ADAC Test: So pünktlich ist der ÖPNV in Berlin, Hamburg und Frankfurt wirklich
Der ADAC hat über einen Monat lang Echtzeitdaten aller S- und U-Bahnen in Berlin, Hamburg und Frankfurt am Main ausgewertet. Der Test zeigt, wie pünktlich der ÖPNV in den Großstädten ist – ohne die betriebsüblichen Toleranzen von bis zu sechs Minuten.
Bei einer Toleranz bis zu einer Minute knicken die Pünktlichkeitsquoten ein
Hamburgs S- und U-Bahnen erreichen beste Werte in der ADAC Auswertung
In Berlin und Frankfurt bremsen Baustellen und Personalmangel oft den ÖPNV
Pünktlich wie die Eisenbahn: Diese Redewendung ist in Deutschland heute fast ausgestorben. Schließlich klingt sie inzwischen mehr nach Ironie als nach Kompliment. Denn auf der Schiene funktioniert die Mobilität aufgrund fehlender Kapazitäten und einer überalterten Infrastruktur immer seltener auf die Minute genau. Nicht nur im Fernverkehr, auch im Regional- und Nahverkehr sind Verspätungen meist an der Tagesordnung.
Verspätung ist nicht gleich Verspätung
Der ADAC hat im September 2024 überprüft, wie pünktlich S- und U-Bahnen in den Großstädten Berlin, Hamburg und Frankfurt am Main wirklich sind. Ein Zug gilt bei der Deutschen Bahn nämlich noch als pünktlich, wenn er weniger als sechs Minuten verspätet ist. Die Verkehrsbetriebe vor Ort rechnen für die offiziellen Statistiken auch mit Toleranzen. Ausfälle werden gar nicht berücksichtigt.
Im engmaschigen Verkehrsnetz einer Metropole kann jedoch oft schon eine Verspätung von mehr als einer Minute zu einem Anschlussverlust und in der Folge zu einer Reisezeitverl ängerung von 20 Minuten oder mehr führen. Deshalb hat der ADAC genau gerechnet. Der Mobilitätsclub spricht sich zudem dafür aus, dass die ÖPNV-Betreiber im Sinne des Verbraucherschutzes künftig dasselbe tun.
Diese Großstädte haben mitgemacht
Die Verkehrsverbünde in Berlin, Hamburg und Frankfurt am Main stellten Echtzeitdaten zu allen Fahrten von S- und U-Bahn zur Verfügung. Köln lieferte zwar Werte. Sie basieren aber auf einer anderen Berechnungsmethode, weshalb der ADAC diese nur teilweise berücksichtigen konnte. München und die Deutsche Bahn gaben keine Genehmigungen, deren Schnittstellen zu nutzen.
Wie viel zu spät ist noch pünktlich?
Dank Digitalisierung lassen sich alle Verbindungen im ÖPNV in Echtzeit messen. Das ermöglicht die genaue Kommunikation von Verspätungen an die Fahrgäste. Offizielle Zahlen, die Verkehrsbetriebe zum Beispiel regelmäßig in ihren Statistiken und in Qualitätsberichten veröffentlichen, weichen allerdings oft von den Echtzeitdaten ab – und sind kaum vergleichbar. Denn Pünktlichkeit wird überall etwas anders definiert. Sie decken sich also nicht genau mit dem, was Reisende und Pendelnde erleben.
So kommunizierte die Deutsche Bahn, die mehrere S-Bahn-Netze betreibt, für das erste Halbjahr 2024 eine betriebliche Pünktlichkeitsquote von 92 Prozent im deutschen S-Bahn-Verkehr. Diese berücksichtigt weder bis zu 5:59 Minuten verspätete noch komplett ausgefallene Züge. Das geht aus einer Antwort des Bundesverkehrsministeriums auf Anfrage der Grünen im Bundestag hervor.
Eine repräsentative ADAC Umfrage unter 335 Menschen im Frühjahr 2024 ergab hingegen, dass "gefühlt" nur zwei von drei S-Bahnen in Deutschland (63 Prozent) pünktlich sind. Diese subjektive Wahrnehmung berücksichtigt sowohl Verspätungen als auch Ausfälle. Die Nutzerinnen und Nutzer liegen im Schnitt gar nicht so falsch, wie die ADAC Analyse in Berlin, Hamburg und Frankfurt zeigt.
Rechnet man mit niedrigeren Schwellenwerten als die meisten ÖPNV-Verbünde der Großstädte – nämlich ein bis drei Minuten – und bezieht Ausfälle ein, sinken deren Pünktlichkeitsquoten von 80 bis knapp 100 Prozent oft auf 50 bis 70 Prozent. Das wiederum deckt sich mit den Erfahrungen der Fahrgäste. Die ADAC Auswertungen belegen auch, dass es große Unterschiede zwischen den Metropolen gibt.
Hinweis zur Lesbarkeit
Zur besseren Übersichtlichkeit sind die S- und U-Bahnen immer in einer Grafik zusammengefasst. Wegen unterschiedlicher Außeneinflüsse sind beide Verkehrsträger nicht miteinander vergleichbar. Zudem weist jede Stadt infrastrukturelle Besonderheiten auf.
Pünktlichkeit des ÖPNV in Hamburg
Hamburg beweist, dass der ÖPNV auf der Schiene in einer Großstadt sehr zuverlässig und überwiegend pünktlich funktionieren kann. Während der ADAC Analyse hatten 93 Prozent der U-Bahnen und 77 Prozent der S-Bahnen weniger als eine Minute Verspätung. Jeweils 99 Prozent der geplanten Züge fuhren im September 2024 tatsächlich. Hamburg erzielt damit überall Bestwerte.
Die Elbmetropole hat im Vergleich zu den anderen Großstädten das kleinste S- und U-Bahn-Netz. Offiziell gelten im Hamburger Verkehrsverbund HVV alle Züge als pünktlich, die an den Stationen mit einer Abweichung von weniger als drei Minuten gegenüber dem Fahrplan abfahren. Aus dem Anteil der pünktlichen Abfahrten zu den gesamten Abfahrten ergibt sich die Pünktlichkeitsquote.
Hamburger Verkehrsverbund HVV
4 Linien
70 Haltestellen
147 Kilometer Streckenlänge
4 Linien
93 Haltestellen
106 Kilometer Streckenlänge
viele Baumaßnahmen
oft Personen im Gleis der S-Bahnen
Überwiegend unabhängige Schieneninfrastruktur
Pünktlichkeit des ÖPNV in Berlin
Wenn man eine Toleranz von bis zu einer Minute ansetzt und Ausfälle einbezieht, sinken die Pünktlichkeitsquoten in Berlin erheblich: Nur 48 Prozent der U-Bahnen und 53 Prozent der S-Bahnen hatten im September 2024 weniger als eine Minute Verspätung. Im ADAC Test ist die Bundeshauptstadt damit Mittelmaß. 97 beziehungsweise 94 Prozent der Züge kamen letztlich an.
Ursache dafür waren vor allem Bauarbeiten an der Schieneninfrastruktur, die größtenteils von der Deutschen Bahn betrieben wird. Als pünktlich gilt ein Zug im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) bis zu einer Verspätung unter vier Minuten. Neue Zugverbindungen im Teilnetz Ring gelten ab einer Minute Verspätung als unpünktlich – bundesweit ein Novum und aus ADAC Sicht vorbildlich.
In einer Sonderauswertung untersuchte der ADAC, ob die Fußball-EM-Spiele am Austragungsort Berlin von Mitte Juni bis Mitte Juli 2024 die S-Bahn-Pünktlichkeit beeinträchtigt haben. Die Analyse des Zeitraums zeigt, dass die Berliner S-Bahn das Fanaufkommen zur Europameisterschaft weitestgehend gut gemeistert hat und Großveranstaltungen dieser Art zur Routine gehören.
Berliner Verkehrsverbund VBB
16 Linien
168 Haltestellen
340 Kilometer Streckenlänge
9 Linien
175 Haltestellen
155 Kilometer Streckenlänge
viele Baumaßnahmen
fast vollständig unabhängige Schieneninfrastruktur
Pünktlichkeit des ÖPNV in Frankfurt
Im September 2024 hatten in Frankfurt am Main nur 46 Prozent der U-Bahnen und 33 Prozent der S-Bahnen unter einer Minute Verspätung. Am unpünktlichsten waren sie in Berufsverkehrszeiten. Im ADAC Check schneidet die Mainmetropole am schlechtesten ab. Immerhin: 97 beziehungsweise 92 Prozent der Züge kamen an. Hier ist die Zuverlässigkeit also ähnlich wie in anderen Großstädten.
Das Gebiet des Rhein-Main-Verkehrsverbunds (RMV) ist aufgrund seiner Lage in Deutschland ein Verkehrsknotenpunkt. Auf vielen Streckenabschnitten teilen sich die Züge des Nah-, Fern- und Güterverkehrs dieselben Gleise – das bremst oft die S-Bahnen aus. Dazu kommen wie andernorts auch Personalengpässe und viele Baustellen, weil das Schienennetz modernisiert werden muss.
Im Verkehrsverbund RMV gilt ein Zug immer noch als pünktlich, wenn er nicht später als 5:59 Minuten im Vergleich zur ausgegebenen Fahrplanzeit eintrifft. Um mehr Stabilität im ÖPNV zu erreichen, gilt in Frankfurt ein ausgedünnter Notfahrplan für die U-Bahnen. Im S-Bahn-Netz ist für 2025 die größte Änderung seit über 20 Jahren angekündigt, die für bessere Taktungen sorgen soll.
Frankfurter Verkehrsverbund RMV
9 Linien
111 Haltestellen
303 Kilometer Streckenlänge
9 Linien
84 Haltestellen
65 Kilometer Streckenlänge
viele Baumaßnahmen
überlastetes Schienennetz
Personalmangel
zentrale Lage in Deutschland und Europa
S-Bahn teilt sich viele Gleise mit DB-Fernverkehr und Güterzügen
ÖPNV-Zahlen aus Köln
In Köln kommen S-Bahnen häufig zu spät oder fallen komplett aus: Laut den Verkehrsdaten des Zweckverbands go.Rheinland fiel jede sechste S-Bahn in Köln aus. Etwa die Hälfte der Züge kam mindestens drei Minuten zu spät. Nur rund jede vierte S-Bahn fuhr mit einer Verspätung von unter einer Minute. Der ADAC rechnete für seine Analyse ausgefallene Züge jeweils als verspätet mit ein.
Für go.Rheinland gelten S-Bahnen mit weniger als vier Minuten Verspätung noch als pünktlich. Der Zweckverband lässt Zugausfälle in seiner Statistik unberücksichtigt und kommt so im September auf eine Pünktlichkeitsquote von knapp 75 Prozent.
Köln lieferte dem ADAC eine eigene Auswertung. Diese konnte aufgrund einer eigenen Berechnungsmethode und späterer Verfügbarkeit jedoch nur punktuell in die ADAC Analyse eingehen. Die Werte für die Kölner S-Bahnen sind daher nur annäherungsweise mit den Ergebnissen der anderen Städte vergleichbar.
Gründe für die Verspätungen und Ausfälle sind Baumaßnahmen und ein überlastetes Schienennetz. Die S-Bahn teilt sich in Köln viele Gleise mit Regional- und Güterzügen.
So hat der ADAC die Daten erhoben
Die ausgewählten Städte
Ziel war es, die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit des S- und U-Bahn-Verkehrs in den fünf größten deutschen Städten zu analysieren: Berlin, Hamburg und Frankfurt am Main haben dafür die entsprechenden Daten freigegeben; Köln tat dies mit Einschränkungen und München gar nicht. Fast alle Verkehrsverbünde veröffentlichen dazu offizielle Zahlen. Diese Statistiken enthalten allerdings Toleranzen oder Schwellenwerte von bis zu sechs Minuten und sind kaum vergleichbar.
Die abgefragten Daten
Der ADAC bat die Deutsche Bahn und die jeweiligen Verkehrsverbünde um einen Zugriff auf deren Schnittstellen, die beispielsweise auch ÖPNV-Apps mit Echtzeitdaten versorgen. Berlin, Hamburg und Frankfurt am Main willigten ein. Köln lieferte zwar Werte. Sie basieren aber auf einer anderen Berechnungsmethode, weshalb der ADAC diese nur teilweise berücksichtigen konnte. München und die Deutsche Bahn gaben keine Genehmigungen, deren Schnittstellen zu nutzen.
Die genaue Auswertung
Bei der Datenerhebung und -auswertung unterstützte das IT-Unternehmen Cognizant Mobility. Es untersuchte im September 2024 die Pünktlichkeit (Zug verspätet oder nicht) und Zuverlässigkeit (Zug ausgefallen oder nicht) der S- und U-Bahnen. Der ADAC wertete auch die ausgefallenen Züge als verspätet, was die ÖPNV-Betreiber in offiziellen Zahlen in der Regel nicht tun. Zudem setzte er verschiedene Pünktlichkeits-Schwellenwerte an – meist strengere als die der Verkehrsverbünde.
Appell an ÖPNV-Betreiber und Politik
Damit S- und U-Bahnen zuverlässig und pünktlich fahren können, sind zielgerichtete Investitionen in die Infrastruktur nötig. Nur mit einem besser funktionierenden ÖPNV ändern mehr Menschen ihr Mobilitätsverhalten und nutzen die klimafreundlichen Verkehrsmittel.
Transparenz im Umgang mit ÖPNV-Echtzeitdaten und Datenschnittstellen sollte heutzutage selbstverständlich sein – daher begrüßt der ADAC das Mobilitätsdatengesetz und fordert dessen Verabschiedung noch vor der Bundestagswahl am 23. Februar 2025.
Der ADAC begrüßt verbraucherfreundliche Dashboards zur Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit von öffentlichen Verkehrsmitteln und empfiehlt ÖPNV-Betreibern, die diesbezüglich noch kein Angebot haben, so bald wie möglich nachzuziehen.
Bei der Berechnung der offiziellen Pünktlichkeitsquoten sollten die Verkehrsverbünde niedrige Schwellenwerte von maximal drei Minuten oder besser eine Minute berücksichtigen, weil Verspätungen darüber hinaus im ÖPNV leicht zu einem Anschlussverlust führen können.
Ausfälle von Zügen sind bei den offiziellen Pünktlichkeitsquoten zu berücksichtigen und als Verspätung zu werten – aus der Verbraucherperspektive macht das aktuell übliche Exkludieren von Ausfällen keinen Sinn und spiegelt nicht die wirklichen Ankunft- und Abfahrtszeiten wider.
Mittelfristig sind die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Fahrgastinformationen zu Verspätungen und Ausfällen im ÖPNV über alle Kanäle hinweg identisch sind – egal ob via App, Bahnsteig-Anzeige oder Durchsage.
Insbesondere in Stoßzeiten sollten Fahrgastströme gesteuert werden: Neben klaren Beschilderungen und Anzeigen können innovative Lösungen helfen – ein Beispiel ist das in Hamburg und Berlin bereits eingesetzte Lightgate-System, das am Bahnsteig frühzeitig anzeigt, in welchen der einfahrenden Waggons noch freie Plätze vorhanden sind.