Selbstfahrende Autos: Wie weit sind BMW und Mercedes? Der Vergleich

• Lesezeit: 8 Min.

Von Andreas Huber

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BMW und Mercedes bieten die fortschrittlichsten Systeme auf dem Weg zum autonomen Fahren an. Doch die Autobahnassistenten unterscheiden sich grundlegend. Der ADAC hat beide Konzepte in der Praxis gegenübergestellt.

  • BMW 5er und Mercedes EQS: Level 2+ und Level 3 im Vergleich

  • Bis zu 9000 Euro Aufpreis für automatisierte Fahrfunktionen

  • 5er bietet mehr Praxisnutzen, EQS ist zukunftsweisender

In München in das Auto steigen, die Augen schließen und erst in Hamburg wieder aufwachen – autonomes Fahren könnte diese Vision möglich machen. Bis der eigene Pkw aber zum persönlichen Chauffeur wird, ist es noch ein weiter Weg.

Bis es so weit ist, bieten die Hersteller Systeme an, die Zwischenschritte auf dem Weg zur vollkommenen Autonomie darstellen. Die Rede ist von hoch entwickelten Autobahnpiloten, die Fahrende auf langen Strecken spürbar entlasten sollen.

Mercedes und BMW sind vorn dabei

BMW und Mercedes stehen nebeneinander auf einem Parkplatz, beide Fahrzeuge frontal sichtbar, blauer Himmel mit Wolken.
Während beim BMW 5er nichts auf den ausgereiften Autobahnassistenten hindeutet, ist die Sensorik beim Mercedes EQS neben dem Stern an der Front deutlich zu erkennen© ADAC/André Kirsch

Ganz vorne mit dabei sind BMW und Mercedes hierzulande. Die beiden Hersteller bieten bislang die am weitesten entwickelten Systeme im Privat-Pkw-Segment an. Wer hier auch Teslas Autopiloten verorten mag, der irrt. Deren System ist in Deutschland nur ein adaptiver Tempomat, der auch die Längsführung übernehmen kann. Von erweiterter Automatisierung fehlt jede Spur, auch wenn die Funktionalität ziemlich offensiv in diese Richtung vermarktet wird.

Aber zurück zu den Kandidaten im Test. Zuerst einmal stellt sich ganz generell die Frage, was automatisiertes Fahren eigentlich ist und wo die beiden Testkandidaten überhaupt einzuordnen sind. Generell wird automatisiertes Fahren in fünf Stufen aufgeteilt.

Automatisierungslevel 1 bis 5: Erklärung

Level 1 – Assistiert: Längs- oder Querführung werden übernommen. Der Fahrer bleibt vollständig verantwortlich. Ein Beispiel hierfür ist der klassische Tempomat.

Level 2 – Teilautomatisiert: Längs- und Querführung werden übernommen. Der Fahrer muss jedoch die Fahraufgabe ständig überwachen und eingriffsbereit sein. Der Fahrer bleibt vollständig verantwortlich. Eine Kombination aus Spurführung und Abstandstempomat, wie er in vielen Fahrzeugen bereits erhältlich ist, ist ein gutes Beispiel hierfür.

Level 3 – Hoch automatisiert: Innerhalb definierter Anwendungsbereiche, beispielsweise auf der Autobahn, darf die Person am Steuer die Verantwortung des Fahrens an das Fahrzeug abgeben. Die Haftung geht dann in dieser Phase an den Fahrzeughersteller über. Während des automatisierten Betriebs sind Nebentätigkeiten wie lesen, ein Video angucken oder mit dem Handy spielen erlaubt. Stößt das Auto an Systemgrenzen oder ist es überlastet, muss die Person am Steuer aber wieder übernehmen. Sie muss also jederzeit bereit sein, das Lenkrad innerhalb weniger Sekunden nach der Übergabeanforderung wieder in die Hand zu nehmen.

Level 4 – Voll automatisiert: Das System bewältigt in bestimmten Einsatzbereichen (z.B. Stadtgebiet, Shuttle-Verkehr) die Fahraufgabe vollständig. Eingriffe des Fahrers sind nicht erforderlich. Ein Lenkrad kann sich in einem solchen Fahrzeug noch immer befinden, ein Mensch ist also nach wie vor in der Lage, das Fahrzeug zu steuern. Erforderlich ist er aber nicht.

Level 5 – Autonom: Das Fahrzeug fährt in allen Szenarien eigenständig. Ein Fahrer ist nicht mehr notwendig. Auch ein Lenkrad oder Pedale finden sich in einem solchen autonom betriebenen Fahrzeug nicht mehr. Der Betriebsbereich ist nicht eingeschränkt.

Mehr Infos zu den unterschiedlichen Leveln der Automatisierung finden Sie hier.

BMW gegen Mercedes: Die Unterschiede

Seitenansicht von BMW und Mercedes vor einer ADAC-Halle, beide Fahrzeuge nebeneinander auf Asphalt.
Level 3 links, Level 2+ rechts: Der Mercedes bietet mehr Technik, ist dafür aber auch deutlich teurer als der BMW© ADAC/André Kirsch

Sowohl der getestete BMW 5er als auch der Mercedes EQS fahren auf der Autobahn von selbst, aber jeder auf eine andere Art: Der größte Unterschied liegt während des Betriebs in den rechtlichen Bestimmungen. Der Mercedes ist hier augenscheinlich einen Schritt weiter. Er wird nach Level 3 klassifiziert. Das heißt: Bei ihm darf sich die Person am Steuer anderen Dingen widmen und muss den Verkehr nicht mehr im Blick behalten. Im selbstfahrenden Modus ist das erlaubt.

Der BMW hat diese rechtliche Absicherung nicht. Hier handelt es sich um eine Zwischenstufe zwischen Level 2 und Level 3. Sie wird oft als Level 2+ bezeichnet, wenn auch nicht offiziell. Das "Plus" verdeutlicht aber, dass es sich bei BMWs Autobahnassistenten um ein hoch entwickeltes Assistenzsystem handelt. Aber eben auch "nur" um ein Assistenzsystem, bei dem der Fahrer jederzeit in der Verantwortung ist – und auf den Verkehr aufpassen muss.

Nicht nur der rechtliche Rahmen unterscheidet die beiden Fahrzeuge voneinander. Auch die an Bord befindliche Sensorik ist eine grundlegend andere. Der BMW 5er ist mit Kameras und Radarsensoren ausgestattet und stützt sich auf Navigationsdaten. Beim Mercedes kommen ergänzend noch Ultraschall, Lidar, eine Rückfensterkamera, Mikrofone, ein Feuchtigkeitssensor und spezielle HD-Kartendaten hinzu. Hier zeigt sich, wie komplex der Sprung zwischen zwei Automatisierungsstufen auf technischer Seite ist.

Neben 5er und EQS haben gegen Aufpreis auch andere Modelle der Marken die Technik an Bord. Bei BMW sind es zusätzlich i5, iX, iX3, 7er, i7, X5, X6, X7 und XM, bei manchen Modellen auch ein Level-3-System (bis 60 km/h) als Stauassistent auf der Autobahn. Bei Mercedes kommen nur die S-Klasse und der getestete EQS in den Genuss von Level-3-Unterstützung.

Praxistest: Level 2+ gegen Level 3

Und wie wirkt sich das im Alltag aus? Auf einem typischen Autobahnabschnitt zwischen Landsberg am Lech und dem Flughafen in Memmingen hat der ADAC beide Systeme bei unterschiedlichen Wetterbedingungen getestet. Der Streckenabschnitt enthält einige Geschwindigkeitsbegrenzungen, eine Baustelle sowie einen Tunnel. Unter der Woche ist das Verkehrsaufkommen relativ hoch, inklusive eines hohen Anteils an Lkw.

BMW 5er mit Level 2+

Fahrer im BMW auf der Autobahn, Hände nicht am Lenkrad, große Displays zeigen Fahrzeugstatus und Karte.
Hände weg vom Lenkrad? Ist im BMW auf der Autobahn erlaubt. Blick und Aufmerksamkeit müssen aber beim Verkehrsgeschehen liegen© ADAC/André Kirsch

Für die Insassen fühlt sich das Erlebnis im realen Straßenverkehr in beiden Autos ziemlich ähnlich an. BMWs Autobahnassistent signalisiert im Kombiinstrument, sobald er verfügbar ist. Aktiviert man das Feature, fährt der 5er selbstständig im Verkehr mit. Bei aktiver Zielführung nimmt der Münchner auch Abzweigungen auf andere Autobahnen, vollführt Spurwechsel und überholt sogar langsamere Fahrzeuge selbstständig.

Das Ganze ist bis zu einer Geschwindigkeit von bis zu 130 km/h möglich. Die Hände können dabei vom Lenkrad wegbleiben, Spurwechsel müssen durch einen Blick in den jeweiligen Außenspiegel quittiert werden, ehe der 5er sie ausführt.

Eine Kamera überwacht dabei ständig, ob die Aufmerksamkeit der Person am Steuer auch auf die Straße gerichtet ist. Ist dem nicht so, fordert der Wagen unmissverständlich dazu auf, die Kontrolle zu übernehmen.

In der Praxis funktioniert das System auf weiten Strecken zuverlässig. Sogar bei schlechtem Wetter. Daher ist es umso wichtiger, sich ständig klarzumachen, dass die Fahrerin oder der Fahrer weiterhin in der Verantwortung ist und den Blick nicht abwenden darf. Beim BMW handelt es sich schließlich nur um ein Assistenzsystem, wenn auch um ein sehr gutes.

Mercedes EQS mit Level 3

Fahrer sitzt im Mercedes auf der Autobahn und liest eine Zeitschrift, großes Display zeigt Entertainment-Inhalte.
Im EQS darf auch in der "ADAC Motorwelt" geblättert werden, selbst Videos im Internet sind erlaubt. Leuchten die Elemente am Lenkrad in Cyan, ist der EQS am Steuer© ADAC/André Kirsch

Auch der Mercedes zeigt an, wann sich sein System in der Lage sieht, das Fahren zu übernehmen. Hierfür finden sich in den Lenkkranz eingelassene Tasten, über die das System aktiviert werden kann. Ist der EQS bereit, pulsieren die LEDs in Weiß. Wird dann der Drive Pilot aktiviert, wechselt die Farbe in ein Cyan. Nun können die Hände vom Lenkrad genommen werden und man kann, wie in unserem Fall, die "ADAC Motorwelt" lesen. Jetzt hat der Mercedes das Kommando und agiert selbstständig.

Allerdings mit einigen Einschränkungen. Bis zu 130 km/h wären gesetzlich zwar erlaubt, Mercedes hat die Technik aber nur bis zu einer Grenze von 95 km/h ausgelegt. Weitere Einschränkungen stellen Regen, Dunkelheit, Tunnelpassagen und Temperaturen unter 4 Grad Celsius dar. Dann sieht sich das System nicht in der Lage zu übernehmen.

Zudem braucht der EQS ein Fahrzeug vor sich, an dem er sich orientieren kann. Hier zeigt sich, wie vorsichtig Mercedes sich an das Thema herantastet, denn der Hersteller haftet während des Level-3-Betriebs für jeden Fehler des Fahrzeugs.

Für die Praxis bedeutet das: Mehr als zehn Minuten am Stück fuhr der Stuttgarter im Test nicht von selbst. Eine wirkliche Entlastung stellt die Technik also auf langen Strecken noch nicht dar. Mal bricht die Einfahrt in den Tunnel die Funktion – nach entsprechender Ankündigung – ab, oder der Lkw vor einem verlässt die Autobahn. Auch dann muss der Fahrer oder die Fahrerin übernehmen. Manche Systemabbrüche trotz bester Bedingungen konnten die ADAC Tester allerdings nicht nachvollziehen.

Trotzdem: Sobald die Technik es zulässt, ist eine Ablenkung vom Verkehrsgeschehen erlaubt, was perspektivisch einen echten Mehrwert bringen dürfte – sofern ein System wie das beim EQS künftig höhere Geschwindigkeit erlaubt und robuster ausgelegt ist, also seltener den Dienst quittiert oder weniger Einschränkungen besitzt. Es bleibt zu hoffen, dass neben Mercedes auch weitere Hersteller Level-3-Systeme in Fahrzeuge bringen.

Wichtiger Schritt für automatisiertes Fahren

Im Systemvergleich zeigt sich, wie schnell die Grenze zwischen hoch entwickelten Assistenzsystemen und ersten automatisierten Fahrfunktionen verschwimmt. Bereits heute können Fahrzeuge im Verkehr mehr oder weniger weite Strecken selbstständig zurücklegen.

Was die technische Absicherung und den rechtlichen Rahmen angeht, liegen zwischen den Systemen aber Welten. Wichtig: In fast allen Fällen liegt die Verantwortung im Fahrzeug immer bei einem Menschen hinter dem Lenkrad. Systeme wie das von Mercedes sind absolute Ausnahmen und erlauben es nur in eng definierten Szenarien, sich vom Verkehrsgeschehen abzuwenden.

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Fazit: Innovation vor Praxisnutzen

Auf einer typischen Pendlerstrecke zeigte sich: Das BMW-System punktet durch höhere Geschwindigkeit und breitere Einsatzmöglichkeiten, bietet aber keinen echten Produktivitätsgewinn, da der Fahrer stets aufmerksam bleiben muss. E-Mails lesen oder im Internet surfen? Im BMW ist das nicht erlaubt.

Der Mercedes Drive Pilot dagegen ist durch Tempolimits und Wetterbedingungen stark eingeschränkt, ermöglicht jedoch den versprochenen Mehrwert – echte Entlastung, weil man sich legal mit anderen Dingen beschäftigen darf.

Empfehlungen für den Verbraucher

  • Ein Assistenzsystem soll die Person am Steuer unterstützen – die Verantwortung für das Fahren bleibt jedoch stets bei ihr.

  • Systeme des Automatisierungslevels 2 sind heute technisch sehr ausgereift. Für den Nutzenden ist während der Fahrt oft kein deutlicher Unterschied zu einem Fahrzeug mit Level-3-Automatisierung erkennbar.

  • Level-2-Assistenzsysteme können bereits in vielen Fahrsituationen eingesetzt werden. Level-3-Systeme entsprechen zwar dem Wunsch vieler Autofahrenden nach mehr Automatisierung, sind derzeit jedoch nur in sehr eingeschränkten Szenarien nutzbar.

  • Wichtig ist das Verständnis, dass Level-2-Systeme keine vollständige Automatisierung darstellen. Sie erfordern die ständige Aufmerksamkeit der Person am Steuer, da es sich um ein Assistenzsystem handelt. Ein Level-3-System ermöglicht dagegen eine automatisierte Fahrt in bestimmten Situationen: Während die Fahrerin oder der Fahrer bei Level 2 jederzeit eingriffsbereit sein muss, hat sie/er bei Level 3 in der Regel bis zu zehn Sekunden Zeit, um die Fahrzeugsteuerung wieder zu übernehmen.

  • Die getesteten Fahrzeuge mit der Automatisierungsstufe Level 2+ und Level 3 dürfen derzeit ausschließlich auf deutschen Autobahnen betrieben werden.

  • Herstellerangaben zu Systemgrenzen und verkehrsrechtlichen Rahmenbedingungen sind unbedingt zu beachten.

  • Die eigene Erwartungshaltung sollte realistisch bleiben – insbesondere ist im Betrieb von Level 2+ keine Steigerung der persönlichen Produktivität zu erwarten.

  • Es sollte stets kritisch geprüft werden, ob sich der Aufpreis für die angebotenen Systeme tatsächlich lohnt.

Forderung an die Hersteller

  • Klare Kommunikation der Systemgrenzen und Betriebsarten.

  • Intuitive Anzeigen zur Vermeidung von "Mode Confusion".

  • Robuste Fahrerüberwachung gemäß UNECE R171 bei Level-2-Systemen.

  • Level-3-Systeme mehr forcieren, sie bringen einen klaren Produktivitätsgewinn.

  • Der Betriebsmodus "Automatisiert" sollte durch einheitliche Leuchten außen am Fahrzeug anderen Verkehrsteilnehmenden kommuniziert werden, um Missverständnisse zu vermeiden.

Fachliche Beratung: Andreas Rigling, Manuel Griesmann / ADAC Technik Zentrum