Bundesverfassungsgericht: Geschwindigkeitsmessung muss nachprüfbar sein

Wer geblitzt wurde, zweifelt oft an der Messung – die ist jedoch nur in wenigen Fällen tatsächlich fehlerhaft
Wer geblitzt wurde, zweifelt oft an der Messung – die ist jedoch nur in wenigen Fällen tatsächlich fehlerhaft© iStock.com/rclassenlayouts

Polizeiliche und kommunale Verkehrsüberwachung ist nicht bei jedem beliebt, doch für die Verkehrssicherheit unverzichtbar. Mit diesem Urteil stärkt das Bundesverfassungsgericht die Rechte von Autofahrenden, die eine Geschwindigkeitsmessung anzweifeln.

  • Geschwindigkeitsmessung muss fair, korrekt und nachprüfbar sein

  • Trotz verbesserter Technik können bei der Messung Fehler auftreten

Anspruch auf Herausgabe der Rohdaten der Messung

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschluss vom 12.11.2020, Az. 2 BvR 1616/18) hat entschieden, dass dem Verteidiger auch die Informationen zur Verfügung gestellt werden müssen, die sich nicht in der Akte befinden, aber von dem Messgerät erfasst sind. Damit ist für alle Gerichte bindend entschieden, dass die Behörde verpflichtet ist, auf Antrag des Rechtsanwaltes auch die Daten zur Überprüfung der Richtigkeit der Messung zu überlassen, die nur als Rohmessdaten bzw. in Form einer Lebensakte zusätzlich zur Ermittlungsakte vorliegen.

Nur dann, so die Ansicht der Richter, ist gewährleistet, dass der betroffene Autofahrer wirklich alle Informationen erhält, die er braucht, um einen evtl. Messfehler festzustellen und bei Gericht begründen zu können. Dieser Anspruch auf ein sogenanntes faires Verfahren und auf das rechtliche Gehör ist verfassungsrechtlich garantiert. Damit ist ein wichtiger Schritt getan in Richtung einheitlicher Beurteilung von Akteneinsichtsrechten.

ADAC begrüßt die Entscheidung

Der ADAC begrüßt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass Fahrer Rohdaten der Messgeräte einsehen können, wenn sie berechtigte Zweifel an der Richtigkeit der Messung bei Verkehrsverstößen haben.

ADAC Verkehrspräsident Gerhard Hillebrand: "Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist ein Beitrag zu mehr Fairness bei Bußgeldverfahren. Die Möglichkeit, auf Rohdaten der Messgeräte zuzugreifen, kann im Zweifel auch dazu beitragen, die Akzeptanz von Bußgeldbescheiden zu erhöhen. Bei Vorliegen tatsächlicher Messfehler wird dadurch sichergestellt, dass Verkehrsverstöße korrekt und gerecht geahndet werden. Im Bußgeldverfahren werden die Interessen der Betroffenen gegenüber den Behörden gestärkt. Das hatte der ADAC bereits seit Jahren eingefordert."

Was bedeutet das Urteil für betroffene Autofahrer?

Mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts kann der betroffene Autofahrer verlangen, dass ihm bzw. seinem Anwalt alle Daten, die das Messgerät bereithält, bereits von der Verwaltungsbehörde zur Verfügung gestellt werden. Denn nur so kann man vorab prüfen, ob sich Auffälligkeiten bei der Messung ergeben.

Nur wenn diese Überprüfung Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung ergibt, hat der geblitzte Fahrer mit seinem Rechtsmittel überhaupt Aussicht auf Erfolg vor Gericht.

Wer aktuell ein offenes Bußgeldverfahren (z. B. einen neuen Bußgeldbescheid) hat, sollte daher anwaltlichen Rat suchen, wie hier vorgegangen werden soll.

Welche Geräte sind von der Entscheidung betroffen?

Alle Messgeräte, die Rohdaten auch tatsächlich abspeichern.

Service der ADAC Clubjuristen

Obwohl die Messsicherheit der amtlich zugelassenen Geschwindigkeitsmessanlagen in den letzten Jahren dank verbesserter Technik deutlich zugenommen hat, gibt es je nach eingesetztem Geschwindigkeitsmessverfahren unterschiedliche Fehlerquellen.

ADAC Mitglieder können Checklisten unter Angabe des bei der Geschwindigkeitsmessung konkret eingesetzten Messverfahrens anfordern: Stellen Sie hier Ihre Anfrage per Mail.

Für Geschwindigkeitsmessungen mit folgenden Messverfahren hat der ADAC recherchiert und Checklisten für die bei diesen Verfahren häufig verwendeten Messgeräte erstellt:

  • Einseitensensoren ("Lichtschranken")

  • Handlaser

  • Laser mit Videodokumentation

  • Laserscanner ("Lidar")

  • Piezoelektrische Sensoren ("Starenkästen")

  • Induktionsschleifen ("Starenkästen")

  • Radar

Auch bei Geschwindigkeitsmessungen der Polizei können Fehler auftreten. Nur: Sie nachzuweisen, ist außerordentlich aufwendig. Dazu braucht man Sachverständige, die die Akten auswerten, Messunterlagen sowie die Beweisfotos analysieren.

Erst auf dieser Basis kann ein Richter über die Aufhebung eines Bußgelds oder der Strafe entscheiden. Da für solche Gutachten hohe Kosten entstehen können, empfiehlt es sich, vorab zu prüfen, ob eine eintrittspflichtige Verkehrsrechtschutzversicherung besteht, und dort anzufragen, ob diese die Kosten des Gutachtens übernimmt.

Download: ADAC Standpunkte

Lesen Sie hier auch die Standpunkte des ADAC zu "Verkehrsüberwachung" und "Transparenz in der Geschwindigkeitsüberwachung":

Verkehrsüberwachung (ADAC Standpunkt)
PDF, 101 KB
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Transparenz in der Geschwindigkeitsüberwachung (ADAC Standpunkt)
PDF, 101 KB
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Ursula Weigel
Ursula Weigel
Fach-Autorin
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