BMW M 1000 XR: Das Power-SUV unter den Motorrädern
Über 200 PS leistet die neue BMW M 1000 XR. Doch sie ist kein Superbike, sondern ein hochgelegtes Crossover. Kann das klappen? Fahrbericht, Bilder, technische Daten, Preis.
Ungewöhnlich hohe Sitzposition
Beeindruckende Motorleistungen
Maximum an Assistenzsystemen
BMW M steht für besonders sportliche Fahrzeuge. Seit rund einem halben Jahrhundert vor allem für Autos, seit ein paar Jahren aber auch für BMW-Motorräder. Die neue M 1000 XR ist das dritte Bike, das das schnelle M tragen darf – nach M 1000 R und M 1000 RR.
Nur: Statt eines flachen und kompromisslosen Supersportlers ist die neue M ein hochbeiniges, ja was denn? Crossover? Sportstourer? Enduro-Sportler? Long-Distance-Sportler?
Dass die M einer Rakete gleicht, sieht man schon von Weitem. Die Lufttunnel an der Seite verringern Turbulenzen, der M-Flügel sorgt für mehr Stabilität. Rund zwölf Kilogramm Anpressdruck bei 220 km/h verspricht BMW – und damit die volle M-Power. Klingt eher nach MotoGP als nach Ausflugsdampfer.
"Die M 1000 XR ist schärfer als jede andere XR. Jedes Detail hat einen technischen Grund", erklärt Markus Flasch, Chef von BMW-Motorrad. "Es ist aber auch ein Long-Distance-Bike, ein sehr starkes Motorrad für die Langstrecke", ergänzt Flasch. Die BMW M 1000 XR basiert auf der modifizierten S 1000 XR mit 170 PS. Nur ist sie stärker und extremer.
Ungewöhnliche Sitzposition
201 PS auf dem Papier bei vollgetankten 220 Kilogramm machen jedenfalls Angst. Also mit gehörigem Respekt den weichen, gut konturierten Sitz entern und den Startknopf drücken. Direkt erwacht der 1,0-Liter-Reihenvierzylinder, säuselt leise vor sich hin. Kein Gebrüll, kein lautes Fauchen, sondern ein sehr dezenter Auftritt.
Auch der Tritt auf die Schaltung verwundert. Kein lautes Klacken, nur ein sanfter Klick. Aufrecht sitzt der Testpilot im fetten Sattel, greift an den breiten Lenker, spreizt die Knie locker wie bei einer Reiseenduro, tief im Inneren des Bikes, mit guter Sicht von oben. Kupplung langsam lösen und entspannt anrollen.
Im Test: 201-PS-Motor
Ja, entspannt. Es stellt sich kein Gefühl von Power oder Druck ein, sondern vielmehr ein wohliges Gefühl. Der Vierzylinder des Supersportlers BMW S 1000 RR leistet 201 PS bei 12.750 U/min und damit 31 PS mehr als die neue S 1000 XR. Das maximale Drehmoment von 113 Nm liegt bei 11.000 U/min, die Maximaldrehzahl bei 14.600 U/min. Dort soll ein optimiertes Ansaugsystem mit variablen Ansaugtrichtern Ladungswechsel verbessern.
Bei 9000 U/min schaltet das Shiftcam um und lässt den Motor fauchen. Der Fokus des Antriebs liegt also auf rennstreckentauglicher, maximaler Performance im oberen Drehzahlbereich – eher ein Renn- als ein Tourenmotor. Aber das täuscht. Wer will, kann mit der M 1000 XR auch durch die Gegend cruisen. Niedriger Gang, ein bisschen am Gashahn ziehen und die Aussicht von oben genießen, so geht es durch die Stadt und über Land.
Bilder: Die BMW M 1000 XR im Detail
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Spätestens nach der vierten Kurve werden jedoch selbst zurückhaltende Fahrerinnen und Fahrer kribbelig. Die Reifen sind längst auf Temperatur, und die Gänge werden immer weiter ausgedreht. Dann erwacht die M zum Leben. BMW übersetzt den vierten, fünften und sechsten Gang kürzer und wählt am hinteren Kettenrad 47 statt 45 Zähne. Kurz durchladen und bis ans Ende des Drehzahlmessers hochdrehen. Aus dem Stand katapultiert der Motor die M in 7,4 Sekunden auf 200 km/h. Auf Autobahnen und Rennstrecken sind bis zu 275 km/h möglich.
Perfekt für Landstraßen
Am meisten Spaß machen Landstraßen. Einmal in Bewegung, überzeugt der Sahnemotor mit seinem breiten Drehzahlband und schiebt die M kräftig an. Aus dem vormaligen leisen Säuseln wird ab 9500 Touren ein infernalisches Kreischen. Jetzt beißt sich das Motorrad fest in den Teer, legt sich leicht und willig in die Kurve, zieht neutral selbst bei großer Schräglage durch und reagiert anschließend äußerst vehement, aber seidig auf den nächsten Gasstoß.
Damit die M in Kurven gut klebt, spendiert BMW einen breiteren Hinterreifen, 200/55 anstatt 190/55. Kurz durchladen, nächste Kurve. Wie von selbst fällt die M in Schräglage, lässt sich mit dem Gasgriff exakt durch die Kurve zirkeln, stellt sich erneut auf und reißt an der Kette. Kaum zu glauben, dass sich dieses 220-Kilogramm-Motorrad mit der hohen Sitzposition so einfach durch die Kurve wedeln lässt.
Und da ist diese Bremse. Die neue M-Bremse mit 320-Millimeter-Doppelscheiben lässt sich mit zwei Fingern (wirklich!) bedienen und in jeder Situation sehr gut dosieren. Kraftvoll und bissig packt sie zu, dabei gleichzeitig sanft und mit völliger Kontrolle. Nahezu ohne Aufstellmoment bremst man sich in den Radius und erhält gleichzeitig eine exakte Rückmeldung der Straße.
Dabei hilft die dynamische Dämpfungskontrolle, die fortwährend Zug- und Druckstufe anpasst. Ganz nach Geschmack der Pilotin bzw. des Piloten lässt die sich vor dem Ritt weicher oder härter konfigurieren. "Es ist das nächste Level der ultimativen Fahrmaschine, die wir so gebaut haben, wie wir es wirklich wollten, ohne Kompromisse", sagt Toine Ruhé, Manager der Vier- und Sechszylinder-Motorräder bei BMW.
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Mehr Technik geht nicht
Das wird optisch direkt sichtbar. BMW veredelt seine neue M mit Akrapovič-Endschalldämpfern aus Titan und Carbon, M-Endurance-Kette, M-Winglets, Upside-down-Gabel mit einstellbarer Federbasis, M-Bremsen, Aluminium-Schmiederädern, M-Handbrems- und Kupplungshebel, einstellbarem Lenkungsdämpfer, überfräster Lenkerklemmung und einem weiter nach vorn orientierten Rohrlenker mit gelasertem BMW-M-XR-Schriftzug.
Dazu kommen sämtliche Assistenzsysteme und digitale Helferlein, die BMW derzeit im Regal hat. Auszug: Kurven-ABS, Fahrmodi (Rain, Road, Dynamic, Race und Race Pro), dynamische Traktionskontrolle DTC, DTC-Wheelie-Funktion und Schaltassistenten für schnelles Schalten, ohne zu kuppeln. Hill-Start-Control Pro, USB-Ladebuchse, LED-Leuchteinheiten, elektronische Temporegelung, Keyless Ride und Scheinwerfer mit adaptivem Kurvenlicht sind ebenfalls an Bord.
Gepäckträger gibt es für die neue M von BMW nicht, die würden die Aero zerstören und das ganze Spoilerwerk rundum ad absurdum führen. Für den kleinen, schnellen Ausflug muss ein leichtes Softgepäckset reichen – und natürlich eine gut gefüllte Brieftasche.
BMW M 1000 XR: Technische Daten, Preis
Herstellerangaben | BMW M 1000 XR |
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Motor | 4 Zylinder, Reihenmotor, 999 ccm Hubraum, 148,0 kW bei 12750/min, max.Drehmoment 113,0 bei 11100 U/min, 4 Ventile/Zylinder, Einspritzanlage, Flüssigkeitskühlung |
Assistenzsysteme | Ausstattung SERIE: ASC (Automatic Stability Control), Fahrmodi Rain u. Road, OPTION: Fahrmodi Pro (inkl. ABS Pro), DTC (Dynamic Traction Control), ESA, Keyless Ride |
Fahrwerk | Brückenrahmen/Aluminium; 45 mm Up-Side-Down-Telegabel, 138 mm Federweg; Zweiarmschwinge hinten, 138 mm Federweg; |
Maße | Leergewicht ca. 225 kg, zul. Gesamtgewicht 450 kg; Länge/Breite/Höhe 2170 / 850 / 1382 mm, Sitzhöhe 850 mm; Tankinhalt 20,0 l |
Bremsen | teilintegrales Bremssystem, vorne Scheibe, 320 mm, hinten Scheibe, 265 mm |
Fahrleistungen / Verbrauch | Höchstgeschwindigkeit über 275 km/h, 6,5 l/100 km |
Preis | 25900 Euro |
Fazit: Ein teures Fahrvergnügen
Unabhängig von der Sinnhaftigkeit eines hochgelegten Langstrecken-Sportlers mit 201 PS kostet die M mindestens 25.900 Euro. Mit dem M-Competition-Paket mit leichten Carbonteilen kommen noch mal 5090 Euro hinzu. Über 30.000 Euro für eine Sportmaschine sind heftig.
Aber: So radikal und kraftvoll die neue M auch ist, so spielend leicht und souverän fährt sie dank sensationeller Bremse, einfachem Handling, intelligenter Elektronik und fein arbeitendem Fahrwerk. Die Angst verfliegt nach den ersten Metern auf dem Power-SUV der Motorräder. Es bleibt nur der Respekt vor der Leistung und der Ingenieurskunst. Auf öffentlichen Straßen werden Pilotinnen und Piloten die volle Performance der M 1000 XR zwar nie erfahren können, doch es gibt ja noch ein paar Rennstrecken…
Text: Fabian Hoberg