BMW-CEO Oliver Zipse will nicht bei jeder Technologie der Erste am Markt sein. Wie er zudem über E-Fuels und das Verbrennerverbot denkt und warum die BMW-Marken Mini und Rolls Royce bald komplett auf Elektroautos setzen. ADAC Redaktion: Bei vielen Anlässen hört man von BMW "We move body, heart and mind", auf Deutsch "Wir bewegen Menschen, berühren Herzen und beflügeln den Verstand". Löst das den BMW-Slogan "Freude am Fahren" ab? Oliver Zipse: Das ist kein neuer Slogan, sondern eher unser internes Leitbild. Dass wir Menschen bewegen, Herzen berühren und den Verstand beflügeln wollen, zeigt, dass es bei der BMW Group nicht nur darum geht, von A nach B zu kommen. Sondern, dass wir unsere Kunden auch emotional begeistern und intellektuell ansprechen wollen. Dieser Anspruch verbindet unsere vier Marken BMW, Mini, Rolls-Royce und BMW Motorrad. Es ist also kein Widerspruch oder gar eine Ablösung der BMW-typischen Freude am Fahren. Die wird es immer geben. Sie haben die "Neue Klasse" angekündigt, eine besonders innovative Limousine und ein SUV. Was unterscheidet die "Neue Klasse" von anderen BMW-Modellen? Die Bezeichnung "Neue Klasse" rekurriert auf die Einführung eines damals neuen Fahrzeugsegments in den 1960ern. Das war ein großer Sprung für das Unternehmen und hat eine ganze Ära eingeleitet. Das soll jetzt wieder so sein. Die "Neue Klasse" ist ein Geschenk, denn sie gibt uns die Möglichkeit, Automobilität völlig neu zu denken. Die beiden Modelle, die Sie genannt haben, sind dabei nur der Anfang: Ab 2025 werden wir innerhalb von 24 Monaten mindestens sechs neue Modelle an den Start bringen. Grundlage dafür sind unsere neuen skalierbaren Technologiecluster, beispielsweise für den Elektroantrieb und das digitale Erlebnis, aber auch für das automatisierte Fahren. Dazu kommt eine vollkommen neue Designsprache. Neben der markanten Silhouette der "Neuen Klasse" ist das riesige Head-up-Display in der Frontscheibe als besondere Innovation aufgefallen. Droht da nicht zu große Ablenkung vom Verkehr? Im Gegenteil. Gängige Displays mit komplizierter Touch-Menüführung, bei denen Sie den Blick von der Straße abwenden müssen, können eine gefährliche Ablenkung sein. Aber ein Head-up-Display liefert alle Informationen direkt im Blickfeld. Sie schauen nach vorne, müssen also nie den Blick von der Straße abwenden. Das minimiert gerade die Ablenkung. "Hands on the Wheel, Eyes on the Road", das bleibt für uns das wichtigste Sicherheitsprinzip. Auf der IAA Mobility im September werden wir den nächsten Schritt zur "Neuen Klasse" vorstellen – inklusive innovativem Head-up-Display, das die gesamte Breite der Windschutzscheibe nutzt. Und wir haben auch schon einen Namen für die Serienversion dieses Displays: "BMW Panoramic Vision." Wie wichtig ist für BMW Technologieneutralität beim Antrieb? BMW treibt seit Jahrzehnten die Entwicklung aller Antriebstechnologien voran: Benzin, Diesel, Elektro, Hybrid und Wasserstoff. Es ist enorm wichtig, alle fünf weiterzuführen, denn wir wollen klimafreundliche Mobilität unter allen Rahmenbedingungen ermöglichen. Natürlich ist ein Elektroauto mit Grünstrom heute die beste Variante – aber sie funktioniert eben nicht als Pauschallösung für alle. Mit diesem technologieoffenen Ansatz sind wir bei BMW auf einem guten Weg: Wir konnten unseren EU-Flottengrenzwert auch 2022 deutlich unterschreiten. Gefordert waren 127,5 Gramm, wir haben ihn auf 105 Gramm reduzieren können. Und wir haben den Anspruch, jedes Jahr besser zu werden. Unabhängig davon, ob auch die Regulatorik dem Ansatz kontinuierlicher Verbesserung folgt. Einige Autohersteller kommen dem weitgehenden Verbot des Verbrennungsmotors zuvor. Wie halten Sie es damit? Ein Verbot ist eine klassische Exit-Strategie, und die bringt immer einen immensen Nachteil mit sich: Wenn man sich auf eine Technologie beschränken muss, entstehen neue Abhängigkeiten, weil die Alternativen wegfallen. Darunter leidet die Resilienz, es entstehen einseitige Abhängigkeiten. Auch bei der Elektromobilität gibt es offene Fragen. Denken Sie nur an Rohstoffe für die Batterien. Nur ein sehr kleiner Teil wird in Europa abgebaut oder verarbeitet. Da droht eine beträchtliche Abhängigkeit, die sich am Ende auch im Preis widerspiegeln wird. Deshalb sind Incentivierungs-Strategien sinnvoller: Da wird das Gute, das Sinnvolle gefördert und das weniger Wünschenswerte verschwindet schrittweise vom Markt. Welche Rolle spielen bei Ihren Überlegungen E-Fuels? In Europa gibt es etwa 250 Millionen Fahrzeuge auf der Straße – die allermeisten davon mit Verbrennungsmotor. Es würde Jahrzehnte dauern, bis eine Flotte dieser Größe komplett erneuert wäre. Wenn man Klimaschutz ernst nimmt, muss man für diese Bestandsfahrzeuge eine Lösung anbieten. Zum Beispiel durch die Beimischung von klimaneutralen E-Fuels – wenn genug davon vorhanden ist. Heutige BMW-Modelle können problemlos mit einem Anteil von bis zu 25 Prozent synthetischen Kraftstoffen fahren. Und man sollte auch nicht ausschließen, dass Neufahrzeuge mit Verbrennungsmotor nach 2035 vollständig mit E-Fuels betrieben werden und so klimaneutral unterwegs sind. Was unternimmt BMW, um den CO₂-Fußabdruck bei der Herstellung der Fahrzeuge zu verringern? Wir müssen transparent aufzeigen können, wie groß der CO₂-Fußabdruck unserer Produkte ist. Das gilt von der Lieferkette über die Produktion bis hin zur Nutzungsphase des Fahrzeugs. Nur mit diesem ganzheitlichen Ansatz können wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, um den CO₂-Fußabdruck zu minimieren. Ich gebe Ihnen drei Beispiele: Wir wollen Batteriezellen einbauen, die bei unseren Lieferanten mit grünem Strom produziert wurden. Außerdem nutzen wir CO₂-reduzierten Stahl und Aluminium. Und wir setzen auf regionalen Grünstrom, beispielsweise aus Wasserwerken an Isar und Lech, um ressourcenschonend und klimafreundlich zu produzieren. BMW im Ganzen nachhaltig zu machen, das hat bei uns enorm hohe Priorität. Mit einer Mercedes S-Klasse kann man auf der Autobahn bereits hochautomatisiert fahren, mit einem BMW noch nicht. Setzt BMW andere Prioritäten? Wir stellen den Kundennutzen in den Mittelpunkt. Heißt: Wir müssen nicht zwingend die Ersten sein, sondern bringen erst dann ein Angebot auf den Markt, wenn es relevant ist und dem Kunden einen spürbaren Mehrwert bietet. Der Kunde darf nicht den Eindruck bekommen, viel Geld für etwas auszugeben, was noch nicht voll ausgereift ist. Sinnvoll ist zum Beispiel das "Hands-free-Fahren" bis 130 km/h mittels "Highway Assistant", wie es in den USA bereits erlaubt ist. Das bieten wir heute schon an. Der Kunde kann die Hände vom Lenkrad nehmen, muss aber aufmerksam bleiben und den Blick auf die Straße richten. Unsere US-Kunden sind begeistert davon. Und ich bin sicher: Das wird in Europa nicht anders sein, wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen sind. Mobilität muss bezahlbar bleiben. Der 116i als günstigster BMW kostet 30.850 Euro. Ein 1er dürfte als E-Auto teurer sein. Durch die Elektrifizierung entsteht ein zunehmender Kostendruck, richtig. Deshalb glaube ich nicht, dass ein Elektroauto in den nächsten fünf Jahren beim Kauf günstiger sein wird als ein vergleichbares Verbrennermodell. Aber Mobilität wird in Summe teurer werden, nicht nur wegen der Elektrifizierung, sondern auch aufgrund neuer Sicherheitsanforderungen und Regulierungen. Man sollte aber nicht alles nur am Preis festmachen. Am Ende zählt für den Kunden, dass das Gesamtpaket attraktiv ist. Zentral bei Elektroautos ist etwa die Reichweite. Die kann man natürlich reduzieren, um Kosten zu senken. Aber damit sinkt auch der Mehrwert für den Kunden – und am Ende kauft es im Worst Case Szenario keiner. Wann ist die Marke Mini voll elektrifiziert? Das wird ab Beginn der 2030er-Jahre so weit sein. Mini ist eine urbane Marke, die sich perfekt für die Elektrifizierung eignet. Niemand kauft sich einen Mini, um damit ständig auf der Langstrecke unterwegs zu sein. Das gilt übrigens auch für die Marke Rolls-Royce, die wir 2030 komplett auf batterieelektrische Antriebe umstellen. Wir haben gerade den ersten voll elektrischen Rolls-Royce herausgebracht, den Spectre. Die sprichwörtliche Stille in einem Rolls-Royce, in dem man nur das Ticken der Uhr hört, ist perfekt mit Elektrifizierung erreichbar. In einem modernen Auto werden eine Menge Daten produziert. Wem gehören diese Daten? Der Kunde hat die Hoheit über die Daten und entscheidet selbst, welche Fahrzeugdaten er mit Dritten teilen möchte. Und wir als Hersteller stellen sicher, dass der Datenschutz und die Data Privacy gewährleistet sind. Wir lehnen daher eine Regulierung ab, die es Drittanbietern erlaubt, direkt auf das Fahrzeug zuzugreifen. Denn das würde die Sicherheit gefährden. Denken Sie an sicherheitsrelevante Funktionen wie Bremse oder Lenkung. Wenn hier jemand während der Fahrt eingreifen würde, wäre das viel zu riskant. Wenn Dritte die Daten etwa für Wartung oder für andere Dienstleistungen benötigen, sollen sie diese auch bekommen. Aber eben nicht über einen direkten Zugriff auf das Fahrzeug, sondern über ein sicheres Backend und nur nach Zustimmung des Kunden. Der ADAC setzt sich für eine unabhängige Datenplattform ein. Welche Rolle sehen Sie für Werkstätten oder auch den ADAC? Eine ganz wichtige. Jeder Marktteilnehmer profitiert davon, wenn er auch in Zukunft Fahrzeuge unserer Marken warten und deren Daten nutzen kann. Wir haben vorgeschlagen, dass mit Zustimmung des Kunden mehr als 130 Datentypen weitergegeben werden dürfen. Aber noch einmal: immer über ein sicheres Backend. Im September 2023 findet die zweite IAA Mobility in München statt. Was wird BMW dort zeigen? Unter anderem den nächsten Ausblick auf die "Neue Klasse". Wir werden sehr konkret über die Innovationen sprechen, die diese Fahrzeuge ausmachen werden. Sie können sich drauf freuen! Aber neben dem Blick in die Zukunft zeigen wir natürlich auch die Fahrzeuge, die jetzt schon auf die Straße kommen, zum Beispiel den neuen BMW 5er mit dem vollelektrischen i5, die neue Mini-Familie oder den CE02 von BMW Motorrad. Wie wichtig sind Messen für BMW? Der Kundenkontakt ist essenziell für uns, Messen werden deshalb sogar wieder in der Bedeutung steigen. Sie wandeln sich aber hin zu industrieübergreifenden Mobilitätsmessen, wo nicht nur Autos zu sehen sind. Auf der CES in Las Vegas ist es schon seit Jahren so, dass dort die Elektronikbranche, aber gleichermaßen auch die Autoindustrie präsent ist.