Technik-Vergleich: Was gegen schlingernde Wohnwagen hilft
Wind oder abrupte Fahrmanöver können Anhänger schnell ins Schlingern bringen – das kann gefährlich werden. Anhänger-Stabilisierungssysteme sollen das verhindern. Wie gut die Technik funktioniert, hat der ADAC an drei Systemen getestet.
Gespanne können schnell außer Kontrolle geraten
Anhänger-Stabilisierungssysteme erhöhen die Sicherheit
Plus: Welche Hersteller eine Gespannfunktion beim ESP anbieten
Für Gespannfahrer ist es der blanke Horror: Der Wohnwagen kommt plötzlich ins Schlingern, schaukelt sich auf und ist nicht mehr zu kontrollieren. Im schlimmsten Fall endet der Kontrollverlust in einem Ausbrechen des Anhängers oder dem Herumreißen des gesamten Gespanns. Ein schwerer Unfall kann die Folge sein.
Schon eine leichte Böe kann hier der Auslöser sein. Gerade die Bauform von Wohnwagen hat aufgrund der großen Angriffsflächen einige ungünstige Eigenschaften, die ein unvorhersehbares Aufschaukeln des Hängers begünstigen. Aber wie können technische Systeme einen solchen Zustand identifizieren und gegensteuern? Und welche gibt es?
Video: Richtiges Beladen beugt Schlingern vor
Damit es gar nicht erst zum Schlingern kommt, ist die richtige Beladung wichtig. Das Video zeigt, wie es geht:
Stabilisierungssysteme im Überblick
Um für den Ernstfall gut gerüstet zu sein, empfehlen sich Anhängerstabilisierungssysteme. Es gibt verschiedene technische Ansätze, einen schlingernden oder gar ausbrechenden Anhänger zu erkennen und bei der Stabilisierung zu helfen.
Antischlingerkupplung: Im Kugelkopf der Deichsel sind Reibbeläge verbaut, die ein Schlingern teilweise unterdrücken. Diese Antischlingerkupplungen sind seit über 20 Jahren Stand der Technik und wurden in diesem Test nicht gesondert betrachtet. Sie sind im Testanhänger verbaut.
ESP mit Anhängerfunktion: ESP-Systeme in Autos können eine Zusatzfunktion integriert haben, die Anhänger erkennt und das ESP so steuert, dass ein schlingernder Anhänger möglichst eingebremst wird.
Stabilisierungssysteme: Den Anhänger in kritischen Situationen selbstständig abbremsen zu können, versprechen Anhänger-Stabilisierungssysteme. Sie können ab Werk verbaut sein oder als Nachrüstlösung angeboten werden. Auf diese Systeme konzentriert sich dieser Test.
Anhänger-Stabilisierungssysteme im Test
In Deutschland sind im Grunde nur drei Anhänger-Stabilisierungssysteme auf dem Markt. Neben den Platzhirschen AL-KO und Knott bietet auch die Kleinfirma BL-trading eine Nachrüstlösung zur Verbesserung der Fahrstabilität für Wohnwagen und Co. an.
Die drei System mussten sich in zwei Disziplinen, dem Schlingerversuch und dem Ausweichtest, auf dem ADAC Testgelände in Penzing beweisen. Beim Schlingerversuch fährt das Testfahrzeug wellenförmig nach links und rechts, um den Versuchs-Wohnanhänger ins Schlingern zu zwingen und das Gespann aufzuschaukeln. Im Zuge des Ausweichtests wird dagegen eine Gefahrenstelle simuliert, die ein kurzes, aber starkes Ausweichen zur Kollisionsvermeidung erzwingt. Zur besseren Vergleichbarkeit wurden die Lenkmanöver des Zugfahrzeugs durch einen Lenkroboter ausgeführt, der immer im exakt gleichen Lenkwinkel über die Teststrecke fuhr.
Ergebnisse der Versuchsreihen
Alle Systeme haben beim Schlingerversuch eine gute Figur gemacht. Die Tester hatten keinen Grund zur Beanstandung. Das System von Knott griff am frühesten ein, aber auch AL-KO und BL-trading machten ihren Job hier gut. Alle Kandidaten erfassten das Schlingern des Anhängers und griffen über die Auflaufbremse des Hängers ein. Damit verhinderten sie ein gefährliches Aufschaukeln, das im schlimmsten Fall zum Kippen des Anhängers oder dem Schleudern des Gespanns geführt hätte.
Anders gestaltet sich die Lage allerdings beim Ausweichtest. Während das LEAS-System von BL-trading und insbesondere das ATC von AL-KO beim Ausweichvorgang früh eingriffen und dabei maßgeblich halfen, das Gespann stabil und damit manövrierfähig zu behalten, Griff das Knott-System sehr spät ein. Offenbar ist ein Manöver wie der Ausweichvorgang bei Knott nicht in die Entwicklung mit eingeflossen.
Die Mitbewerber zeigen aber, dass auch hier ein deutlicher Sicherheitsgewinn möglich ist. Beide Systeme greifen sogar eher ein, als sie das bei den Schlingerversuchen getan haben – also erkennen sie wohl die deutlich höheren Querbeschleunigungen beim kritischen Ausweichvorgang sofort als gefährlich und bremsen den Anhänger ab.
Die Systeme im Detail und Preise
Preis des Testgeräts: 965 Euro
Gewichtsbereich: Allgemeine Betriebserlaubnis bis 3,5 Tonnen
Anwendbarkeit: Anhänger mit AL-KO-Achse und -Bremse
Das AL-KO ATC 2.0 gibt es in verschiedenen Varianten sowohl für Einachser als auch für Anhänger mit einer Tandemachse. Zudem muss man das Gewicht des Anhängers bei der Auswahl des passenden Systems beachten. So ergeben sich insgesamt zwölf verschiedene Varianten. Falls der eigene Anhänger keine Achse und Bremsen von AL-KO hat, schaut man allerdings in die Röhre: Dann passt das ATC 2.0 nicht. Die Anleitung ist besonders leicht verständlich, das ATC macht zudem einen wertigen Eindruck. Auch die Funktion überzeugt, in keinem Testszenario leistet sich das System einen Patzer. So ist dem AL-KO ATC 2.0 der Testsieg nicht zu nehmen.
+ leicht verständliche Anleitung
+ in allen Testszenarien tadellose Funktion
- Status-LED während der Fahrt nicht sichtbar
- passt ausschließlich an Anhänger mit AL-KO-Achsen
Preis des Testgeräts: 749 Euro
Gewichtsbereich: Allgemeine Betriebserlaubnis bis 2,5 Tonnen, darüber Einzelabnahme
Anwendbarkeit: Jeder Anhänger mit Auflaufbremseinrichtung
Das LEAS genannte Stabilisierungssystem kommt von der Firma BL-trading, hinter der Wolfgang Lubs steht. Dieser Pionier hat sein System schon vor 30 Jahren auf den Markt gebracht und war damit der erste Anbieter einer solchen Stabilisierungseinrichtung. Deutlich größer wurde die Firma trotz des Erfindergeists nicht und so hielten auch keine Industriestandards Einzug – die teils mäßige Verarbeitung zeugt davon. Im Test aber überzeugte das LEAS mit seiner Funktion und bremste den Anhänger situationsgerecht ein. Ein weiterer Vorteil liegt in der universellen Anwendbarkeit: Egal wie der Hersteller des Anhängers lautet, solange es ein Anhänger mit einer Auflaufbremseinrichtung ist, passt das System von BL-trading. Auch für Tandemachsen ist es geeignet.
+ wirksame Stabilisierung in allen getesteten Fahrmanövern
+ universell passendes System
- schlechte Verarbeitung
- keine Rückmeldung über Betriebsbereitschaft per LED oder ähnliches
Preis des Testgeräts: 816 Euro
Gewichtsbereich: Allgemeine Betriebserlaubnis bis 3,5 Tonnen
Anwendbarkeit: Anhänger mit Achse und Bremse von Knott oder AL-KO
Das Knott ETS gibt es sowohl für Knott- als auch für AL-KO-Achsen, damit ist der Markt gut abgedeckt. Insgesamt muss man hier aus 20 verschiedenen Varianten die für den eigenen Anhänger passende auswählen, abhängig von der Gewichtsklasse und dem Achshersteller. Der Einbau ist etwas mühseliger, da die Bremszüge demontiert und durch das ETS geführt werden müssen. Bei den Testfahrten erkannte das ETS einen schlingernden Anhänger zuverlässig und bremste passend ein. Beim Ausweichversuch aber reagierte es sehr spät, während die Testkonkurrenz den Anhänger zu diesem Zeitpunkt schon deutlich eingebremst und damit stabilisiert hatte.
+ sehr wirksam bei schlingerndem Anhänger
+ verfügbar für Anhänger mit AL-KO und Knott-Achsen
- im Testvergleich mühseliger Einbau
- im Ausweichversuch erfolgt Regelung sehr spät
- Status-LED während der Fahrt nicht sichtbar
Fazit und Testsieger
Sowohl die subjektiven Fahrversuche als auch die objektiv bewerteten und mittels Lenkroboter durchgeführten Fahrmanöver machen deutlich: Die Fahrsicherheit eines Gespanns kann durch elektronische Regelsysteme immens gesteigert werden. Schon ein gutes Zugfahrzeug-ESP hilft weiter, ein Stabilisierungssystem für den Anhänger selbst hebt die Sicherheit aber auf ein ganz neues Niveau.
Alle drei getesteten Systeme funktionieren beim typischen Anhänger-Schlingern souverän, beim herausfordernden Spurwechsel beziehungsweise Ausweichtest trennt sich das Testfeld dann deutlich. Das Knott ETS Plus ist für diese Anforderung nicht ausgelegt, was bedauerlich ist, denn: Die Produkte von AL-KO und BL-trading unterstützen auch in diesen Situationen und können helfen, Unfälle zu vermeiden. Den Gesamtsieg holt sich das Stabilisierungssystem von AL-KO.
Tipps für Verbraucher
Anhänger-Stabilisierungssysteme sorgen auch für einen zusätzlichen Sicherheitsgewinn, wenn man ein modernes Zugfahrzeug mit integriertem Anhänger-ESP nutzt. Daher ist die Ausrüstung des Anhängers grundsätzlich sinnvoll und zu empfehlen. Auch erfahrene Gespannfahrer können von Anhänger-Stabilisierungssystemen profitieren.
Absolut entscheidend für die Fahrstabilität ist eine korrekt eingestellte (= maximal zulässige) Stützlast. Ohne diese wird es auch für das beste Stabilitätssystem unmöglich, passend einzugreifen.
Beim Überholen von Lkw, auf Brücken und an windigen Tagen muss man mit einem schlingernden Anhänger rechnen und wachsam sein. Im Zweifel: Tempo runter, damit reduziert man das Schlingerrisiko.
Wenn der Anhänger schlingert: Lenkrad ruhig halten, behutsam bremsen. NICHT per Gaspedal versuchen, das Gespann zu strecken! Tipps zum Fahren mit Anhänger gibt es hier.
Den Einbau der Systeme sollte man nur dann selbst vornehmen, wenn man – bestenfalls durch Ausbildung – genau weiß, wie eine Anhängerbremse funktioniert. Ist man hier unsicher, sollte eine Werkstatt beauftragt werden.
Forderungen an Hersteller
Eine Gespannerkennung im Pkw-ESP sollte im Jahr 2024 eine Selbstverständlichkeit sein, wenn eine Anhängerkupplung verbaut ist – unabhängig davon, ob die Kupplung ab Werk oder nachträglich eingebaut wird. Auch sollte das Anhänger-ESP immer ab Werk aktiviert sein.
Die Fahrzeughersteller müssen dem Verbraucher eindeutige Informationen bereitstellen, ob das Fahrzeug mit Anhänger-ESP ausgestattet ist und auch, ob diese Funktion aktiviert ist.
Stabilisierungssysteme für den Verbau im Anhänger sollen nicht nur Schlingern, sondern auch andere kritische Fahrsituationen wie ein plötzliche Ausweichmanöver erkennen und entsprechend regeln.
Wo es ESP mit Gespannerkennung gibt
Eine ganze Menge an Neufahrzeugen ist mittlerweile mit einer Technik ausgerüstet, die ebenfalls schlingernde Anhänger in den Griff bekommen sollen: Autos mit sogenanntem Anhänger-ESP. Nicht für jedes Pkw-seitige ESP-System gibt es allerdings eine Anhänger-Erkennung.
Eine vollständige Übersicht, welche Fahrzeugmodelle eine Gespannerkennung anbieten, lässt sich aber leider nicht erstellen. Auf ADAC Anfrage war es vielen Herstellern nicht möglich, konkrete Aussagen zu treffen, welche ihrer Modelle ein solches System besitzen und speziell, wo es bei Nachrüstlösungen funktioniert. Deshalb sollten Interessierte am Besten bei ihrem Händler nachfragen, ob ihr Fahrzeugmodell mit einer Anhängererkennung ausgerüstet ist, oder ausgestattet werden kann. Eine Übersicht:
Fahrzeughersteller | Anhänger-ESP verfügbar | Bei nachgerüsteter Anhängerkupplung (AHK) aktiv? |
---|---|---|
Audi | ja | Einzelfallprüfung beim Händler |
BMW | ja | Freischaltung nötig |
Ford | ja | ja |
Genesis | ja | ja |
Hyundai | ja | ja |
Kia | ja | ja |
Land Rover | ja | Freischaltung nötig |
Lynk & Co | ja | nur mit herstellerseitigem AHK Modul |
Mazda | ja | nur mit originaler AHK |
Mercedes-Benz | ja | ja |
Nissan | ja | ja |
Porsche | ja | Freischaltung nötig |
Renault | ja | Freischaltung nötig |
Seat/Cupra | ja | nur mit AHK-Vorbereitung ab Werk |
Skoda | ja | nur mit AHK-Vorbereitung ab Werk |
Stellantis (Opel, Peugeot, Citroen, Fiat, Jeep, etc) | ja | keine Info |
Subaru | ja | ja |
Tesla | ja | nur mit originaler AHK |
Toyota | ja | ja |
Volvo | ja | Freischaltung nötig |
VW | ja | Freischaltung nötig |
Technische Beratung: Christoph Pauly/ADAC Technik Zentrum