Müdigkeit und Sekundenschlaf beim Autofahren sind unterschätzte Probleme. Wie schnell es bei Schläfrigkeit zu schweren Unfällen kommen kann, wie Sie sich wappnen und wann Sie sich ärztlich untersuchen lassen sollten. Unfälle mit Verletzten oder Toten durch übermüdete Fahrer Warnsignale und Anzeichen von Schläfrigkeit beachten Fahrtüchtigkeit ähnlich eingeschränkt wie durch Alkohol Was passieren kann, wenn es zum Sekundenschlaf kommt, ist immer wieder in den Lokalteilen der Tageszeitungen zu lesen. Einige Beispiele: Auf der Staatsstraße 2212 bei Arnstorf in Niederbayern kam ein 56-Jähriger mit seinem Transporter von der Straße ab, der Wagen krachte gegen eine Böschung. Der Fahrer wurde dabei so schwer verletzt, dass er mit einem Rettungshubschrauber in die Klinik gebracht werden musste. Die Polizei vermutet Sekundenschlaf. Ein 20-Jähriger fuhr auf der A6 bei Mannheim auf das Auto seines Vordermanns auf. Durch die Wucht des Aufpralls landete der Pkw in einem Acker und blieb auf der Seite liegen. Sechs Personen wurden schwer verletzt. Der 20-Jährige war offenbar eingeschlafen. Isselburg im Münsterland: Ein 27-jähriger Autofahrer kommt von der Fahrspur ab und knallt ungebremst in einen parkenden Pkw. Der Mann hatte Glück, er blieb unverletzt, Sachschaden rund 23.000 Euro. Auch hier: Sekundenschlaf. Die Zahlen des Statistischen Bundesamts zu Unfällen nach einem Sekundenschlaf zeigen nur die Spitze des Eisbergs. Als müdigkeitsbedingt gilt ein Crash meist nur, wenn die oder der Fahrende dies bei der polizeilichen Befragung selbst zu Protokoll gab. Im Jahr 2021 wurden insgesamt 1507 Unfälle mit Personenschaden registriert, bei denen Müdigkeit beim Autofahren vorlag. Die Dunkelziffer ist nach Expertenschätzung deutlich höher. Nach den Erkenntnissen der ADAC Unfallforschung kommen die Fahrenden bei Unfällen durch plötzliche Müdigkeit und Sekundenschlaf häufig bei hohem Tempo von der Straße ab oder geraten auf die Gegenfahrbahn. Deshalb werden hierbei überproportional viele schwer oder tödlich verletzt. Strafe für Unfall wegen Sekundenschlaf Gibt der Unfallverursacher an, dass er sehr müde war oder eingeschlafen ist oder kann ihm das anderweitig nachgewiesen werden, kann er damit gegen §315c des Strafgesetzbuchs verstoßen haben. Hier heißt es: "Wer im Straßenverkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge geistiger oder körperlicher Mängel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen", kann bei Gefährdung mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren belegt werden, wenn er die Gefahr fahrlässig verursacht. Auch ein Fahrverbot oder der Entzug der Fahrerlaubnis wird in diesen Fällen meist verhängt bzw. ausgesprochen. Risiko für Sekundenschlaf unterschätzt Bei einer Umfrage des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR) aus dem Jahr 2016 gaben 26 Prozent von 1000 befragten Autofahrenden an, bereits mindestens einmal am Steuer eingeschlafen zu sein. Auch eine Umfrage der European Transport Workers Federation (ETF) 2021 zeigte laut DVR*, dass 24 bis 26 Prozent der Busfahrerinnen und Busfahrer in den vergangenen zwölf Monaten mindestens einmal am Steuer eingeschlafen waren. Bei den Lkw-Fahrerinnen und -Fahrern waren es 30 Prozent. Bei einer weiteren Untersuchung des DVR und der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) aus dem Jahr 2017 sagten sogar 46 Prozent von 353 befragten Lkw-Fahrern, dass sie mindestens schon einmal während der Fahrt eingenickt sind. Besonders fatal: 43 Prozent der Befragten glauben, sie könnten den Zeitpunkt des Einschlafens sicher vorhersehen. Falsch, sagt Schlafforscher Dr. Roland Popp vom Bezirksklinikum Regensburg: "Schläfrige Personen überschätzen sich, wenn sie meinen zu wissen, wann genau ein Sekundenschlaf eintritt. Untersuchungen im Fahrsimulator mit EEG- und Videoaufzeichnung haben gezeigt, dass die Leute oftmals gar nicht wahrnehmen, dass ihr Gehirn sich im Sekundenschlaf-Status befindet." Aber kurzes Einschlafen wegen Übermüdung trifft einen nicht wie der Blitz aus heiterem Himmel. Es gibt davor Anzeichen von Schläfrigkeit. Nur werden diese manchmal falsch gedeutet und sogar missachtet. Wenn ein oder mehrere Anzeichen für Müdigkeit beim Autofahren (siehe zum Beispiel die oben genannten) eintreten, wird es höchste Zeit für eine Pause oder am besten einen kurzen Schlaf auf dem Rastplatz, also 15 bis 20 Minuten "Power Nap". Gehirn und Körper brauchen eine Regeneration. Wie die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin informiert, ist das Reaktionsvermögen nach 17 Stunden ohne Schlaf so beeinträchtigt wie mit 0,5 Promille Alkohol im Blut, nach 22 Stunden sogar wie bei 1,0 Promille. Und wer würde sich nach einem feuchtfröhlichen Abend noch mit gutem Gewissen ans Steuer setzen? Ganz nebenbei: Alkohol kann zu Schläfrigkeit führen oder diese verstärken. Tagesschläfrigkeit durch Schlafstörungen Nicht nur nachts droht Gefahr beim Autofahren durch Sekundenschlaf und langsame Reaktionszeiten. Laut einer Umfrage der Krankenkasse DAK unter rund 5200 erwerbstätigen Personen im Alter von 18 bis 65 Jahren leidet etwa jeder zehnte Arbeitnehmer unter schweren Schlafstörungen. Mitunter können diese – wie auch Drogen, Alkohol oder Medikamente (z.B. manche Antidepressiva) – zu sogenannter Tagesschläfrigkeit führen. Wenn sie unbehandelt bleibt oder der Patient resistent gegen die Therapie ist, schließt schwere Tagesschläfrigkeit die Fahreignung generell aus ("Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrteignung" der Bundesanstalt für Straßenwesen) – sprich, diese Personen können im Extremfall ihre Fahrerlaubnis verlieren. Die Frage der Fahrungeeignetheit (z.B. bei unbehandelter Schlafapnoe mit Tagesschläfrigkeit), der nur bedingten Fahreignung oder der Straftat bei einem konkreten Einschlafen im Fahrzeug muss immer im Einzelfall geklärt werden. Hinter dauerhaft starker Schläfrigkeit kann eine Schlafstörung stecken, die noch nicht erkannt wurde. In diesem Fall sollten Sie eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen. Was hilft gegen Sekundenschlaf? Die Antwort von Schlafforscher Dr. Roland Popp ist so einfach wie einleuchtend: "Schlaf! Schon ein Kurzschlaf von 15 bis 20 Minuten macht Sie wieder für eine Weile fit. Die Wirkung können Sie noch steigern, wenn Sie zuvor starken Kaffee trinken. Das Koffein wirkt erst nach ca. 30 Minuten und verstärkt dann den wach machenden Effekt." Nur äußerst kurzfristig oder gar nicht sinnvoll sind Hausmittel wie laute Musik, offene Fenster oder Kaffee bzw. Energydrinks ohne zusätzlichen Kurzschlaf. Aber Achtung: Kurzschlaf-Episoden können nicht den normalen Nachtschlaf ersetzen. Beispiele für Schlafstörungen Sekundenschlaf am Steuer vorbeugen Grundsätzlich sollte man eine Fahrt fit und ausgeschlafen antreten und dafür sorgen, dass Müdigkeit gar nicht erst auftritt. Dabei spielt auch die richtige Planung eine große Rolle. So ist es unter anderem wichtig, die innere Uhr und Leistungstiefs im Blick zu halten und bei längeren Fahrten regelmäßig Pausen einzulegen. Sie sollten möglichst nicht in der zweiten Nachthälfte fahren und bei längeren Touren, wenn möglich, einen Fahrerwechsel einplanen. Wer Medikamente einnimmt, soll darauf achten, dass diese zum Fahrantritt nicht müde machen. Unfälle verhindern: Müdigkeitswarner Dass Müdigkeit und Sekundenschlaf am Steuer ernst zu nehmende Probleme sind, wissen auch die Autobauer. So bieten viele Hersteller für Neuwagen Müdigkeitswarner an. Diese "beobachten" den Fahrer und schlagen zum Beispiel mit einem Kaffeetassensymbol Alarm. Seit 2020 ist die Bewertung des Driver Monitoring Bestandteil des Euro NCAP Verbraucherschutztests für Fahrzeugsicherheit. 2023 wurden die Anforderungen erweitert, die Aufmerksamkeit des Fahrers wird kontrolliert. Seit 2022 sind solche Systeme in der EU Pflicht bei neuen Fahrzeug-Typgenehmigungen, seit Juli 2024 für alle Neufahrzeuge. Unfälle durch Sekundenschlaf können verringert werden durch Notbrems- und Spurhalteassistenten. Sie können bei Unaufmerksamkeit das Auffahren auf ein Stauende oder das Abkommen von der Fahrbahn verhindern oder zumindest die Unfallschwere abmildern. Wach halten können diese Hilfen den Fahrenden nicht, jedoch verschärfen die ersten Notbremsassistenten die Empfindlichkeit, wenn Müdigkeit beim Autofahren erkannt wird. Eine straßentechnische Maßnahme, um die Fahrerin oder den Fahrer zumindest aufzuschrecken, wenn er den rechten Rand der Autobahn überfährt, ist der Einsatz von sogenannten Rüttelstreifen. Diese haben ihren Nutzen in einem Pilotversuch auf einem 35 Kilometer langen Teilstück der A24 von Hamburg nach Berlin schon 2009 bewiesen. Das Einfräsen von Rüttelstreifen entlang aller deutschen Autobahnen würde jedoch mit insgesamt rund 100 Millionen Euro zu Buche schlagen. Eine gängige Maßnahme sind Straßenmarkierungen, die ein Reifengeräusch beim Überfahren erzeugen. Weitere Infos zur EU-Verordnung sowie die ADAC Position zum Thema hier im ADAC Standpunkt Aufmerksamkeits- und Müdigkeitsüberwachung Informationen zur Müdigkeit als Unfallursache und die Forderungen des Clubs dazu hier im ADAC Standpunkt Hinweis: Diese Informationen wurden sorgfältig recherchiert, ersetzen jedoch nicht die Beratung durch eine Ärztin oder einen Arzt.