Sturz wegen Stacheldraht: Radfahrer trifft keine Schuld
BGH-Urteil: Einen Radfahrer, der an einem ungewöhnlich schwer erkennbaren Hindernis verunglückt ist, trifft grundsätzlich keine Mitschuld − auch wenn er schnell unterwegs war.
Dem Kläger war bei Hamburg auf einer Tour mit dem Mountainbike ein über einen Feldweg gespannter Stacheldraht zum Verhängnis geworden. Beim Bremsen stürzte er kopfüber in die Absperrung. Seither ist der 43-Jährige vom Hals abwärts gelähmt.
Der BGH macht dafür die örtliche Gemeinde − Braak (Kreis Stormarn) in Schleswig-Holstein − und zwei für das Gebiet zuständige Jagdpächter verantwortlich. Die Ende der 1980er-Jahre errichtete Sperre sollte eine Ruhezone für Wild schaffen. Deshalb sind auch die Pächter in der Pflicht. Die Gemeinde hatte seinerzeit der Errichtung zugestimmt.
OLG will nur 25 Prozent Entschädigung zugestehen
Ein früherer Jagdpächter hatte an Latten in der Mitte des Wegs ein Durchfahrt-verboten-Schild für Autos befestigt. Dass rechts und links davon Drähte gespannt waren, konnte der Mountainbiker nicht ahnen. Der Mountainbiker forderte mindestens 500.000 Euro. Außerdem geht es um lebenslange Kosten für eine dauerhafte Pflege.
Das schleswig-holsteinische Oberlandesgericht (OLG) hatte dem Mann in einem Urteil im Jahr 2017 nur 25 Prozent der geforderten Summe zugestanden. Begründung: Er sei zu schnell gefahren und habe sein neues Rad nicht richtig beherrscht.
BGH: "Radfahrer muss nicht mit Stacheldraht rechnen"
Das ließen die BGH-Richter nun so nicht stehen: Die Straßenverkehrsordnung verpflichtet Radfahrer, nur so schnell zu fahren, "dass innerhalb der übersehbaren Strecke gehalten werden kann". Das gilt laut BGH aber nicht für Hindernisse, auf die nichts hindeutet. Sonst müssten sich Radfahrer permanent im Schneckentempo bewegen, um rechtzeitig bremsen zu können (Az. III ZR 250/17 u.a.).
Ein Hindernis wie der Stacheldraht sei "völlig ungewöhnlich und objektiv geradezu als tückisch anzusehen, sodass ein Fahrradfahrer hiermit nicht rechnen muss". Das OLG könne ihm auch nicht vorwerfen, dass sich das Rad nur überschlagen habe, weil er mit dessen Bremsverhalten noch nicht gut genug vertraut gewesen sei. Er habe keine Zeit zum Überlegen gehabt und "aus verständlichem Erschrecken objektiv falsch reagiert".
Klickpedale: Kläger haftet zu 25 Prozent mit
Nach dem BGH-Urteil haften die Beklagten nun zu mindestens 75 Prozent. Eine Mithaftung des Klägers bleibt möglich, weil er auf unbefestigtem Weg die Klickpedale genutzt hatte und aus dieser nicht mehr rechtzeitig herauskam. Diesen Aspekt muss sich das OLG nun noch einmal genauer anschauen, bevor es abschließend entscheidet.
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Mit Material von dpa