E-Fuels in Chile: Frischer Wind für neue Energie
Aus Wind wird Sprit: In Chile ist seit kurzem eine Pilotanlage in Betrieb, in der mit Windkraft E-Fuels produziert werden. Ein Ortsbesuch.
Vier Stunden dauert der Flug von Santiago de Chile nach Punta Arenas in Patagonien. Tritt man vor die Glastüren des Flughafens "Internacional Presidente Carlos Ibáñez del Campo" versteht man, warum hier in Zukunft mithilfe von Windkraft E-Fuels produziert werden sollen.
Denn sofort trifft einen der kalte Wind, zerrt an der Kleidung, verschlägt einem den Atem und rüttelt nach wenigen Minuten am Nervenkostüm. Morgens bläst er nur sacht mit bis zu 35 Stundenkilometern, im Lauf des Tages werden es bis zu 120 km/h.
Große Konzerne, große Pläne
In Patagonien, gut 14.000 Kilometer von Deutschland entfernt, steht die weltweit erste große Testanlage für klimafreundliches Benzin. Ihr Name: Haru Oni. In den indigenen Sprachen Selknam und Tehuelche bedeutet das "windgepeitschtes Land".
Gebaut wurde die Öko-Benzinfabrik von der chilenischen Firma Highly Innovative Fuels, kurz HIF Global. Beteiligt waren auch internationale Großkonzerne, von Siemens Energy über den Sportwagenhersteller Porsche, den italienische Energiekonzern Enel, den Mineralöl-Riesen ExxonMobil bis zum chilenischen Raffinerie-Betreiber ENAP.
Ein Windrad wie ein Leuchtturm
Wie ein Leuchtturm weist eine 3,4 Megawatt starke und 148,50 Meter hohe Windkraftanlage den Weg zur Versuchsanlage. Die Landschaft wird geprägt von niedrigen Büschen und knorrigen Bäumen. Wegen des starken Windes wachsen manche von ihnen fast waagerecht über dem Boden. Guanakos, die Ur-Art des Lamas, leben hier, und gelbschwarze Schilder warnen vor Alpakas, die unverhofft die Straße kreuzen.
Mitte 2021 wurde das Fundament der Windkraftanlage gebaut. Auf dem Gelände stand nur ein einziges, beigefarbenes Gebäude, darauf der Schriftzug "Haru Oni Planta Demonstrativa", übersetzt "Demonstrationsanlage". Dort verbrachten die Mitarbeiter ihre Mittagspause. Inzwischen sind weitere Gebäude und technische Anlagen entstanden, im Sommer 2023 soll der Betrieb starten. Alles wirkt adrett und sauber.
Hoffnung auf einen gewaltigen Markt
Der starke patagonische Wind ermöglicht Stromproduktion für günstige 1,5 Cent pro Kilowattstunde. Zum Vergleich: In Deutschland lässt sich Strom aus Windkraft erst ab ca. 4 Cent produzieren*. Unter idealen Bedingungen. Laut Porsche laufen in Südchile Windkraftanlagen bis zu viermal so häufig wie an den windreichsten Orten Deutschlands.
Der so gewonnene Strom wird im nächsten Schritt für die Elektrolyse genutzt. Bei ihr wird Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff aufgespaltet. Letzterer wird per Synthese mit aus der Atmosphäre gewonnenem Kohlenstoffdioxid kombiniert. Daraus entsteht E-Methanol.
Sobald die Produktion hochgefahren ist – nach aktuellen Plänen wird es zwischen 2026 und 2028 so weit sein –, wird der Rohstoff im nahen Hafen Laredo verladen. Von dort gelangt er per Schiff nach Europa.
Pro Stunde kommen 20,5 Kilogramm grüner Wasserstoff aus der Anlage. Doch das ist, so hofft man hier, nur der Anfang. Denn Chile setzt darauf, dass sich grüner, mit Windkraft produzierter Wasserstoff zu einem gewaltigen Zukunftsmarkt entwickelt. Laut der Unternehmensberatung McKinsey plant das Land, bis 2050 über 30 Milliarden US-Dollar in die Wasserstoffproduktion zu investieren. Ende 2022 waren bereits 42 H2-Projekte im Andenstaat in Planung und drei im Bau.
Bisher wird das für den Prozess nötige CO₂ angeliefert, im Sommer geht eine Anlage in Betrieb, die der Umgebungsluft Kohlenstoffdioxid entzieht. Das Verfahren wird als Direct Air Capture bezeichnet. In 60 Minuten wird diese Maschine bald 150 Kilogramm des Treibhausgases aus der Luft holen.
Viel technisches Neuland also. Tatiana Alegre, 59 Jahre, von HIF Global: "Es gab viele schlaflose Nächte, denn wir sprechen hier über ein Novum, bei dem viele Dinge nicht sofort gelangen." Immerhin lacht Alegre, als sie das sagt.
Milliarden Liter sollen folgen
HIF Global plant jetzt auch die erste kommerzielle E-Fuel-Fabrik. Elf Kilometer von der Versuchsanlage Haru Oni entfernt soll sie stehen, die für die E-Benzin-Produktion nötigen bis zu 60 Windkraftanlagen baut man direkt nebenan. In drei Jahren soll die jährliche E-Benzin-Produktion bei 66 Millionen Litern liegen, weitere zwei Jahre später bei 550 Millionen Litern, produziert an Standorten in Chile, den USA und Australien.
Bis 2030 soll ein weiterer Wachstumsschub folgen, dann will die Firma rein rechnerisch auf eine Produktion von über 3,7 Milliarden Liter per annum kommen. Zum Vergleich: "2022 wurden in Deutschland gut 70 Billionen Liter Kraftstoff verbraucht", vermeldete die "Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V."
Im Moment plant das fünf Jahre alte Unternehmen eine zweite Anlage im australischen Hampshire, eine dritte im texanischen Matagorda County. Und in Berlin befindet sich die neue Europazentrale der Firma.
Über acht Millionen Euro aus Deutschland
Nur: Was ist generell von den neuartigen Fabriken zu halten? Professor Dr. Maximilian Fichtner arbeitet als geschäftsführender Direktor des Helmholtz-Instituts Ulm für Elektrochemische Energiespeicherung und schreibt per E-Mail: "Ich glaube nicht, dass E-Fuels in Pkw eine größere Rolle spielen werden, denn da gibt es klimaschonendere und effizientere Lösungen. Aber sie wird als einzig mögliche Option in Anwendungen benötigt, die aus heutiger Sicht nicht elektrisch betreibbar sind, also in Schiffen und Flugzeugen."
Weiter sagt der Experte: "Haru Oni könnte bis Ende des Jahrzehnts etwas mehr als ein Prozent des deutschen Pkw-Kraftstoffbedarfs erzeugen." Tausende solcher Anlagen seien also nötig, um den weltweiten Bedarf zu decken und einen merklichen Klimaeffekt zu erzielen.
Günstig war der Bau der Testanlage nicht. 74 Millionen US-Dollar kostete sie, 8,23 Millionen Euro überwies das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz im Rahmen seiner Nationalen Wasserstoffstrategie.
Dann wäre da noch der schlechtere Wirkungsgrad, da bei jedem Schritt der Verwandlung Energie flöten geht. Doch wenn jene Fabriken sich an sehr windstarken Orten wie in Patagonien finden, könnte sich die Sache rechnen. Am schlechten Wirkungsgrad ändert das zwar nichts – aber weil sich die Windräder so zuverlässig drehen, lassen sich mehr und damit günstigere E-Fuels erzeugen.
Preis könnte unter einen Euro sinken
In einer Studie des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung aus dem März 2023 gehen die Forscherinnen und Forscher von sinkenden Preisen für E-Fuels aus: "Aus den Investitionen der Pilotanlage ergeben sich Kosten von etwa 50 Euro pro Liter." Etabliere sich jedoch die Herstellung von E-Fuels in industriellem Maßstab, so rechne man mit Herstellungskosten von etwa zwei Euro pro Liter, langfristig sei sogar ein Preis von "unter einem Euro" denkbar.
Ein mit dem synthetischen Treibstoff betankter Porsche Panamera hatte auf der Spritztour durch den Nationalpark Torres De Paine übrigens keine Probleme: Weder beim Verbrauch noch beim Fahrgefühl gab es Unterschiede zu herkömmlichem Benzin.
Text: Matthias Lauerer