Radfahrerin an aufgefräster Straßenstelle gestürzt
Sturz einer Radfahrerin in einer Baustelle: Ist der Straßenbelag aufgefräst und nur provisorisch ausgebessert, müssen Bauarbeiter die Straße sperren oder Warnschilder aufstellen. Das hat das Oberlandesgericht Karlsruhe entschieden.
Der Fall: Ein Bauunternehmen verlegte für die Stadtwerke an einer abschüssigen Straße Leitungen. Auf der linken Straßenseite war der Asphalt aufgefräst, der Graben war nur provisorisch mit lockeren Steinen ausgebessert. Eine Radfahrerin fuhr bergab an der Baustelle vorbei. Weil sie zu diesem Zeitpunkt nicht weiter geradeaus fahren durfte, musste die Radfahrerin an einer Kreuzung nach links abbiegen. Dabei musste sie die ausgebesserte Rinne queren.
Das Hinterrad rutschte weg, die Frau stürzte und brach sich den linken Ellenbogen. Außerdem verletzte sie sich am linken Handgelenk. Die Radfahrerin litt lange Zeit Schmerzen und kann den linken Arm dauerhaft nur eingeschränkt bewegen. Sie verlangte von dem Straßenbauunternehmen Schadenersatz und ein Schmerzensgeld von 8500 Euro. Die Sache ging vor Gericht. In erster Instanz unterlag die Radfahrerin und legte Berufung ein.
Warnschild in Baustelle fehlt
Das OLG Karlsruhe gab der Radfahrerin Recht. Das Bauunternehmen habe eine sogenannte Verkehrssicherungspflicht und müsse dafür sorgen, dass die Bautätigkeit nicht zu vermeidbaren Gefahren für Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer führe. Diese Pflicht habe das Unternehmen verletzt, weil seine Mitarbeitenden den Straßenbelag auffrästen und die Straße dann im provisorischen Zustand für den Verkehr freigaben.
Die Rinne war nur mit einem lockeren Gemisch aus Sand, Kies und kleinen Steinen aufgefüllt und stellte für Radfahrende offensichtlich eine Gefahr dar. Die Bauarbeiter hätten die Straße daher sperren oder Warnschilder aufstellen müssen ("Radfahrer absteigen" oder "unebene Fahrbahn"), so die Richter.
Unfall: Rutschgefahr bergab in der Kurve
Das Gericht hörte Zeugen, die beobachtet hatten, dass am Unfalltag mehrere andere Radfahrende an der Unfallstelle gestürzt waren oder sich nur mit Mühe auf dem Rad halten konnten. Auch ein Sachverständiger hatte eine hohe Rutschgefahr festgestellt. In seinem Gutachten schätzte er das Risiko eines Sturzes für Radfahrende auf 80 Prozent (d.h. von fünf Radfahrenden könne nur einer die Rinne problemlos durchfahren).
Das lockere Material biete keinen Halt, um ein Wegrutschen des Hinterrads in der Kurve zu verhindern. Die Mitarbeitenden des Bauunternehmens hätten die Gefahr, die die aufgefräste Rinne für Radfahrende darstellte, ohne Schwierigkeiten erkennen können, so das Gericht.
Keine Mitschuld der Radfahrerin am Sturz
Das Gericht führte weiter aus, dass die Radfahrerin kein Mitverschulden an dem Unfall treffe. Sie sei weder zu schnell gefahren, noch ließe sich ein Fahrfehler feststellen. Radfahrende müssten auf einer asphaltierten Straße im Wohngebiet nicht damit rechnen, dass plötzlich der Straßenbelag fehle und es keinen Warnhinweis dafür gebe, so die Richter.
Anders als auf einem unebenen Wald- oder Wiesenweg habe für die Radfahrerin kein Anlass bestanden, dem Boden, den sie befuhr, besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Außerdem habe sie die Rinne wegen der Baustellenabsperrung zunächst gar nicht sehen können, sondern habe das lockere Material erst kurz vor dem Queren bemerkt.
Verschulden des Bauunternehmens überwiegt
Die Radfahrerin hätte nach Ansicht des Gerichts den Sturz nur vermeiden können, wenn sie vor dem Überfahren der Rinne vom Fahrrad abgestiegen wäre. Dass sie das nicht getan hat, sei aber nach Ansicht der Richter wegen des erheblichen Verschuldens des Bauunternehmens zu vernachlässigen.
OLG Karlsruhe, Urteil vom 5.10.2021, Az.: 9 U 59/19