Nicht mehr fit fürs Autofahren: "Meldepflicht für Ärzte lehnen wir ab"
Im ADAC Interview erklärt Dr. Ingrid Dänschel vom Deutschen Hausärzteverband, warum Mediziner gegen eine Meldepflicht von fahrungeeigneten Personen sind.
Sehschwäche, Herzprobleme, beginnende Demenz – vor allem bei älteren Autofahrerinnen und Autofahrern wird immer über die Fahreignung diskutiert. Zuletzt auf dem 61. Deutschen Verkehrsgerichtstag* in Goslar, der sich gegen eine Meldepflicht für Ärztinnen und Ärzten von fahrungeeigneten Personen aussprach. Referentin in Goslar war unter anderen die Diplom-Medizinerin Dr. Ingrid Dänschel, die im sächsischen Lunzenau eine Praxis für Familienmedizin hat und im Vorstand des Deutschen Hausärzteverbands ist.
ADAC Redaktion: Haben Sie schon mal Patienten davon abgeraten, noch Auto zu fahren?
Dr. Ingrid Dänschel: Das ist unser täglich‘ Brot. Es gibt ständig akute Ereignisse und neue Erkrankungen, auch bei Jüngeren. Da geht es zum Beispiel um das Einstellen auf Insulin bei Diabetikern, Epilepsie, Schlaganfälle oder Herzerkrankungen. Wir sagen in solchen Fällen den Patientinnen und Patienten, dass für sie im Moment ein zeitlich befristetes Fahrverbot besteht. Solche Dinge belasten natürlich hin und wieder das Verhältnis zwischen Arzt und Patienten. Wichtig ist dabei auch, dass man die Vorgänge ordentlich dokumentiert, damit Rechtssicherheit für einen selbst besteht. Ich halte dann schriftlich fest, dass die Patientin oder der Patient belehrt und ein Fahrverbot ausgesprochen wurde.
Wie erleben Sie Menschen, bei denen Sie ein Fahrverbot aussprechen?
In der Regel sind die Patientinnen und Patienten einsichtig, manche reagieren aber auch mit Unverständnis. Das ist gerade bei älteren Männern, bei denen Autofahren oftmals ein fester Bestandteil des Lebens ist, häufiger mal der Fall. Ich ziehe dann oft Angehörige hinzu, soweit es im Rahmen der Schweigepflicht möglich ist. Häufig steckt da schon ein langer Diskurs in der Familie dahinter. Wir haben auch schon erlebt, dass Angehörige in solchen Fällen Benzinleitungen zerschnitten oder den Autoschlüssel weggenommen haben, damit die oder der Betroffene nicht mehr fährt. Das sind aber Einzelfälle, die meisten Menschen sind einsichtig und verstehen die mit dem Autofahren für sie und andere verbundenen Risiken. Mal am Rande: Viele ältere Menschen hören von alleine mit dem Autofahren auf. Einige von ihnen würden sich vielleicht mit einer Unterstützung, wie einem Fahrtraining, wieder ans Steuer trauen.
Gibt es auch Menschen, die Sie fragen, ob sie noch fahren sollten?
Eher kommen die Angehörigen mit ihren Eltern, weil sie wissen wollen, ob es in Ordnung ist, dass die Mutter oder der Vater noch fährt. Wir sprechen dann ausführlich darüber. Aber ich erlebe es viel öfter, dass Patientinnen oder Patienten sagen, dass sie nicht mehr alle Strecken fahren, sondern nur noch kurze und bekannte Touren, wie zum Beispiel zum Bäcker oder in die Stadt. Wir beraten auch immer dahingehend, dass man überlegen sollte, was man alles spart, wenn man kein Auto mehr hat: Steuern, Versicherung, Reparaturen, Tanken, der Wert des Wagens. Eventuell ergibt es Sinn, ein Auto auch abzustoßen. Für dieses Geld kann man die wichtigsten Strecken dann mal mit dem Taxi fahren, auch auf dem Land. Oder man behält das Auto und hat jemanden, vielleicht ein Enkelkind, das einen fährt und es dafür auch selbst nutzen darf. Das ist eine sinnvolle Art, sich ein Auto zu teilen.
Wie hoch ist der Anteil von Menschen, die irgendwann wieder fahren dürfen, wenn sie medikamentös eingestellt sind?
Auch wenn ich keine Statistiken kenne, dürfte dieser Anteil sicher sehr hoch sein. Dauerhafte Fahrverbote werden von Ärztinnen und Ärzten nicht oft ausgesprochen. Wenn die Durchschnittspraxis 1000 Patienten hat, sind vielleicht zwei oder drei betroffen, bei denen das ein Thema ist, würde ich schätzen.
Haben Sie schon einmal jemanden gemeldet, der sich nicht an das Fahrverbot gehalten hat?
Ein einziges Mal in meinen 30 Berufsjahren musste ich jemanden melden. Das war ein Fall von Schizophrenie. Die Frau fuhr trotz eines Verbotes weiter, und in einem kleinen Ort bekommt man das ja umgehend mit. Sie war im Verkehr eine Gefahr für andere. Da habe ich tatsächlich die Polizei informiert, dass die Patientin uneinsichtig ist. Aber nicht, weil sie böswillig ist, sondern, weil die Krankheit sie uneinsichtig gemacht hat. Ihr wurde die Fahrerlaubnis entzogen, was auch nicht gleich geholfen hat, denn sie ist trotzdem weitergefahren. Da musste das Auto am Ende konfisziert werden.
Was halten Sie von einer Meldepflicht für Ärzte bei fahrungeeigneten Personen?
Das lehnen wir grundsätzlich ab. Das hat auch der Arbeitskreis auf dem Verkehrsgerichtstag in Goslar, der sich mit dieser Frage beschäftigt hat, mit Blick auf die Bedeutung der ärztlichen Schweigepflicht abgelehnt.
Was würde denn eine solche Meldepflicht für Ärztinnen und Ärzte bedeuten?
Die Beziehung zwischen Ärzten und ihren Patienten würde durch eine Aushöhlung der Schweigepflicht leiden. Wenn mir jemand ein gesundheitliches oder psychisches Problem schildert, vielleicht sogar sexuelle Schwierigkeiten in der Ehe, muss man darauf vertrauen können, dass diese Gespräche im Arztzimmer und bei mir bleiben. Sonst wird sich die Patientin oder der Patient nicht mehr offenbaren. Das würde auch einen gesellschaftlichen Schaden anrichten, denn darunter würde die gesundheitliche Versorgung leiden.
Was empfehlen Sie Angehörigen von Demenzkranken?
Eine Demenz bedeutet zumindest im frühen Stadium nicht unbedingt, dass jemand fahrungeeignet ist. Wer viel Fahrpraxis hat und gut gefahren ist, hat das im Altgedächtnis. Auch bei einer Demenz muss man üben, auch mal mit einem Fahrlehrer. Der sagt dann, ob man noch in der Lage ist, ein Auto zu führen. Das würde ich den Angehörigen empfehlen. Und natürlich ist es insgesamt besser, wenn man keine weiten Strecken oder nachts fährt, sondern nur ein paar Kilometer im Umkreis. Das reicht für den Erhalt der Mobilität und damit der Lebensqualität.
Wie prüft man selbst, ob man noch fit genug fürs Fahren ist?
Das geht am besten mit Angeboten wie Mobilitätschecks, die von Verbänden angeboten werden. Auch der Gang zum Optiker, um die Sehkraft zu prüfen, ist sinnvoll. Weiter kann ein Reaktionstest bei einem Gutachter hilfreich sein. Das alles sind niedrigschwellige Angebote zur Selbsttestung.
In der Schweiz und anderen Ländern werden Ältere regelmäßig getestet. Was halten Sie davon?
Studien belegen, es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis, dass altersbezogene generalpräventive Untersuchungen für mehr Sicherheit sorgen. Daten aus der Schweiz oder skandinavischen Ländern zeigen, dass das kalendarische Alter allein kein geeignetes Auswahlkriterium darstellt.
Können Sie sich extreme Fälle vorstellen, bei denen Sie noch mal jemanden melden würden?
Ja, sicher, das kann jeden Tag passieren. Wir haben auch Fälle von Alkohol- oder Drogenmissbrauch. Wenn dann die Menschen uneinsichtig sind, und mir ein Rückfall bekannt wird, sage ich, dass jetzt Schluss mit dem Autofahren ist, bis die Entgiftung erfolgreich war. Wenn daraufhin jemand sagt, dass sie oder er fahren muss, da sonst ein Jobverlust droht, wäre das ein Meldegrund für mich, weil sonst jemand wirklich zu Schaden kommen könnte. Das ist auch gesetzlich abgedeckt, da verstoße ich gegen keine Vorschrift.
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