Haftung bei Auffahrunfall: Vordermann bremst plötzlich stark ab

Ein Warndreieck auf einer Strasse, im Hintergrund ein Unfall
Auffahrunfall: Zunächst wird vermutet, dass schuld ist, wer hinten auffährt© iStock.com/Tommaso79

Wer haftet bei einem Auffahrunfall, wenn der Vorausfahrende mal bremst, mal beschleunigt und schließlich grundlos stark abbremst? Das Oberlandesgericht München entschied, dass der Vorausfahrende 60 Prozent des Schadens tragen muss.

Der Fall: Eine Autofahrerin verlangte nach einem Auffahrunfall Schadenersatz und Schmerzensgeld. Ein anderes Auto war auf ihren Wagen aufgefahren. Allerdings fuhr die Frau vorher sehr unregelmäßig: Mal beschleunigte, mal bremste sie und bremste schließlich abrupt ab – der Hintermann fuhr auf sie auf.

Die Autofahrerin klagte gegen den auffahrenden Autofahrer und seine Kfz-Haftpflichtversicherung. Das Landgericht gab ihr in erster Instanz Recht. Es ging von der vollen Haftung des Auffahrenden aus. Die Beklagten legten Berufung ein und hatten damit überwiegend Erfolg.

Mithaftung wegen unberechenbarer Fahrweise

Das Oberlandesgericht bewertete die Haftungsverteilung anders. Danach muss die Autofahrerin für den Schaden zu 60 Prozent haften. Zwar spräche hier zunächst der sogenannte Anscheinsbeweis dafür, dass der Auffahrende Schuld an dem Unfall trägt.

Aber nach Ansicht der Richter konnten die Beklagten beweisen, dass die Autofahrerin schuldhaft den Auffahrunfall mit verursacht hat. Dabei komme es nicht darauf an, dass die Autofahrerin nicht bis zum Stillstand, sondern nur stark abgebremst hat, so das Gericht.

Abstand zum Vordermann notwendig

Der nachfolgende Fahrer müsse zwar Abstand halten. Der Vorausfahrende habe aber die Pflicht, allmählich abzubremsen und damit Auffahrunfälle zu vermeiden. Verletzt er diese Pflicht, sei er am Auffahrunfall zumindest mit schuld. Zeugen und ein Sachverständigengutachten hatten in diesem Fall eine abrupte Bremsung bewiesen.

Starkes Bremsen nicht gerechtfertigt

Es lag gerade kein zwingender Grund für eine starke Bremsung vor – etwa ein Kind auf der Fahrbahn –, der das Verhalten der Autofahrerin rechtfertige, so das Gericht. Daher hielten die Richter von 60 zu 40 zulasten der Autofahrerin für angemessen.

OLG München, Urteil vom 11.5.2022, Az.: 10 U 2165/21