EuGH-Verfahren: Droht Dieselautos bald die Stilllegung?
Durch ein 2025 anstehendes EuGH-Urteil droht die millionenfache Stilllegung von Dieselautos. Was der europäische Generalanwalt fordert, wer betroffen wäre und was der ADAC dazu sagt.
Verkehrsministerium befürchtet das Aus für 8,2 Millionen Diesel-Pkw
Hintergrund: Verfahren am Europäischen Gerichtshof
ADAC hält Klarstellung durch EU-Kommsion für nötig, um Diesel-Stilllegung zu verhindern
Müssen bald Millionen von Dieselautos stillgelegt werden? Im schlimmsten Fall wäre das die Folge eines Verfahrens am Europäischen Gerichtshof. Das sorgt für Verunsicherung bei vielen Autofahrerinnen und Autofahrern. Der ADAC beantwortet wichtige Fragen zum Thema.
Das fordert der Generalanwalt
Am 21. November 2024 hat der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) Athanasios Rantos seine Schlussanträge gestellt. Im dem Verfahren geht es eigentlich um Klagen von zwei Mercedes-Kunden. Die beiden waren ursprünglich vor das Landgericht Duisburg gezogen, weil sie sich durch den im Vergleich zu den Hersteller-Angaben überhöhten Schadstoffausstoß ihrer Diesel-Pkw der Schadstoffklasse Euro 5 von Mercedes betrogen fühlten.
Das Landgericht Duisburg bezweifelte, dass ein Euro-5-Diesel im Alltag mehr Schadstoffe ausstoßen darf, als beim Testverfahren im Labor zulässig. Um zu klären, ob für die betroffenen Mercedes-Modelle Schadenersatzansprüche bestehen, legte das Landgericht die Angelegenheit dem Europäischen Gerichtshof vor.
Generalanwalt Rantos teilt in seinen Schlussanträgen die Zweifel des Gerichts und vertritt tatsächlich die Auffassung, dass die nach den sogenannten NEFZ-Regeln geprüften Schadstoffgrenzwerte nicht nur im Labor, sondern auch auf der Straße unter normalen Fahrbedingungen eingehalten werden müssen – zum Beispiel bei höheren Geschwindigkeiten, mit ganz unterschiedlichen Reifenmodellen, bei variierenden Fahrbahnverhältnissen, bei Berg- und Talfahrten.
ADAC: Generalanwalt überzeugt nicht
Nach Ansicht des ADAC überzeugt die Argumentation des Generalanwalts aber nicht. Denn es ist schwer nachvollziehbar, dass die von 2011 bis 2017 gültigen NEFZ-Regeln von Anfang an verlangt haben sollen, unter normalen Betriebsbedingungen die Laborwerte einzuhalten. Wie sollte ein Serienfahrzeug in jeder Fahrsitutation, mit oder ohne Klimaanlage, bei Gegenwind, Steigungen und unterschiedlichsten Geschwindigkeiten, auch nur annähernd mit einem auf die Testsituation vorbereiteten Auto vergleichbar sein? ADAC Jurist Klaus Heimgärtner: "Einen Laborversuch auf der Straße nachzufahren und die dabei gemessenen Emissionen mit den gesetzlichen Grenzwerten zu vergleichen, ist der sprichwörtliche Vergleich von Äpfeln mit Birnen."
Der ADAC hält deshalb eine wirksame Klarstellung durch die EU-Kommission für absolut dringlich, um Verbraucherinnen und Verbraucher nicht weiter zu verunsichern. Schließlich sind die betroffenen Fahrzeuge bei der Übergabe ordnungsgemäß zugelassen worden. Änderungen der Auslegung im Messverfahren bei der Typgenehmigung eines Pkw zu einem späteren Zeitpunkt können nach der Auffassung von ADAC Juristen nicht rückwirkend Anwendung finden. Es ist vor diesem Hintergrund keine belastbare Rechtsgrundlage erkennbar, dass bereits zugelassene Fahrzeuge nicht mehr betrieben werden dürfen.
Wie wird die Grenzwert-Einhaltung geprüft?
Damit Pkw in der EU verkauft werden dürfen, brauchen sie eine Typgenehmigung. Um diese zu bekommen, müssen sie unter anderem bestimmte Schadstoff-Grenzwerte einhalten. Bis zum September 2017 wurde das nach dem NEFZ-Standard überprüft – und zwar ausschließlich im Labor, stets unter vergleichbaren Bedingungen.
Nach dem Dieselskandal wurde diese Prüfung verschärft. Seither müssen Autos für die Typgenehmigung Abgasprüfungen im realen Fahrbetrieb absolvieren. Dieses realistischere RDE-Testverfahren ist ab der Abgasnorm Euro 6d temp vorgeschrieben. Autos, die bei der Prüfung die zulässigen Schadstoffgrenzwerte überschreiten, dürfen nicht mehr auf den Markt gebracht werden.
Euro-5- und Euro-6-Diesel, die zwischen 2011 und 2018 auf die Straße kamen, sind folglich noch nach dem NEFZ-Testverfahren zugelassen. Nach Auffassung von Generalanwalt Rantos entschied der EuGH bereits in einem früheren Urteil, dass sich die Emissionsprüfungen nicht allein auf Laborbedingungen beschränken dürfen.
Im schlimmsten Fall: Massen-Stilllegung
Sollte sich der EuGH den Anträgen von Rantos anschließen, könnte dieses Urteil im schlimmsten Fall dramatische Folgen für alle Euro-5- und Euro-6-Diesel haben. Dann könnten nämlich die ursprünglichen Typgenehmigungen fehlerhaft sein. Alle Modelle mit diesen Schadstoffklassen müssten dann im Straßenverkehr nachweisen, dass sie die in den Fahrzeugpapieren angegebenen Grenzwerte auch auf der Straße einhalten. Was ihnen meist nicht gelingen dürfte. Eine Nachrüstung ist auch aus Sicht der ADAC Technikexperten bei den betroffenen Diesel-Fahrzeugen nicht möglich.
Vor der Anordnung einer Stilllegung stehen aus Sicht von ADAC Juristen allerdings viele Hürden. Zugunsten der Fahrzeughalter seien umfangreiche Prüfungen in Sachen Verhältnismäßigkeit, insbesondere dem Eigentumsschutz, erforderlich. Bei einer entsprechenden EuGH-Entscheidung sind daher Stilllegungen von betroffenen Kfz wenig realistisch, wenn auch nicht komplett auszuschließen.
Wie viele Fahrzeuge wären betroffen?
Nach Zahlen des Verkehrsministeriums wären dann allein in Deutschland rund 8,2 Millionen Diesel-Pkw betroffen. Eine "Außerbetriebsetzung" – also ein Entzug der Zulassung für den Straßenverkehr - würde Diesel mit den Schadstoffnormen Euro 5 und Euro 6 treffen. Die zwischen 2011 und 2018 zugelassenen Fahrzeuge haben die damals vorgeschriebenen Abgasgrenzwerte zwar bei Labormessungen eingehalten, aber nicht im – damals nicht vorgeschriebenen – Realbetrieb.
Schadenersatz für Diesel-Fahrer?
Sollte die Genehmigung älterer Dieselautos fehlerhaft sein, weil sie Schadstoffgrenzwerte nur im Labor, aber nicht auch auf der Straße einhalten, könnten betroffene Fahrzeughalter Schadenersatz vom Autohersteller verlangen. Denkbar wären etwa fünf bis 15 Prozent des Kaufpreises, wie sie in der bisherigen Rechtsprechung zum Dieselskandal oft Klägern zugesprochen worden sind.
Wie geht das Verfahren weiter?
Mit einem Urteil ist im ersten Halbjahr 2025 zu rechnen. In vielen Fällen folgt der EuGH in seinen Urteilen den Schlussanträgen der Generalanwälte und ihren Empfehlungen. Sollte der EuGH den Vorschlägen des Generalanwalts Rantos folgen und urteilen, dass ältere Dieselautos mit Euro-5- und Euro-6-Schadstoffklasse die jeweiligen Grenzwerte auch im Realbetrieb einhalten müssen, wären sie auch nicht typgenehmigungsfähig gewesen.
Dann müssten das Bundesverkehrsministerium und das Kraftfahrt-Bundesamt in Deutschland das weitere Vorgehen klären – auch in Hinblick auf Bestandsschutz. Zu prüfen wäre, ob eine Stilllegung der betroffenen Diesel-Fahrzeuge verhältnismäßig ist oder nicht.
Mit Material von dpa