gewöhnen und ihre Bedienung zu erlernen.
Nicht allein auf Technik verlassen: Verlassen Sie sich nicht ausschließlich auf die Kamerasysteme und bleiben Sie stets aufmerksam und vorsichtig im Straßenverkehr.
Reinigung und Pflege: Halten Sie die Kameralinsen sauber und frei von Schmutz, um eine klare Sicht zu gewährleisten.
Anhängerbetrieb: An digitalen Seitenspiegeln lassen sich oft keine Spiegelerweiterungen für den Anhängerbetrieb anbringen.
Studie und fachliche Beratung: Matthias Zimmermann, Martin Ruhdorfer