Omid Nouripour: "Wir wollen, dass es noch stärkere steuerliche Vorteile für die Elektromobilität gibt"
Im Interview spricht Grünen-Vorsitzender Omid Nouripour über die Zukunft des 49-Euro-Tickets und der E-Auto-Förderung, die Gründe für das schlechte Abschneiden der Grünen auf dem Land und das Klimageld.
Bund und Länder streiten ausdauernd über die Finanzierung des Deutschland-Tickets. Zu welchem Preis geht es 2024 weiter?
Bis Mai 2024 bleibt der Preis wie er ist, das ist wichtig. Denn das Deutschland-Ticket macht nicht nur Schluss mit dem Tarif-Dschungel, sondern ist für viele Menschen auch finanziell eine echte Erleichterung in der Inflation.
Es gibt eine Reihe von Studien, die zeigen, dass das Preisniveau maßgeblich dafür ist, dass viele Abos abgeschlossen werden. Es gilt also, in den nächsten Monaten eine Lösung zwischen Bund und Ländern für eine dauerhafte Finanzierung zu finden.
Ihre Partei ist also dafür, dass der Bund finanziell nachlegt?
Wir glauben, dass sich beide Seiten bewegen müssen, also auch der Bund. Da sind wir uns mit den Grünen auf Länderebene sehr einig. Mit Abonnentenzahlen im zweistelligen Millionenbereich ist das Deutschland-Ticket ein riesiger Erfolg. Es wäre gut für alle, wenn es so weiter geht.
Zur Person
Omid Nouripour (48, Bündnis 90/Die Grünen) ist seit Februar 2022 gemeinsam mit Ricarda Lang Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen. 2006 rückte er für Joschka Fischer in den Bundestag nach. Bis 2021 war er außenpolitischer Sprecher seiner Partei im Bundestag. Bei der letzten Bundestagswahl holte er für die Grünen das Direktmandat in seinem Frankfurter Wahlkreis. Nouripour ist verheiratet und hat einen Sohn.
Bleiben wir bei den Kosten. Der ADAC hat kürzlich nach Neuwagen unter 20.000 Euro gesucht. Bei Verbrennern haben wir 20 Modelle gefunden, bei E-Autos gerade mal drei unter 30.000 Euro. Wie wollen Sie als Politiker den Menschen erklären, dass ihre individuelle Mobilität so viel teurer wird?
Das wird ja so nicht bleiben. Jede Technologie wird nach Markteinführung mit der Zeit günstiger. Bei der E-Mobilität sehen wir das auch: Gerade hat VW mit dem ID.2 ein E-Auto für um die 20.000 Euro angekündigt. Weitere Hersteller werden nachziehen.
Zum Glück hat die deutsche Automobilindustrie alle Fähigkeiten, auf dem Weltmarkt der Elektromobilität führend zu werden. Dass die EU sich auf das Aus für den fossilen Verbrenner geeinigt hat, gibt den Unternehmen die nötige Planungssicherheit für die kommenden Jahre. Die Preise werden absehbar sinken, der Gebrauchtmarkt deutlich wachsen. Und kurzfristig sorgen wir beispielsweise durch Förderung dafür, dass die E-Mobilität attraktiver wird, aber das darf natürlich keine Dauersubvention sein.
Sie haben gerade gesagt, dass es mit der Förderung von E-Autos nicht ewig weitergehen kann. Wie lange gibt es sie noch?
Das Programm läuft gut, und die Mittel für dieses Jahr wurden aufgestockt. Das ist erfreulich. Die aktuelle Förderrichtlinie läuft bis Ende 2024.
„Die Benzinpreise werden aller Voraussicht nach weiter steigen.“
Omid Nouripour, Grünen-Parteivorsitzender
Damit sagen Sie doch, dass die Menschen sich aktuell darauf einstellen müssen, dass der Autokauf zunächst nicht günstiger, sondern eher teurer wird.
Nein. Ich gehe davon aus, dass Elektroautos bis Ende dieses Jahrzehnts so erschwinglich sind wie Verbrenner. Gerade bei Kleinwagen und der Mittelklasse. Parallel dazu bauen wir den Strom aus günstigen, erneuerbaren Energien aus: Die PV-Anlage auf der heimischen Garage etwa wird immer billiger. Auf der anderen Seite werden die Benzinpreise aller Voraussicht nach weiter steigen. Auch das wird den Markt verändern.
Das Dienstwagenprivileg ist immer wieder in der Diskussion. Für was stehen die Grünen?
Dienstwagen haben einen signifikanten Anteil am Automobilbestand in Deutschland, entsprechende Bedeutung haben sie auch für unsere Industrie. Übrigens auch, um schneller im Zweitwagenmarkt preisgünstige elektrische Modelle zu haben.
Es ist aber die Frage, wie man sie in Zeiten der Klimakrise, der Inflation und in Zeiten, in denen Gas und Öl massiv teurer werden, steuerlich begünstigt. Wir wollen, dass es noch stärkere steuerliche Vorteile für den Umstieg auf Elektromobilität gibt.
Sie wollen das Dienstwagenprivileg also nicht abschaffen, sondern eher eine Bevorzugung für Elektroautos?
Nicht abschaffen, sondern reformieren. Es gibt viele Leute, die ihren Dienstwagen brauchen. Ein Beispiel aus dem Frankfurter Raum: Ich kenne eine Frau, die von Groß-Gerau jeden Tag nach Bad Orb fährt. Sie kann nur mit ihrem Firmenwagen fahren, alles andere wäre zu zeitaufwendig. Es wäre für sie eine Belastung, wenn man ihr diese steuerliche Vergünstigung streichen würde. So geht es sehr vielen Menschen. Und das denken wir selbstverständlich mit.
Sie haben gerade gesagt, dass fossile Energie teurer wird, also auch Benzin und Diesel. Wenn die Lage in Nahost weiter eskaliert, die Preise hochgehen, wären Sie offen für einen neuen Tankrabatt?
Ich hoffe zunächst einmal, dass die Lage nicht noch weiter eskaliert und möchte hier auch nicht spekulieren. Die Situation in Israel und der Region ist schon jetzt dramatisch und sehr bedrückend.
Was die Situation in Deutschland angeht: Sie war im letzten Jahr eine andere, weil durch den Angriff auf die Ukraine die Energiesicherheit in Frage stand. Es war richtig, da für Entlastung zu sorgen. Wir haben milliardenschwere Pakete geschnürt und gezeigt: Wir lassen niemanden allein.
Woran liegt es, dass die Grünen auf dem Land im Vergleich zu den Großstädten so schlechte Wahlergebnisse haben?
Es gibt durchaus auch ländliche Regionen, in denen wir stark sind. Aber es ist richtig, dass das noch nicht flächendeckend der Fall ist. Da müssen wir besser werden, vor Ort weiter präsent sein.
Eine weitere Herausforderung: Es gibt viele überholte Klischees über die Grünen. Ein Beispiel: Ich werde dauernd gefragt, warum wir für Waffenlieferungen an die Ukraine sind, obwohl wir doch eine pazifistische Partei seien. Dabei stehen wir die längste Zeit seit unserer Gründung zu unserer Bundeswehr als Parlamentsarmee.
Und um das einmal klar zu stellen: Wer auf dem Land wohnt und mit dem Auto von A nach B kommt, kann das gern weiterhin tun. Aber hoffentlich künftig mit mehr Wahlfreiheit, weil Bus und Bahn eben auch zum Ziel führen.
Also nur ein kommunikatives Problem?
Nein, die Probleme sind natürlich real: Wir haben oft zu viel Verkehr in den Metropolen. Und zu wenig Infrastruktur auf dem Land. Also auch unterschiedliche Bedürfnisse. Neben der Verkehrspolitik gibt es auch noch andere Stellschrauben. Dazu gehört, salopp gesagt, an jeder Milchkanne ein schneller Internetanschluss, das ist ja auch ein erheblicher Standortvorteil für lokale Unternehmen und für die Leute auf dem Land.
Und wer dann noch mit einem Bürojob den Drang verspürt, mit seiner Familie aufs Land zu ziehen, freut sich auch über schnelleres Internet im Homeoffice. Leider haben wir als Ampel-Regierung einen gigantischen Modernisierungsstau geerbt und arbeiten jeden Tag daran, ihn aufzulösen.
Wie wollen sie die vielen verschiedenen Ansprüche befriedigen?
Das ist von Fall zu Fall verschieden. Zentral ist aber immer, dass wir die unterschiedlichen Bedürfnisse gleichermaßen ernst nehmen und die Betroffenen nicht gegeneinander ausspielen. Das passiert mir viel zu oft.
Der Handwerker in der Stadt, der nun mal seinen Transporter zwingend braucht, hat ebenso sehr gute Politik verdient wie die Pflegerin auf dem Land, die zwar mit dem Bus fahren würde, der Bus aber zu selten fährt. Unsere Aufgabe in der Politik ist es, für beide eine Lösung zu finden. Und ich finde, wir haben da als Grüne nicht die schlechtesten Vorschläge.
Immer schwerere Unwetter, Trockenheit und Hitze stellen höhere Ansprüche an Bauwerke – zum Beispiel an Brücken.
Das ist richtig. Wir brauchen entsprechende Anpassungsmaßnahmen, wo es nur geht. Und es zeigt eben auch, warum es so dringend nötig ist, das Klima zu schützen, damit die Auswirkungen der Klimakrise uns nicht immer härter treffen.
Schon jetzt haben wir einen Sanierungsstau im Land, den geht die Ampel nun entschieden an. Aber um uns vor den von Ihnen angesprochenen Veränderungen zu schützen, werden wir viel bewegen müssen. Das muss man ehrlich ansprechen, nicht mit apokalyptischem Alarmismus, aber erst recht nicht mit Schönrederei.
Und doch sorgen viele Veränderungen für Widerstand.
Das erlebe ich anders: Viele Menschen sind doch genervt, wenn nichts vorangeht. Bürokratieabbau in der Verwaltung, der beschleunigte Ausbau der Schiene, die schnellere Sanierung von Brücken – das sind alles Veränderungen, die das Land voranbringen und das Leben der Menschen einfacher machen.
„Das Klimageld werden alle bekommen.“
Omid Nouripour, Grünen-Parteivorsitzender
Sie haben gesagt, dass viele Menschen finanziell überlastet sind. Sie haben im Koalitionsvertrag ein Klimageld vereinbart. Wann kommt es – und wer bekommt es?
Damit es bald kommen kann, ist der erste Schritt, einen Auszahlmechanismus zu entwickeln, den das Finanzministerium gerade erarbeitet. Bekommen werden es alle.
Wirklich alle?
Ja, das ist die Logik. Die genaue Ausgestaltung besprechen wir in der Koalition.
Wird das Klimageld auf Sozialleistungen wie das Bürgergeld oder andere Sozialleistungen angerechnet?
Koalitionen arbeiten am besten, wenn sie erst miteinander reden und danach mit der Presse. Deswegen besprechen wir die Details, wenn es soweit ist.
Haben Sie den ADAC schon mal gebraucht?
Ja, mehr als einmal. Die beeindruckendste Geschichte war bei einem Schweden-Urlaub. Es war der Abreisetag, meine Familie und ich mussten los zur Fähre. Ich habe das Auto auf dem Grundstück gewendet und dabei nicht gemerkt, dass die Schiebetür noch offen steht. Ich bin rückwärts mit der offenen Tür gegen eine Scheune gefahren, die Tür ist abgefallen.
Dann ging alles schnell: Anruf beim ADAC, die haben an Ihre Kollegen in Schweden übergeben. Kurz darauf standen zwei Schränke von Männern vor uns. Wir haben ihnen gesagt, dass wir in einer halben Stunde zur Fähre aufbrechen müssen. Da haben die beiden eine Brechstange – so groß, wie ich sie noch nie gesehen hatte – ausgepackt, die Tür einfach in den Rahmen gepresst und gesagt: "Nicht mehr aufmachen!". Die Fähre haben wir erwischt und die Tür hat gehalten, bis wir daheim waren.