In Corona-Zeiten fahren weniger Menschen mit Bus und Bahn. Viele überlegen, ihr ÖPNV-Abo zu kündigen, wie ADAC Umfragen zeigen. Im Interview sagt Verbands-Präsident Ingo Wortmann, wie die Verkehrsbetriebe Fahrgäste zurückgewinnen wollen. Wie stark die Pandemie das Mobilitätsverhalten ändert, hat der ADAC in zwei Umfragen erforscht. Nach Corona-Auswirkungen wurde in einer Studie bereits im ersten Lockdown gefragt und dann im November bei 2061 Personen nachgehakt. Ergebnis: Infektionsangst, zu volle Busse und Bahnen sowie Arbeit im Homeoffice sind die Hauptgründe, warum Menschen weniger mit dem ÖPNV fahren. Und: 42 Prozent der Abo-Besitzer haben gekündigt oder überlegen das. Diese Zahl bestätigt nun der neue ADAC Monitor zur Mobilität in 29 mittleren Großstädten (unter 400.000 Einwohner). Das Gesamtergebnis der Umfrage mit 11.637 Interviews liegt noch nicht vor. Die Corona-Fragen wurden vorab ausgewertet. Eine Kündigung ihres ÖPNV-Abos überlegen demnach vor allem Jüngere unter 40 Jahren und Vollzeitbeschäftigte. Gefragt wurde auch, was helfen würde, dass Menschen Busse und Bahnen wieder mehr nutzen: mehr Maskenkontrollen, dichterer Takt und spezielle Tarife (s. Grafik). Darüber sprach die ADAC Redaktion mit Ingo Wortmann, Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), dem über 600 Betriebe und Verbünde angehören. In Normalzeiten befördern sie täglich mehr als 30 Millionen Menschen in Bussen und Bahnen. Wortmann ist auch Vorsitzender der Geschäftsführung der Münchner Verkehrsgesellschaft MVG. ADAC Redaktion: Durch Corona sinken die ÖPNV-Fahrgastzahlen stark, laut ADAC Umfragen sagen 42 Prozent der Abo-Besitzer, dass sie gekündigt haben oder es überlegen. Wie sehen Sie die Lage? Ingo Wortmann: Die weit überwiegende Mehrheit der Abonnentinnen und Abonnenten hält uns bisher die Treue. Es sind eher die Gelegenheitskunden, die uns gegenwärtig fehlen, weil es weniger Fahrtanlässe gibt. Fahrgäste, die aus dem Abo gehen wollen, gibt es immer – da sind natürlich jetzt coronabedingt einige hinzugekommen, jedoch in überschaubaren Größenordnungen. Sorgen bereitet uns, dass wir derzeit nicht mehr so viele Neukunden hinzugewinnen. Mit dem Abklingen der Pandemie und damit dem Rückgang von wirtschaftlicher Unsicherheit und Kurzarbeit rechnen wir aber auch hier vermehrt mit Wiedereinsteiger*innen. Vor allem Jüngere und Vollzeitbeschäftigte denken an Abo-Kündigung. Könnten flexiblere Ticketangebote Abhilfe schaffen – z.B. 10-Tages-Tickets, Tarife für häufige Homeoffice-Nutzer? Flexiblere Ticketangebote waren schon vor Corona ein Thema und sind es jetzt umso mehr. Zahlreiche Verkehrsverbünde und Unternehmen haben schon solche Angebote eingeführt oder arbeiten an den Konzepten. Allerdings zahlt sich auch das klassische Abo, als Flatrate des ÖPNV, bereits ab wenigen Fahrten pro Woche aus. Dennoch setzen wir auf mehr Flexibilisierung im Ticketsegment – und mehr Digitalisierung. Der Papierfahrschein wird schrittweise durch Handytickets oder Chipkarten ersetzt. Mehr Maskenkontrollen und Angebote auch außerhalb der Stoßzeiten würden laut ADAC Umfrage dazu beitragen, dass Befragte den ÖPNV häufiger nutzen. Was können die Verkehrsbetriebe tun? Ein gutes, zuverlässiges Angebot bis in die Tagesrandlagen ist das A und O im öffentlichen Nahverkehr. Dieses bauen wir Jahr für Jahr weiter aus und haben das insbesondere in den Städten auch in der Vergangenheit gemacht. Es finden Kontrollen der Maskenpflicht statt, diese sind vielerorts intensiviert worden. Die Disziplin der Fahrgäste ist nach unserer Beobachtung weiterhin sehr hoch. Ihr Verband prognostiziert für 2021 einen Verlust von rund 3,5 Milliarden Euro Fahrgeldeinnahmen. Wie sehen Sie die Zukunft? Wir fahren in der Krise als systemrelevante Branche bisher die volle Leistung. Welchen finanziellen Ausgleich es 2021 geben wird, wissen wir bisher nicht. Wir erleben einen nie da gewesenen Einbruch. Wir verzeichneten vor der Pandemie 22 Jahre lang Fahrgastrekorde. Daran müssen wir anknüpfen. Kurzfristig geht es darum, unsere Kundinnen und Kunden zurückzugewinnen. Hier setzt die Wiedereinsteiger-Kampagne #BesserWeiter* an. Klar ist aber auch, dass der Klimawandel keine coronabedingte Pause machen wird. Ohne Busse und Bahnen erreichen wir die Klimaziele nicht. Daher werden wir in Zukunft eine deutlich wichtigere Rolle im Mobilitätsmix spielen. Wäre eine andere Preispolitik sinnvoll? Zum Beispiel günstigere Tarife und Angebote wie 365-Euro-Ticket oder Mobil-Flatrate für Bus, Bahn, Carsharing und Leihräder? Fahrpreise werden in den Medien gern behandelt, sind jedoch nicht der entscheidende Faktor für die Fahrgäste. Die wollen ein zuverlässiges, komfortables, gut ausgebautes Angebot, dann sind sie auch bereit, dafür zu bezahlen. Wir brauchen jeden Euro, denn zusätzliche Leistungen wie neue Strecken, dichtere Takte usw. kosten auch mehr. Gleichzeitig die Preise erheblich zu senken wäre nur durch deutlich mehr öffentliche Gelder aufzufangen. Das halte ich angesichts der coronabedingt schwer belasteten öffentlichen Haushalte aktuell für ausgeschlossen und perspektivisch für sehr schwierig. Hier müssen wir auch alternative Finanzierungsquellen untersuchen, z.B. Bürgertickets – also Abos, die von allen Bürgern pauschal bezahlt werden. Zusätzlich schaffen wir Mobilitätsplattformen und können den ÖPNV auch dort mit ergänzenden Angeboten vernetzen. * Durch Anklicken des Links werden Sie auf eine externe Internetseite weitergeleitet, für deren Inhalte der jeweilige Seitenbetreiber verantwortlich ist.