Wer hat bei einem Auffahrunfall Schuld?

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Von Anabel Greefe

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ein Auffahrunfall von zwei Autos
Wer auffährt, hat Schuld – bei plötzlicher Vollbremsung des Vordermanns kann das anders aussehen© Shutterstock/Robert Crum

Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit – und schon kracht's. Auffahrunfälle passieren oft. Wer trägt die Kosten? Die Juristinnen und Juristen des ADAC klären auf.

  • Der Auffahrende ist nicht immer schuld

  • Wer ohne Grund plötzlich bremst, haftet regelmäßig mit

  • Bei einem Spurwechsel kann der Vordermann zu 100 Prozent haften

Wer ist eigentlich schuld nach einem Auffahrunfall? Zwar gilt oft der sogenannte Anscheinsbeweis, der dem Auffahrenden die Schuld zuschreibt. Aber: Es gibt Ausnahmen.

Hat der Auffahrende immer Schuld?

Bei einem Auffahrunfall greift der sogenannte Anscheinsbeweis: Dieser erlaubt es, aufgrund von Erfahrungssätzen auf einen gewissen Geschehensablauf zu schließen. Man geht deshalb bei einer Auffahrsituation erst mal davon aus, dass der Auffahrende Schuld hat, weil er:

  • den erforderlichen Sicherheitsabstand zum Vorfahrer nicht eingehalten hat,

  • seine Fahrgeschwindigkeit nicht angepasst hat oder

  • unaufmerksam oder abgelenkt war.

Etwas anderes gilt nur, wenn der Vorfahrende ohne triftigen Grund und nicht verkehrsgerecht abgebremst hat. Und der Hintermann dies auch beweisen kann.

Bremsen wegen Tier auf der Straße: Was gilt?

Das Landgericht Duisburg hatte einen Fall zu entscheiden, bei dem der Vorausfahrende wegen eines Vogels auf der Straße eine Vollbremsung hinlegte – und es krachte. Das Ergebnis: Eine Haftungsverteilung von 70 Prozent beim Auffahrenden und 30 Prozent beim Vorausfahrenden.

Kleintiere wie Tauben, Eichhörnchen oder Kaninchen rechtfertigen kein abruptes Abbremsen. Wer trotzdem plötzlich in die Eisen steigt, muss damit rechnen, einen Teil der Schuld zu tragen – so sieht es die Rechtsprechung.

Auffahrunfall nach unerwarteter Vollbremsung

Aber auch bei einer grundlosen Vollbremsung kann der Hintermann mit haften. So wurde vielfach von Gerichten entschieden: Als Autofahrer muss man grundsätzlich nicht mit einer plötzlichen Vollbremsung auf freier Strecke rechnen.

Die Einhaltung des Sicherheitsabstands dient aber gerade dazu, durch rechtzeitiges Bremsen ein Auffahren zu vermeiden. Hat der Hintermann also den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht vollends eingehalten, trägt er die Hälfte der Schuld.

Sonderfall: Bremslichter defekt und Spurwechsel

Die Haftung des Auffahrenden kann dadurch ausgeschlossen oder vermindert sein, dass die Bremslichter des vorausfahrenden Fahrzeugs nicht funktionieren. Ähnlich verhält es sich bei einem vorherigen Spurwechsel: In einem solchen Fall kann der Vorausfahrende sogar 100 Prozent haften. Zum Beispiel wenn er nach einem Überholvorgang kurz vor dem Hintermann einschert.

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Auffahrunfall auf stehendes Fahrzeug

Ein Warnschild vor Auffahrunfällen an der Ampel an der Strasse
Diese Beschilderung warnt vor dem Auffahren an der Ampel© dpa/Fotostand/K. Schmitt

Kommt ein Fahrzeug zum Stillstand, weil die Ampel von Grün auf Gelb umschaltet, liegt nach der Rechtsprechung ein verkehrsgerechtes Abbremsen vor. Der Hintermann muss den gesamten Schaden allein tragen, da er beim Umschalten der Ampel mit einem plötzlichen abrupten Bremsen des Vorausfahrenden rechnen muss.

Urteil: Auffahrunfall auf Tankstellengelände

Wer zahlt den Schaden, wenn sich nicht klären lässt, wer wem aufgefahren ist? Ein Urteil des Amtsgerichts München.

Der Fall: Auf einem Tankstellengelände ereignete sich ein Auffahrunfall. Eine Autofahrerin hatte bei der Tankstellenausfahrt gebremst, um den Verkehr vorbeizulassen. Es kam zum Zusammenstoß mit dem dahinter fahrenden Auto. Die Autofahrerin behauptete, das andere Auto sei von hinten aufgefahren.

Auffahrunfall: Streit um Schuld

Die Insassen des hinteren Autos argumentierten, beide Fahrzeuge hätten erst gestanden. Der Wagen der Frau habe dann plötzlich zurückgesetzt und sei rückwärts gegen das hintere Auto gefahren. Die Haftpflichtversicherung des hinteren Fahrzeugs bezahlte den Schaden am vorderen Auto zu 50 Prozent. Die Fahrerin verlangte jedoch weiteren Schadenersatz von gut 1800 Euro und klagte.

Nicht zu klären: Wer ist wem aufgefahren?

Das Amtsgericht München entschied, die Klägerin habe keinen weiteren Schadenersatzanspruch, es sei nicht aufklärbar, wer gegen wen gefahren ist. Denn die Parteien blieben bei ihren Behauptungen. Und ein Sachverständiger führte aus, der Unfallhergang sei nicht aufklärbar, da beide Unfallversionen möglich seien.

Schaden wird geteilt

Daher stehe Aussage gegen Aussage, für keine der beiden Parteien spreche ein sogenannter Anscheinsbeweis. Beide Zeugen machten einen glaubhaften Eindruck, das Gericht hielt beide Versionen für möglich. Daher nahm das Gericht eine hälftige Teilung der Haftung an. Nachdem die Klägerin schon die Hälfte ihres Schadens von der gegnerischen Versicherung erstattet bekommen hatte, habe sie keinen Anspruch auf weitere Zahlungen, so das Gericht.

AG München, Urteil vom 27.11.2023, Az.: 336 C 6248/22 (Hinweis: Das Urteil ist rechtskräftig.)

Auffahrunfall mit Fahrschulauto: Wer hat Schuld?

Auch beim Auffahren auf ein Fahrschulauto trifft den Hintermann die Schuld: Jeder Verkehrsteilnehmer, der einem Fahrschulfahrzeug folgt, muss mit plötzlichen und sonst nicht üblichen Reaktionen des Fahrschülers rechnen, urteilte das Landgericht Saarbrücken. Das grundlose Abbremsen oder auch Abwürgen des Motors gehöre zu den typischen Anfängerfehlern eines Fahrschülers.

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Regulierung bei Massenkarambolagen

Bei Massenunfällen ist es oft unmöglich, den Unfallhergang eindeutig nachzuvollziehen. Deshalb greifen hier andere Regeln bei der Schadensregulierung als bei einem normalen Unfall. Die meisten Versicherungen regulieren freiwillig nach einem vereinfachten Verfahren. Die eigene Kfz-Haftpflichtversicherung übernimmt dabei den ganzen Schaden ihres Versicherungsnehmers – unabhängig von der Schuldfrage. Der Schadenfreiheitsrabatt bleibt gleich.

Ob ein Massenunfall vorliegt und das vereinfachte Verfahren abgewendet wird, entscheidet ein Gremium des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Voraussetzungen: Es konnte kein Verursacher festgestellt werden, es waren mehr als 40 Fahrzeuge beteiligt (ist der Hergang schwer nachzuvollziehen, genügen 20) und die Unfälle müssen in einem "engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang" stattgefunden haben.

Vorsicht bei Anhängerkupplung

Eine Anhängerkupplung kann beim Auffahrunfall den Schaden an beiden Fahrzeugen vergrößern. Eine abnehmbare Anhängerkupplung, die man nicht demontiert hat, kann deshalb zu einer Mithaftung des Vordermannes führen. Gerichte haben über diesen Einwand bislang zwar noch nicht entschieden. Man sollte eine Anhängerkupplung – sofern möglich – jedoch trotzdem entfernen, um eine Vergrößerung des Fremd- sowie Eigenschadens zu vermeiden.