EuGH-Verfahren: Droht Dieselautos bald die Stilllegung?

Ein Diesel-Verbotsschild auf der Straße
Debatte über neue EU-Regeln: Droht nun Millionen von Dieselfahrern die Stilllegung ihrer Fahrzeuge?© Shutterstock/Markus Mainka

Bundesverkehrsminister Wissing warnt vor der millionenfachen Stilllegung von Dieselautos durch ein anstehendes EuGH-Urteil. Welches Szenario droht, wer betroffen wäre und was der ADAC dazu sagt.

  • Verkehrsministerium befürchtet das Aus für 8,2 Millionen Diesel-Pkw

  • Hintergrund: Verfahren am Europäischen Gerichtshof

  • ADAC hält Klarstellung der EU-Kommission für nötig

Ende Juli 2024 hat Bundesverkehrsminister Volker Wissing in einem Brief an die EU-Kommission vor der millionenfachen Stilllegung von Dieselfahrzeugen gewarnt. Das sorgt für Verunsicherung bei vielen Autofahrern. Der ADAC beantwortet wichtige Fragen zum Thema.

Wie viele Fahrzeuge wären betroffen?

Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) befürchtet, dass rund 8,2 Millionen Diesel-Pkw allein in Deutschland in den nächsten Monaten eine "Außerbetriebssetzung" droht – also ein Entzug der Zulassung für den Straßenverkehr. Im Fokus stehen ältere Modelle, die unter die Schadstoffnormen Euro 5 und Euro 6 fallen und die Abgasgrenzwerte vor ihrer Zulassung zwar bei Labormessungen eingehalten haben, aber nicht im Realbetrieb. Hintergrund dieser Befürchtung: ein laufendes Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Darin geht es um die Frage, wie die Schadstoffgrenzwerte für Diesel-Pkw ausgelegt werden – und welche Autos sie einhalten müssen.

Wie wird die Grenzwert-Einhaltung geprüft?

Damit Pkw in der EU verkauft werden dürfen, brauchen sie eine Typgenehmigung. Um diese zu bekommen, müssen sie unter anderem bestimmte Schadstoff-Grenzwerte einhalten. Bis zum September 2017 wurde das nach dem NEFZ-Standard überprüft – und zwar ausschließlich im Labor, stets unter vergleichbaren Bedingungen.

Nach dem Dieselskandal wurde diese Prüfung verschärft. Seither müssen Autos für die Typgenehmigung Abgasprüfungen im realen Fahrbetrieb absolvieren. Dieses realistischere RDE-Testverfahren ist ab der Abgasnorm Euro 6d temp vorgeschrieben. Autos, die bei der Prüfung die zulässigen Schadstoffgrenzwerte überschreiten, dürfen nicht mehr auf den Markt gebracht werden.

Euro-5- und Euro-6-Diesel, die zwischen 2011 und 2018 auf die Straße kamen, sind folglich noch nach dem NEFZ-Testverfahren zugelassen. Nach Angaben der EU-Kommission entschied der EuGH bereits in einem früheren Urteil, dass sich die Emissionsprüfungen nicht allein auf Laborbedingungen beschränken dürfen. Damals vertrat die EU-Kommission laut Wissing die Auffassung, die Abgasgrenzwerte würden für jede Fahrsituation gelten – zum Beispiel auch bei Volllastfahrten mit Steigung.

Worüber urteilt der EuGH?

Ein schwarzer Rauch kommt aus einem Diesel-Auspuff
Ältere Euro-5- und Euro-6-Dieselautos sind bis September 2017 nach dem NEFZ-Prüfverfahren zugelassen worden© iStock.com/deepblue4you

Im Gerichtsverfahren vor dem EuGH geht es eigentlich um Klagen von zwei Mercedes-Kunden. Die beiden waren ursprünglich vor das Landgericht Duisburg gezogen, weil sie sich durch den im Vergleich zu den Hersteller-Angaben überhöhten Schadstoffausstoß ihrer Diesel-Pkw der Schadstoffklasse Euro 5 von Mercedes betrogen fühlten. Das Landgericht Duisburg bezweifelte tatsächlich, dass ein Euro-5-Diesel im Alltag mehr Schadstoffe ausstoßen darf, als beim Testverfahren im Labor zulässig. Um zu klären, ob die betroffenen Mercedes-Modelle nachgebessert werden müssen und ob Schadenersatzansprüche bestehen, verwies das Landgericht die Angelegenheit an den Europäischen Gerichtshof.

Schadenersatz für Diesel-Fahrer?

Sollte der EuGH zu dem Ergebnis kommen, dass die Genehmigung älterer Dieselautos fehlerhaft ist und die Schadstoffgrenzwerte nicht nur im Labor, sondern auch auf der Straße eingehalten werden müssen, könnten betroffene Fahrzeughalter jeweils Schadenersatz­ vom Autohersteller verlangen. Denkbar wären etwa 10 Prozent des Kaufpreises, wie sie in der bisherigen Rechtsprechung zum Dieselskandal oft Klägern zugesprochen worden sind.

"Bei der großen Anzahl der möglicherweise betroffenen Kfz wäre es auch möglich, diesen Schadenersatz­anspruch gegen einen bestimmten Hersteller im Wege der Musterfeststellungs­klage geltend zu machen", so ADAC Rechtsexperte Klaus Heimgärtner. Auch Klagen gegen das Kraftfahrt­-Bundesamt, das die Dieselautos genehmigt hatte, könnten Erfolg haben.

Im schlimmsten Fall: Massen-Stilllegung

Allerdings könnte so ein Urteil – so die Befürchtung von Verkehrsminister Wissing – dramatische Folgen für alle Euro-5- und Euro-6-Diesel haben. Denn wenn die ursprüngliche Typgenehmigung fehlerhaft war, dann müssten alle Modelle mit diesen Schadstoffklassen im Realbetrieb nachweisen, dass sie die in den Fahrzeugpapieren angegebenen Grenzwerte einhalten. Was ihnen nicht gelingen dürfte. Eine Nachrüstung ist auch aus Sicht der ADAC Technikexperten bei den betroffenen Diesel-Fahrzeugen nicht möglich.

Vor der Anordnung einer Stilllegung stehen aus Sicht von ADAC Juristen allerdings viele Hürden. Zugunsten der Fahrzeughalter seien umfangreiche Prüfungen in Sachen Verhältnismäßigkeit, insbesondere dem Eigentumsschutz, erforderlich. Bei einer entsprechenden EuGH-Entscheidung sind daher Stilllegungen von betroffenen Kfz wenig realistisch, wenn auch nicht komplett auszuschließen.

Wie verhält sich die EU-Kommission?

Die EU-Kommission will offenbar Vorschriften zur Einhaltung von Schadstoffgrenzwerten bei Autos nicht nachträglich ändern und damit auch keine Stilllegung von Millionen Dieselautos bewirken. Die Brüsseler Behörde habe nicht die Absicht, rückwirkende Änderungen vorzunehmen, erwiderte EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton Anfang August den Brief von Wissing.

Die EU-Kommission wolle auch keine Maßnahmen ergreifen, "die Bürger, die Autos in gutem Glauben gekauft haben, in irgendeiner Weise benachteiligen würden". Die von Wissing darin formulierte Annahme, man sei nun der Ansicht, dass Euro-5- und Euro-6-Diesel, die noch im Verkehr sind, diese Vorschriften in "jeder Fahrsituation" einhalten müssten – einschließlich Volllastfahrten mit Steigung – sei irreführend, so Breton. Er betonte in dem Schreiben außerdem, den Autoherstellern sollten keine zusätzlichen Anforderungen auferlegt werden.

Wie geht das Verfahren weiter?

Abgasmessung an einem Verbrenner Auto
Die endgültige Entscheidung über die EU-Abgasregeln für Bestandsfahrzeuge fällt wohl erst im Jahr 2025© dpa/Sven Simon

Aus dem Bundesverkehrsministerium hieß es, Wissing sehe sich durch das Schreiben des EU-Kommissars Breton in seiner Sorge bestätigt. Die EU-Kommission betone zwar, dass sie gegenüber Autoherstellern und Bürgern keine rückwirkenden Maßnahmen plane. Darum gehe es aber nicht. Es wäre nämlich nicht die Kommission, sondern der EuGH, der diese Entscheidung treffen würde. Wissing schlug deshalb ein gemeinsames Vorgehen von EU-Kommission und Mitgliedsstaaten vor: "Eine Lösung könnte darin bestehen, in den fraglichen Vorschriften noch vor der Entscheidung des EuGH eine Klarstellung vorzunehmen." Dem Bundesverkehrsministerium schwebt eine Regelung vor, wonach die Abgasgrenzwerte nicht bei jeder realistischen Fahrsituation eingehalten werden müssten.

Bisher scheint es, als wolle die Kommission die Entscheidung des EuGH abwarten. Mit den Schlussanträgen des zuständigen EuGH-Generalanwaltes ist frühestens im November zu rechnen, mit einem Urteil eher im Jahr 2025. In vielen Fällen folgt der EuGH in seinen Urteilen den Schlussanträgen der Generalanwälte und ihren Empfehlungen.

Welche Position vertritt der ADAC?

Sollte der EuGH überraschend urteilen, dass ältere Dieselautos mit Euro-5- und Euro-6-Schadstoffklasse die jeweiligen Grenzwerte auch im Realbetrieb einhalten müssen, wären sie auch nicht typgenehmigungsfähig gewesen. Dann müssten das Bundesverkehrsministerium und das Kraftfahrt-Bundesamt in Deutschland das weitere Vorgehen klären – auch in Hinblick auf Bestandsschutz. Zu prüfen wäre, ob eine Stilllegung der betroffenen Diesel-Fahrzeuge verhältnismäßig ist oder nicht.

Der ADAC hält eine wirksame Klarstellung seitens der EU-Kommission deshalb für absolut dringlich, um Verbraucherinnen und Verbraucher nicht weiter zu verunsichern. Schließlich seien die betroffenen Fahrzeuge bei der Übergabe ordnungsgemäß zugelassen worden. Änderungen im Messverfahren bei der Typgenehmigung eines Pkw zu einem späteren Zeitpunkt können nach der Auffassung von ADAC Juristen nicht rückwirkend Anwendung finden. Es sei vor diesem Hintergrund abwegig, dass bereits zugelassene Fahrzeuge nicht mehr betrieben werden dürfen.

Mit Material von dpa