70 Jahre Gelbe Engel: Vom Klingelfunk zum VW Caddy V
Was vor 70 Jahren mit einer Handvoll engagierter Männer und einigen Motorrad-Gespannen begann, hat sich zu einer Organisation mit mehreren Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entwickelt: Im Schnitt helfen heute Gelbe Engel alle neun Sekunden irgendwo in Deutschland.
Als zur ADAC Hauptversammlung am 2. Mai 1954 in Stuttgart der Club die Straßenwacht mit 60 Motorrad-Gespannen vorstellte, lagen in den Beiwagen sorgfältig getestete und ausgewählte Werkzeuge für die Pannenhilfe. In der Anfangszeit der Pannenhilfe patrouillierten die Straßenwacht-Fahrer mit ihren Maschinen der Witterung schutzlos ausgeliefert über Autobahnen und Bundesstraßen.
Millionen Kilometer
Ein Jahr nach der Indienststellung legten 131 Fahrer mit ihren Gespannen über 4,8 Millionen Kilometer auf Autobahnen und Bundesstraßen zurück. Die Männer halfen allein in diesen zwölf Monaten 150.000 Mal und leisteten bei über 700 Unfällen bei 3400 Menschen Erste Hilfe. 2023 lag die gesamte Einsatzzahl bei rund 3,5 Millionen.
Die Organisation der Pannenhilfe war anfangs schlicht: Die Fahrer fuhren 30 bis 40 Kilometer lange Abschnitte ab. Fanden sie ein liegen gebliebenes Fahrzeug, halfen sie. Die Havarierten machten mit Flaggen und Wimpeln auf sich aufmerksam.
1957 ergänzte ein Stadtpannendienst das Angebot. Gleichzeitig entstanden auf den Autobahnen die ersten Kommunikationsmöglichkeiten, die der ADAC sofort nutzte: An Straßen mit Streckentelefonen meldeten sich die Fahrer regelmäßig bei der Autobahnmeisterei. Diese informierte die Gelben Engel über eingegangene Hilferufe.
Mit der Klingel zur Hilfe
Wenig später testeten die Fahrer eine einfache Signalfunkanlage, den Klingelfunk: Ein Knopfdruck in der Autobahnmeisterei ließ eine Rasselglocke im Beiwagen des Straßenwachtfahrers klingeln. Auf dies Signal hin fuhr er das nächste Telefon an und erhielt die nötigen Informationen für die gewünschte Pannenhilfe fernmündlich.
Nur im Notfall in die Werkstatt
Konnten die Gelben Engel nicht vor Ort reparieren, mussten sie die defekten Autos mühevoll mit ihren Gespannen abschleppen. In den 50er-Jahren baute der ADAC dann sein bis heute bestehendes Netz der Mobilitäts-Partner auf. Diese Vertragspartner arbeiten im Auftrag des ADAC, unterstützen die Gelben Engel vor allem auf dem Land und bringen defekte Fahrzeuge im Notfall in die Werkstatt.
Erfolgreiche Hilfe
Durch die genaue Registrierung der Pannenursachen passte die Straßenwacht das mitgeführte Werkzeug und Material fortlaufend an die Anforderungen an. "Damit machte die Straßenwacht bereits 1959 den Großteil aller havarierten Fahrzeuge wieder flott", erklärt Dr. Alexander Kempf, Technikchef der Gelben Engel. Heute liegt die Erfolgsquote bei 84 Prozent, trotz der immer komplexer werdenden Motoren und Einbauten.
Kostenlose Pannenhilfe
Anfang der 1950er-Jahre erhielten ADAC Mitglieder eine "Straßendienst-Karte", die zu einer jährlichen kostenlosen ADAC Pannenhilfe berechtigte. In einer Welt ohne Handys und Notrufsäulen verfügten die Club-Mitglieder zudem über einen "Hilfsdienstrufschein", der anderen Autofahrerinnen und -fahrern für die nächste Werkstatt mitgegeben werden konnte. Auf dem Schein war die Position des Pannenfahrzeugs und die Art der Störung vermerkt, die eingetragene Mitgliedsnummer stellte die Berechtigung dar.
Gelbe Engel etablieren sich
"Das hat sich grundlegend geändert", erklärt Dr. Kempf. Schon 1966 nutzte der ADAC Autotelefone. Auch die an den Autobahnen stehenden Notrufsäulen beschleunigten die Pannenhilfe deutlich. Heute erreichen Hilfesuchende den ADAC unter der Nummer 089 20 20 40 00 oder über die Pannenhilfe-App, die unter anderem zusätzlich den Standort des havarierten Fahrzeugs anzeigt. Kein Wunder, dass die ADAC Mitarbeiter mit ihren Einsätzen und ihrem Service bis zur Ersten Hilfe begeistert aufgenommen wurden. In der Öffentlichkeit setzte sich der Name "Gelbe Engel" durch.
320 Gespanne auf den Straßen
Bis 1967 fuhr der ADAC mit insgesamt 320 Motorradgespannen: 295 BMW, 15 Zündapp und zehn NSU Consul. Dann erreichten die treuen Gefährte ihre Kapazitätsgrenze. Die Fahrer benötigten mehr Platz für Werkzeug und Material zur Versorgung der Autofahrerinnen und -fahrer. Außerdem wollte der ADAC seinen Mechanikern das Motorradfahren bei Regen und im Winter ersparen. Wie heute prüfte der Club damals mehrere Autotypen auf Herz und Nieren. Unter anderem kamen ein BMW 600, der Zündapp Janus, ein Glas Isar Kombi, ein VW-Bus und der Käfer sowie ein Opel Rekord Caravan in die engere Auswahl.
Gesucht wurde ein ausreichend großes Fahrzeug, das wendig war, das benötigte Material transportieren konnte und die nötige Sicherheit für die Fahrer bot. "Die Auswahl der Fahrzeuge änderte sich über die Jahrzehnte kaum. Heute fahren wir die mit Einbauten und Werkzeug beladenen Kandidaten allerdings in unserer Landsberger Crash-Anlage gegen die Wand", erklärt Kempf.
Käfer und Passat
Damals machte der Käfer das Rennen: Ohne Passagier-Sitze bot er reichlich Platz für das Werkzeug. Das Dach über dem Kopf tat den Fahrern gut und ermöglichte das Ausfüllen des Pannenberichts im Trockenen, die Rundumleuchte auf dem Dach sorgte für mehr Sicherheit. Ab 1963 fuhren insgesamt fast 500 Käfer für den ADAC, der wiederum in den 1980er-Jahren vor allem vom VW Passat abgelöst wurde.
Pannen verhindern
In den 1960er-Jahren begann die ADAC Straßenwacht, Pannen zu verhindern, und baute mobile Prüfstände für Bremsen, Reifen, Stoßdämpfer, Abgase und Tachos auf. Das war bitter nötig, denn bei 80 Prozent der Autos war die Beleuchtung mangelhaft, bei fast der Hälfte funktionierten die Bremsen nicht einwandfrei, ein Drittel fuhr mit defekten Stoßdämpfern, 10 Prozent mit falsch eingestellten Tachos. Im Oktober 1965 vertrauten dem ADAC eine Million Mitglieder.
Modeschöpfer designt
Damals führte der ADAC dank des Datenschatzes der Straßenwacht die Pannenstatistik ein und veröffentlichte sie erstmals 1967 in der ADAC Motorwelt. Interessierte können seither alljährlich – inzwischen auch online – nachlesen, mit welchen Pannen sie bei ihrem Auto rechnen müssen. Dazu informiert der ADAC auch die Hersteller über Schwachstellen.
Anfang der 1970er-Jahre baute der ADAC ein erstes eigenes Funksprechnetz auf, heute disponieren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die über 1700 Straßenwachtfahrer in fünf Pannenhilfezentralen. Wer den ADAC anruft oder inzwischen per Pannenhilfe-App Kontakt aufnimmt, bekommt schnellstmöglich sachgerechte Hilfe, Tag und Nacht. "Der ADAC versucht immer, neueste Trends und Techniken zu nutzen", so Dr. Kempf.
Das gilt auch fürs Outfit: 1970 designte der Modeschöpfer Heinz Oestergaard die Uniform der Straßenwacht. In Signal-Orange waren die Gelben Engel ab jetzt vor allem in der Dämmerung und in der Nacht sichtbarer.
Vielfältiges Material
Jedes der rund 1700 Straßenwachtautos transportiert heute bis zu 315 Kilogramm Ausrüstung. Insgesamt legen sie täglich mehr als 130.000 Kilometer zurück. "Zur Ausstattung gehören über 350 ausgetüftelte Werkzeuge, Ersatzteile und Zubehör", sagt Kempf. Darunter sind Diagnosegeräte, Starthilfebatterien, Kompressoren, Sicherheitsmaterial zur Absicherung von Pannenorten und Unfallstellen sowie eine Erste-Hilfe-Ausrüstung.
Modernste Technik
Bei ihrer Arbeit helfen den Gelben Engeln längst IT-Systeme, die die Pannen erfassen oder im Fahrzeugspeicher abgelegte Fehler auslesen. Damit Autofahrerinnen und -fahrer in Not schnellstmögliche Hilfe bekommen, verfügen die Pkw der ADAC Straßenwacht über umfangreiche Kommunikationstechnik mit GPS zur Standortermittlung. Damit bestimmen Disponenten in den Pannenhilfezentralen exakt die Position jedes Pannenhelfers und erteilen über Funk den nächsten Einsatzauftrag. Nach einem Pannenruf rückt das nächstgelegene freie Straßenwachtfahrzeug an.
Neben den gut ausgebildeten und kommunikativen Fahrern und Fahrerinnen – die erste Frau trat 1986 ihren Dienst an – setzt der Club auf modernste Fahrzeuge: "Wir tauschen jährlich rund 220 der Straßenwachtwagen gegen die jeweils modernste Version", erklärt Dr. Alexander Kempf.
VW Caddy V, Quads und E-Bikes
Der ab Sommer als neuestes Pannenhilfefahrzeug startende VW Caddy V verfügt erstmals über einen modernen Systemeinbau, der auch künftige Anforderungen berücksichtigt, sowie zusätzlichen Platz für neue Ausrüstung. Dazu sind die Gelben Engel heute auf Festivals – bekanntermaßen oft eine schlammige Angelegenheit – mit Quads unterwegs und in elf Städten mit Elektrofahrrädern.
Außerdem bietet die Straßenwacht in ausgewählten Städten einen Schlüsselnotdienst an sowie die Fahrrad-Pannenhilfe. Wer einen solchen Service nutzen möchte, fordert den Helfer bzw. die Helferin via Telefon oder per Pannenhilfe-App an. Dr. Kempf: "Helfen bei jeder Form der Mobilität ist unsere Leidenschaft. Deshalb gehen wir immer mit der Zeit."
Die Herausforderung: Elektromobilität
Auch E-Fahrzeuge sollen künftig für die Straßenwacht fahren: "Wir steigen gern in die Elektromobilität ein, unsere Anforderungen an ein Fahrzeug sind jedoch so hoch, dass es noch kein geeignetes Modell für uns gibt", so Kempf. Die sehr hohe Zuladung von über 800 Kilo Einbauten, Material und Werkzeug schränkt die Reichweite ein.
Außerdem fehle es noch an genug Ladepunkten für die 1700 Fahrer mit ihren jeweils unterschiedlichen Umgebungsverhältnissen. Diese Herausforderungen werden das bestimmende Thema der Straßenwacht in den kommenden Jahren sein. Dr. Kempf: "Hier wird die Geschichte des ADAC aktiv fortgeschrieben."