"Der Anstieg der Importe von chinesischen E-Fahrzeugen ist ein Alarmsignal"

Manfred Weber, Mitglied des Europaeischen Parlaments und EVP-Fraktionsvorsitzender,
Manfred Weber (CSU) ist Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei im Europaparlament© picture alliance/Sven Simon [M]

Im ADAC Interview spricht Manfred Weber (CSU) über seine Position zu Verbrennerverbot ab 2035 und unfairem Wettbewerb aus China und erklärt, wie er die Klimaschutzziele in der Mobilität erreichen will.

ADAC Redaktion: Warum ist die Europawahl wichtig – besonders mit Blick auf unsere Mobilität?

Manfred Weber: Europa gibt für ganz viele Mobilitätsthemen den Rahmen vor. Sei es bei Innovationen, grenzüberschreitenden Netzen, Infrastrukturmaßnahmen oder Klima- und Umweltgesetzen und vielem mehr. Wir versuchen, die Möglichkeiten für individuelle Mobilität genauso für die Zukunft auszubauen und zu modernisieren wie für öffentliche Verkehrsmittel.

Und da sind die politischen Ansätze sehr unterschiedlich. Während andere auf Verbote setzen, Stichwort Führerscheinrichtlinie oder Verbrenner-Aus, ist unser Ansatz freiheitlicher und marktorientiert. Es braucht Veränderungen und Verbesserungen, da sind wir uns einig, aber nicht gegen die Menschen, sondern mit ihnen.

Was kann Europa dafür tun, dass individuelle Mobilität für Verbraucherinnen und Verbraucher bezahlbar bleibt?

Viel hat mit den Kosten für Energie zu tun. Das gilt etwa für den Strom für die Elektromobilität, siehe Europäisches Strommarktdesign, oder den Ausbau transeuropäischer Energienetze.

Das gilt aber natürlich auch für Kraftstoffe. Wir müssen gesamteuropäisch die Herstellung von synthetischen Kraftstoffen und Biokraftstoffen hochfahren, um durch Skaleneffekte und Innovation die Preise zu drücken. Am Ende muss der Markt entscheiden, wo Einsparungen ökonomisch am sinnvollsten sind. Dies ist der beste und effektivste Weg, die europäischen Klimaziele zu erreichen.

Zur Person

Der Diplomingenieur Manfred Weber, 51, ist bereits zum zweiten Mal Spitzenkandidat der CSU zur Europawahl. Seit 2014 ist der Niederbayer Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europaparlament. Zugleich ist er Mitglied im Präsidium der CSU und Vorsitzender der niederbayerischen CSU.

Sie stellen das Verbrennerverbot ab 2035 infrage. Warum?

Wir sind uns einig im Ziel, dass wir eine Dekarbonisierung des Verkehrs brauchen, um die Klimaziele zu erreichen. Aber: Mit dem Verbot des Verbrenners schränken wir künstlich unsere Handlungsoptionen ein und vertreiben eine moderne und funktionierende Spitzentechnologie aus Europa.

Wir wollen, dass Ingenieure, Markt und Konsumenten über die beste Technologie entscheiden, nicht der Staat. Das verhindert Innovation und Forschung und kostet Jobs. Alle Antriebsoptionen müssen in Zukunft auf dem Tisch liegen, eben auch der Antrieb mit synthetischen Kraftstoffen.

Ist Ihr Votum für ein Aus des Verbrennerverbots ein Misstrauensvotum an die Innovationskraft der europäischen Autoindustrie?

Die europäischen Hersteller haben immer wieder mit Umbrüchen und veränderten Marktbedingungen zu kämpfen gehabt und haben diese gut gemeistert. Die europäische Autoindustrie war stets Innovationstreiber – und sie ist es immer noch. Damit sie das in Zukunft bleiben kann, müssen die Unternehmen die richtigen Weichen stellen, aber es müssen eben auch die Rahmenbedingungen stimmen.

Dafür braucht es beispielsweise eine klare Industriepolitik und faire Wettbewerbsbedingungen. Der unfaire Wettbewerb aus China und die sicher nicht optimale Politik der deutschen Ampel-Regierung nehmen der Industrie aber aktuell manche Freiräume, die sie braucht, um weitere Innovationen voranzutreiben. Als EVP setzen wir in Europa deshalb einen klaren Schwerpunkt auf Innovation, Wachstum und Wettbewerb.

Derzeit ist ein reiner E-Auto-Hersteller der wertvollste Automobilkonzern der Welt. Was sagt das über die Zukunftsfähigkeit des Verbrenners aus?

Auch dort ist nicht alles Gold, was glänzt. Und ein angekurbelter Wettbewerb ist nicht zum Schaden. Die anderen Autobauer holen schnell auf. Eine Aussage über die Zukunftsfähigkeit des Verbrenners daraus abzuleiten, halte ich für schwierig. Auf absehbare Zeit ist mit einem Technologiemix auf Europas Straßen zu rechnen.

Was wollen Sie dafür tun, dass in Europa auch in Zukunft innovative Technologien – insbesondere im Pkw-Bereich – entwickelt werden?

In Europa braucht es ein positives Klima für Innovationen und Fortschritt. Häufig sind wir zu zögerlich und passiv. Wir brauchen einen EU-Wettbewerbsfähigkeits-Check und einen Aktionsplan zur Reduzierung der regulatorischen Belastung. Die Überregulierung der Wirtschaft muss durch einen Belastungsstopp für neue und laufende EU-Initiativen beendet werden. Das ist ein Schwerpunkt für die kommende Legislatur.

Es gibt Aufholbedarf, damit Europa bei Start-ups noch besser wird. Sie brauchen einen niedrigschwelligen Marktzugang, weniger Bürokratie und einen besseren Zugang zu vorhandenem Kapital. Genauso ist langfristig eine sichere und bezahlbare Energie notwendig.

Wie ernst nimmt Ihre Partei den Green Deal – und die Klimaziele der EU?

Die EVP unterstützt den Green Deal von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und hat ihn durchgesetzt. Ein ganz wichtiger Teil davon waren die weltweit ersten rechtlich verbindlichen Klimaziele mit einer Reduzierung von 55 Prozent Nettoemissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 und Klimaneutralität bis 2050.

Wir diskutieren, wie schon angesprochen, aber natürlich über den richtigen Weg. Manches war uns von Sozialdemokraten und Grünen zu ideologisch geprägt und zu wenig auf ein Miteinander mit den Menschen, der Wirtschaft oder der Landwirtschaft ausgerichtet. Deshalb haben wir dafür gesorgt, dass die Gesetze besser und praktikabler geworden sind. Was wir kritisieren, ist das Verbrenner-Aus ab 2035. Hier wollen wir Korrekturen.

Der Anstieg der Importe von chinesischen E-Fahrzeugen ist ein Alarmsignal, auf das wir Antworten brauchen.

Manfred Weber (CSU)

Mit welchen Maßnahmen wollen Sie den Klimaschutz – insbesondere im Verkehr – vorantreiben?

Saubere Kraftstoffe und Elektromobilität sind der Schwerpunkt, aber sie sind nicht alles. Es braucht die Infrastruktur. Wir haben hier im Europäischen Parlament vorgelegt, mit einer Ende April beschlossenen neuen Verordnung für die Europäischen Verkehrsnetze (TEN-V). Jetzt müssen die EU-Staaten endlich liefern und die beschlossene Infrastruktur auch bauen und instand halten. Da hat auch Deutschland einen großen Nachholbedarf.

Die Bundesregierung hat es bisher nicht geschafft, dort wirklich einen großen Schritt zu machen. Aussagen, den Deutschlandtakt im Schienenverkehr erst 2070 zu erreichen, sind schon frustrierend. Genauso müssen wir den Umstieg von einem Verkehrsmittel auf das andere verbessern.

Stehen wir vor der Alternative "Abhängig von Importen fossiler Energie" oder "Abhängigkeit von Importen elektrischer Pkw und seltener Rohstoffe"?

Wir wollen Abhängigkeiten bei Schlüsseltechnologien und kritischen Rohstoffen abbauen. Unser Ziel sind deshalb verlässliche Rohstoff- und Energiepartnerschaften. Grundsätzlich werden wir in Deutschland und der EU von Importen abhängig sein. Aber wir wollen es so wenig wie möglich sein. Der Anstieg der Importe von chinesischen E-Fahrzeugen ist ein Alarmsignal, auf das wir Antworten brauchen. Wir wollen die Abhängigkeiten etwa von China verringern, unsere Lieferketten widerstandsfähiger machen und einen sicheren Zugang haben. Wir dürfen im Krisenfall nicht erpressbar werden.

Ganz Europa wartet darauf, dass Deutschland seinen Bahnverkehr besser hinbekommt. Denn wenn es bei uns hakt, dann hakt es auch in unseren Nachbarländern.

Manfred Weber (CSU)

Wie kann die Bahn europaweit zu einer zuverlässigen Alternative für Auto und Flugzeug werden?

Im europäischen Schienenverkehr, und ganz besonders in Deutschland, krankt es zuallererst an der Infrastruktur. Hier müssen wir mit den neuen verbindlichen Standards der europäischen Verkehrsnetze Abhilfe schaffen: mehr Güter auf die Schiene mit den Standards für 740-Meter-Züge, Mindestgeschwindigkeiten im TEN-V-Netz und neue Hochgeschwindigkeitsstrecken, mehr grenzüberschreitenden Schienenverkehr. Allerdings wartet ganz Europa darauf, dass Deutschland seinen Bahnverkehr besser hinbekommt. Denn wenn es bei uns hakt, dann hakt es auch in unseren Nachbarländern, aus denen der Bahnverkehr nicht abfließen kann.

Daten im Auto werden immer wichtiger – werden Sie sich für Entscheidungshoheit zur Datennutzung auch für Kundinnen und Kunden einsetzen?

Das kürzlich verabschiedete Datengesetz deckt eine ganze Reihe von Themen ab. Grundsätzlich haben die Nutzer die Kontrolle über die von den Fahrzeugen erzeugten Daten. Dritte, wie etwa Anbieter von Nachrüstungsdiensten, erhalten einen fairen und nicht diskriminierenden Zugang zu diesen Daten. Eine spezifische Gesetzgebung zu Fahrzeugdaten wird es wahrscheinlich nicht geben.

Die EU hat Vorschriften für Sicherheitssysteme im Auto verabschiedet – sie machen Autofahren sicherer, Autos aber auch tendenziell teurer. Wie lösen Sie diesen Spagat – neue Anforderungen vs. höhere Kosten – auf?

Bevor ein weiterer Vorschlag vorgelegt wird, muss die bestehende Regelung überprüft werden. Wir wollen eine weltweite Normierung der Sicherheitssysteme erreichen, damit eine einheitliche Basis vorhanden ist und es zu keinen zu krassen Verzerrungen kommt. Für künftige Änderungen sind solide Daten und Grundlagen notwendig.

Neue Verkehrsregeln, Spritpreise und Verbraucher-Tipps

Welche Teile der vorgelegten Vorschläge der Führerscheinreform tragen Sie mit?

Zum Glück ist es gelungen, dass wir die absurdesten Vorschläge von Grünen und Linken verhindern konnten. Nachtfahrverbote für Fahranfänger, begrenzte Gültigkeitsdauer für Führerscheine von älteren Menschen, Tempolimits durch die Hintertür oder die Pflicht zum neuen Führerscheinerwerb mit einer neuen Führerscheinklasse schon für ganz gewöhnliche Mittelklassewagen sind vom Tisch.

Mit dem europaweiten begleiteten Fahren ab 17 Jahren ist ein Mehrwert geschaffen worden. Europaweit einheitliche Regelungen für medizinische Tests, wie sie leider eine Mehrheit im Europäischen Parlament fordert, sehen wir aber nach wie vor kritisch. Es sollte Sache der einzelnen Staaten bleiben, wie sie damit umgehen.

Die EU will den Emissionshandel ausweiten, das könnte auch das Fliegen teurer machen. Wie steht Ihre Partei dazu?

Der Flugverkehr ist schon seit über zehn Jahren Teil des EU-Emissionshandels, dem Herzstück der Klimapolitik. Allerdings gilt dies bisher nur für Flüge innerhalb der EU. Ein ganz großer Teil der Zertifikate wurde bisher kostenlos vergeben. Bis 2026 wird dies schrittweise abgeschmolzen, was zu einer gewissen Verteuerung der Tickets führen wird. Der Emissionshandel hat sich insgesamt bewährt, weil es ein marktwirtschaftliches Instrument ist, das mit den Einnahmen auch Innovation, Dekarbonisierung und soziale Maßnahmen fördert.

Die EU hat neue, verschärfte Grenzwerte für mehrere Luftschadstoffe erlassen. Wie realistisch sind sie – und wie lassen sie sich bis 2030 erreichen?

Wir wollen eine Balance zwischen Umweltschutz und ökonomischer Machbarkeit finden. Deshalb ist die EVP-Fraktion für eine schrittweise Veränderung der Grenzwerte, die den EU-Staaten und der Industrie genügend Zeit für die notwendigen Anpassungen lässt. Es braucht auch hier einen vernünftigen Ausgleich zwischen Umweltschutz und Wirtschaftsinteressen. Wir sind skeptisch, ob diese notwendige Differenzierung mit dem verhandelten Text gelingt. Es kann gut sein, dass dies zu großen Problemen in der Praxis führt wie Dieselfahrverbote oder Einschränkungen für Elektrofahrzeuge wegen des größeren Reifenabriebs.