Randalierender Passagier kann "außergewöhnlicher Umstand" sein

Schreiender Passagier in einem Flugzeug
Verspätung wegen Randalierer an Bord – keine Entschädigung für andere Fluggäste© stock.adobe.com/Parilov Evgeniy

Ist ein Flug verspätet, weil ein Fluggast im Flugzeug randaliert hat und das Flugzeug deshalb umgeleitet werden musste, muss die Airline den anderen Passagieren keine Entschädigung zahlen. Das störende Verhalten des randalierenden Fluggastes kann für die Airline einen "außergewöhnlichen Umstand" darstellen. Das entschied der Europäische Gerichtshof.

Ein Passagier hatte bei einer Airline einen Flug vom brasilianischen Fortaleza nach Oslo mit Zwischenlandung in Lissabon gebucht. Er kam mit einer Ankunftsverspätung von fast 24 Stunden in Oslo an, weil er wegen einer Verspätung des ersten Fluges den Anschlussflug von Lissabon nach Oslo nicht antreten konnte.

Grund für die Verspätung des ersten Fluges war ein randalierender Fluggast, der einen Passagier gebissen und weitere Passagiere und das Flugpersonal angegriffen hatte. Der erste Flug musste nach Gran Canaria umgeleitet werden, um den Randalierer von Bord zu bringen. Der Flug nach Oslo fand erst am nächsten Tag mit der gleichen Airline statt.

Der betroffene Fluggast verlangte von der Airline wegen der Ankunftsverspätung eine Ausgleichsleistung von 600 Euro. Die Airline lehnte das ab und berief sich auf einen außergewöhnlichen Umstand.

Ein Passagier randaliert, alle kommen zu spät

Der EuGH gab der Airline in diesem Fall Recht. Die nach der EU-Fluggastrechteverordnung für Passagiere vorgesehene Entschädigung für z. B. eine Ankunftsverspätung von drei Stunden entfällt, wenn sog. außergewöhnliche Umstände vorliegen.

Ein randalierender Passagier an Bord, der die Sicherheit bedroht, ist nicht Teil der normalen Tätigkeit einer Airline, so die Richter. Dieses Verhalten ist für die Airline nicht beherrschbar, weil niemand vorhersehen kann, wie der Randalierer auf Anweisungen der Besatzung reagiert. Außerdem hat die Crew an Bord eines Flugzeugs nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, mit einem Randalierer umzugehen.

Die Richter sahen daher wegen eines außergewöhnlichen Umstands keinen Entschädigungsanspruch für den von der Verspätung betroffenen Fluggast. Dass dieser schon beim vorangegangenen Flug vorlag, schadet nach Ansicht des EuGH nicht, wenn beide Flüge von der gleichen Airline mit demselben Flugzeug durchgeführt wurden und ein unmittelbarer ursächlicher Zusammenhang zwischen außergewöhnlichem Umstand und der Verspätung des späteren Fluges bestand.

Deutet sich der Ausraster an, haftet die Airline

Der EuGH betonte in seinem Urteil aber ausdrücklich, dass kein außergewöhnlicher Umstand vorliegen kann, wenn die Airline selbst zum Verhalten des Passagiers beigetragen hätte. Das Gleiche gilt, wenn es schon vor dem Boarding Anzeichen für ein auffälliges Verhalten des Passagiers gegeben hätte und die Airline ihn trotz Verhaltensstörungen an Bord gelassen hätte.

Dann nämlich könnte die Airline die Probleme vorhersehen. Sie hätte die Möglichkeit, zu einem Zeitpunkt einzugreifen, zu dem das noch ohne bedeutende Folgen für den Ablauf des Fluges ist.

Airline muss auch Ersatzflüge mit anderen Airlines anbieten

Der EuGH führte in seinem Urteil außerdem aus, dass die Airline alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen muss, um die Verspätung so gering wie möglich zu halten. Die Airline muss den betroffenen Passagieren eine zumutbare, zufriedenstellende und frühestmögliche andere Beförderung anbieten.

Dazu gehören nach Ansicht des EuGH auch direkte oder indirekte Flüge anderer Airlines oder Airline-Allianzen. Es genügt nicht, dem betroffenen Passagier einfach den nächsten eigenen Flug anzubieten, der erst einen Tag später ankommt. Das würde nur dann ausreichen, wenn auf keinem anderen Flug mehr Platz ist oder die anderweitige Beförderung für die Airline ein nicht tragbares Opfer darstellen würde.

Das nationale Gericht muss nun prüfen, ob ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Vorfall an Bord des vorangegangenen Flugs und der Verspätung eines späteren Flugs vorliegt. Außerdem muss dieses Gericht nun feststellen, ob die Airline tatsächlich keine andere Möglichkeit hatte, die Passagiere trotz der Probleme pünktlich oder mit weniger Verspätung ans Ziel zu bringen.

EuGH, Urteil vom 11.6.2020, Az.: C-74/19

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