Berlins Verkehrssenatorin Manja Schreiner im Interview: "Ich möchte den Autoverkehr reduzieren"

Portrait der Berliner Verkehrssenatorin Manja Schreiner in der ADAC Interviewoptik
Als neue Verkehrssenatorin will Manja Schreiner in Berlin die Mobilitätswende vorantreiben© www.MUENSTER.PICTURES

Die einen wollen einen schnelleren Radwegeausbau, die anderen fordern Vorfahrt für den Autoverkehr: Die neue CDU-Verkehrssenatorin von Berlin hat keinen einfachen Job. Manja Schreiner erklärt, wie die Mobilitätswende in der größten Stadt Deutschlands gelingen soll.

Seit April 2023 ist Manja Schreiner als Verkehrs- und Umweltsenatorin in Berlin im Amt. Angetreten ist sie mit dem selbst erklärten Ziel, Verkehrspolitik für alle zu machen. Einige ihrer Entscheidungen und Vorhaben sind allerdings heftig umstritten. Kritiker werfen ihr etwa eine Rolle rückwärts bei der Mobilitätswende vor. Im Gespräch mit dem ADAC bezieht die CDU-Politikerin jetzt Stellung.

ADAC Redaktion: Sie bezeichnen Ihren Stil als "pragmatische Verkehrspolitik für alle" und werben für ein gutes Miteinander auf der Straße. Wie wollen Sie das in Berlin umsetzen?

Manja Schreiner: Die Menschen gehen zu Fuß, fahren Rad, nehmen das Auto oder den ÖPNV. Alle haben höchst unterschiedliche Mobilitätsbedürfnisse. Ich versuche, möglichst viele Interessen in den Blick zu nehmen, anschließend die beste Lösung zu finden und für alle eine gute Infrastruktur zu schaffen. Das heißt nicht, dass das immer funktioniert. Ich habe bemerkt: Verkehr ist ein sehr emotionales Thema.

Im städtischen Verkehr wird häufig darüber gestritten, wer wie viel Platz bekommt. Wie wollen Sie den knappen Raum auf Berlins Straßen gerecht aufteilen?

Ein Anhänger parkt auf einem durchgestrichenen Radweg während ein Auto und ein Fahrradfahrer auf der Straße fahren
Platzprobleme: Wie hier in Berlin gibt es in vielen Städten regelmäßig Konflikte zwischen Auto- und Radfahrenden© imago images/Jürgen Ritter

Meine Leitlinie ist, sich bedarfsorientiert an das Thema heranzuarbeiten. Als CDU stehen wir zur Mobilitätswende. Wir wollen den Autoverkehr, insbesondere den Pendlerverkehr, eingrenzen. Und das hat in den letzten Jahren schon funktioniert: Der Autoverkehr ist zurückgegangen. Wenn ich aber an einer Ausfallstraße zwei Fahrspuren für Radwege wegnehme und es viele Autos gibt, die diese Strecke nutzen, ist das problematisch. Es wird also zahlreiche Einzelfallentscheidungen geben.

Grundsätzlich geht es nicht über Verbote – sondern über ein besseres Angebot. In der Innenstadt ist der ÖPNV hervorragend ausgebaut. In den Außenbezirken, wo nur alle 20 Minuten die S-Bahn fährt, ist das nicht der Fall.

Konflikte gibt es auch um Parkplätze, die beim Bau von Radwegen wegfallen.

Manchmal lässt sich das nicht vermeiden. Das Ziel muss aber sein, möglichst viele zu erhalten. Denn wenn man 130 Parkplätze wegnimmt: Was machen dann die Anwohner? Drei von ihnen sagen vielleicht: Ich hab’s kapiert, ich verkaufe mein Auto. Aber die anderen fahren noch länger durch den Kiez, um eine Parkmöglichkeit zu finden.

Es ist vermessen zusagen: Wir wollen keine Autos mehr. Die Menschen sind dann verärgert. Und man sieht in anderen Bundesländern, was bei Wahlen passiert, wenn man die Interessen der Menschen ignoriert.

Nach Ihrem Amtsantritt haben Sie den Radwegeausbau vorübergehend gestoppt. Warum?

Wir haben nie von einem Radwegestopp gesprochen. Aber der Radwegebau hat unter der alten Regierung sehr polarisiert. Es ist normal, dass sich eine neue Regierung erst einmal einen Überblick verschafft. Das hat bei der Opposition zu großen Schmerzen geführt, schließlich hatte man diese Themen vorher in eine ganz andere Richtung geführt.

Zur Person

Manja Schreiner (CDU, 45) übernahm im April 2023 das Amt der Senatorin für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt des Landes Berlin. Zuvor war die Juristin seit 2018 als Verbandschefin für das Berliner Baugewerbe tätig sowie zwischen 2007 und 2017 jeweils mehrere Jahre in den Rechtsabteilungen des Zentralverbands des Deutschen Handwerks und des Bundesverbands der Deutschen Industrie.

Inzwischen ist die Überprüfung vorüber, die meisten Radwege werden weitergebaut. Was waren die Gründe für die Entscheidungen?

Bei den 16 freigegebenen Radwegen haben wir größtenteils Änderungen bei der Verkehrssicherheit vorgegeben. Wir haben etliche Situationen gefunden, an denen an Kurven nicht geschaut wurde, ob Busse den Radweg streifen. Oder die Leistungsfähigkeit der nächsten Kreuzung wurde nicht überprüft. Wenn ich eine Spur wegnehme und die nächste Kreuzung wird dadurch zugestaut, dann ist das auch gefährlich für Radfahrer.

Wir wollen Radwege, und sie sollen sicher sein. Wir wollen die Vision Zero, also keine Verkehrstoten mehr, deshalb schauen wir uns die Kreuzungsbereiche an. Und wir müssen uns besser mit der ÖPNV-Planung abstimmen. Die Aufgeregtheit der Debatte verwundert mich deshalb.

Befürchtungen, dass Kreuzungen für andere Verkehrsteilnehmer gefährlicher würden, wenn sich der Autoverkehr wie beschrieben auf einer einspurigen Fahrbahn staut, bezeichneten Verkehrswissenschaftler der TU Berlin in einer Studie zum Radewege-Baustopp als "nicht nachvollziehbar oder begründbar". Störten Sie doch eher die Einschränkungen für Autos?

Nein, wie gesagt: Unser Ziel ist es, den Autoverkehr in Berlin zu reduzieren und den ÖPNV attraktiver zu machen. Es geht nicht um Einschränkungen, sondern um bessere Angebote.

Angesichts der Klimakrise haben viele europäische Metropolen ihre Verkehrspolitik neu ausgerichtet und versuchen, den individuellen Autoverkehr einzudämmen. Auch Berlin – jedenfalls bis zuletzt. Denn das Berliner Mobilitätsgesetz wird derzeit überarbeitet: Der Wirtschaftsverkehr soll Vorfahrt bekommen, und neue Radwege sollen schmaler werden.

Berlin Verkehrssenatorin Manja Schreiner geht über eine Straße
Verkehrssenatorin Schreiner will das Berliner Mobilitätsgesetz um ein Kapitel für reibungslosen Wirtschaftsverkehr ergänzen© imago images/Christian Ditsch

Ich finde das Berliner Mobilitätsgesetz in seiner bisherigen Form zu kleinteilig und starr. Zum Beispiel müssen Gehwege bei Straßensanierungen immer drei Meter breit sein und Radwege 2,50 Meter. Das lässt sich vielerorts nicht umsetzen und führte dazu, dass viele Straßen gar nicht saniert worden sind. Wir wollen mit einer Reform mehr Flexibilität erreichen und Konflikte auflösen, die aus meiner Sicht durch Einschränkungen bei der Flächennutzung entstanden sind.

Die Verkehrswende soll für die breite Bevölkerung tragbar sein. Wir wollen auch nach der Änderung des Mobilitätsgesetzes den ÖPNV fördern und den Autoverkehr dort, wo es möglich ist, reduzieren.

Die CDU hat bei der jüngsten Berlin-Wahl vor allem in den Außenbezirken gepunktet. Wie wollen Sie Menschen in den eher links-grünen Innenbezirken von Ihren Ideen überzeugen?

Von den verkehrspolitischen Maßnahmen, die wir jetzt planen, sollen in Zukunft auch die Menschen profitieren, die in der Berliner Innenstadt leben. Zum Beispiel, wenn es gelingt, den Pendlerverkehr mit dem Auto einzudämmen.

Im Durchschnitt kommen rund 280.000 Menschen pro Tag nach Berlin. Das können die Straßen gar nicht schaffen, und auch Parkplätze fehlen. Deshalb müssen wir für die bessere Anbindung der Außenbezirke an den ÖPNV sorgen, wo gut zwei Drittel der Berlinerinnen und Berliner leben. Dafür braucht es eine dichtere Taktung, mehr Zuverlässigkeit und die Erweiterung des S- und U-Bahn-Liniennetzes. Die Verlängerungen sind in Planung. Außerdem können der Bau von Radschnellwegen und mehr Carsharing helfen. Das kostet Geld, und das müssen wir bereitstellen.

Für den Berliner ÖPNV wollen Sie 2024 ein 29-Euro-Ticket einführen. Es gilt nur bis zur Stadtgrenze, nicht in Brandenburg. Wie passt das zu dem Ziel, Pendlerströme zu reduzieren?

Ich wollte ein gutes Angebot für diejenigen in den Berliner Außenbezirken machen, die vom Jobticket nicht profitieren. Ich hätte mir gewünscht, dass man da mehr macht. Aber ich glaube, dass wir mit Park-and-Ride- und Park-and-Bike-Parkplätzen, die wir gemeinsam mit Brandenburg ausbauen wollen, ein gutes Angebot für den Umstieg machen können.

Als Anreiz gibt es derzeit noch das Deutschlandticket für 49 Euro. Ist das Land Berlin bereit, mehr Mittel für die Finanzierung bereitzustellen, falls der Bund hier nicht mehr unterstützt?

Alle Länderkollegen stehen hinter dem 49-Euro-Ticket, wir setzen uns dafür ein. Deshalb hoffe ich, dass wir mit dem Bund eine Lösung bis zum Jahresende finden können. Wir sind in Verhandlungen und wollen darauf dringen, dass vom Bund die Mehrkosten mitgetragen werden.

Unser Ziel ist es, durchschnittlich 2000 zusätzliche Ladepunkte für E-Fahrzeuge pro Jahr errichten zu lassen.

Manja Schreiner, Berliner Verkehrssenatorin

Trotz des besseren ÖPNV-Angebots können und wollen nicht alle Autofahrenden umsteigen. Was tun Sie für die Antriebswende, um die CO-Emissionen beim Autoverkehr zu senken?

Wir unterstützen die Elektromobilität. Für E-Autos gibt es in Berlin schon 1600 öffentlich zugängliche Ladepunkte im Straßenraum. Unser Ziel ist es, durchschnittlich 2000 zusätzliche Ladepunkte pro Jahr errichten zu lassen. CDU und SPD wollen vor allem den Bau von Schnellladesäulen an Tankstellen, auf Supermarkt-Parkplätzen und in Parkhäusern fördern, die öffentlich zugänglich sind. Außerdem sollen alle Busse der Berliner Verkehrsbetriebe bis zum Jahr 2030 vollelektrisch unterwegs sein.

Während der Bund Eigenheimbesitzer – von denen es in Berlin relativ wenige gibt – mit bis zu 10.200 Euro beim Kauf einer Wallbox plus Solaranlage und -speicher subventioniert hat, muss Berlin neue Schulden für die Förderung der Elektromobilität machen. Ärgert Sie das?

Nein. Es ist gut, wenn die E-Ladeinfrastruktur auf verschiedene Arten in Deutschland gefördert wird. Der Berliner Senat will beispielsweise ab 2024 ein Sondervermögen in Höhe von fünf Milliarden Euro in Klimaschutz investieren. Ziel ist es, die Umstellung auf fossilfreie Energie und die Reduzierung der Emissionen zu beschleunigen. 

Unter anderem sind projektbezogene Kredite für die Verbesserung des ÖPNV, für den Rad- und Fußverkehr oder eine Umstellung der Fahrzeugflotte auf Elektroantrieb vorgesehen. Die notwendigen Investitionen sind im normalen Haushalt finanziell nicht darstellbar.